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„Wenn Israel Frieden will, wird es neuen Friedensprozess geben, wenn nicht, werden Intifadas folgen“

29. September 2005

„Interview mit Zachariah Zbeidi, Führer der Al-Aqsa-Brigaden im Flüchtlingslager Jenin

Im neu wiederaufgebauten Flüchtlingslager von Jenin traf die Internationale Solidaritätsdelegation Zachariah Zbeidi, der seit dem israelischen Massaker im Flüchtlingslager von Jenin 2002 der weithin bekannte Führer der Al Aqsa Märtyrer Brigade ist. Im Alter von dreizehn Jahren wurde er das erste Mal verwundet, mit seinen mittlerweile dreißig Jahren wurde er bereits dreizehn mal angeschossen und erlitt nach einer Granatenexplosion Verbrennungen im Gesicht. Als Jugendlicher verbachte er die meiste Zeit im Gefängnis, alle Aufenthalte zusammengezählt ergeben sieben Jahre. Sein Haus wurde dreimal zerstört, auch während der Invasion 2002, wobei seine Mutter und seine Schwester getötet wurden. Drei seiner Brüder sind im Gefängnis.
Nach dem Waffenstillstandsabkommen, das von ihm unterzeichnet wurde, erhöhte die palästinensische Nationalbehörde die Unterstützungsgelder für die Familien der Kämpfer und Märtyrer, im Gegenzug für seine offene Unterstützung für den neugewählten Präsidenten Mahmoud Abbas. Es gibt auch Verhandlungen darüber, die Al Aqsa-Brigaden in die palästinensische Polizei zu integrieren. Die Delegation sprach mit ihm über die laufende Gaza-Evakuierung, das Verhältnis zwischen den palästinensischen Widerstandsorganisationen und die Beziehung zu Mahmoud Abbas.

Intifada: Was ist Ihre Einschätzung des Siedlerrückzuges aus Gaza?

Z.Z.: Wir leben seit fünfzig Jahren unter Besatzung. Also unterstütze ich jeden Schritt, der gut für das palästinensische Volk ist. Wenn nur eine einzige Siedlung geräumt wird, ist das gut. Aber das Problem wird nicht gelöst werden, nur weil die Siedler abgezogen wurden. Sharon entschloss sich für den Abzug aus Gaza im Alleingang, ohne Kooperation mit der palästinensischen Nationalbehörde.

Intifada: Glauben Sie, dass der Abzug aus Gaza der Beginn eines neuen Friedensprozesses sein könnte, der die zweite Intifada beendet, so wie Oslo die erste beendet hat?

Z.Z.: Es hängt vom guten Willen Israels ab, ob es einen neuen Friedensprozess geben wird oder nicht, das liegt nicht in unseren Händen. Wenn Israel Frieden will, dann wird es einen neuen Friedensprozess geben, wenn nicht, werden mehr Intifadas folgen.

Intifada: Glauben Sie, dass nach den Zusammenstößen in Gaza die Gefahr eines Bürgerkrieges droht?

Z.Z.: Es gibt viele Aktivitäten in Gaza, Israel ist dort sehr aktiv. Wir leben unter Besatzung, es gibt keine echte palästinensische Autorität. Ich denke, dass die Zusammenstöße von Personen provoziert wurden, welche die Organisationen infiltriert haben. Das ist ein Problem mit dem sich jede Organisation auseinandersetzen muss.

Intifada: Wie sieht es mit der Kooperation mit den anderen Organisationen aus, gibt es eine Koordination bezüglich der Durchführung von Operationen?

ZZ: Natürlich gibt es eine Koordination, was die durchgeführten Operationen betrifft. Innerhalb meiner Organisation ist das so, dass für manche Operationen, innerhalb Israels zum Beispiel, die Zustimmung von der Führung gegeben werden muss, aber für andere Operationen innerhalb der besetzten Gebiete, wenn irgendwas passiert und wir reagieren müssen, dann müssen die Militanten nicht erst fragen, bevor sie zu kämpfen beginnen.

Intifada: Wie ist die Beziehung zwischen den unterschiedlichen Organisationen des palästinensischen Widerstands im Westjordanland?

Z.Z.: Warum haben wir den Kampf 2002 im Lager von Jenin „gewonnen“? Weil wir gemeinsam gekämpft haben, die Organisationen, die Männer, die Kinder, das ganze Lager. Wir stehen zusammen mit einem Ziel: gegen die Besatzung zu kämpfen. Wir nahmen keine Befehle von draußen entgegen, wir kümmerten uns nicht darum, wer von wem unterstützt wurde, auch die Führung außerhalb des Lagers hatte keinen Einfluss auf unsere Entscheidung zu kämpfen. Die Entscheidungen wurden im Lager selbst getroffen.

Intifada: Wir würden Sie die Unterschiede zwischen den Organisationen beschreiben?

Z.Z.: Zunächst mal sind sie alle Kämpfer. Man kann sie mit Automarken vergleichen, es gibt Mercedes, Volkswagen usw., aber alle sind sie Autos.

Intifada: Die Al Aqsa Märtyrer-Brigaden gehören zu Fatah. Nach Arafats Tod, haben sich da die Beziehungen mit Fatah und ihrem neuen Führer Mahmoud Abbas verändert?

Z.Z.: Diese Organisation gehörte weder Arafat noch gehört sie Mahmoud Abbas. Was wir über Abu Mazen denken hängt, von seiner Meinung bezüglich der Frage der Grenzen, der Flüchtlinge, Jerusalem und des palästinensischen Staates als Ganzes ab. Falls Abu Mazen über diese Ding das Gleiche denkt wie Arafat, dann werden wir ihn respektieren. Wenn er die gleiche Meinung dazu hat, dann wird ihm vielleicht dasselbe passieren, was Yassir Arafat passiert ist, er könnte gefangen gehalten werden.

Intifada: Im Februar wurde ein Waffenstillstandsabkommen in Sharm el Sheikh unterzeichnet. Sie haben erwähnt, dass Sie jeden Präsidenten unterstützen würden, der die historischen vier Forderungen nicht vergessen würde. Dieser Waffenstillstand garantiert jedoch nichts von alldem, warum haben Sie ihn dennoch unterschrieben?

Z.Z.: Wir mussten Mahmoud Abbas eine Chance geben, so wie wir auch Israel eine Chance nach der anderen geben, nicht nur den Israelis, sondern auch der UNO und den USA. Das Waffenstillstandsabkommen wurde nicht aufgrund des Druckes von außen unterschrieben, sondern es war unsere eigene Entscheidung es zu unterzeichnen.

Intifada: Ist nicht eine Chance für Abu Mazen dasselbe wie eine Chance für Israel? Israel wird nicht eine dieser Forderungen, die es sich solange zu akzeptieren geweigert hat, auf einmal erfüllen. Wieso denken Sie, dass sich das jetzt ändern wird?

Z.Z.: Wir sind nicht allein, sondern wir leben in einer großen Welt. Heutzutage sind die Medien von dem Bild des Krieges gegen den Terror dominiert und dieser Krieg wird auch in Palästina geführt. Wir wurden zu Terroristen, wir kämpfen nicht mehr für unsere Rechte, sondern nur weil wir eben Terroristen sind. Wir müssen diesen Blickwinkel ändern, nicht nur durch bewaffneten Widerstand, sondern auch durch Treffen mit Leuten wie euch. Wir sind uns sicher, dass Israel uns nichts geben wird, aber wir müssen auch auf die öffentliche Meinung einwirken, zeigen, dass der bewaffnete Widerstand nur ein kleiner Teil des Gesamtwiderstandes ist. Wir sind nicht stark genug um die israelische Armee besiegen zu können. Es gibt keine Balance der Kräfte. Wir brauchen Leute wie euch. Wenn ich Leute wie euch sehe, dann fühle ich, dass wir bald schon gewinnen werden.

Intifada: Was denken Sie über die Situation im Irak, über den Widerstand? Denken Sie, dass der Widerstand dort für die Palästinenser hier irgendeine Hilfestellung bieten kann?

Z.Z.: Der Krieg im Irak ist unfair, das irakische Volk ist unschuldig. Für mich scheint Bush ein weitaus schlimmerer Diktator als Saddam Hussein zu sein. Wir haben keinen Kontakt zum irakischen Widerstand, aber wir haben die Verantwortung ihn zu unterstützen, es sind gute Kämpfer und wir müssen sie respektieren. Ihre Sache ist gerecht.

Antiimperialistische Koordination, 19. August 2005, Flüchtlingslager Jenin

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