Ein Kommentar zur aktuellen Situation des Libanon
Die Weltgemeinschaft trauerte, auch Chirac hatte Tränen in den Augen. Hariri liegt unter der Erde. Die eiserne Lady in Washington sprach orakelhaft: „Das syrische Problem ist ein ernstes Problem (C. Rice, 15.02.05, Washington). Um Washingtons Demokratieverständnis zu demonstrieren, wurde als erster Schritt die U.S. Botschafterin aus Damaskus abberufen. Beim Begräbnis forderte der amerikanische Sonderbeauftragte William Burns den Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Libanon, was in diesem Land mal nicht die U.S.A. betrifft.
Mit „ausländischen Truppen“ sind zuallererst die ca. 14.000 syrischen Soldaten gemeint, die aufgrund eines Beistandpaktes aus dem Jahr 1992 im Libanon stationiert sind.
Syrien ist aus dem Libanonkrieg als wichtiger Stabilitätsfaktor der Nah-Ost-Region hervorgegangen. Damaskus hatte während des Libanonkriegs seine Geschicklichkeit Diplomatie einzusetzen und auf militärischer Ebene taktisch zu handeln über weite Strecken durchgezogen und wurde schließlich auch deshalb von der Arabischen Liga als Ordnungsmacht anerkannt. Damaskus hat wesentlich zum Zustandekommen des Dreierkomitees am 23.Mai 1989 in Casablanca beigetragen, das zur endgültigen Beendigung des Krieges und der Verabschiedung der Nationalcharta zur Versöhnung am 22.10.1989 führte, dem sogenannten Taif-Vertrag (in Taif, Saudiarabien, fand das Delegiertentreffen statt).
Wenn der syrische Botschafter Imad Mustapha in Washington umgehend eine Verwicklung in den Anschlag auf Hariri mit den Worten „Syrien hat keinen Vorteil von dem, was passiert ist“ zurückweist, dann ist auch diese Haltung als kontinuierliche Fortsetzung der Syrien–Libanon–Politik zu sehen. Es gab auch Absprachen zwischen dem UNO-Sonderbauftragten Terje Roed–Larsen und Syrien bezüglich eines weiteren Abzugs der syrischen Truppen, dem sowohl Bashar Asad zugestimmt als auch Rafik Hariri für gut geheißen hatte und der im April 2005 spruchreif wird. Imad Mustapha meinte weiters: „Bestimmte Gruppierungen versuchten, Syrien zu schaden.“
Am Tag nach Hariris Ermordung teilte etwa Jumblatt in einem BBC-Interview mit, er sei sich sicher, Syrien hätte den Anschlag verübt. Die Jumblatts sind kein unbeschriebenes Blatt im Libanon. Wie die Hariris sind die Jumblatts ein mächtiger Clan, einer von fünf bis sechs Familien, die den Libanon beherrschen. Zwischen diesen Familien spielen sich teils bereits über Jahrhunderte blutige Machtkämpfe ab. Jeder Clan hat seine mehr oder minder mächtigen Verbündeten im Ausland.
Im September 1976 stieß das syrische Militär als erstes mit Kamal Jumblatts Drusentruppe zusammen. Walid Jumblatt verbündete sich 1982 mit den Israelis, aber nach deren Rückzug unterschrieb er schon 1985 zusammen mit dem Maroniten und Shabra–und Shatila–Mörder Hobeika die Dreier-Komitee-Übereinkunft in Damaskus, die schließlich zur oben erwähnten Konfliktbefriedigung, dem Taif-Vertrag, führte. Jumblatt enthielt sich unter der ersten Hariri-Regierungszeit (1992 – 1998) jeglicher Kritik an Syrien. Mit Hariris zweiter Amtszeit (2000 – 2004) war auch in Damaskus ein Wechsel eingetreten: Der aus dem Ausland herbeigerufene Sohn Bashar Asad übernahm die Führung nach dem Tod von Hafiz Asad. Jumblatt wandte sich jetzt wieder an die Maroniten zur Unterstützung für die Parlamentswahlen Sommer 2000. Hariri soll nach offiziellen Angaben zwischen Jumblatt und Asad vermittelt haben – erfolglos. Als 2001 syrische Truppen im Shouf, eine Drusenregion, stationiert wurden, stimmte Jumblatt jedoch dem syrischen Vorgehen im Parlament mit der Begründung von Sicherheit zu. Kurz darauf flog Jumblatt nach London und Paris, wo er auch mit General Aoun, Spitzname „Napoleon“, zusammentraf, der seit Kriegsende im französischen Exil lebte. Bei seiner Rückkehr wurde er nach Damaskus eingeladen und nahm die Einladung an. Der Besuch in Damaskus wurde als wichtige Wendung gesehen. Jumblatt arbeitete von diesem Moment an wieder mit der Syrern zusammen. Im Mai 2001 forderte er die israelischen Drusen auf, den Militärdienst in Israel zu verweigern. Ob er eigenständig oder als verlängerter Arm Syriens agierte, ist hier nicht maßgeblich, sondern zeigt eine neue Machtposition der Drusen in der Nah-Ost-Politik auf. Noch vor Hariris Ermordung hatte sich Jumblatts Meinung zu Syrien auf mysteriöse Weise gewandelt. Am 5. Jänner 2005 nannte er Paul Wolfowitz noch einen „Virus“, der besser in Baghdad umgekommen wäre. In einem Interview in der Washington Post Ende Jänner erklärte er aber plötzlich euphorisch, dass er nie gedacht hätte, die Amerikaner könnten der arabischen Welt eine neue Chance ermöglichen, aber mit den Wahlen im Irak sehe er eindeutig, das dem so ist. War das eine direkte Einladung Jumblatts an die Amerikaner, doch auch wieder in den Libanon zu kommen?
Die eigentlichen Verlierer des Libanonkrieges waren die Palästinenser. Und es ist auffällig, dass sie nicht in die Anti-Syrien-Hysterie einstimmen. Auf den Demos in Beirut findet sich vor allem jene Schickeria wieder, die sich Hariris Luxusbeirut (Restaurants, Nachtclubs, Einkaufszentren) leisten kann. Allen voran hält sich aber die schiitische Macht im Süden Libanons, die Hizbollah, mit Syrienkritik zurück. Die immer noch bestehenden Bande zum Iran könnten hier eine Rolle spielen. Hat doch der Iran Syrien eingeladen, eine Achse gegen die U.S.-Kriegshetze zu bilden.
Interessant im Zusammenhang mit der Anti-Syrien-Mobilisierung, ist auch die Homepage http://freelebanon.org/, deren Sitz in New York ist und die kein Hehl zur Unterstützung der Bush Politik macht. Unter „die meist gesuchten Männer der Welt“ findet sich auf der Startseite schon seit einigen Monaten nicht nur Osama bin Laden sondern auch Bashar Asad.
Sabeth Belhayania
27.02.2005