Für einen demokratischen Staat in ganz Palästina!
Der Aufruf des iranischen Präsidenten Ahmedinejad, Israel von der Landkarte zu tilgen, hat nicht nur den zu erwartenden zionistischen Protest hervorgerufen. Dieser konnte in einer bisher nicht gekannten Weise das gesamte europäische Establishment mitsamt seinem Medienapparat mit sich ziehen. So wurde systematisch verschwiegen, dass Ahmedinejat die klassische antizionistische Position der palästinensischen Befreiungsbewegung vertrat, die sich weder gegen Juden noch gegen die jüdische Präsenz in Palästina richtet, sondern ausschließlich gegen den rassistischen jüdischen Separatstaat Israel. Gleichzeitig wurde intensiv über die oft mikroskopischen (pro)zionistischen Demonstrationen berichtet, so wie sie in Berlin und Wien stattfanden, fast als handelte es sich um amtliche Kundmachungen.
Die antiiranische Mobilisierung in Europa kann als Erfolg der US-Politik gewertet werden, die seit Jahren eine vielgestaltige Aggression einschließlich eines Handelsembargos gegen die Islamische Republik betreibt. Für Washington handelt es sich um den gefährlichsten noch verbliebenen „Schurkenstaat“, der die vollständige Unterordnung unter das Amerikanische Reich verweigert.
Wie man an den Beispielen Jugoslawiens und des Irak ablesen kann, sind intensive Verteufelungskampagnen unverzichtbare Voraussetzungen für Aggressionen, insbesondere für Kriegszüge. Welche Form der Angriff auf den Iran nehmen wird, hängt wesentlich von den Kräfteverhältnissen ab. An vorderster Front steht da der irakische Widerstand, der die US-Kriegsmaschine bindet und so vor weiteren Angriffskriegen abhält. Aber auch die öffentliche Meinung in Europa spielt eine Rolle. Darum gilt es entgegenzuhalten:
Zu den Vorwürfen an Ahmedinejad
Die von Ahmedinejad vorgetragene Position entspricht im Kern dem klassischen Ziel der palästinensischen Befreiungsbewegung, deren Erben heute die palästinensische Linke auf der einen und die islamische Bewegung auf der anderen Seite sind, während die Fatah Arafats Israel anerkannte. Der Staat Israel als per se rassistischer jüdischer Siedlerstaat, der der ursprünglichen palästinensischen Bevölkerung sowohl kollektive nationale als auch individuelle Bürgerrechte abspricht, kann von keinem Demokraten akzeptiert werden. Kolonialismus – und Israel ist einer der wenigen verbliebenen Kolonialstaaten – widerspricht dem Selbstbestimmungsrecht. Nationale Selbstbestimmung wiederum ist die wichtigste Vorbedingung der Demokratie.
Daher haben die Antiimperialisten seit Beginn der palästinensischen Befreiungsbewegung deren Forderung nach einem demokratischen Staat in ganz Palästina bedingungslos unterstützt, auch nachdem sich die PLO unter Arafat dem zionistischen Vernichtungskrieg gebeugt hatte. Ganz wie andere antikoloniale Befreiungsbewegungen schließt der Kampf für die Demokratie ein Angebot an die kolonialen Siedler ein, im von ihnen besetzten Land zu verbleiben und ein gemeinsames demokratisches Staatswesen mit der ehemals unterworfenen Urbevölkerung zu bilden. Die Behauptung die Palästinenser wollten die Juden ins Meer treiben, stellt die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf. Es ist der Zionismus der sich die Auslöschung der Palästinenser als Nation nicht nur auf die Fahnen geschrieben hat, sondern dieses Ziel Schritt für Schritt vorantreibt.
Die ganze Aufregung ist also völlig verkehrt. Das Hauptaugenmerk muss auf die zionistische Tilgung Palästinas gelegt werden, der im Westen tabuisiert ist. Analoges gilt für die israelische Forderung Persien aus der UNO auszuschließen, denn wenn es einen Staat gibt, der systematisch jede Resolution bricht, dann kann das nur Israel sein.
Unbedarfte mögen einwerfen, warum denn dann den Juden kein Selbstbestimmungsrecht zukäme. a) Selbstbestimmung unter Vernichtung der Urbevölkerung ist kein Recht, sondern Völkermord. b) Erst der nazistische (und in seinem Schlepptau der zionistische) Rassenwahn hat das Judentum von einer Religion zu einer Nation oder gar Rasse gemacht. Als Religion und Kultur ist das Judentum Teil der europäischen und nahöstlichen Nationen und als solches mit allen Rechten innerhalb dieser anzuerkennen, welches allerdings die Abspaltung eines Separatstaates nicht einschließt. c) Der Verweis auf das mythologische Israel der Bibel ist lächerlich und undemokratisch. Denn würde die politische Karte (zumal es sich um nichts als ungesicherte Behauptungen handeln kann) von vor mehreren Tausend Jahren als Kriterium hergenommen werden, so müsste man die Mehrheit der Weltbevölkerung töten oder vertreiben und insbesondere jene der USA.
Doch handelt es sich bei der Kampagne gegen die Stellungnahme des iranischen Präsidenten um einen Vorwand. Denn diese Position wird alljährlich anlässlich des Jerusalemtags wiederholt, mehr als Ritual denn als Kampfansage. Tatsächlich wird heute die Schlacht mit dem Imperialismus (auch über Palästina) im Irak geschlagen. Dort kooperiert indes Teheran sehr eng mit den USA. Würde der Iran die schiitischen politischen Führungen zum Widerstand gegen die Besatzung drängen, dann wäre die Niederlage der USA im Zweistromland gewiss.
Um was es wirklich geht
Hinter den westlichen Reaktionen auf den iranischen Verbalradikalismus versteckt sich ein Konflikt viel größerer Dimension. Der Iran ist eine Regionalmacht, die trotz vieler Schwankungen die Unterordnung unter Washington verweigert.
Das kann sehr deutlich an der Auseinandersetzung um das persische Nuklearprogramm abgelesen werden. Es entzieht sich unserer Kenntnis, ob die US-amerikanischen Behauptungen, laut jenen Teheran an der Atombombe baue, stichhaltig sind. Jedenfalls wollen die USA um jeden Preis das zivile Atomprogramm beschränken, um dessen eventuelle militärische Nutzung auszuschließen. Dabei handelt es sich nicht nur um eine grobe Verletzung der iranischen Souveränität.
Warum soll denn der Iran über keine Atomwaffen verfügen, wenn die Freiheit der Völker durch die amerikanischen und israelischen Atombomben im Schach gehalten wird? Angesichts des amerikanischen Terrorkrieges scheint es überhaupt nur mehr die präventive Atombewaffnung zu ein, die die Souveränität eines Staates zu schützen vermag.
Tatsächlich geht es so wie im Irak um nichts weniger als um die Rolle der USA als Weltherrscher. Und da stehen wir fest an der Seite all jener, die dem Imperium Widerstand entgegensetzen.
Innere Dimension
Bisher schien der Iran in der ausweglosen Dichotomie zwischen prowestlichen Reformern, die die Mittelschichten hinter sich wissen, und antiwestlichen Konservativen mit dem Klerus sowie vor allem der ländlichen Armut im Rücken, zu verharren. Letztere schienen den Staatsapparat weitgehend unter Kontrolle zu haben.
Doch Ahmedinejad erscheint nicht völlig abhängig von der historischen Führung des Klerus. Sein Wahlkampf mit dem Versprechen von sozialer Gerechtigkeit hat ihm nicht nur die Unterstützung der Unterschichten eingebracht, sondern kann als auch indirekter Angriff auf den sich bereichernden Klerus gedeutet werden. Hier ist eine Bruchlinie zumindest einmal angelegt.
Jedenfalls hat die höchste Autorität im Staat, Ayatollah Chameimi, den Vertreter des prowestlichen, kapitalistischen Flügels des Regimes, Rafsanjani, sogleich versöhnliche Worte sprechen lassen. Gleichzeitig wurde Ahmedinejads Machtbefugnis als Präsident durch die Aufwertung des Schlichtungsrates weiter eingeschränkt, dem nicht zufällig Rafsanjani vorsteht.
So bleibt neben der Unterstützung des iranischen Widerstands zu hoffen, dass sich ein sozialer antiimperialistischer Flügel mit Massenanhang emanzipiert, der sich nicht auf billige Manövriermasse des vor allem am Machterhalt interessierten Klerus reduzieren lässt.
Antiimperialistische Koordination
4. November 2005