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„Meine einzige Wahl war, das kolumbianische Rechtssystem nicht mehr anzuerkennen.“

28. Dezember 2005

Interview mit Luz Perly Cà³rdoba, Präsidentin der
Bauernorganisation von Arauca und ehemalige politische Gefangene des Regimes
von Alvaro Uribe Và©lez

Was waren die
Hintergründe der Verhaftungswelle in Arauca, die auch Dich getroffen hat?

Von den 300.000
Einwohnern Araucas leben 70% in den ländlichen Gebieten. Sowohl die
kolumbianische Oligarchie als auch die USA haben dort direkte Interessen.
Arauca hat eine lange Grenze zu Venezuela, die die USA als Ausgangspunkt einer
möglichen Aggression gegen das bolivarianische Venezuela nutzen möchten. In
Arauca sind bereits heute mehr als 300 US-Soldaten stationiert, die sich an der
Aufstandsbekämpfung beteiligen. Wirtschaftlich ist in Arauca in erster Linie
das Erdöl bedeutend. Die US-Gesellschaft Occidental und die spanische Repsol
sind bei der Ausbeutung führend. Durch Arauca soll das Infrastrukturprojekt
„Ruta de los Libertadores“ führen, eine Verbindungslinie zwischen Caracas, Bogotá,
Quito und Lima, das für die geplante amerikanische Freihandelszone von
Bedeutung ist, um die Bodenschätze, vor allem Erdöl, und die Naturreichtümer
der kolumbianisch-venezolanischen Grenze weiter für das internationale Capital
zu erschließen. Zu all dem kommt, dass Arauca historisch einen starken
Bauernwiderstand kennt und von einem Netz sozialer Organisationen durchzogen
ist. Arauca war das einzige Department, wo sich die Paramilitärs nicht
festsetzen konnten.

Vor diesem
Hintergrund begann 2001 eine Offensive des Militärs in direkter Zusammenarbeit
mit paramilitärischen Gruppen. Die 16. und 18. Brigade drangen gemeinsam mit
Söldnern in Arauca ein und hinterließen allein in der Gemeinde Tame 474 Tote.
Das war der Auftakt einer der schlimmsten Operationen zur physischen
Vernichtung der Volksorganisation mit dem Ziel die Region zu säubern.

Was waren die
konkreten Anschuldigungen gegen die Bauernorganisation von Arauca und Dich als
Person?

Eines der
Pilotprojekte zu Beginn der Amtszeit Uribes war, in Arauca eine sogenannte
„Rehabilitations- und Konsolidierungszone“ zu errichten. Dabei handelte es sich
um Spezialzonen, die praktisch unter Militärkontrolle gestellt waren. Die
Streitkräfte konnten ohne richterlichen Befehl Festnahmen und
Hausdurchsuchungen durchführen. Die Bevölkerung wurde registriert, um die Ein-
und Ausreise von Personen zu kontrollieren. Im Rahmen dieser „Politik der
demokratischen Sicherheit“ wurde ein Plan mit dem Namen „Bandera“ entworfen,
dessen Ziel die Zerschlagung des Widerstandspotentials der sozialen
Organisationen von Arauca war. Es wurden Haftbefehle gegen die Führungen der
Mehrzahl der zivilen, sozialen und Bauernorganisationen erlassen. Mehr als 80%
der führenden Aktivisten der Volksorganisationen Araucas werden heute per Haftbefehl
gesucht oder sitzen im Gefängnis. Dies traf auch die Bauernorganisation von
Arauca, deren Präsidentin ich war. Die gesamte Führungsgruppe wurde der
Rebellion und kriminellen Verschwörung angeklagt. Gegen Juan de Jesús
Gutià©rrez, den Kassier, und mich wurde der Haftbefehl unmittelbar vollstreckt.
Vier weitere Genossen konnten sie nicht verhaften, doch der Vizepräsident wurde
wenig später an der Grenze zu Venezuela von Paramilitärs ermordet.

Welche Beweise
brachte das Regime von Uribe für seine Anschuldigungen?

Die
Interamerikanische Menschenrechtskommission hatte die Bauernorganisation von
Arauca als Gruppierung zur Verteidigung der Menschenrechte offiziell anerkannt
und empfahl dem kolumbianischen Staat, spezielle Schutzmaßnahmen für ihre
Führungsgruppe bereitzustellen, da deren Leben ständig bedroht war. Dieser
Empfehlung folgend wurden uns durch die Sicherheitspolizeidirektion DAS
bewaffnete Leibwächter mit schusssicheren Fahrzeugen beigestellt, die uns
ständig begleiteten. Diese Leibwächter, die angeblich für den Schutz meines
Lebens verantwortlich waren, wurden in meinem Prozess als Hauptzeugen für die
inszenierten Anschuldigungen aufgeboten und brachten mich so für 13 Monate ins
Gefängnis. Sie beschuldigten mich der Rebellion, im konkreten, dass ich eine
Gehilfin der Guerillagruppe der FARC sei, da ich als Bauernführerin in einer
Zone arbeitete, in der diese bewaffnete Bewegung über Einfluss verfügt.

Hattest Du die
Möglichkeit, Dich nach allen rechtsstaatlichen Normen zu verteidigen?

Man muss klar
sagen, dass es für Anwälte, die einen solchen politischen Prozess führen
keinerlei Sicherheiten gibt. Ihr Leben ist täglich bedroht. Auch meine Anwälte
wurde mehrfach mit dem Tod bedroht. Dazu kommt, dass meine grundlegenden Rechte
auf einen fairen Prozess, auf eine angemessene Verteidigung sowie die
Unschuldsvermutung von Beginn an verletzt wurden. Dies ließ mir keine andere
Wahl, als nach Beginn des Prozesses vor Gericht zu erklären, dass ich das
kolumbianische Rechtssystem nicht anerkenne, da es die minimalen Garantien für
ein rechtmäßiges Verfahren verletzt. Glücklicherweise konnte ich auf eine
breite internationale Beobachtung meines Prozesses zählen, die bewirkt hatte,
dass die Vereinten Nationen eine Petition zur Revision meines Prozesses an den
Obersten Gerichtshof schickten. So konnte aufgezeigt werden, dass tatsächlich
Beweise auf unrechtmäßige Weise fabriziert worden waren und die Vorwürfe gegen
mich keinerlei Stichhaltigkeit hatten. Schließlich musste das Gericht mich und
meinen mitangeklagten Genossen freisprechen.

Wir waren die
Bedingungen im Gefängnis für die politischen Häftlinge?

Die Situation in
den kolumbianischen Gefängnissen ist erschreckend. Die Gefängnisse sind restlos
überbelegt. In dem Trakt für weibliche politische Gefangene, in dem ich war,
befanden sich 112 Frauen, obwohl er nur für 30 gebaut war. Die politischen
Gefangenen werden in Hochsicherheitstrakten völlig von den anderen Gefangenen
isoliert. Es fehlt an jeglicher medizinischer Versorgung. So starb eine
Genossin während meines Gefängnisaufenthaltes, da kein Arzt zur Verfügung
stand. Die Besuche sind stark eingeschränkt. Angehörige, die politische
Gefangene besuchen sind selbst gefährdet und werden von der Polizei beschattet.
Der Sohn einer Mitgefangenen wurde vor den Gefängnistoren entführt und
umgebracht. In einigen Gefängnissen wird den Gefangenen der Zugang zu Literatur
verwehrt. Die Gefangenen werden ständig verlegt, um den Kontakt mit ihren
Genossen und Familienangehörigen zu brechen. Vor Gericht müssen sich viele praktisch
selbst verteidigen, da sich keine Mittel haben, einen Anwalt zu bezahlen und
die Pflichtverteidiger die Anklage bloß unterschreiben, ohne ihre Mandanten zu
verteidigen.

Wie stellt sich
die kolumbianische Opposition zur Frage der politischen Gefangenen?

Die Hoffnung ist
ein Gefangenenaustausch durch ein humanitäres Abkommen zwischen der Guerilla
und dem kolumbianischen Staat, da es sich ja um einen sozialen und bewaffneten
Konflikt handelt, einen Bürgerkrieg mit Gefangenen beider Seiten. Dies wäre
auch eine Türe für neue Verhandlungen. Zumindest aber fordern wir, dass die
minimalen demokratischen Normen und Gesetze respektiert werden. Das
kolumbianische Regime bricht seine eigenen Gesetzte im Strafrecht, im
gerichtlichen Verfahrensrecht und im Hinblick auf die Gefängnisnormen. Die
Gerichtsbarkeit ist ausschließlich ein Instrument der Repression des
kolumbianischen Establishments.

Die Mehrheit der
Kolumbianer befürwortet einen humanitären Austausch und die Volksbewegung
engagiert sich seit Jahren dafür. Doch das Establishment verwendet diese
Forderung nur als Wahlkampfslogan. Es werden immer neue Bedingungen und
Vorwände formuliert, die die Guerilla zu erfüllen habe, um so einen
Gefangenenaustausch zu verhindern. Die politische Elite spielt auf unverantwortliche
Weise täglich mit dem Leben der Menschen.

Alvaro Uribe
Và©lez ließ sich kürzlich seine Widerwahl absichern. Steht Kolumbien vor einer
zweiten Periode seiner Rechtsregierung oder wird die Linke eine Chance haben,
ihn mit einer gemeinsamen Kandidatur zu schlagen?

Eine Teilnahme
an den Wahlen bedeutet, in die Falle zu tappen, die Alvaro Urbe Velà©z gestellt
hat. Denn es ist klar, dass Uribe, der die gesamte Maschinerie des
Establishments – Medien, den Kauf von Wahlstimmen, Einschüchterung und Mord –
kontrolliert, die Wahlen gewinnen wird. Ich denke, dass die Linke, auch wenn
sie vereint kandidiert, Uribe in den Wahlen nicht besiegen kann. Die Wahlen
sind ein vorgefertigtes Theater, um das Regime Uribes weiterzuführen. Jegliche
Wahlbeteiligung legitimiert dieses Theater, in dem das Volk keine Alternative
auf Frieden und soziale Gerechtigkeit hat. Bei einer Wahlbeteiligung der Linken
wird Uribe sagen, jeder habe die Möglichkeit gehabt, sich an der Wahl zu
beteiligen und er habe demokratisch gewonnen.

Die Kraft, die
heute die Linke hinter sich hat, ist der Bolivarianismus, die in ganz
Lateinamerika wächst. Die herrschenden Klassen lehrten uns immer, dass
Santander die bedeutende Figur unserer Geschichte gewesen sei, der Mann der
Gesetze. Doch mit ihm begann die Herrschaft der traditionellen oligarchischen
Parteien, die bis heute das kolumbianische Regime konstituieren. Wir müssen das
Denken des Befreiers Bolà­var neu beleben, denn daraus kann ein Motor eines
neuen lateinamerikanischen Prozesses der Befreiung entstehen, nach der sich
unsere Völker seit 500 Jahren sehnen.

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