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Israel Shamir: Blumen aus Galiläa

29. September 2005

Buchbesprechung

Israel Shamir: Blumen aus Galiläa
Schriften gegen die Zerstörung des Heiligen Landes
Promedia Verlag, Wien 2005, 216 Seiten

Israel Shamir, geboren 1947 in Novosibirsk, kam 1969 als Sohn jüdischer Eltern nach Israel. Er diente in einer Fallschirmjägereinheit der israelischen Armee und kämpfte im Yom Kippur-Krieg im Jahre1973. Shamir übersetzte den Talmud, James Joyce, Homer und andere Klassiker in die russische Sprache und arbeitet als Journalist. Während der Zweiten Intifada im Jänner 2001 machten es ihm die israelischen Angriffe auf die Palästinenser unmöglich, länger über die politischen Ereignisse zu schweigen und seither tritt er in vielen Artikeln, übersetzt in mehrere Sprachen, unmissverständlich für ein freies, demokratisches Palästina ein.
Auch das vorliegende Buch ist ein Plädoyer für einen demokratischen Staat in Palästina, in dem der Zionismus besiegt wird, um sowohl für Palästinenser als auch Juden das Überleben in Freiheit und Menschenwürde zu sichern. Dazu gehört auch die Anerkennung des Rückkehrrechts aller Palästinenser. Shamir beschreibt in vielen Details und in eindringlicher Weise die menschenverachtende zionistische Politik wie die gezielten Tötungen, die Ghettoisierung durch den Mauerbau, die ethnischen Säuberungen. Da das Ungleichgewicht der Kräfte so groß ist, sieht er die Ereignisse in Palästina so: „……dies ist schleichender Genozid.“ (S. 114)

Natürlich ist ein Israeli wie Shamir, der sich dem nationalen Konsens nicht beugt, die Forderungen der Palästinenser zu seinen eigenen macht und dem zionistischen Israel die Legitimation entzieht, heftigster Kritik ausgesetzt – von Seiten all der Kräfte, die jede Kritik am Zionismus mit dem Argument abschmettern, dass sie primär antisemitisch wäre. Die Erklärungen Shamirs, seine Analysen der Gründe für die – völlig zu Recht – angegriffene zionistische Politik machen es diesen Kräften allerdings sehr leicht. Denn Shamirs Analysen spiegeln die gängige Palette antisemitischer Vorurteile wider und tun in diesem Sinne dem politischen Anliegen des palästinensischen Volkes nichts Gutes.

Es geht um Palästina, um ein freies demokratisches Palästina – ja! Dieser Kampf muss und kann jedoch unterstützt werden ohne die Juden und ihre Seele dafür verantwortlich zu zeichnen! Wer sind denn eigentlich „die Juden“ bei Shamir? „Man nehme eine Ameise und sie wird einen Ameisenhügel bauen. Man nehme einen Juden und er wird ein Ghetto bauen. Man nehme einen Palästinenser…… nun, mein Freund Mussa lud seinen alten Vater aus seinem Dorf in Samaria ein, um mit ihm in seinem neuen Heim in Vermont zu leben, und sein alter Vater begann Terrassen anzulegen und Olivenbäume zu pflanzen.“ (S. 49) So einfach und plakativ ist der Charakter der Juden und der Palästinenser doch nicht zu erklären. Die Trennlinie verläuft nicht zwischen den bösen Juden und den guten Palästinensern.
Genauso wenig erklärt die folgende Analyse den Konflikt in Palästina – sie ist bestenfalls antisemitisch: „Für Graetz und die Sprecher der IDF [Israel Defense Forces], israelisches Militär) üben Juden immer „Vergeltung“. Dieses Dogma ist keine Erfindung der CNN oder Scharons: es ist als ultimative Verteidigungsstrategie tief in der jüdischen Psyche verwurzelt.“ (S.120) Und „Wir Juden haben es bis jetzt nicht geschafft, die hochmütige Haltung des Auserwähltentums zu exorzieren und befinden uns in einer düsteren Lage. Darum werden wir noch immer von der Idee der Überlegenheit beherrscht und es verlangt uns immer noch nach Genozid.“ (S. 121) Hier ist nicht die Rede vom Genozid an den Juden, sondern von Genoziden, die von ihnen begangen wurden. Wenn damit die Situation in Palästina gemeint ist – das wird es wohl sein – so ist die Argumentationslinie dennoch absolut abzulehnen. „Es verlangt uns immer noch nach Genozid…….“ – als Beleg für das „immer noch“ dient ein Ereignis aus dem Jahr 614, wo Juden Christen massakrierten.
Das ist ein Beispiel für den Tenor, der sich durch das Buch zieht. Statt einer politischen Analyse wird die „jüdische Seele“ heraufbeschworen – ein zutiefst antisemitisches Ressentiment.
Für Shamir folgerichtig wird die USA, die die Welt mit Terror überzieht und für die der Israel/Palästina Konflikt ein Bestandteil ihres Strebens nach Weltherrschaft ist, zu einer Marionette Israels, beziehungsweise der Juden, reduziert. „Sie (die Palästinenser) können es nicht mit der drittstärksten Armee der Welt aufnehmen, die auch noch von ihrem zahmen Schoßhündchen, den USA, unterstützt wird.“ (S.86) Das stellt ja wohl die momentane Welt auf den Kopf, aber Shamir liefert auch dazu eine Erklärung: „Das Judentum (nicht zu verwechseln mit der Bezeichnung für die Millionen von Nachfahren mittelalterlicher Juden) hat seinen Platz in der Weltpolitik wieder und das Gehirn der einzigen Supermacht, der USA, übernommen.“ (S. 148) Und der Niedergang des öffentlichen Lebens Amerikas, der Schwachsinn und die Gewalt des amerikanischen Kinos und der Massenmedien, die die Menschen verblöden, finden seine Erklärung im „Mammonismus“ – einer Grundeinstellung der Juden. „Die jüdisch-mammonitische Übernahme hat die Lebenskräfte Amerikas eliminiert und sie auf Konsum umgestellt.“ (S.162)

Aber nicht nur für die amerikanische Denk- und Lebensweise sind die Juden bei Shamir Lebenselement, sondern auch für all die Strömungen, die er als einseitige Diskurse sieht und – in einen Topf geworfen – verurteilt. „Dasselbe System des tendenziösen, die Wahrheit verformenden Diskurses wurde von jüdischen Aktivisten auf dem Gebiet des militanten Feminismus, des Kommunismus, der Psychoanalyse, des Neokonservatismus und des Zionismus sowie einer Fülle kleiner Bewegungen als Mittel zur Aufwiegelung und Vergiftung der Anhänger im ideologischen Kampf angewandt.“(S.119) Ob fortschrittlich oder reaktionär, links oder rechts, spielt bei Shamir offensichtlich keine Rolle – die jüdischen Aufwiegler sind überall die Drahtzieher.

Israel Shamir ist zum Christentum konvertiert und vielleicht erklärt das den Mangel jeglicher politischer Analyse, denn religiöse Eiferer haben andere Erklärungsmuster. So ist es nicht verwunderlich, dass auch in der Gegenüberstellung von Christentum und Judentum eine schwarz-weiß-Malerei vorherrscht, die inakzeptabel ist, weil sie der Geschichte und Gegenwart Hohn spottet. Während im christlichen Glauben „Barmherzigkeit und Gnade in die Welt (gebracht wurden)…… Seither ist die Welt voll des Lichts Christi, des göttlichen Lichts“(S. 195,196), ist der jüdische Messias der Messias der Rache, mit all den Konsequenzen für die Psyche. „Ein „perfekter Christ“ ist die Antithese des „absoluten Juden“, denn er weist sowohl das „göttliche Recht“ der Juden, Nichtjuden (in Palästina und anderswo) zu unterdrücken, als auch den mammonitischen Egoismus gegenüber seinen Nächsten zurück.“(S. 199)

Es geht letztendlich bei Shamir um die „Seele der Juden“ und sonstiger metaphysischer Konstruktionen statt um irgendeine Analyse der geopolitischen Situation im Nahen Osten, folglich sind seine Ausblicke düster : „Ja, es hat tatsächlich keinen Sinn, an das Gute in ihnen (den Juden) zu appellieren, denn es existiert nicht. Das „Gute in ihnen“ war nur ein Mittel zum Zweck. Nun hat ihr wahres „Ich“ die Oberhand gewonnen und ist mit all seiner Brutalität zum Vorschein gekommen.“ (S.151)

Damit ziehe ich den Schlussstrich unter ein Buch mit dem wunderschönen Titel „Blumen aus Galiläa“, das ich gerne in die Hand nahm und sehr befremdet weglegte. Sosehr es für die Palästinenser Partei ergreift, sosehr schadet es ihrer Sache. Mit antisemitischen Argumenten von der rachsüchtigen, mammonitischen Seele der Juden, die auch noch das Weltherrschaftsstreben der USA erklärt, mit religiösen Kategorien „böses Judentum“ versus „gutes Christentum“ kann die Parteinahme und Solidarität mit dem Kampf um ein demokratisches Palästina nicht gefördert werden.
Kampf dem Zionismus – ja! Antisemitismus – nein!

Elisabeth Lindner-Riegler

Elisabeth Lindner-Riegler ist Aktivistin der Antiimperialistischen Koordination in Wien.


Anmerkung der Redaktion und der Autorin:

Nach Veröffentlichung der deutschsprachigen Ausgabe von Shamirs Buch im Promedia-Verlag vor einigen Monaten gab es in den einschlägigen Medien eine teils heftige Diskussion über die Frage, ob das Buch und sein Autor antisemitisch seien oder nicht. Dabei wurde auch der Verlag selbst Zielscheibe solcher Anschuldigungen. Die Redaktion der Intifada, in der auch die Autorin der obigen Rezension mitarbeitet, weist diese Anschuldigungen an den Verlag entschieden zurück.
Eine offene Diskussion über die Inhalte von Shamirs Buch hat nichts damit zu tun, einen bewährt kritischen Verlag, der in der Tradition der linken, antifaschistischen und antirassistischen Bewegung steht, mit dem Vorwurf des Antisemitismus zu verleumden. Die Redaktion und die Autorin der Rezension distanzieren sich entschieden von einer derartigen Vorgangsweise.

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