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Die Geister, die sie riefen

20. Februar 2006

von Fatma Salih Uthman

Das Telephongespräch dauert nur wenige Minuten. Der
Anrufer hatte einer befreundeten Universitätsprofessorin lediglich mitteilen
wollen, dass sie sich in Acht nehmen solle, weil gestern einer ihrer Kollegen
am Eingang zur Universität erschossen worden war, ein weiterer war von
Studenten aus der Vorlesung gerufen und zusammengeschlagen worden. Dieser hatte
in seiner letzten Vorlesung vor den
Folgen der Machtübernahme Ayatollah Sistanis gewarnt. Bereits im ersten Jahr
der Besatzung waren über 250 Intellektuelle ermordet worden, mehr als
eintausend verließen das Land aus Furcht das nächste Opfer zu sein. Und obwohl
der Irak Gefahr läuft, seine AkademikerInnen zu verlieren, sorgt sich die
Regierung nicht um deren Sicherheit.

Seit dem Einzug der alliierten Streitkräfte in den
Irak gibt es kaum ein Verbrechen, dass nicht an der Bevölkerung verübt worden
wäre. Waren es bis zum Einsetzen der Interimsregierung in erster Linie Soldaten
der multinationalen Truppen unter US-amerikanischer Führung, die im Rahmen des
Kampfes gegen den Widerstand zehntausende Menschen unter Arrest nahmen,
Ortschaften, die als Hochburgen des Widerstandes angriffen und willkürlich die
dortige Bevölkerung metzelten und wie der Folterskandal von Abu Graib gezeigt hat,
auch bei Frauen keine Ausnahme machten, haben im weiteren Verlauf der
Geschichte, immer stärker Milizen, die es nach irakischem Gesetz eigentlich
nicht geben darf, in das Geschehen eingegriffen. Sie stellen inzwischen einen
Grossteil der neuen irakischen Sicherheitskräfte dar, haben die Polizei und die
Einheiten der Nationalgarde unterwandert und wen verwundert es, dass die jungen
Männer folgen williger den Befehlen der Parteien, denen sie nahe stehen folgen,
als denen ihrer direkten Vorgesetzen.

Nach der Auflösung der irakischen Armee durch die alliierten Streitkräfte
entstand ein Sicherheitsvakuum, das die kurdischen Peshmerga und die
schiitischen Badr Milizen nur zu willig zu füllen bereit waren. Anfangs
operierten sie hauptsächlich gemeinsam mit der Besatzungsarmee, aber
gleichzeitig übernahmen sie immer mehr die Kontrolle in den sicheren Provinzen
im Norden und Süden des Landes. Die unter ständigem Beschuss stehenden
US-Soldaten konnten ihre Verluste erheblich reduzieren, als lokale Bekraefte
begannen, die Kontrolle der Strassen zu übernehmen und sich aktiver an Razzien
und Operationen zu beteiligen. Das diente zuerst einmal den USA, da dort mit
jedem Soldaten, der in einem Sarg nach Hause gebracht wurden, die Rufe nach
einem Ende des Irak Abenteuers lauter wurden und George Bush auch im von den
Republikanern geführten Kongress unter Beschuss geraten war. Doch die Geister,
die die Besatzer gerufen hatten, begannen schon bald, ihr eigenes Leben zu
führen und richten sich kaum noch an die von den Amerikanern gemachten
Vorgaben. Nach den Wahlen im Januar, aus denen der Kurdische und der
Schiitische Block als Sieger hervorgegangen waren, gibt es de facto keine
Autorität mehr, die sie aufhalten könnte.

“Alle reden davon, dass mit Bayan Jabr ein Mann mit starken Verbindungen
zu Badr ins Innenministerium eingezogen
ist. Das ist richtig, aber er ist gewählt worden” sagt ein amerikanischer
Militär: “Mit sich gebracht hat er einen Haufen Badr Männer. Wir haben eine
republikanische Regierung in den USA und die bringen auch ihre eigene Leute
mit. Im Irak haben wir SCIRI unterstützt und sie wurden gewählt und SCIRI ist
Badr.”

Die
Amerikaner haben diese Situation schweigend geduldet, weil sie nicht riskieren
wollten, die Unterstützung der schiitischen Parteien zu verlieren und so
konnten diese ungestört fortfahren, die sunnitische Bevölkerung zu
terrorisieren. In Bagdad, wo die Bevölkerung ethnisch und konfessionell
gemischt ist, ist die Situation besonders schlimm, täglich werden die Leichen
von Menschen gefunden, die einige Zeit zuvor verschwunden waren. Die meisten
der Leichen tragen Spuren schwerer Folter. Einige sind bei Strassenkontrollen
festgenommen worden, andere wurden nachts aus ihren Häusern geholt und doch
haben sie eines gemeinsam, sie sind Sunniten. Die Opfer sind leicht
auszumachen, man muss nur auf den Namen im Ausweis zu schauen, um zu wissen, zu
welchem Klan der Träger gehört, Dulaimi, Nuaimi, Azawwi … – alles sunnitische
Klans. Um sunnitische Familien zum Wegzug zu zwingen, werden ganze Wohnsiedlungen
terrorisiert, Autos werden in Brand gesteckt, Häuser werden überfallen,
Menschen erschossen oder verschleppt. In den Folterzentralen werden sie als
Terroristen beschimpft. Ihre Folterer sind nicht selten Iraner, die selben
Männer, die die Badr Brigaden in den Jahren ihres Exils ausgebildet haben.
Jetzt sind sie gemeinsam mit diesen in den Irak zurückgekehrt und agieren dort,
geschützt vom Innenministerium. Lange wollte niemand das Ausmass ihres Terrors
sehen, vor allem nicht das Mitarbeiter des Ministeriums für Menschenrechte, dem
schon lange vorher Informationen vorlagen, die niemals überprüft wurden. Man
verließ sich ganz einfach auf die Angaben der Besatzer und der Regierung,
besuchte die inzwischen reformierten Vorzeigegefängnisse und dabei blieb es.
Daher dauerte es bis zum letzten November, bis das ganze Ausmass des Schreckens
oeffentlich wurde. Erst als die 169 schwer gefolterten und halb verhungerten
Männer in einem Komplex des Innenministeriums in einem Stadtteil in Bagdad
auftauchten, liess sich der Skandal nicht mehr vertuschen. Was die Überlebenden
der Folter berichten, ist kaum zu beschreiben, Schläge bis zur Bewusstlosigkeit
auf den Kopf und den ganzen Körper, Elektroschocks, Verbrennungen und das
Herausreissen von Fingernägeln sind nur einige der barbarischen Methoden, denen
sie ausgesetzt waren. Auch vor sexueller Folter wird nicht zurückgeschreckt,
dazu kommen alle Arten von Demütigung. Ein Imam, der in einem Interview seine
Torturen beschreibt, ist so entsetzt über das, was ihm durch den Apparat einer
sich selbst als islamisch bezeichneten Regierung angetan worden ist, dass er
kaum reden kann. Allein in den letzten Monaten sind 150 seiner Kollegen getötet
worden, fünfzig weitere gelten als verschwunden, sagt uns ein Vertreter des
Menschenrechtsvereins “Freedom Voice”, Stimme der Freiheit. Das neueste Dossier
über eine gewaltsame Tötung, das er in den Händen hält, beschreibt die
Erschiessung eines Schuldirektors, der sich mit seiner Beschwerde an das
Ministerium für Bildung gewandt hatte, weil die Grundschule in Al Madain
geschlossen und in ein geheimes Gefängnis umgewandelt worden war, wenige Tage
später war er tot aufgefunden worden. Dann zeigt er uns eine Liste mit Namen
von Orten in Bagdad und Umgebung, an denen geheime Gefängnisse untergebracht
sind. Was man dort liest ist kaum zu glauben und doch ist es wahr; Schulen,
ehemalige Ausstellungsräume und Tourismuseinrichtungen, selbst die
Kellergeschosse einiger Krankenhäuser stehen auf der langen Liste.

Jetzt
bewegt alle die eine Frage, wie diese Probleme gelöst werden können. Niemand
erwartet, dass die noch amtierende Regierung die Milizen stoppen wird, sind sie
doch ihr stärkster Rückhalt, Millionen von Dollar Aufbaugeld sind in den letzten zwei
Jahren in ihren Aufbau geflossen. Da sich die USA nicht ernsthaft genug der
De-Baathifizierungskampagne angenommen haben, seien nur die Milizen in der
Lage, den Irak vor einem Rückfall in das vormalige politische Systems zu
schuetzen, behaupten diejenigen, die die Sezessionsbestrebungen im Norden und
Süden des Landes unterstuetzen.

Der Irak ist noch lange nicht raus aus seiner Krise, die groessten Probleme
liegen noch vor ihm.

Nun wird das neu gewählte Parlament zusehen muessen, wie sich der Irak
dieses Problems, das durch die Besatzung geschaffen worden ist, die den Weg
frei gemacht hat, für eine Aufsplitterung Iraks in ethnische Kantone, wieder
entledigen kann und so lange das Land unter fremder Herrschaft ist, wird es
nicht leicht sein, gemeinsam mit den ausserparlamentarischen Kräften einen nationalen
Konsens herzustellen.

Bagdad, 31. Januar 2006

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