Europa verschärft seine Antiterrorgesetze
Österreichs staatstragende Moslemvertreter als Prediger des Generaldirektors für Öffentliche Sicherheit
Spätestens mit dem Einmarsch im Irak wurde durch die USA und ihre Alliierten das Völkerrecht aufgehoben, das bislang die internationalen Beziehungen zumindest formalrechtlich regelte (real ist das einzige Gesetz der imperialistischen Gesellschaft das Recht des Stärkeren). Mit London scheint nun für Europa der Punkt zu kommen, an dem die demokratischen Rechte im Inneren soweit eingeschränkt werden, dass man von einem Ende des Rechtsstaates sprechen kann. Der asymmetrische und permanente Krieg, den das amerikanische Weltherrschaftsprojekt provoziert, ist kein bequemer Konflikt, den die westliche Gesellschaft über CNN vom Fernen beobachten kann, sondern er ist bereits und wird weiterhin punktuell in den Westen selbst zurückkommen. Die amerikanische Doktrin der militaristischen Kontrolle führt in dieser internationalen Auseinandersetzung daher notwendigerweise dazu, dass die alten demokratischen Rechte auf öffentliche Kritik und Dissens (Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit,…) dem informellen Kriegsrecht geopfert werden.
Die Antiterrorgesetzgebung ist nichts anderes als ein modernes Kriegsrecht für diesen asymmetrischen Konflikt. Sie bedeutet die totale Herrschaft der staatlichen (polizeilichen) Willkür in der Definition eines Verbrechens und in den Mitteln der Verbrechensbekämpfung. Die Rechtsgleichheit wird mit dem Argument der Sicherheit für immer breitere Bevölkerungsgruppen aufgehoben. Ein neues Machtkartell aus Medien, Systemparteien und Exekutive entscheidet über das nächste Opfer, dessen Verfassungsrechte der inneren Ordnung geopfert werden müssen.
In Italien kündigte Innenminister Pisanu an, dass der Antiterrorparagraph 270bis in Zukunft „flexibel“ anzuwenden sei, da der „Terrorismus keine festen Strukturen“ habe. In Deutschland fordert die CDU-Obfrau Merkel eine Grundgesetzänderung, um die Bundeswehr im Inland gegen den Terrorismus einsetzen zu können. London verbietet kriminalrechtlich im Zusammenhang mit den Anschlägen von London das Wort „Märtyrer“ zu verwenden. Die präventive Abhörung und Speicherung von Telefon- und Internetkommunikation in einem breiten Verdächtigenkreis, unabhängig von einem eingeleiteten Verfahren, soll EU-weit ausgedehnt werden. Die neue Asylgesetzgebung in Österreich wird künftig politischen Flüchtlingen, die „Terrorakte gutheißen“ kein Asyl mehr gewähren und „Verdächtige“ mit einem Aufenthaltsverbot belegen. Entscheidend ist, dass all diese Maßnahmen sich mit einem Delikt legitimieren und sich auf einen Tatbestand beziehen, der nicht definiert ist bzw. entsprechend den Bedürfnissen gegen jede radikale Opposition angewandt werden kann. Der irakische Widerstand ist durch die US-Amerikaner und ihre politischen und medialen Verbündeten zum Terrorismus erklärt worden, wohingegen er formal nach dem Völkerrecht legitim ist. Dementsprechend können die beschriebenen Maßnahmen ohne weiteres gegen alle antiimperialistischen Aktivitäten gegen Krieg und Besatzung im Irak oder Palästina angewendet werden, insoweit diese eine Unterstützung des Widerstandes ansprechen. Und das Asylrecht? Als Terroristen gelten laut europäischer schwarzer Liste die Mehrheit der nationalen Befreiungsbewegungen von Palästina über die Philippinen bis nach Kolumbien. Politische Flüchtlinge aus diesen Ländern (die bekanntlich von den Regimen zumeist als Unterstützer des Terrorismus verfolgt werden) werden sich künftig mit einem Europa konfrontiert sehen, dass ihnen Schutz vor Verfolgung verweigert, insofern sie verdächtig sind, „Terrorakte“ nicht zu verurteilen.
Besonders interessant an den Ereignissen nach London ist das Verhalten der staatstragenden moslemischen Vertreter. In Deutschland rufen die offiziellen Moslemvertreter die islamische Glaubensgemeinschaft dazu auf, Spitzeldienste für den Verfassungsschutz zu leisten, da es diesem nicht gelungen ist, seine Agenten ausreichend in die islamischen Gemeinden einzuschleusen. Und in Österreich hat sich die Islamische Glaubensgemeinschaft zu einem Sprecher des Generaldirektors für Öffentliche Sicherheit, Erik Buxbaum, gemacht. Ihr sozialdemokratischer Integrationsbeauftragter, Omar al-Rawi, wies in der ZIB 2 vom Donnerstag selbst auf „vier Moscheen“ hin, in denen es Hassprediger gebe und die nicht mit der offiziellen Glaubensgemeinschaft kollaborieren. Wie ein guter SPler nahm al-Rawi die Hälfte seiner Aussagen wieder zurück, um jedoch wiederum zu betonen, dass allen klar gemacht werden müsse, dass Sympathie für radikale Ansichten kein Kavaliersdelikt sein. Und wer nicht mit der Glaubensgemeinschaft kollaboriert und sich durch al-Rawi in die Integration (sprich die politische Unterordnung unter den immer engeren Rahmen des herrschenden Systems) pressen lässt, der ist zweifellos des potentiellen hasspredigenden Radikalismus verdächtig. Bravo al-Rawi, ganz auf Linie der Partei, die laut SP-Chef Gusenbauer die Antiterrormaßnahmen des Innenministeriums vertiefen will, um „moslemische Parallelwelten“ und die „Hassprediger-Szene“ auszumerzen. Die offizielle moslemische Glaubensgemeinschaft ist offenbar weniger ein Instrument der Verteidigung der politischen Rechte der islamischen Menschen, sondern ein staatliches Kontrollinstrument, dem das Schulterklopfen und Händeschütteln im Establishment mehr gilt, als der Kampf gegen die Gefährdung der Rechte der moslemischen Menschen auf freie Meinung und politische Betätigung entsprechend ihrer Überzeugung. Über den Massenmord der USA und ihrer Alliierten im Irak verliert al-Rawi kein Wort. Ganz auf Linie der Eliten, hat der Hass unter der islamischen und arabischen Bevölkerung auf den Westen für die staatstragenden Moslemvertreter offenbar keine für sie nachvollziehbaren Gründe. Ihre Schlussfolgerung deckt sich damit wohl mit der von Bush, Blair und ihren Alliierten: die Radikalisierung unter Teilen der islamischen Gemeinschaft ist ausschließlich eine Angelegenheit der Polizei und Sicherheitsdienste.
Wir werden, trotz des sich vertiefenden Polizeistaates und der medialen Meinungsdiktatur, die mit den Antiterrorgesetzen gepanzert wird, weiterhin klar und deutlich sagen: es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Angriff des Westens gegen den Irak, der Liquidierung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker durch Krieg und Besetzung einerseits und den Anschlägen von New York, Madrid und London andererseits. Es ist das Bild des assymetrischen Krieges, der High-Tech Bomben auf die Zivilbevölkerung in Falluja und der Selbstmordattentäter in den Städten des Westens. Dieser Krieg ist eine Fortsetzung der Politik und hat ein politisches Programm, auch wenn dieses in unterschiedlichen Formen zum Ausdruck kommt. Das Programm des Westens ist die Niederdrückung aller, die sich gegen seine ökonomische, politische, militärische und kulturelle Dominanz wehren. Das Programm der unterdrückten Völker ist die Selbstbestimmung gegen die Beherrschung durch den imperialistischen Westen. Auch die Religion ist eine mögliche Form, dieses Programm zu formulieren. Gerade für jene moslemischen Menschen, die in ihrem Glauben auch den Auftrag sehen, gesellschaftliches Unrecht (und die Dominanz des US-Imperialismus ist das wesentliche Unrecht unserer Zeit) zu bekämpfen, gilt es, das Recht auf Meinungsäußerung und Organisation zu verteidigen und sie als Verbündete in einem gemeinsamen Kampf zu gewinnen, dessen Fronten nicht religiös oder kulturell, sondern politisch sind. Als Antiimperialisten ist die Selbstbestimmung der unterdrückten Völker auch unser Programm, als Revolutionäre in Europa ist unser Ziel, dafür die Verlierer des Neoliberalismus in unseren Ländern als Verbündete zu gewinnen. Wir wollen den Westen spalten, („desintegrieren“, Herr Al-Rawi) und in gemeinsamen Kampf gegen das amerikanische Imperium das gegenseitige Vertrauen und die Freundschaft der Völker neu herstellen.
Dass der revolutionäre Antiimperialismus, der die Selbstbestimmung der Völker und den sozialen Kampf für Gerechtigkeit der Modernisierungsopfer repräsentiert, der US-Mediendiktatur inklusive ihrer linksliberalen Unteroffiziere als „Hassprediger“ und „hetzerischer Populismus“ gilt und als solches auf der Abschussliste des neuen antiterroristischen Kriegsrechts steht, ist uns bewusst. Doch wir haben keine Rathausempfänge und keinen Händedruck in der US-Botschaft zu verlieren, und dagegen die Freundschaft der kämpfenden Völker des Südens und der Ausgeschlossenen des Westens neu zu gewinnen.
Antiimperialistische Koordination
Wien, 17.7. 2005