Das Land Palästina, Herz der arabischen Welt, wird heute durch eine Schandmauer zerrissen, errichtet zur Kennzeichnung der Grenzen zwischen Israel und den besetzten Gebieten und zur Betonung der klaren Unterschiede, auch in ihren Rechten, zwischen den beiden Völkern. Schon bald nach ihrer Errichtung war von einer Apartheid-Mauer die Rede, um der Entrüstung Ausdruck zu geben, die sich jedes Betrachters bemächtigt.
Im Jahr 2002 genehmigte die israelische Regierung den Bau einer „permanenten Barriere“, gewöhnlich als „Mauer“ bezeichnet. Gerechtfertigt wurde dieses Vorhaben mit Sicherheitsargumenten, um so die Einreise von vermeintlichen Terroristen nach Israel zu verhindern. Mit dem Bau hat sich Israel hingegen geschickt weitere Teile fruchtbaren palästinensischen Landes angeeignet, hat Städte und Dörfer in strategischen Positionen in Ghettos verwandelt, Familien und Gemeinschaften auseinander gerissen und Tausenden Palästinensern die Möglichkeit eines Zugangs zu sozialen Dienstleistungen, zu Schulen und vor allem zu ihren eigenen Ländereien genommen. Kürzlich wurden von der israelischen Regierung Änderungen am Verlauf der Mauer genehmigt. Somit wird die Mauer nach ihrer Fertigstellung eine Länge von 670 Kilometern (derzeit 209) haben. Zusammen mit dem Ausbau der Siedlungen wird sie es Israel ermöglichen 46% des Westjordanlandes zu kontrollieren (1).
Die Mauer, offiziell aus Sicherheitsgründen erbaut, stellt für die palästinensische Bevölkerung eine tägliche Erniedrigung dar und symbolisiert den Tod jeder Vorstellung von einem eigenen Staat und legitimen Rechten. Schon allein aus diesem Grund und ganz unabhängig von ihrem völkerrechtlich illegalen Verlauf kann sie nur, in ihrer gesamten Tragweite, als Verbrechen gegenüber den Palästinensern angesehen werden. Tatsächlich hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag am 9. Juli 2004 befunden, dass die Mauer nach dem Völkerrecht illegal ist und abgebaut werden muss. Doch der Gerichtshof bezieht sich in seinem Urteil lediglich auf den Verlauf der Mauer, der nicht der Grünen Linie entspricht. Hingegen verurteilt er nicht die Konzeption einer physischen Separation, einer Zementbarriere, die tatsächlich und sichtbar das Westjordanland von Israel abtrennt.
Folgerichtig wurden in der Debatte um die Mauer Argumente vorgebracht, die auf eine Korrektur der Schwächen des derzeit „übertriebenen“ Projektes einer permanenten Barriere abzielen. Doch würde eine Mauer, die entlang der Grünen Linie verliefe, nichts an den sozioökomisch, sozial und psychologisch verheerenden Auswirkungen auf die palästinensische Bevölkerung verändern. Die einzige akzeptable Kritik ist daher die uneingeschränkte Ablehnung des Mauerbaus. Es gibt keine Rechtfertigung für die Mauer, weder entlang der Grünen Linie noch darüber hinaus (2).
Qalqilya ist eine Stadt im Nordwesten des Westjordanlandes, nur wenige Kilometer vom Mittelmeer entfernt. Sie hat eine Bevölkerung von 43 000 Einwohnern und verfügt über eine der reichsten Wasservorkommen Palästinas. Sie wurde während der Besetzung von 1967 zerstört und 1982 wurde mit dem Bau der Siedlungen rund um die Stadt begonnen. Ziel war einmal mehr die Stadt zu isolieren und ihre Ressourcen zu kontrollieren. Wichtigste und noch im Ausbau begriffene Siedlungen sind Zufin und Alfe Menashe mit rund 5400 Siedlern (3). Insgesamt gibt es 23 Siedlungen um Qalqilya. Sie stellen rund 27% der gesamten Siedler-Bevölkerung des Westjordanlandes.
1987 wurde mit dem Beginn der ersten Intifada eine verlängerte Ausgangssperre über die Stadt verhängt, die die Wirtschaft und das Alltagsleben völlig zum Erliegen brachte. Zur Zeit der Zweiten Intifada und durch den Bau der Mauer ergab, hat sich für die Stadt eine neuerliche Situation des Zusammenbruchs. Heute ist Qalqilya nichts anderes als eine vollkommen von einer bis zu acht Metern hohen Betonmauer eingeschlossene palästinensische Enklave. Mit dem Bau dieser Mauer wurde im Jahr 2002 begonnen, sie hat eine Länge von 13 606 Metern, die Breite variiert zwischen 53 und 104 Metern. Erst vor kurzem wurden die scharfen Kontrollen durch israelisches Militär am Checkpoint an der Stadteinfahrt in Folge des Waffenstillstandes vom Februar ein wenig gelockert. Die Mobilität der Stadtbewohner richtet sich nach den Zeiten des Öffnen und Schließens des Checkpoints und nach den von der israelischen Regierung ausgestellten permits.
Die einst florierende Wirtschaft und der lokale Handel mit landwirtschaftlichen Gütern und Blumen sind fast vollständig zum Erliegen gekommen. 40% der Geschäfte wurden aufgrund der Rezession und des Konsumrückgangs geschlossen, ebenso 45,5% der industriellen und handwerklichen Betriebe. Die jenseits der Mauer liegenden Dörfer Jayyus und Falamya konnten aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit der Bewohner sowie der Handels- und Produktionsbeschränkungen die eigenen Ländereien nicht mehr gewinnnbringend bewirtschaften. 85% der kultivierbaren Landes von Qalqilya wurde, ebenfalls aufgrund der Behinderungen durch die Mauer, brach liegen gelassen. In der Folge stieg die Arbeitslosigkeit auf 65% und 4000 Bewohner haben die Stadt aufgrund des Mauerbaus verlassen. Von insgesamt 8000 Familien erhalten 6600 Hilfsleistungen der UNO und anderer internationaler Organisationen.
Die Kontrolle der Wasservorkommen ist eines der Hauptziele der israelischen Besatzung, was auch erklärt, warum gerade Qalqilya in einen derartigen Würgegriff genommen wird. Auch wenn die trockenen Landstriche rund um die Stadt etwas anderes vermuten lassen, ist diese Region historisch immer reich an unterirdischen Wasserreservaten gewesen. Seit der Besetzung 1967 ist es den Palästinensern verboten den Boden anzubohren und neue Brunnen zu graben, ebenso wenig dürfen sie nach neuen möglichen Wasservorkommen suchen. Für jede neue Bohrung und jede Wasserumleitung muss bei der israelischen Regierung um eine Genehmigung angesucht werden. Kurz, das Recht auf Wassernutzung, auch auf Nutzung jener Reservoirs, die historisch unter palästinensischer Kontrolle sind, ist dem Gutdünken der israelischen Regierung unterworfen.
Die Mauer, die tief in palästinensisches Land hinein gebaut wurde, hat die weitere Annexion nicht nur von Land, sondern auch von Quellen im Osten der Grünen Linie mit sich gebracht. Diese sollen jetzt von den umgebenden Siedlungen genutzt werden. Die Wasserreservoirs von Qalqilya machen insgesamt 53% der gesamten palästinensischen Wasservorkommen aus. Ein Viertel davon wird bereits unrechtmäßig von Israel genutzt (4).
Beatrice Dacli
Beatrice Dacli lebt in Triest. Sie nahm an der internationalen Solidaritätsdelegation „Risse in der Mauer“ nach Palästina teil.
(1) Alternative Tourism Group, Palestine & Palestinians (2005),ATG, Beit Sahour, Palestine
(2) Mueller A. (81:2004), A wall on the green line?, Alternative Information Center, Jerusalem, Israel.
(3) Settlements population by year (2004), www.betselem.org
(4) OCHA UN campaign 2004 – Qalqilia S.O.S. struggle for survival – the Apartheid Cage of Qalqilia.
Qalqiliyas gewählter Bürgermeister in Administrativhaft
Bei den letzten Kommunalwahlen hat die Hamas die Stimmenmehrheit in Qalqilya errungen. In keiner anderen Stadt im Westjordanland gewann die Hamas derartig überlegen. Dieser Wahlsieg deutet darauf hin, dass die Kompromisspolitik der Fatah bei der Bevölkerung nicht auf Gegenliebe stößt. Darüber hinaus zeigt er deren Unmut aufgrund der offensichtlichen Korruption und lokalen Misswirtschaft der Fatah auf. Der gewählte Bürgermeister von Qalqilya, Wajia Nazal, wird derzeit in Israel für drei Jahre in Administrativhaft festgehalten. Das entsprechende Gesetz wurde in einer Periode des Ausnahmezustands unter britischem Mandat verwendet und nach dem Krieg von 1967, in eklatanter Missachtung des Völkerrechts von Israel wieder eingeführt.
Die internationale Solidaritätsdelegation hatte die Gelegenheit mit dem Vizebürgermeister von Qalqilya, Mohammed al-Masri, zusammenzutreffen. Al-Masri betonte die Unterscheidung, die er und seine Partei Hamas zwischen den europäischen Regierungen, die den israelischen Staat und seine Unterdrückungspolitik unterstützen, und den europäischen Völkern, die hingegen mit der palästinensischen Bevölkerung solidarisch sind, treffen. Die Regierungen sind es, so al-Masri, die den palästinensischen Widerstand als terroristisch delegitimieren, während die europäischen Völker sich dessen Rechtmäßigkeit sehr wohl bewusst sind.