1947 wird Palästina unter der Ägide der Vereinten Nationen zwischen einem hebräischen und einem arabischen Staat aufgeteilt. Ersterem werden 56,47% des Bodens zugesprochen, zweiterem die verbleibenden 45,53% (UNO-Resolution 181). In Folge des Krieges 1948-49 dehnt der israelische Staat seine Grenze weiter aus, bis er schließlich 78% des gesamten ehemaligen Mandatsgebietes Palästina umfasst. Rund 800 000 Palästinenser werden dabei zur Flucht aus ihren eigenen Städten gezwungen. Mit dem Sechs-Tage-Krieg vervollständigt Israel 1967 sein Kolonialprojekt, indem es die bis dahin noch unter palästinensischer Kontrolle verbleibenden 22% des Territoriums, also das Westjordanland und den Gazastreifen, besetzt.
Der Bau der Siedlungen in den besetzen Gebieten Westjordanland und Gazastreifen beginnt offiziell nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, auch wenn die ersten Wellen jüdischer Immigration nach Palästina bereits Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Aufstieg der zionistischen Bewegung in Europa begonnen hatten.
Yagal Allon, Mitglied der Arbeiterpartei, formuliert im Juli 1967 die politischen und gesetzlichen Strategien des Siedlungsprojektes aus und definiert die sensiblen und prioritären Zonen, in denen das Siedlungswerk beginnen soll. Diese sind vor allem das Jordantal, die wasserreichen Gebiete sowie die Zonen mit dichter palästinensischer Besiedlung, wie etwa Ostjerusalem. Der Allon-Plan steht für den informellen Konsens über die der Siedlungspolitik bis zum Jahr 1977. Er soll den jüdischen Charakter des israelischen Staates sowie seine geopolitische Dominanz vom „Mittelmeer bis zum Jordan“ absichern, indem Vorposten jenseits der „Grünen Linie“ (die Waffenstillstandslinie von 1949, die Israel von den 1967 besetzen Gebieten trennt) geschaffen werden. (1)
Zwischen 1967 und 1977 lassen sich 35 000 jüdische Siedler an strategischen Orten im Westjordanland und im Gazastreifen nieder, vor allem in den östlichen Zonen Jerusalems (Ma´ale Adumin), im Gush Etzion-Block, rund um Hebron (Qiryat Arba), Ramallah (Bet El) und Nablus (Qedumin), in zwei Vorposten im südlichen Teil des Jordantals und im Gazastreifen (z.B. die Siedlung Netzarim).
In den 80er Jahren verfolgt der Siedlungsbau das Ziel Korridore zwischen Jerusalem und den Siedlungen im Jordantal sowie im nördlichen Westjordanland zu errichten und so die beiden wichtigsten palästinensischen Städte, Nablus und Ramallah, voneinander zu trennen. 1991 steigt die Zahl der Siedler auf 75 000 und der Seven Stars Plan lanciert den Bau von sieben Städten entlang der Grünen Linie mit der Absicht die Realität der Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland aufzuweichen. Im Jahr 2004 zählt man bereits 232 000 Siedler im Westjordanland und 8000 im Gazastreifen, die insgesamt in 163 Siedlungen leben (2).
Die Grundlagen der israelische Siedlungspolitik liegen in einer Reihe von pseudo-gesetzlichen Artefakten begründet, die von der Requirierung von Land zu militärischen oder administrativen Zwecken bzw. im Sinne des allgemeinem israelischen Gemeinwohls bis hin zur Inbesitznahme von Land, das von Flüchtlingen in Folge der Kriege 1948 verlassen wurde (das Absentee Property Law von 1950) reichen. Die Enteignungspolitik wurde darüber hinaus über die Bezugnahme auf ein Osmanisches Gesetz über staatlichen Landbesitz aus dem Jahre 1858 durchgeführt, laut dem ein Landstück, das weder offiziell registriert noch über eine gewisse Zeit bewirtschaftet wurde, automatisch in staatlichen Besitz zurückfällt.
Alle israelischen Regierungen haben riesige Summen an finanzieller Unterstützung bereit gestellt, sowohl für die Siedler als auch für die lokalen Verwaltungen der Siedlungen. Wer bereit ist, seinen Wohnsitz in einer Siedlung zu nehmen, kann zudem im Vergleich mit gleichen Wohnungen innerhalb der israelischen Gebiete mit Erleichterungen, niedrigeren Preisen, besseren Serviceleistungen etc. rechnen. Laut einer Studie des Peace Now Settlement Watch (3) hat der israelische Staat für die Siedlungen 80 Milliarden US- Dollar ausgegeben, wobei er auf beträchtliche finanzielle Unterstützung durch die USA zurückgreifen konnte.
Seit 1993 hat die israelische Regierung zudem stark in den Bau eines rein für Siedler reservierten Straßennetzes investiert, die so genannten bypass-roads, das die wichtigsten Siedlungen und den israelischen Staat miteinander verbinden soll. Dadurch soll den Siedlern ermöglich werden, sich täglich in die israelischen Städte zur Arbeit zu begeben, ohne mit den Palästinensern Kontakt haben zu müssen. Darüber hinaus konsolidieren die bypass-roads die Besetzung. Der Bau dieses Straßennetzes hat zur Schaffung einer Art Sicherheitszone von rund 50 bis 75 Metern auf beiden Seiten jeder Straße geführt, in denen jede Bautätigkeit verboten ist. Ein weiteres Ziel dieses Straßennetzes ist es, das Westjordanland in sich geschlossene und isolierte palästinensische Enklaven zu zerstückeln.
Das Projekt Groß-Jerusalem
Der Ausbauplan der größten Siedlung in den besetzen Gebieten, Ma´ale Adumin, bekannt unter dem Namen E1 (East 1), besteht in der Ausdehnung und Verbindung der Siedlungen rund um Ostjerusalem (Ma´ale Adumim, Pisgat Ze´ev, Pisgat O´mer, Neve Ya´acov und French Hill). So soll ein durchgehendes Territorium ohne palästinensische Präsenz geschaffen werden.
Das Gebiet E1 umfasst eine Fläche von 1300 Hektar und verbindet Jerusalem mit Ma´ale Adumim, das mit seinen 32 000 Einwohnern und einer Fläche von 55 Quadratkilometern einen strategischen Übergang nach Osten, von Jerusalem in Richtung Totes Meer und Jordantal darstellt. Zum ersten Mal hatten sich Siedler dort 1975 mit Genehmigung der Labour-Regierung niedergelassen. Heute stellt die Siedlung eine Ausnahme im Vergleich mit der für gewöhnlich starken Ideologisierung des Siedlungsbaus dar: Tatsächlich besteht die Bevölkerung von Ma´ale Adumim, abgesehen davon, dass es sich um die jüngste Stadt Israels handelt, zu 70% aus Nicht-Religiösen.
Der Bebauungsplan für die Ausweitung der Zone E1 sieht eine Bautätigkeit von insgesamt 3500 Wohneinheiten vor, die ein durchgehendes Siedlungsgebiet darstellen und 50 000 Siedler aufnehmen sollen. Diese Bautätigkeit soll als vollendete Tatsache den Palästinensern an zukünftigen Verhandlungstischen serviert werden. 1994, unter der Rabin-Regierung, wurde zum ersten Mal von der Ausweitung der Siedlungen in diesem Gebiet gesprochen. Obwohl der Plan von der internationalen Gemeinschaft abgelehnt wurde, da er dem Stop des Siedlungsbaus, wie er in der Roadmap vorgesehen war, zuwiderlief, wird er heute von Sharon als Kompensation für die Schleifung der Siedlungen im Gazastreifen propagiert.
Das so genannte Projekt eines „Groß-Jerusalem“ würde bedeuten, dass die Palästinenser auf Jerusalem als Hauptstadt eines palästinensischen Staates verzichten müssten. Darüber hinaus würde die territoriale Kontinuität zwischen dem Norden und dem Süden des Westjordanlands praktisch auf ein Minimum reduziert werden, vor allem dann, wenn die Straße, die Jerusalem mit dem Westufer des Toten Meeres verbindet, unter israelischer Kontrolle verbleibt. Ziel ist es, das Westjordanland in zwei Teile zu teilen, der palästinensischen Bevölkerung ein effizientes Verkehrsnetz und einen Zugang zur Innenstadt von Jerusalem vorzuenthalten und schließlich das natürliche palästinensische Bevölkerungswachstums von Ostjerusalem zu unterbinden.
Die Formel, die von vielen israelischen Strategen in Hinblick auf kommende Verhandlungen als wirksam angesehen wird, umfasst die definitive Inbesitznahme von drei strategischen Enklaven in den besetzten palästinensischen Gebieten, im Norden des Westjordanlandes mit als Zentrum die Stadt Ariel, im Süden von Jerusalem mit Gush Etzion und im Osten mit Ma´ale Adumin (4). Im September 2005 wurde die Errichtung von 117 neuen Häusern für die Siedlung Ariel genehmigt.
Diese Enklaven, die nach dem Völkerrecht illegal sind, fragmentieren die palästinensischen Gebiete und verhindern eine territoriale Kontinuität. Die israelische Regierung verwendet Infrastruktur, by-pass-roads, Universitäten, die Mauer und vieles mehr zur nicht rückgängigmachbaren Durchsetzung ihrer eigenen territorialen Ansprüche mit dem, durchaus nicht untergeordneten Ziel, die palästinensische Bevölkerung zu zermürben und sie zur Abwanderung zu zwingen. Das alles wird zu fehlender wirtschaftlicher Selbstständigkeit, offensichtlicher Verhandlungsschwäche und unausweichlicher Steigerung der internen Spannungen in der palästinensischen Bevölkerung führen. Der Kampf und Widerstand der palästinensischen Bevölkerung wird daher weitergehen.
Beatrice Dacli
13. September 2005
Beatrice Dacli lebt in Triest. Sie hat an der internationalen Solidaritätsdelegation „Risse in der Mauer“ nach Palästina teilgenommen.
(1) vgl. PASSIA (12/2004), Settlements and the Wall, www.passia.org
(2) vgl. B´Tselem (2004), Settlements population by year, www.betselem.org
(3) www.peacenow.org
(4) Pavoncello C., Scrivi Ma´ale Adumin, leggi grande Gerusalemme´ in Limes n. 3, 2005, Gruppo editoriale l´Espresso spa, Milano
Weitere bibliographische Quellen:
Alternative Tourism Group, Palestine & Palestinians (2005),ATG, Beit Sahour, Palestine; Guediri K. e Dallasheh K. (2004),
Cleansing and Apartheid in Jerusalem. An alternative guide to Jerusalem, The Alternative Information Center, Jerusalem, Israel.