Interview mit Abduljabbar al Kubaysi
Ein Interview mit
Abduljabbar al Kubaysi, einem ehemaligen politischen Gefangenen der USA,
Sekretär der Irakischen Patriotischen Allianz (IPA), Befürworter und Kämpfer
für eine politische Front der irakischen Widerstandskräfte. Er spricht über die
politischen Perspektiven einer gemeinsamen Widerstandsbewegung des Volkes gegen
die Besatzung.
Frage: Wie würden
Sie die vor kurzem stattgefundenen Wahlen im Irak interpretieren?
Kubaysi: Wie alle
anderen so genannten Wahlen, die von den USA und ihren Marionetten inszeniert
wurden, waren auch diese nichts anderes als eine Farce. Sie haben keinerlei
Legitimität, so wie das gesamte Regime jeglicher Legitimität entbehrt, da es von
den ausländischen Besatzungstruppen eingesetzt wurde und aufrechterhalten wird.
Deshalb rief der Widerstand zu einem Boykott auf.
Die Wahlkampagne
hat maßgeblich zu einer Ausweitung sektiererischer, religiöser
Auseinandersetzungen beigetragen, die ganz im Interesse der Besatzer sind. Die
sunnitischen Führer, die in die Falle der Amerikaner gingen, mobilisierten ihre
Wähler, indem sie auf die Gefahr einer Machtübernahme der Schiiten hinwiesen.
Die schiitischen Führer taten das Gleiche, und genau dadurch wurde ein Prozess
in Gang gesetzt, der die nationale Einheit, für die wir kämpfen, gefährdet.
Besonders die
sunnitischen Kräfte arbeiteten mit Täuschung und Betrug. Sie versprachen, dass
durch die Wahl ihrer Vertreter ins Parlament die Möglichkeit geschaffen werden
würde, die Verfassung zu ändern, die den Menschen in den sunnitischen Provinzen
gegen den Willen der überwältigenden Mehrheit aufgezwungen wurde. Sie wussten
jedoch von Anfang an ganz genau, dass sie auch bei maximaler Wahlbeteiligung
nie das notwendige parlamentarische Quorum erreichen würden, um die Verfassung
außer Kraft zu setzen.
Der Betrug begann
schon beim konstitutionellen Referendum, wie allen Irakern aber auch der
Weltöffentlichkeit bekannt ist. Was nicht so bekannt ist, ist die Tatsache, dass
die Regelungen festlegten, dass eine Zweidrittelmehrheit in drei benachbarten
Provinzen zusammen die Verfassung ablehnen könnte. Das ist in der arabischen
als auch der englischen Version leicht nachzulesen. Nach diesen Regelungen, die
von den Amerikanern selbst vorgegeben wurden, brachte das Referendum nicht den
gewünschten Erfolg. So wurde also im Nachhinein die entsprechende Regelung so
interpretiert, dass eine Zweidrittelmehrheit in jeder einzelnen der drei
Provinzen ihre Ablehnung kundtun müsste. Wir warnten die Menschen vor den
Betrugsmanövern, die die amerikanischen Pläne von vornherein beinhalteten.
Die behauptete
hohe Wahlbeteiligung hat weitestgehend auch mit Betrugsmanövern zu tun. In den
Gebieten, wo die konfessionellen Parteien und Listen die Kontrolle übernommen
hatten, wurden die Wahlurnen mit Stimmzetteln zu ihren Gunsten voll gestopft.
Die einzigen Bezirke, wo das nicht möglich war, waren die großen gemischten
Bezirke von Bagdad. Dort kam es nicht nur zu Konflikten, sondern dort war auch
die Wahlbeteiligung deutlich niedriger.
Frage: Da der
Widerstand zumindest von der sunnitischen Bevölkerung große Unterstützung. bekommt,
wäre es jetzt nicht möglich, dass einige der gewählten Delegierten den
Forderungen des Widerstands eine Stimme geben?
Nein, überhaupt
nicht. Es geht nicht darum, dass der eine oder andere Abgeordnete einige der
Forderungen des Widerstands aufgreift. Das wäre sogar möglich, weil sie ja die
Zustimmung der Massen wollen. Bei dem Ganzen geht es darum, ob man das Spiel der
Amerikaner akzeptierte oder nicht. Unabhängig davon, unter welchem politischen
Banner die Listen kandidierten, sie sind Erfüllungsgehilfen des politischen
Prozesses. Die USA haben verstanden, dass sie den Widerstand nicht nur mit
militärischen Mitteln zerschlagen können. Deshalb brauchen sie kooperierende
politische Kräfte, auf die sie sich stützen können, und so haben sie alles
drangesetzt, damit die sunnitischen Listen an den Wahlen teilnahmen.
Was die Liste
Duleimi betrifft, so hat die Kraft, die hinter ihr steht, nämlich die
Islamische Partei (IP), seit Beginn der Besatzung offen mit den USA
kollaboriert. Sie arbeiteten zum Beispiel schon in Bremers Verwaltungsapparat
mit und akzeptierten die Verfassung, nur um von den USA kooptiert zu werden.
Diese IP sind amerikanische Sklaven.
Bei Mutlaq und
seiner Liste schaut es etwas anders aus. Er kommt aus Falluja und kann es sich
nicht leisten offen gegen den Widerstand zu sein. So ist er einerseits
gezwungen dem Widerstand gegenüber sehr feinfühlig zu sein, andererseits kann
er aber in keinster Weise für den Widerstand sprechen. Darum hat weder er
gefragt noch wurde er darum gebeten. Und man kann jetzt schon sehen, dass sich
seine Position gegenüber der Verfassung bereits aufgeweicht hat. Er hat sie
einmal abgelehnt, jetzt steht diese Frage für ihn nicht auf der Tagesordnung.
Um es zusammenfassend zu sagen: Die Teilnahme an den Wahlen hat die Ressourcen
des Widerstands angegriffen und der Besatzung einen guten Dienst erwiesen.
Frage: Wenn es so
ist, warum hat dann der Widerstand die Wahlen nicht mit militärischen Aktionen
erschwert?
Kubaysi: Es ist
nicht im Sinne des Widerstands, Konflikte mit denen herauf zu beschwören, die
zu den Wahlen gehen wollen, auch wenn sie nur eine Minderheit sind. Wenn ein
Mitglied einer Stammesgemeinschaft verletzt oder getötet wird, heißt das, dass
diese gesamte Gemeinschaft gegen den Widerstand ist. Solche Konflikte müssen
vermieden werden.
Frage: Sie haben
die sunnitischen Listen wegen ihrer Teilnahme an den Wahlen sehr stark angegriffen,
während Sie Muqtada al-Sadr, der nicht nur auf seiner eigenen Liste kandidierte
sondern seine Leute auch noch den Kollaborateuren Sciri und Dawa in den Rachen
warf, in Ruhe ließen. Wie kommt es zu dieser Differenzierung?
Kubaysi: Die
politischen Bedingungen innerhalb des schiitischen sozialen Umfelds sind
andere. Zuallererst gibt es dort keine bewaffnete Befreiungsbewegung der
Massen. Zweitens gibt es dort mächtige und reiche Geistliche, die mit dem Iran
verbunden sind und die, trotz ihrer politischen Unterstützung für das
Marionettenregime der USA, aus religiösen Gründen großen Einfluss haben. Und
drittens gibt es die direkte iranische Präsenz auf militärischer und
geheimdienstlicher Ebene sowie in Gestalt von Sciri und Dawa, die eine große
Bedrohung für alle, die die Besatzung bekämpfen, bedeutet. Unter dem Vorwand,
den Baathismus auszurotten, versuchen sie den Widerstand zu zerschlagen. Bis
jetzt haben sie tausende Dissidenten getötet und noch viele mehr gefoltert.
Wenn es um den Terror geht, dann stehen sie den Amerikanern um nichts nach.
Muqtada sind also
die Hände gebunden. Als seine Leute am Jahrestag des Falls von Bagdad
demonstrierten, berichteten die westlichen Medien, dass auf den Transparenten
Bush und Blair mit Saddam Hussein gleich gesetzt wurden. Sie versuchten zu
zeigen, dass für die verarmten schiitischen Massen die Besatzung gleich schlecht
wie das alte Regime sei. Es stimmt, dass es solche Losungen gegeben hat, aber
man muss sie im Zusammenhang mit der gesamten Demonstration sehen. Losungen und
Transparente gegen die USA und gegen Großbritannien bestimmten das Bild,
während Transparente gegen das alte Regime nur sporadisch zu sehen waren. Für
Muqtada waren diese gerade recht, weil er damit Angriffe der pro-iranischen
schiitischen Kräfte wegen zu großer Nähe zu Saddam Hussein abwehren konnte. In
Wirklichkeit ist sein Hauptaugenmerk gegen die Besatzung gerichtet.
Man sollte die
Spannungen innerhalb der schiitischen Gemeinschaft nicht unterschätzen. Während
es im Hintergrund zwischen Muqtada auf der einen Seite und Sciri, Dawa und Co.
auf der anderen Seite brodelt, müssen sie nach außen hin Freundlichkeit und
Gemeinsamkeit demonstrieren. So sehen wir die Situation und deshalb können wir
die nachgiebige Haltung Muqtadas verstehen. Aber wir werden die Situation
erleben, in der der Konflikt mit den pro-iranischen Kräften und dem Iran
ausbrechen wird. Wir müssen Geduld haben, wir erleben jetzt erst das dritte
Jahr des Widerstands.
Frage: Viele sind
heute der Meinung, dass die USA ihre Strategie geändert hat, nicht nur wegen
der Stärke des Widerstands sondern auch weil Washington sich auf einen Konflikt
mit dem Iran vorbereitet. In diesem Sinne können die verstärkten Versuche,
Teile der sunnitischen Gemeinschaft als auch des Widerstands auf ihre Seite zu
ziehen, interpretiert werden. Als Teil dieser Strategie könnte auch die
Freilassung vieler politischer Gefangener, auch Ihre eigene Freilassung,
gesehen werden. Können Sie dieser Interpretation zustimmen?
Kubaysi: Es ist
offensichtlich, dass die USA verzweifelt daran arbeiten, ihren so genannten
politischen Prozess voranzutreiben. Dafür versuchen sie auch Kollaborateure aus
dem sunnitischen Umfeld zu gewinnen. Aber das ist keine neue Strategie.
Übrigens ist das
auch ein Argument, das die Kollaborateure verwenden, um ihre Teilnahme an den Wahlen
zu begründen. Sie behaupten, dass die USA ihren strategischen Ansatz geändert
hätte, und folglich sollten wir die Gelegenheit ergreifen um am so genannten
politischen Prozess teilzunehmen.
Was allerdings an
Euren Überlegungen wirklich falsch ist, ist die Einschätzung des Faktors Iran.
Es gibt keinen richtigen Konflikt zwischen den USA und dem Iran. Das ist nur
Maskerade, denn sie sind sich sehr einig in Hinblick auf ein gemeinsames Ziel –
der Irak als arabische Nation soll vernichtet werden. Da gibt es keine
Unterschiede mehr in der iranischen Fraktion, zwischen den so genannten
Gemäßigten und den Radikalen. Die USA könnten ohne die Hilfe des Iran nicht im
Irak bleiben. In diesem Sinne sprechen wir auch von der iranischen Besatzung.
Frage: Es gibt
hartnäckige Gerüchte über Verhandlungen zwischen den USA und dem Widerstand.
Ist an ihnen etwas Wahres dran?
Kubaysi: Soviel
ich weiß, haben sich die Hauptfraktionen des Widerstands dafür entschieden zum
jetzigen Zeitpunkt keine Verhandlungen zu führen. Ich kann also solche
Verhandlungen kategorisch ausschließen. Wenn es Einzelpersonen gibt, die
Verhandlungen mit den Besatzern aufnehmen, dann haben sie keinerlei Vollmacht
im Namen des Widerstands zu sprechen.
Was jedoch stimmt
ist, dass die USA solche Verluste erleiden müssen, dass sie sich so schnell als
möglich auf ihre militärischen Stützpunkte, die sie im ganzen Land errichtet
haben, zurückziehen wollen. Sie möchten in ihren Stützpunkten bleiben, wo sie
hoffen, nicht täglich angegriffen zu werden, und gleichzeitig der Welt
verkünden, dass es keine Besatzung mehr gibt.
Das so entstehende
militärische Vakuum möchten sie mit Truppen aus arabischen Ländern wie Saudi Arabien,
Kuwait oder Jordanien auffüllen. Es finden rege diplomatische Tätigkeiten
statt, um arabische Truppen ins Land zu bekommen und so den USA Luft zu
verschaffen. Ich glaube sogar, dass diese Marionettenregimes tun werden, was
die Amerikaner von ihnen verlangen.
Frage: Was können
Sie uns über die politische Front der Widerstandskräfte, für die Sie kämpften
und wofür Sie wahrscheinlich auch von den Amerikanern inhaftiert worden sind,
sagen?
Kubaysi: Letzten
Sommer fand eine Konferenz statt, auf der Patriotische Nationale Islamische
Befreiungsfront des Irak gegründet wurde. Zu dieser Front gehören die Baath
Partei, die Irakische Patriotische Allianz (IPA), die Irakische Kommunistische
Partei (Zentralkommando), die sich in den späten Sechzigerjahren von der
Irakischen Kommunistischen Partei abspaltete, sowie andere politische Gruppen.
Derzeit ist noch
niemand autorisiert die Front in der Öffentlichkeit zu vertreten, schon gar
nicht im Ausland. Was es aber gibt ist ein Aufruf an alle Patrioten, die im
Ausland leben, in den Irak zurück zu
kehren und sich dem Befreiungskampf anzuschließen. Wir wollen keine großen
Worte mehr, wir wollen Taten sehen. Die IPA selbst hat so einen Aufruf an ihre
Mitglieder und Sympathisanten sofort nach dem Beginn der Okkupation gemacht.
Leider kehrten nur wenige zurück, denn die Mehrheit scheint ein ruhiges Leben
fernab vom Kampf vorzuziehen, ein Leben, das sie anfällig für Opportunismus und
Kollaboration macht. Sie rasen von einer Konferenz zur anderen und missbrauchen
den Widerstand für ihre Interessen. Um das zu verhindern, hat die
Widerstandsfront keine Vertreter außerhalb des Landes.
Wir müssen aber
vorsichtig sein. Unter den Widerstandskämpfern gibt es ziemliche Vorbehalte
gegen die politische Bühne insgesamt, weil sie als Austragungsort von persönlichen
Interessen und Korruption gesehen wird. Vielen geht es gar nicht um die Macht
im Staat. Sie wollen nicht die Bauherren eines anderen Regimes sein, das
womöglich wie die gesamte arabische Welt, die sie kennen, durch diplomatische
Beschränkungen wiederum nur die Interessen der USA vertritt. Das ist das
Ergebnis von all den Enttäuschungen, die sie erlebten. Es sind Vorbehalte, die
wir natürlich überwinden werden müssen, aber wir müssen mit ihnen als reale
Tatsache heute umgehen.
Frage: Dieser
Front ist es noch nicht gelungen, die schiitischen Massen zu erreichen. Ist
dabei das Haupthindernis das Erbe, das die Baath Partei als ehemals
staatstragende Partei, mitbringt?
Kubaysi: Wenn wir
es historisch betrachten, dann kann man sagen, dass wir die Amerikaner sicher
besiegen werden, wenn sich Muqtada der Front anschließt. Das würde bedeuten,
dass die amerikanischen Pläne, das Land zu spalten, vereitelt werden würden.
Aber wie ich schon gesagt habe, sind die Bedingungen dafür noch nicht reif. Der
Konflikt innerhalb der schiitischen Bevölkerung muss sich entwickeln, die
erniedrigten Volksmassen müssen sich gegen die pro-iranischen Kräfte auflehnen.
Wir werden sie unterstützen, aber das braucht noch seine Zeit.
Was die Baath
Partei betrifft, gibt es keine solchen Probleme. Jeder weiß, dass die ehemalige
Baath Partei und das Regime nicht mehr existieren und nicht mehr zurückkehren
werden. Eine Gesellschaft ist kein mechanischer Apparat, den man einfach in
seine frühere Position zurückdrehen kann. Der Widerstand der Menschen hier hat alles
verändert. Es findet jetzt eine Revolution statt. Für jeden ist Politik das
Hauptthema, die allgemeine Politisierung ist unübersehbar.
Die Menschen
akzeptieren diejenigen Teile der Baath Partei, die eine besonders herausragende
Rolle im Widerstand spielen. Als sich zum Beispiel die verschiedenen Gruppen
des Widerstands – die islamischen eingeschlossen – trafen, war der Vorsitzende
Izzad al Duri, eine der führenden Persönlichkeiten der Baath Regierung. Niemand
hatte da Einwände. Wenn sich die Menschen aber gegen diejenigen ehemaligen
Baathisten wenden, die mit ihrem vielen Geld das Land verließen, dann haben sie
mehr als Recht.
Was weiters außer
Diskussion steht ist, dass die Regierung eines befreiten Irak sich nur auf eine
breite Basis und nicht auf eine Familie oder einen Clan stützen wird können. Es
sind die Volksmassen, deren Stimme hier zählt und ihre Beteiligung, die sie
anstreben, wird verwirklicht werden. Das ist der Grund warum ich glaube, dass
wir irgendwann eine Befreiungsfront zusammen mit Muqtada al-Sadr und den
verarmten schiitischen Massen, die ihn unterstützen, erreichen werden.
Antiimperialistische Koordination, Ende Jänner 2006
Kommentar: Im obigen Interview diskutiert Kubaysi strategische Probleme des irakischen Befreiungskampfes. Bei zwei Punkten möchten wir jedoch eine andere Sichtweise präsentieren: Erstens glauben wir, dass die Eskalation gegen den Iran real ist und wir gegen die drohende imperialistische Aggression mobilisieren müssen. Zweitens interpretieren wir die Teilnahme der sunnitischen Bevölkerung an den Wahlen im letzten Dezember nicht als Rückschlag für den Widerstand. Die Ergebnisse zeigen tatsächlich große Schwierigkeiten der Besatzer in ihrem sogenannten politischen Prozess.