Der Fall Sandra Bakutz
Am 10.2. wurde die österreichische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Sandra Bakutz am Flughafen Istanbul verhaftet. Der Fall Bakutz wirft ein Schlaglicht auf die nach wie vor autoritäre Natur des türkischen Staates.
Hafturteil des 2. Staatssicherheitsgerichtes in Abwesenheit
Sandra Bakutz wurde am 31.8.2001 in Abwesenheit verhaftet. Da Sandra Bakutz die „Taten“ im Ausland begangen habe, außerdem österreichische Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Österreich ist und daher „flüchtig“, wurde dieses Urteil in Abwesenheit gefällt. Ein Anfrage an die Bundesregierung bzw. ein Auslieferungsbegehren wurden nicht gestellt. Offensichtlich sind die türkischen Behörden überzeugt, dass eine Überprüfung der Vorwürfe auf schwachen Beinen stehen würde.
Sandra Bakutz wird Mitgliedschaft in der DHKP-C vorgeworfen. Die „Revolutionäre Volksbefreiungsfront“ ist in der Türkei schon lange verboten und befindet sich auch auf der „Schwarzen Liste terroristischer Organisationen“ der EU aus dem Jahr 2002.
Der Vorwurf gründet auf zwei Sachverhalte:
1. Am 28.11.2000 habe Frau Bakutz anlässlich des Besuches des türkischen Außenministers im Plenarsaal des Europäischen Parlamentes gemeinsam mit zwei Mitgliedern der DHKP-C Parolen gegen diesen gerufen. Laut Auskunft der türkischen Anwälte bestreitet Frau Bakutz an der Aktion teilgenommen zu haben. Zum fraglichen Zeitpunkt traf sie die Abgeordnete Morgantini. Als Beweis dient der türkischen Justiz ein Artikel in der Tageszeitung Hürriyet sowie die darin veröffentlichten Fotos. Dieser Artikel ist im Internet abrufbar. (http://arsiv.hurriyetim.com.tr/hur/turk/00/11/29/dunya/01dun.htm). Zumindest auf diesem Foto ist der Hinterkopf einer vermutlich weiblichen Person mit langen Haaren zu sehen, die – zumindest von hinten – nicht wie Sandra Bakutz aussieht. Auch andere in dieser Tageszeitung veröffentlichten Fotos zeigen lt. den türkischen Anwälten nicht Sandra Bakutz. Eine genaue Identifizierung ist schlicht unmöglich. Weiters geht aus dem Artikel nicht hervor, dass Sandra an dieser Aktion teilgenommen habe. Unabhängig davon, ob sich der Sachverhalt wie von der türkischen Justiz behauptet abgespielt hat oder nicht, macht wohl das gemeinsame Rufen von Parolen mit anderen noch keine „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ aus.
Weiters stützt sich die Anklage auf eine Pressekonferenz in Brüssel eines Unterstützungskomitees für einen Häftling der sich in Isolationshaft befunden hat. Daran habe Frau Bakutz teilgenommen. Auch das entspricht einer reinen Politjustiz. Wer eine Pressekonferenz gegen Isolationshaft abhält, nimmt sein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch. Für die türkische Justiz zeigen jedoch die beiden Sachverhalte eine Mitgliedschaft in der DHKP-C.
Sandra Bakutz wurde laut Auskunft der türkischen Anwälten von den türkischen Behörden weder das Abwesenheitsurteil aus dem Jahr 2001, noch die Sachverhaltsdarstellung bekannt gemacht. Sie habe darüber erst über ihren Anwalt erfahren. Weiters wurde sie nur einmal, bei ihrer Verhaftung, in Beisein ihres Anwaltes vernommen. Bei einer weiteren Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft – ohne Beiziehung des Anwaltes – verweigerte Sandra eine Aussage – verständlich, da gerade sie das Vorgehen der türkischen Justiz sehr gut kennt. Seit dem wurde sie nicht mehr vernommen und konnte somit auch keine Stellung beziehen. Doch Sandra Bakutz hat in diesem Fall noch eine vergleichsweise gute Behandlung erfahren. Denn in der Türkei hat bei politischen Delikten der Anwalt erst nach 48 Stunden das Recht mit dem/ der Verhafteten in Kontakt zu treten, Geständnisse die innerhalb dieser Frist erfolgen, werden von Gerichten akzeptiert. (Dieser Umstand ist eine Einladung zur Folter, was auch von verschiedenen EU-Staaten festgestellt wurde. Siehe etwa das britische Home-Office: http://www.ind.homeoffice.gov.uk/default.asp?PageId=196)
Auch bei der Überprüfung der Untersuchungshaft durch einen Richtersenat am 25.2.2005 wurde Sandra Bakutz nicht angehört, weder Sie noch ihr Anwalt waren zugegen. Der Beschluss enthält die Begründung, dass gegenüber dem Urteil von 2001 keine neuen entlastenden Beweise vorgebracht worden wären, die Beweise der Anklage sich aber noch in der Sammlungsphase befänden (scheinbar seit mindestens vier Jahren, seit das 2. Staatssicherheitsgericht den Hafturteil ausgestellt hat.). Sprich: im Augenblick liegt zu wenig vor, die Untersuchungshaft wird verlängert. Eine rechtsstaatliche Kontrolle über die Verhängung von Untersuchungshaft scheint im Fall Bakutz nicht gegeben zu sein. Aber auch die Dauer der Untersuchungshaft ist ein großes Problem: Aus der Türkei sind Fälle bekannt, dass politische Häftlinge fünf Jahre lang auf ihren Prozess gewartet haben. Ein gutes Beispiel ist der Prozess, zu dessen Beobachtung Sandra Bakutz nach Istanbul geflogen ist: Am 1. April 2004 wurden bei einem großen Polizeieinsatz zahlreiche Menschen verhaftet, darunter der Leiter des Menschenrechtsvereins Tayad, alle diese gingen völlig legalen politischen Tätigkeiten nach. 62 befinden sich im Zusammenhang mit dieser Aktion immer noch in Haft, 18 davon seit dem 1. April. Die Anklage stützt sich dabei einzig auf eine Reihe von Disketten, auf der sich laut Polizei eine Namensliste von Mitgliedern der DHKP-C befinden soll. Beim ersten für den November festgelegten Prozesstermin musste das Gericht feststellen, dass die Polizei die Disketten bis jetzt nicht ausgefolgt hat. Folge: der Prozess wurde auf Februar 2005 verschoben – fand aber ebenso wenig statt. Neuer Termin ist im Mai. Bis dahin werden sich einige Menschenrechtsaktivisten ein Jahr in Haft befunden haben, auf Grund einiger mysteriöser Disketten, die bis dato von der Exekutive keinem unabhängigen Gericht vorgelegt wurden. (siehe dazu: Martin Pöll: Bericht der Istanbuldelegation, 11. 11. 2004, http://www.tayad.de/deutsch/Library/de_2004_11_11-1.htm)
Auch das Zustandekommen des ursprünglichen Haftbefehls aus dem Jahr 2001 wirft einige Fragen auf: Dieser wurde vom 2. Staatssicherheitsgericht (DGM) Istanbul ausgestellt. Dabei handelt es sich um eine militärische Sondergerichtsbarkeit für politische Delikte, die keinen rechtsstaatlichen Normen entspricht und im Jahr 2004 abgeschafft wurde. Gleich darauf wurden die Staatssicherheitsgerichte in anderer Form als „Gerichtshof für schwere Straftaten“ neu gegründet. Diese sind zwar zivilen Tribunalen offiziell gleichgestellt, bleiben aber tatsächlich eine Sondergerichtsbarkeit für politische Straftaten, auch wenn ihre Zuständigkeit um die organisierte Kriminalität erweitert wurde. In jedem Fall zeigt der Fall Bakutz, dass die Haftbefehle der Militärrichter ihre Gültigkeit behalten haben und auch keiner neuerlichen Überprüfung bedürfen.
Zusammenfassend: Die Sandra Bakutz zur Last gelegten Sachverhalte betreffen das Recht auf freie Meinungsäußerung (Pressekonferenz) und sind in jedem Fall nicht strafrechtlich relevant (das Stören einer Sitzung des Europäischen Parlaments mit Ismail Cem, ehemaliger türkischer Außenminister). Strafrechtliche Relevanz erhalten diese Sachverhalte erst durch die Konstruktion der „Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation“. Auch diese müsste aber eigentlich durchgehend bewiesen werden, scheinbar reicht aber schon ein gemeinsames Auftreten mit angeblichen DHKP-C Mitgliedern oder die Solidaritätsbekundung für einen Häftling in Isolationshaft – wenn schon nicht zu einer Verurteilung, so doch zu mindest für längere Untersuchungshaft. Ziel ist es, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu zerstören.
Die Anwältin in Wien meinte hierzu: „Die Tatsache, dass sich eine Person gegen Isolationshaft ausspricht, auch wenn der in Isolationshaft befindliche angeblich Mitglied einer illegalen Organisation war oder ist, bedeutet nicht automatisch Mitglied einer solchen Organisation zu sein, da Isolationshaft unmenschlich ist und die Menschenwürde verletzt.“
Mittlerweile steht der Termin für die Verhandlung fest: Der 30. März. Ab dem 1. April 2005 tritt das neue türkische Strafgesetzbuch in Kraft, bei der laut Artikel 314 Absatz 2 eine Freiheitsstrafe von 5-10, anstatt bis zu 10-15 Jahren auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation steht.
Österreichs Grüne als terroristisches Umfeld
Bei solcher Vorgehensweise stellt sich die Frage, ob gemeinsames Auftreten mit Sandra Bakutz, oder ein Aufruf zur ihrer Freilassung, in den Augen der türkischen Behörden auch alle, die sich heute mit ihr solidarisieren in die Nähe der DHKP-C rückt. Scheinbar ja. Die türkische Zeitung „Radikal“ veröffentlicht am 27.2.2005: „Die DHKP-C Sympathisanten in Österreich führen im Internet eine Kampagne für die Freilassung von Sandra Bakutz. Die Grünen unterstützen die DHKP-C Sympathisanten bei dieser Kampagne.“ Zu den Sympathisanten der DHKP-C gehört also auch die GPA-Jugend, Radio Orange, sowie die „Reporter ohne Grenzen“. Die Grünen stellen offenbar ihr erweitertes Umfeld dar.
Türkei und EU
Der Vorgang rund um Sandra Bakutz macht deutlich, dass die im Zuge der Annäherung an die EU erfolgte Reform der türkischen Gerichtsbarkeit keine qualitative Änderung einer grundlegend autoritären politischen Justiz gebracht hat. (Andere Indizien sind die zahlreichen Berichte über das Fortdauern von Folter, weiter bestehende Ausnahmebestimmungen des türkischen Rechtssystems, oder den tatsächlichen Rückgang der gerichtlichen Verfolgung von Folterern – die bisher schon nur als lächerlich zu bezeichnen war.) Aus anderer Perspektive lässt sich eher eine zunehmend autoritäre Ausrichtung der Rechtspflege in der EU feststellen. So hat auch im Fall Sandra Bakutz das österreichische Außenministerium sich beeilt festzustellen, dass die DHKP-C in Österreich ebenfalls verboten ist, in Berufung auf die „Schwarze Liste terroristischer Organisationen“ der EU (2002 unter Druck der USA verabschiedet). Wir halten das für nicht ausjudiziert, da im Bereich des Inneren nationales Recht über Richtlinien der EU steht. Die Schwarze Liste wurde in Österreich zwar akkordiert, keine der dort erwähnten Organisationen aber dann tatsächlich verboten. In jedem Fall ist es äußerst befremdlich, wenn österreichische Behörden offiziell mitteilen, dass man bereit wäre Sandra Bakutz auch in Österreich zu verfolgen, würde sich die Türkei um einen internationalen Haftbefehl bemühen. (Angesichts der Beweislage versteht man allerdings die Zurückhaltung der türkischen Justiz in dieser Richtung.) Mit der Schwarzen Liste und der damit einhergehenden Anti-Terror Gesetzgebung wurde die Logik der USA (ebenso wie der Türkei) übernommen, politische und soziale Konflikte im Rahmen der Verbrechensbekämpfung zu behandeln, statt sich Gedanken über die politischen und sozialen Grundlagen zu machen (Türkei, Kolumbien……). In einigen Bereichen befindet sich die „Schwarze Liste“ im offenen Widerspruch zum Völkerrecht, etwa wenn bewaffnete palästinensische Organisationen verboten werden – das Völkerrecht hält ein Recht auf Widerstand im Falle von Besatzung fest. Im Übrigen gibt die Anti-Terror Gesetzgebung die Möglichkeit völlig legale Tätigkeiten strafrechtlich zu verfolgen (eine Pressekonferenz, im Fall Bakutz), wenn rundherum eine terroristische Organisation konstruiert wird. Der Fall der österreichischen Grünen und der oben zitierten Zeitschrift „Radikal“ zeigt, dass man schneller ins „terroristische Umfeld“ kommen kann, als man denkt.