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Wider den dogmatischen Antifaschismus

20. Mai 2005

von Jost Kaschube

Früher haben Kommunisten Perioden der sozialen Polarisierung als Grund und Entwicklungsbedingung für den Klassenkampf gegen die Hauptkräfte der Bourgeoisie angesehen. Ihre Epigonen in der PDS erkennen darin nur den „entscheidenden Humusboden für zunehmenden Nazismus“ und beklagen, dass die Chancen rechter Demagogen wachsen. Ihre Analyse ergibt, dass die schwerste Bedrohung aus der Mitte und vom unteren Rand der Gesellschaft kommt. In einer Resolution zum Jahrestag der Befreiung „Wider die rechte Demagogie“ geloben sie ihre Verpflichtung „zur politischen Auseinandersetzung mit den damaligen wie den heutigen Wurzeln des Faschismus“. Und so machen sie dann Front gegen die Opfer und Abfallprodukte des Neoliberalismus, während man von Kommunisten erwarten sollte, dass sie ihre Kräfte auf die Verhältnisse konzentrieren, denen sie entspringen. Statt in Fundamentalopposition zur Regierung zu treten, um die Lage der Werktätigen und Deklassierten zu verbessern und militärische Interventionen zu verhindern, will die kommunistische Plattform in der PDS die „sozialen Verwerfungen“ und die „Verteidigung deutscher Interessen am Hindukush“ bloß zur Sprache bringen, weil sie es den Nazis erleichtern, ihren Einfluss zu erweitern.

Notwendiger oder gefährlicher Geschichtsrevisionismus?

In der Hauptsache wenden sich die Autoren gegen die Ansicht, 60 Jahre nach Kriegsende sei es „Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, zumindest aber auch über die deutschen Opfer zu reden“. Darin erkennen sie den Inbegriff eines verhängnisvollen „in alle Poren der Gesellschaft eindringenden Geschichtsrevisionismus“, der in engem Zusammenhang mit der „Wirkung nazistischen Ungeistes“ stehe. Er komme aus der „sogenannten gesellschaftlichen Mitte“, aber fast alle Historiker, Politiker und insbesondere die Massenmedien „sind Teil der Umdeutung“.

Drei Gründe machen den „Geschichtsrevisionismus“ angeblich zum Skandal. Er hebe die „Einmaligkeit der Verbrechen des deutschen Faschismus“ auf, betreibe die „Relativierung der faschistischen Verbrechen“ und ersetze „das Verhältnis von Ursache zu Wirkung“.

Die Einmaligkeitsthese, das Relativierungsverbot und Ursache-Wirkung Prinzip werden ohne jede Begründung wie Dogmen, dafür mit umso stärkerer emotionaler Rhetorik präsentiert. Es ist zu prüfen, ob diese Grundsätze irgendeine Plausibilität für sich in Anspruch nehmen können, ob sie für die Abwehr des Neofaschismus geeignet sind und ob sie aus historisch materialistischer Sicht vertretbar sind.

Einmaligkeitsdogma

Dass der deutsche Faschismus einmalig war, so wie man sagt, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigt oder dass die Geschichte sich nicht wiederholt, ist sicher nicht gemeint. Alles wäre ja einmalig. Ferner droht ja nach Ansicht der Plattformer gerade die dringende Gefahr der Wiederholung. Sie zitieren Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch.“ Die Nazis seien derzeit besonders dreist. Es wird also nicht die historische, sondern die kategoriale Einmaligkeit des deutschen Faschismus postuliert, Wiederholbarkeit inklusive.

Faschismus, schreiben die Autoren, sei „untrennbar mit Kapitalinteressen“ verbunden. Da die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Deutschland erhalten blieben, scheint sich seine Wiederholbarkeit aus ihnen zu ergeben. Nun hat Georgi Dimitroff den Faschismus als eine offen terroristische Diktatur der Großbourgeoisie und somit als eine allgemeine Entwicklungsmöglichkeit der kapitalistischen Herrschaft charakterisiert. Da das Kapital sich derzeit auf Globalisierungstour befindet, wäre der Faschismus potentiell eine globale Gefahr. Offenbar steht die These von der Einmaligkeit des deutschen Systems entweder im direkten Widerspruch zu Dimitroffs These oder sie besagt, dass von jedem anderen Faschismus auch künftig nur eine wesentlich schwächere Bedrohung ausgeht.

Die herausragende Besonderheit des historischen deutschen Faschismus hat darin bestanden, dass die Herrschenden unter der offen terroristischen Diktatur einen großen Krieg um die Vorherrschaft in der Welt entfesselt haben, in dem Versuch, eine schwere politische und ökonomische Systemkrise mit Gewalt zu lösen. Derzeit versuchen die USA, ihren Abstieg als globale Hegemonialmacht durch Ausnutzung ihrer militärischen Überlegenheit aufzuhalten und auch dem laufenden Jahrhundert ihren Stempel aufzuprägen. Deshalb führen sie seit Jahren unter den verschiedensten Vorwänden Krieg und wollen den Krieg auch in Zukunft zum Feind tragen. Ihre tonangebenden neokonservativen Ideologen reden aktuell vom Vierten Weltkrieg. In den USA hat sich eine Debatte darüber entzündet, ob das Land auf dem Weg in den Faschismus ist. Die Einmaligkeitsthese gibt hier Entwarnung und die fahrlässige Versicherung, dass die amerikanischen Weltherrschaftsambitionen ein zweitrangiges Problem bleiben werden, auch wenn sich in den USA ein offen terroristisches System durchsetzen sollte.

Während die Autoren den Geschichtsrevisionisten vorhalten, die enge Verbindung zwischen Kapitalismus und Faschismus zu vergessen, marginalisieren sie mit ihrer Einmaligkeitstheorie eben diese Bedeutung der sozialökonomischen Bedingungen für die Entstehung des Faschismus. Akzeptiert man das Dogma, dann sind weder der Kapitalismus noch irgendeine andere Konstellation von Kräften und Bedingungen per saldo in der Lage, ein vergleichbar aggressives und gefährliches System wie den deutschen Faschismus hervorzubringen. Deutsch ist somit, was die Verbrechen des deutschen Faschismus einmalig macht. Das Credo der Antideutschen, „deutsch ist“, was den Holocaust möglich gemacht hat, ist logisch in erweiterter Form in der kommunistischen Plattform enthalten.

Die Anrufung des Einmaligkeitsdogmas erspart zwar die mühsame und konkrete Analyse der Wirklichkeit, könnte sich dafür in friedenspolitischer Sicht als riskant erweisen und mit fatalen Konsequenzen rächen. Kriege aller Art auch zwischen den kapitalistischen Großmächten sind in Zukunft möglich und sogar wahrscheinlich. Die Akzeptanz der These kann die Wachsamkeit senken und es den USA erleichtern, ihre Träume zu verwirklichen.

Das Relativierungsverbot

Faktisch ist der deutsche Faschismus weitgehend relativiert – politisch, rechtlich, militärisch, sozial, finanziell, diplomatisch. Nach Ost- und Westintegration ist die vereinigte Bundesrepublik Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, die Justiz blieb zumindest im Westen personell unbehelligt, die Führungskräfte des Faschismus wurden weitgehend rehabilitiert, die Wiederbewaffnung hat stattgefunden, das Militärische ist normalisiert – also wieder für Angriffskriege einsatzbereit, Zwangsarbeiter und Angehörige der Opfer des Holocaust sind entschädigt, Deutschland ist international rehabilitiert, die neuen Eliten feiern mit den Siegern und pflegen die Erinnerung, Köhler hat in deutscher Sprache vor der Knesseth gesprochen, der Verfassungsschutz lenkt die Neonazis. Nur der ständige Sitz im Sicherheitsrat fehlt noch.

Das Relativierungsverbot betrifft also nur den Bereich der Ideologie. Es untersagt bei konsequenter Anwendung jede wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Hitlerfaschismus. Denn jede Analyse untersucht allgemeine und besondere Bedingungen, die gesetzmäßig zu seiner Entstehung führten, sie wahrscheinlich machten oder seine Wiederholung ermöglichen. Jede rationale Ableitung des deutschen Faschismus oder eines Teilaspekts aus allgemein gültigen oder konkreten Bedingungen, wie Weltwirtschaftskrise oder dem imperialistischen Versailler Friedensvertrag nach einem beidseits imperialistischen Krieg, ist aber zwangsläufig eine Relativierung. Auch seine Begründung aus kapitalistischen Klassenverhältnissen ist eine Relativierung, die aber oben schon durch das Einmaligkeitspostulat eliminiert ist. Durch das Verbot der Relativierung wird der deutsche Faschismus zu einem entwicklungsgeschichtlichen nationalen Selbstläufer erklärt, jede Interdependenz hat rein zufällige Natur und allenfalls die Wirkung von kosmischem Rauschen. Noch sechzig Jahre danach ist denn auch Irrationalismus das non plus ultra an Erklärung.

Während das Einmaligkeitsdogma impliziert, dass kein dem Hitler-Faschismus vergleichbares System außerhalb der deutschen Verhältnisse möglich ist, hilft das Relativierungsverbot, jede Ursache außerhalb derselben auszuschließen. Das Deutschtum war nicht nur zwingende Voraussetzung, es war auch vollkommen ausreichend.

Einmaligkeitsdogma und Relativierungsverbot sind funktional über weite Strecken austauschbar. Ersteres sichert insbesondere die Exklusivität des deutschen Faschismus für die Zukunft und das System als Ganzes, das zweite speziell die Selbstzeugung aller wesentlichen Teilaspekte. Beide zusammen sind ein starkes Team. Sie stutzen den deutschen Faschismus im Kern auf das Nationale zurecht, also letztlich auf genetischen Wahn oder wahnhafte deutsche Ideologie. Man kann nicht umhin anzunehmen, dass die Autoren die Brechtsche Schoß-Parabel wörtlich nehmen. Übrig bleibt in jedem Fall ein dezidiert antideutsches Ressentiment. Außerhalb des Deutschtums ist weder das Ganze noch ein relevanter Teilaspekt des Hitler-Faschismus reproduzierbar, es allein leistet die Selbstbewegung des absolut Bösen. So können Leute, die ausziehen, Rassenwahn zu bekämpfen, selbst auf einer rassistischen Theorie landen.

Beide Dogmen gehören in vollkommen identischer Funktion in das Arsenal des modernen Anti-Antisemitismus, dessen wichtigste Funktion der Schutz der israelischen Besatzungs- und Annexionspolitik ist. Sie haben ihren konsequentesten Niederschlag in der rassistischen Theorie Goldhagens gefunden, der zufolge ein spezifischer, eliminatorischer Antisemitismus die deutsche Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert durchtränkt und den Judenmord zum nationalen Projekt der Deutschen gemacht habe.

Prinzip von Ursache und Wirkung

Nachdem durch die ersten beiden Dogmen das absolut Böse verortet ist, begründen die Autoren mit dem dritten, weshalb sie die Rede von den deutschen Opfern für protofaschistisch halten. Richtigerweise stellen sie in der Resolution zunächst fest, dass vor den deutschen Bombenopfern jene in Guernica und Rotterdam etc. starben, dass den „Aussiedlungen Deutscher“ Deportationen durch die Deutschen vorausgingen. Dann aber wird klar, dass sie die zeitliche Abfolge der Bombardierungen zugleich als ursächliche Relation verstanden wissen. Die sich schleichend vollziehende Geschichtsrevision laufe auf die „Ersetzung des Verhältnisses von Ursache und Wirkung“ hinaus. Sie erklären die Bomben auf Warschau und Coventry etc. als Ursache der Bombardierung deutscher Städte und die „Aussiedlungen Deutscher“ als Wirkung der Deportationen durch Deutsche.

Der deutsche Faschismus war extrem aggressiv und konnte nur mit Gewalt niedergerungen werden. Die Opfer der faschistischen Aggression hatten definitiv das Recht auf Selbstverteidigung und zur Zerschlagung des Faschismus bis zur Wiederherstellung des Weltfriedens, worauf die Plattform-Autoren zu Recht hinweisen. Aber man muss ihnen insofern widersprechen, als Kommunisten unter diesem Titel durchaus nicht alle Maßnahmen gutheißen können.

Kriegsrecht für Deutsche irrelevant

Die Autoren jedenfalls bestreiten, dass auch die Gewalt gegen die faschistischen Aggressoren im Krieg definierten Beschränkungen des internationalen Rechts unterlag, etwa der Haager Landkriegsordnung und keinesfalls dem mechanistischen Prinzip von Ursache und Wirkung. Sie erklären jeden Zweifel an der Angemessenheit der alliierten Kriegführung zum anmaßenden Versuch, den „westlichen Alliierten Zensuren“ zu erteilen, und zu neonazistischem Gedankengut.

Es ist hier völlig unerheblich, ob etwa die alliierten Luftangriffe militärisch gerechtfertigt und ob und in welchem Ausmaße Terror gegen die deutsche Zivilbevölkerung verübt wurde. Sollen darüber Historiker und Fachleute streiten.

Kein modernes Recht anerkennt jedoch, dass ein Verbrechen die Ursache eines anderen sei. Gewalt kann zur Gegengewalt berechtigen, Gegenterror kann zweckmäßig sein, Schuld kann nach Sühne schreien, doch keiner dieser Gründe zieht eine automatische Wirkung nach sich. Jede Reaktion muss sich durch ihr Ziel, die Wahrscheinlichkeit, es zu erreichen, und die Angemessenheit der eingesetzten Mittel rechtfertigen. Das galt insbesondere für Flächenbombardements über deutschen und für den Abwurf von Atombomben über japanischen Städten. Diese Bomben waren nicht die Wirkung einer wie immer gearteten faschistischen Ursache, sie explodierten und vernichteten auf Grund sorgfältig kalkulierter Vorbereitungen und Entscheidungen der Alliierten. Es ist daher völlig legitim, sie nach Zweck und Angemessenheit zu hinterfragen.

Die rechtsnihilistische Haltung der Autoren zur Gewalt ist irritierend und entpuppt sich schnell als doppelbödig. Aktuell sind wir Zeugen des Rechtfertigungsdrucks, dem der irakische Widerstand bei seinen Aktionen ausgesetzt ist, obwohl es prinzipiell legitim ist, dass er gegen die illegalen ausländischen Kombattanten Gegengewalt anwendet. Er muss sich jeden Tag Zensuren gefallen lassen. Wir sehen, dass die gesamte deutsche Friedensbewegung auf Tauchstation gegangen ist, weil sie nicht in die loseste Verbindung gebracht werden will mit den Massakern an der irakischen Zivilbevölkerung. Sie tut das auf bloßen Verdacht, denn in keinem einzigen Fall ist durch ein Bekenntnis oder eine unabhängige Untersuchung nachgewiesen worden, auf wessen Konto die hässlichen Anschläge gehen. Auch Al Qaida operiert erst seit der Okkupation und in ungeklärtem Auftrag. Die Friedensfreunde sind vorsorglich abgetaucht, obwohl die Besatzer des Irak fraglos mehr Mittel und das stärkere Motiv haben, die den bewaffneten Widerstand diskreditierenden Anschläge zu organisieren, und obwohl es gewiss kein unüberwindliches Problem ist, über die Medien verbreiten zu lassen, dass ein Selbstmordattentäter am Steuer eines mit Sprengstoff beladenen Autos gesessen hat, wenn man das Medienmonopol besitzt. Es ist also höchst unzulässig, einen rechtsnihilistischen Standpunkt hinsichtlich der Wahl und Anwendung von Waffen einzunehmen. Wer sich zur Tagespolitik in dieser Weise exponiert, sähe sich umgehend dem Vorwurf ausgesetzt, zum Terrorismus aufzurufen. Offenbar kann man etwaigen Terrorismus rückwirkend gefahrlos ignorieren und sich auf wohlfeile Art als konsequenten Antifaschisten profilieren.
Prinzipienloser Umgang mit dem Selbstbestimmungsrecht
Durch das Selbstverteidigungsrecht abgedeckt ist ferner nicht der sog. Bevölkerungstransfer, der nach dem Zeiten Weltkrieg durch die Abkommen der Siegermächte in Potsdam und Jalta zustande gekommen ist. Polen, das erste Opfer des deutschen Angriffskrieges, musste Gebiete in seinem Osten an die SU abtreten und wurde dafür mit deutschen Ostgebieten entschädigt, wodurch das Staatsgebiet Polens per saldo gen Westen verschoben wurde. Die erzwungenen Gebietsabtretungen wurden zwar von allen Siegern sanktioniert, waren aber mit dem Völkerrecht absolut nicht zu vereinbaren. In ihren guten Tagen hätten vor allem die Kommunisten einen derartigen Gebietsschacher mit aller Entschiedenheit verurteilt. Lenin war ein rigoroser Verfechter des nationalen Selbstbestimmungsrechts und ein ebenso rigoroser Gegner von Annexionen, weil und insofern er die „Abtrennung eines Gebietes gegen den Willen der Mehrheit seiner Bevölkerung“ für eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts hielt. Wenn aber Autoren mit kommunistischem Anspruch 60 Jahre nach Kriegsende die Vertreibungen der Deutschen aus den Ostgebieten als „Aussiedlungen Deutscher“ bezeichnen, dann wollen sie offenbar verdrängen, dass es sich hierbei um völkerrechtswidrige territoriale Annektionen und um die Vertreibung seiner Bewohner gehandelt hat. Selbst der Text des Potsdamer Abkommens spricht von Ausweisungen.

Weiter heißt es in der Resolution, die Revisionisten wollten vergessen machen, was „den Aussiedlungen Deutscher“ ursächlich vorausgegangen ist. In gewissem Sinn ist das genaue Gegenteil der Fall. Vorausgegangen war 1939 ein deutsch-sowjetisches Geheimabkommen, in dem das Deutsche Reich und die SU Osteuropa untereinander aufgeteilt haben. Moskau erhob darin Ansprüche auf fast alle Gebiete, die vor dem Ersten Weltkrieg zum zaristischen Russland gehört hatten und besetzte diese auch sehr bald nach dem deutschen Überfall auf Polen, und geraume Zeit vor dem deutschen Russlandfeldzug. Die SU hat alle diese Gebiete auch nach dem Ende des Krieges behalten und Polen auf Kosten Deutschlands entschädigt. Stalin und seine Nachfolger haben die Existenz dieses Abkommens stets bestritten. Heute kann es nicht mehr als antikommunistisches Machwerk abgetan werden, weil der russische Volksdeputiertenkongress 1989 seine Existenz zugegeben hat.

Zweifellos hat die SU die Hauptlast des antifaschistischen Krieges getragen und entscheidend zur Zerschlagung des Faschismus beigetragen. Dies Verdienst ist unbestreitbar und bleibt unvergesslich. Den Autoren einer kommunistischen Plattform aber kann man nicht nachsehen, dass sie den Zweiten Weltkrieg sechzig Jahre nach seinem Ende nur unter dem Gesichtspunkt von Hauptlast und „wer hat begonnen“ betrachten. Diese Kriterien münden meist in nutzlosen Debatten. Das A und O jeder marxistischen Beurteilung eines Krieges ist die Analyse der Ziele, die die Krieg führenden Parteien vor dem Kriege verfolgt haben. Im Krieg setzen sie dann diese Politik unvermeidlich fort, nur mit anderen Mitteln. Und in einem Krieg, der auf deutscher Seite mit dem Ziel von Annexionen und der Unterwerfung Osteuropas und der Vertreibung oder Versklavung seiner Bevölkerung geführt wurde, kann man territoriale Beuteabsichten und die Vertreibung der Bewohner auf der gegnerischen Seite nicht ignorieren, ohne jede Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Das Verdienst der SU im antifaschistischen Krieg hebt nun keinesfalls das Unrecht der vertraglichen Aufteilung Osteuropas im Abkommen zwischen Hitler und Stalin auf. Die Annexionen selbst können auch kaum als Wirkung der faschistischen Expansionspolitik dargestellt werden, da sie ja schon vor dem deutschen Überfall auf die SU realisiert wurden. Im Potsdamer Abkommen sind diese Ergebnisse aus der ersten Phase des Zweiten Weltkrieges sanktioniert worden. Wie verfehlt diese Politik war, wird heute durch die russische Enklave Kaliningrad demonstriert.

Die Anhänger der kommunistischen Plattform sollten bedenken, dass die russische Historiographie ihrerseits eine Revision der sowjetischen Geschichtsschreibung vorgenommen hat. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die „Sowjetunion in der ersten Phase (1939-1941) des Zweiten Weltkrieges keine, wie früher gesehen, defensive, sondern eine aggressive, imperiale Außenpolitik betrieben hat.“ Unter diese Rubrik fällt auch der sowjetisch-finnische Winterkrieg 1939-1940.

Schließlich ein Hinweis auf den vielleicht wichtigsten Punkt, wo die Autoren „nicht beim Erinnern hätten stehen bleiben“ dürfen. Der Krieg hat zwar die Befreiung Europas vom Faschismus gebracht, aber zugleich mit der Aufteilung Europas unter den Siegermächten geendet. Die lange militärisch Besetzung und politische Kontrolle Europas durch die Sieger stand nicht im Dienste des sozialen Fortschritts, sondern wurde durch imperiale Interessen aufrechterhalten. Das Muster für die fortschrittliche ökonomische und politische Konzentration ist für Marxisten der freiwillige Zusammenschluss auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts der Nationen und nicht die Fremdherrschaft. Lenin hat betont, dass die politische Konzentration einzig auf diese Weise von der imperialistischen Beherrschung unterschieden werden kann. Im Rückblick haben die Marxisten deshalb die Revolution in Frankreich gegen die feudalen Regime Europas unterstützt, später aber die Landesverteidigung der besetzten Länder gegen ihre imperialen Auswüchse verteidigt.

Wie können Kommunisten anlässlich der Feier der Zerschlagung des Faschismus die lange militärische Besetzung Europas nach dem Krieg vollkommen ausblenden, nachdem die SU an ihrem Bürokratismus und den nationalen Widersprüchen im sozialistischen Lager zugrunde gegangen ist? Das grundlegende Prinzip des Internationalismus und des Sozialismus ist, dass ein Volk nie frei sein kann, das andere Völker unterdrückt.

Diese Feststellungen heute zu treffen, heißt selbstverständlich nicht, irgendwelchen Restitutionsansprüchen das Wort zu reden. Das verbietet sich, jedoch aus anderen Gründen als des Rechts. Die Bemerkungen sind indes notwendig, um die Implikationen aus dem prinzipienlosen Umgang mit dem Selbstbestimmungsrecht aufzuzeigen. Zum einen grenzt es an Hilflosigkeit, wenn Autoren die Bekämpfung der Neonazis zwar zu ihrer Hauptaufgabe deklarieren, aber ohne jede Not eine gravierende Verletzung des Selbstbestimmungsrechts kaschieren oder rechtfertigen, und eben dadurch ihrem Hauptfeind eine Rechtsposition und die Möglichkeit ihres Missbrauchs überlassen.

Zum anderen hätten Autoren, die mit kommunistischem Anspruch auftreten, jeden Grund und sogar die Pflicht, die Politik der SU kritisch zu untersuchen, ehe sie darüber jammern, dass der Antikommunismus der unabdingbare Begleiter des Geschichtsrevisionismus sei. Das Selbstbestimmungsrecht ist eine der wichtigsten Waffen im Kampf gegen den Imperialismus, heute insbesondere für das irakische Volk gegen die Besetzung und für die Palästinenser in ihrem Widerstand gegen die säkulare israelische Politik des Landraubs und der Vertreibung. Daher müssen die Linken und Antiimperialisten dazu eine prinzipielle Haltung einnehmen. Der von den Autoren beklagte Geschichtsrevisionismus ist geradezu notwendig, wenn Antiimperialismus und Sozialismus jemals wieder eine reale Perspektive erhalten sollen.

Individualisierung der Schuld

Die Siegermächte hatten die Verantwortung für die Verbrechen des Faschismus beim Staat, seinen Institutionen und in der Konzentration wirtschaftlicher Macht gesehen und im Nürnberger Prozess nur die Führer des Dritten Reiches und die Repräsentanten seiner Elite zur Verantwortung gezogen. Im Osten wurde ein postum dezidiert antifaschistisches System eingerichtet, das das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufhob, im Westen bildete sich ein ideologischer Parteien-Konsens gegen Faschismus und Antisemitismus auf privatwirtschaftlicher Basis. Erst lange Zeit danach setzte im Westen eine Debatte ein, in deren Verlauf die zumindest moralische Schuld für die Naziverbrechen Zug um Zug von den Verantwortlichen auf die Führungskräfte aller Ebenen erweitert und schließlich sogar auf die ganz normalen Deutschen verallgemeinert wurde, auf die Begünstigten, die Täter und „willigen Vollstrecker“ oder überhaupt auf alle, die von den staatlich organisierten Verbrechen gewusst hätten. Die Debatte rentierte sich als ein Mittel zur Auflösung von Karrierestau und öffnete den Weg nach oben. Nach der Wiedervereinigung verkam der rhetorische Antifaschismus vollends zum Instrument der politischen Auseinandersetzung innerhalb der staatstragenden Elite. Er wurde umso heftiger und häufiger benutzt, je länger der wirkliche Faschismus zurücklag. Ein Teil des Regierungslagers erkannte, dass sich der symbolische Antifaschismus nicht nur gegen ihre Gegner im bürgerlichen Lager benutzen ließ, sondern auch als Mittel der innerstaatlichen Repression und um den Unwillen der Deutschen zum Kriege zu brechen. So hat denn auch nicht der neonazistische Sumpf die Teilnahme der BRD am Krieg gegen Jugoslawien zur Abwehr fabrizierter Greuel verbrochen, sondern gerade das Lager der Anständigen und der Antifaschisten. Ein Teil von ihnen versucht derzeit, den wahren Antifaschismus in den Rang einer Staatsideologie zu erheben. Dazu gehört auch die heuchlerische Posse, NSDAP-Mitgliedern des deutschen Außenamts sechzig Jahre nach dem Ende des Faschismus die postume Würdigung zu verweigern, nachdem man sie 1945 in Amt und Würden belassen oder wenig später wiedereingestellt und ihre Dienste jahrelang in Anspruch genommen hatte.

Die Plattform-Autoren fahren voll auf dieser Schiene. Sie demonstrieren, wie man den dogmatischen Antifaschismus zum allseits einsetzbaren staatlichen Repressionsinstrument macht. In ihrer Resolution, auf deren Grundlage sie den Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus vorbereiten wollen, erwähnen sie den faschistischen Staat, seinen Apparat und seine Ziele mit keinem Wort. Anderseits verkünden sie stolz ihre Erkenntnis, dass „deutsche Wehrmachtsangehörige als Okkupanten fielen, alliierte Soldaten hingegen als Verteidiger ihrer Länder und spätere Befreier“. Nachdem wir oben gelernt haben, dass die deutschen Opfer selbst die Ursache ihres Schicksals waren, erfahren wir hiermit, dass sie auch schuldig waren. Sie haben ihr Los nicht nur kollektiv erwirkt, sondern auch individuell verdient. Dieser selbstgerechte Standpunkt der Enkel wird trefflich illustriert durch die Transparent-Aufschrift: „Opa war ein Mörder“ neben dem Abdruck der Resolution in jW. Es bleibt das Geheimnis der Autoren, wer von den Alliierten befreit worden ist, wenn die Reichsdeutschen aus Mördern, Okkupanten und Verbrechern bestanden.

Man unterscheidet zu recht, wie die deutschen Soldaten den alliierten Soldaten gegenübertraten – hier die Repräsentanten einer aggressiven Staatsmacht, dort die Vertreter einer defensiven Allianz – dass diese für eine im wesentlichen gerechte, jene für eine schlechte Sache kämpften und fielen. Allerdings begründet dieser Unterschied kein unterschiedliches Verhältnis der Soldaten zum Tod. Sogar im Kampf sind sich die Soldaten beider Parteien noch sehr ähnlich. Wenn es um darum geht, Vergewaltigungen zu entschuldigen, wissen die Autoren das sehr wohl. Diese seien zwar grauenhaft, aber „ein grauenhafter Krieg produziert nicht in erster Linie individuellen Edelmut.“ Und weil das in der Tat so ist, wundert man sich, dass die Autoren mit ihrer Unterscheidung der Soldaten auf der individuellen Ebene so triumphieren und über die Staaten, ihre Träger und ihre Ziele vollkommen schweigen.

Die Verallgemeinerung dieser Betrachtungsweise ergibt, dass der deutsche Reichsangehörige überhaupt als Faschist starb oder am Leben blieb, dass er als einzelner schuldig war, unabhängig von seinem gesellschaftlichen Status, seiner Klassenzugehörigkeit und seiner individuellen Verstrickung, als Deutscher eben. Das Bemühen der Autoren, den Faschismus aus der Verantwortung des Staates und der ihn tragenden Klassen und unterschiedslos in die moralische Schuld jedes einzelnen zu legen und dort zu bekämpfen, ist durchgängig erkennbar. Eben diese Tendenz verfolgen die Autoren auch, wenn sie sich als Feinde der Antisemiten bezeichnen, anstatt sich zum ideologischen und politischen Gegner des Antisemitismus und seiner Instrumentalisierung zu erklären, insbesondere aber, wenn sie den Genozid an Juden, Sinti und Roma als Ergebnis eines Rassenwahns hinstellen, und nicht als systematisch organisierten staatlichen Massenraubmord.

Diese Form der Geschichtsrevision hat zweifelsfrei schon eine fatale Konsequenz gezeitigt. 1999 hat die Bundesrepublik sich am Aggressionskrieg der Nato gegen Jugoslawien beteiligt. Vertreter von SPD und Grünen, namentlich Scharping und Fischer haben die Teilnahme für notwendig erklärt, weil eine Parallele zum „primitiven deutschen Faschismus“ bestehe, die Sicherheit Europas gefährdet sei und ein neues Auschwitz verhindert werden müsse. Diese Begründung ist spezifisch für das deutsche Publikum fabriziert worden. Sie hat auch gewirkt. Sie konnte aber nur wirken, weil und insofern die Zuweisung der Schuld für die Verbrechen des faschistischen Systems an die einzelnen deutschen Zeitgenossen und die suggestive Übertragung einer moralischen Mitverantwortung auf ihre Nachfahren systematisch betrieben und erfolgreich gewesen ist. Es waren die Antifaschisten in der Regierung, die diese Schuldgefühle mobilisiert und instrumentalisiert haben, um Deutschland wieder in einen Aggressionskrieg zu führen. Es wäre sicher nicht so leicht gelungen, die Zustimmung für diesen neuen Akt von Staatsterrorismus zu gewinnen, wenn wenigstens die Kommunisten darauf hingewiesen hätten, dass der Staat, seine Eliten und deren Ziele maßgeblich waren für den Hitler-Faschismus und seine Verbrechen, so wie der Staat, seine Eliten und deren Ziele maßgeblich waren, um Krieg gegen Jugoslawien zu führen.
Fazit
Falls die Autoren tatsächlich ihren Kampf gegen den Neofaschismus auf die obigen Dogmen gründen, wird der „Anti-Antifaschismus in der Mitte der Gesellschaft vor Anker“ gehen und sich noch fester „im Sumpf des Antikommunismus verankern“. Die Postulate halten einer Überprüfung aus rechtlicher, politökonomischer und historisch-materialistischer Sicht nicht stand und sind für die Abwehr neonazistischer Ideologie eher kontraproduktiv. Das erste erweist sich als antideutsches Ressentiment, aber es kann nicht gelingen, Chauvinismus mit einer Art Maso-Chauvinismus zu verjagen. Das zweite ist wissenschaftsfeindlich, leugnet jede rationale Erklärungsmöglichkeit und läuft letztlich auf eine rassistische oder völkische Begründung hinaus. Beide zusammen können in antiimperialistischer und friedenspolitischer Sicht eine prekäre Wirkung haben. Das dritte schließlich zeichnet sich durch selektiven Umgang mit dem Kriegsrecht und dem Selbstbestimmungsrecht aus. Die rechtnihilistischen Positionen sind leicht widerlegt und somit eine Steilvorlage, die die Neonazis dankbar aufgreifen. Die Resolution „Wider die rechte Demagogie“ ist zum Manifest der heillosen Hilflosigkeit geraten.

Die beklagte Geschichtsrevision ist nicht nur weniger als ein Kavaliersdelikt, sie ist eine schlichte Notwendigkeit. Wenn die Kommunisten sie nicht leisten, werden die Neonazis ihren Vorteil daraus ziehen. Und nicht nur die! Die ständige und pauschale Schuldzuweisung unabhängig von jeder individuellen Verstrickung erzeugt Verdruss bei den Menschen. Wo sie es nicht tut, können die Schuldgefühle für humanitäre Interventionen instrumentalisiert werden.

Politisch sollte die Resolution freilich nicht unterschätzt werden. Die Strategen der kommunistischen Plattform fordern von der Regierung, die „Nazis politisch und administrativ zu bekämpfen“ und sie wissen auch wie: „Der entschiedenste Schutz vor der Ausbreitung der Nazis, ihrer Ideologie und Strukturen sind linke Kräfte, die außerparlamentarisch und parlamentarisch über Einfluß verfügen und als konsequenter Oppositionsfaktor wahrnehmbar sind. Die PDS ist diesbezüglich eine unbedingt in Rechnung zu stellende Kraft.“ Angesichts der Tatsache, dass die Neonazis in den leitenden Organen von der Stasi derart unterwandert sind, dass ein Verbot einer Selbstverstümmelung gleichkäme, ist das ein klares ein Angebot an die Herrschenden, wie sie den antifaschistischen Flügel in der Regierung verstärken und die Bevölkerung in die Zange nehmen können.

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