Bericht aus BagdadDie Stimmung, die nach
den Wahlen unter der Bevölkerung herrscht, ist nicht leicht zu beschreiben. Vor
allem ist es falsch, von der einen Stimmung sprechen zu wollen, je nach
regionalen Gegenbenheiten variert die allgemeine Atmosphäre sehr. Im Norden, wo
die beiden grossen kurdischen Parteien das politische Klima bestimmen, ist die
Situation völlig anders als in den restlichen Teilen. Kurdistan ist die einzige
Region des Irak, wo die Bevölkerung der Besatzung positiv gegenübersteht, dort
wird nicht von Besatzung gesprochen, sondern von Befreiung. Besatzer sind die
Iraker, die seit zwei Jahren systematisch aus allen Orten vertrieben werden, die
zur kurdischen Autonomieregion gezählt werden. Die Wahlen fanden genau unter
diesen Vorzeichen statt. Potentielle WählerInnen von Parteien, die ausserhalb
des Kurdisch Nationalen Blockes antraten, waren massivem Druck ausgesetzt,
KandidatInnen wurden bedroht, mehrere Parteibüros der Islamischen Partei
Kurdistans überfallen, wobei es eine grosse Nummer Toter und Verletzter gab.
Die Verurteilung des Intellektuellen Kasim Q zu einer dreissig jährigen
Gefängnisstrafe wegen Gedankenschuld ist als eine klare Warnung an alle
oppositionellen Gruppen zu verstehen und sie haben die Botschaft verstanden, die
regionale Autonomie, von der viele KurdInnen im Nordirak schon lange geträumt
hatten, ist mit politischer Unfreiheit bezahlt worden. Alle diejenigen, die auf
Demokratisierung und Öffnung der politischen Landschaft gehofft hatten, haben
sich aus der Politik zurückgezogen. Um nicht als unloyal zu gelten, wollen sie
mit Politik nichts zu tun haben. Aber nicht nur die Intellektuellen sind
enttäuscht, in der nationalistisch aufgeheizten Stimmung geht einem Teil der
Menschen die Autonomie nicht weit genug, sie hatten auf eine völlige Abtrennung
vom Irak gehofft, daher ist für sie Wahl kein echter Erfolg, sondern nur eine
Bestätigung des Status Quo. Aber – und das ist das Gefährliche – entgegen
offizieller Bekundungen gehen sektiererische Bestrebungen und ethnische
Säuberungsaktionen weiter.
Im Zentralirak stellt sich ein völlig
anderes Bild dar, hier herrschen Frustration und Wut vor, auch Angst ist
vorhanden, dass sollte sich die politische Konstellation nicht wesentlich ändern, ekzessive Gewalt weiter um sich greifen wird vor allem, da zur Zeit die
kurdischen und schiitischen Milizen ihre Macht offen ausbauen, gestützt durch
die amerikanische Strategie des Scheinrückzugs, wodurch die Milizen immer mehr
Machtbefugnisse erhalten. Die Menschen sind enttäuscht ob des offensichtlichen
Wahlbetruges, sie fühlen sich ein weiteres Mal ausgegrenzt, die Chance für
einen politischen Neuanfang ist ein weiteres Mal verspielt worden und damit auch
die Chance zur Rückkehr einer multiethnischen Zukunft. Genugtuung herrscht nur
bei den Anhängern der Parteien, die über Milizen verfügen, da ihre Strategie,
die eigene Macht durch paramilitärische Gewalt auszubauen, aufgegangen ist.
Sie konnten die Opposition so weit einschüchtern, dass nur die allerwenigsten
Menschen Mut gefunden haben, ihre Stimme kleineren Parteien zu geben, die sich
als Alternative zu den ethnischen und religiösen Parteien verstehen. Es war
weniger die offene Wahlmanipulation, die ihren Erfolg verhindert hat, als das
durch die Besatzer und Milizen geschaffene Klima, das im Vorfeld der Wahlen
verhindert hatte, dass diese Parteien ihre Programme vorstellen konnten und am
Wahltag selbst die WählerInnen psychisch und physisch unter Druck gesetzt hat.
In den wenigsten Teilen des Landes hatte die Bevölkerung überhaupt die
Möglichkeit, sich über nationale demokratische Alternativen zu den grossen
Parteien zu informieren. Viele kritische Intellektuelle haben in diesen Parteien
kandidiert.
Viele schiitische Familien fürchten heute,
Opfer von Aktionen des Widerstandes zu werden, die im Zusammenhang mit den
Wahlfälschungen stehen, dennoch hoffen sie auf einen nationalen Konsens statt
auf eine Fortsetzung der Politik der Sezession. Viele sind auch als Moslems
beschämt wegen des Folterskandals im Innenministerium. Die sich als laizistisch
verstehende Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Alawwi geniesst
allerdings noch weniger das Vertrauen der irakischen Massen. Es war im Ganzen
für die meisten eine Wahl des kleineren Übels, geboren aus dem Willen, sich
endlich von der Fremdherrschaft zu befreien.
Was Bush als ein Zeichen
des demokratischen Fortschritts im Irak sieht, die Tatsache, dass die irakische
Bevölkerung in nur einem Jahr drei Mal an die Wahlurnen gerufen wurde, hat bei
der selbigen lediglich Wahlmüdigkeit und Resignation hervorgerufen, da sich von
Wahl zu Wahl die Lage im Land verschlechtert, sektiererische Spannungen und
Gewalttaten durch Milizen zunehmen, während sich die Versorgungslage faktisch
erheblich verschlechtert hat seit den ersten Wahlen im Januar des letzen Jahres.
Eine neue Wahl unter der Okupation wird nichts an der Situation ändern,
darüber sind sich alle klar. Was die Menschen wollen, ist nicht die
Wiederholung des Wahltheaters sondern eine Nationalversammlung, die ein
gemeinsames nationales Anliegen vertritt, die Stabilität schafft, ohne neue
Gewalt zu provozieren, die in der Lage ist, die Hoffnung nach einer besseren
Zukunft in Frieden und Freiheit zu beantworten.
Fatma Salih
Uthman
Baghdad
3. Januar 2006