Interview mit Osama Hamdan, Hamas
Osama Hamdan ist offizieller Vertreter der Hamas im Libanon, Mitglied der Führungsgremien und erfüllt praktisch auch die Funktion eines Sprechers der palästinensischen Organisation. Das folgende Gespräch wurde von Arabmonitor veröffentlicht um die Einschätzung der Hamas über die aktuelle Phase des israelisch-arabischen Konfliktes der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.
Besteht derzeit für die Verantwortlichen der islamischen Bewegung eine Gefahr?
Osama Hamdan: Es gibt physische und politische Gefahren, denn wir haben leider keinerlei positive Erfahrung mit den Israelis. Wir misstrauen ihnen. In den vergangenen 15 Jahren haben sie kein einziges Übereinkommen respektiert, das nicht in ihren eigenen Interessen lag. Sobald Sharon zu der Überzeugung gelangen wird, dass er auf dem derzeitigen Kurs politisch nicht überleben kann, wird er die Waffenruhe brechen und wieder auf gezielte Tötungen zurückgreifen. Doch die derzeitige Phase ist besonders auf politischer Ebene gefährlich, denn jetzt wird versucht der Welt zu beweisen, dass in den besetzten Gebieten alles in Ordnung ist, dass die beiden Seiten miteinander in Dialog getreten sind und die Probleme gemeinsam in Angriff nehmen. Was wirklich geschieht, ist, dass die Israelis, wie sie es immer gemacht haben, die palästinensischen Unterhändler dazu bringen, sich in Details zu verlieren, ohne die wichtigen Fragen auch nur anzusprechen, jene Fragen, die eine Lösung des Konfliktes bringen könnten: die Mauer, die Rückerstattung besetzter Zonen, die Flüchtlingsfrage, der Abbau der Siedlungen, Jerusalem. Die Israelis schaffen in den besetzten Gebieten Tatsachen, während die Autonomiebehörde nebensächliche Fragen diskutieren muss, die nie zu einem Ende kommen.
Wie ist Ihre Einschätzung des neuen Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA)?
O.H.: Abu Mazen glaubt nicht an den Widerstand. In den 70er Jahren unterstützte er die Position eines einzigen Staates für Juden und Palästinenser, als ob es möglich wäre, dass die Palästinenser gleichberechtigt in einem solchen Staat leben könnten. Abu Mazen ist ein schwacher Mann, der der Aggressivität der Israelis nichts entgegen setzten kann. Aber er ist auch ein offener, direkter Mensch, der keine seltsamen Manöver vollführt, wie es Arafat zu tun pflegte.
Welchen Eindruck haben Sie vom Gipfel in Sharm el Sheikh?
O.H.: Sharm el Sheikh ist gescheitert. Wir sind davon überzeugt, dass nur die wirkliche Einheit der Palästinenser Israel etwas entgegen setzen kann. In Sharm el Sheikh hat Abu Mazen gegeben ohne dafür auch nur irgendetwas zu erhalten. Er hat in der internationalen öffentlichen Meinung das Bild geschaffen, dass Israel das Opfer sei, das angegriffen wird, nicht wir, die Palästinenser. Wir wissen, dass ihm Sharm el Sheikh aufgezwungen wurde, dass er unter Druck gesetzt wurde, an diesem Gipfel teilzunehmen, etwas, was er in jedem Fall vermeiden wollte. Doch er wurde zur Teilnahme gezwungen, von den Amerikanern, der Europäischen Union und einigen arabischen Ländern. Er hätte allerdings einige Dinge fordern können und müssen. Beispielsweise sind die Israelis in Sharm el Sheikh keine einzige Verpflichtung eingegangen und Sharon hat nicht einmal irgendwelche Details seiner politischen Linie verändert. Die USA waren zufrieden, denn sie zielen darauf ab, ein bestimmtes Bild von der Situation zu verbreiten, ganz egal, ob es der Realität entspricht oder nicht.
Im Irak wird die Realität von den Aktionen Abu Musab al Zarqawis einerseits und den Wahlen andererseits überdeckt. In Palästina soll das Bild eines Neuanfangs geschaffen werden. Doch in der Zwischenzeit geht die Landnahme weiter, die Mauer wird weiter gebaut, die Gewaltanwendung gegenüber den Palästinenser ist weiterhin Tagesgeschäft und es gibt nicht einmal Bemühungen, die den Palästinensern entzogenen Rechte anzuerkennen.
Man fragt sich allgemein, wie lange die Waffenruhe andauern kann?
O.H.: Nicht lange, wenn nicht einige wesentliche palästinensische Forderungen erfüllt werden. Ich denke vor allem an zwei bestimmte: Die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen und die Aufhebung jeglicher Form der Gewaltanwendung durch die Israelis gegenüber den Palästinensern. Abu Mazen hat uns vor einigen Wochen aufgefordert, die Ruhe zu akzeptieren und ihm ein bisschen Zeit zu geben um zumindest irgendetwas zu erreichen. Wir haben ihm dreißig Tage zugestanden, ausgehend von, wenn ich nicht irre, Ende Januar. Erinnern wir uns, dass von den neuntausend palästinensischen Gefangenen 485 Minderjährige sind, 250 Frauen und davon 15 Schwangere. 300 Gefangene leiden unter schweren Krankheiten. Die Israelis können heute fünfhundert Gefangene freilassen und morgen tausend festnehmen. Aus diese Art und Weise wird das Problem nie gelöst werden.
Doch Abu Mazen ist zuversichtlich, dass er Zugeständnisse erreichen wird?
O.H.: Er war es. Doch jetzt ist er vorsichtiger. Nach Sharm el Sheikh hat er gesagt: „Ich werde beim nächsten Treffen mit Sharon mein Bestes geben“.
Hat er Sie über die Ergebnisse von Sharm el Sheikh in Kenntnis gesetzt?
O.H.: Ja, er hat versichert, dass keine Tötungen palästinensischer Aktivisten mehr vorkommen würden. Wir haben ihm geantwortet, dass dies so gut wie nichts bedeutet.
Hamas ist mehrer Male mit ägyptischen Vertretern zusammen getroffen. Welche Maßnahmen schlägt Ägypten derzeit den Palästinensern vor?
O.H.: Ägypten will vor allem eines: dass ein palästinensischer Staat ausgerufen wird, auch wenn dies auf einem winzigen und fragmentierten Gebiet der Fall sein müsste. Die Ägypter sind davon überzeugt, dass dies der erste Schritt sein muss, und zwar so schnell wie möglich. Danach, sagen sie, gäbe es die Möglichkeit diesen Staat auszuweiten.
Ist das eine ägyptische Vorstellung oder steht eine andere Kraft dahinter?
O.H.: Ich denke, die Europäische Union unterstützt diese Idee.
Im Juli werden in den besetzten Gebieten Parlamentswahlen stattfinden. Wird Hamas teilnehmen?
O.H.: Wir stehen kurz vor der Entscheidung, ob wir an den Wahlen teilnehmen werden. (1) Doch wir streben nicht an, irgendeine Regierungsverantwortung in den besetzten Gebieten zu übernehmen, nicht vor und nicht nach den Wahlen. Unsere Abgeordneten werden im Parlament vor allem zu zwei Fragen arbeiten: die Reform der PNA und der Schutz der palästinensischen nationalen Interessen. Wir fürchten, dass die PNA und Israel in den nächsten Monaten zu einer Übereinkunft gelangen werden, die eine Lösung der zentralen Fragen des Konfliktes um mindestens zehn bis fünfzehn Jahre aufschieben wird. Das werden wir nicht akzeptieren können.
Welche Ergebnisse wird die Hamas bei den Wahlen erreichen können?
O.H.: Ich denke, wir können 30 bis 35% der Stimmen gewinnen, vor allem wenn es uns gelingen sollte, eine gemeinsame Wahlliste mit dem Islamischen Jihad und der Volksfront zur Befreiung Palästinas aufzustellen.
Die USA wären über ein Ergebnis von 30% der Stimmen für die Hamas in einer demokratischen Wahl nicht sehr erfreut.
O.H.: Yasser Arafat wurde in einer demokratischen Wahl zum Präsidenten gewählt, doch das hat nicht ausgereicht um ihm internationale Anerkennung zu garantieren. Die USA haben keine Vorstellung davon, dass der demokratische Prozess in Palästina ohne Vertrauen in sie stattfindet.
Februar 2005
Quelle: www.arabmonitor.info
Das Interview wurde von der Redaktion übersetzt und leicht gekürzt.
(1) Inzwischen verkündete Hamas offiziell ihre Wahlbeteiligung an den kommenden Parlamentswahlen (Red.)