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Munich – München

28. Februar 2006

Filmkritik

Ein Film von Steven Spielberg; USA 2005;
Länge: 164 Minuten

Olympische Sommerspiele in München im Jahre
1972. Das palästinen…­sische Kommando Schwarzer September stürmt das Olympiadorf
und nimmt elf israelische Sportler als Geiseln, um mit ihnen die Freilassung von
an die 230 politischen Gefangenen zu erzwingen. Die Geiselnahme endet mit dem
Tod der Geiseln, eines deutschen Polizisten und fünf der Geiselnehmer.

Mit diesem
Bezug auf ein historisches Ereignis beginnt der Film, der in den Augen des
Regisseurs so etwas wie „historical fiction�? – also eine subjektiv
wahrgenommene und erzählte Version einer tatsächlichen Gegebenheit – ist. Eine
subjektive, parteiische Version ist er tatsächlich von Anfang an. München 1972
ist die Stunde Null, die den Zuschauer in den Bann eines singulären Ereignisses
zieht, dessen vielschichtige Dimension eindimensional erzählt wird. Es geht
nicht um die Komplexität und schon gar nicht um die Ereignisse, die zu dem
Geiseldrama führten, sondern um die emotionale Einstimmung auf die nächsten
zwei Stunden – um die Jagd eines vom Mossad beauftragten Killerkommandos auf
die vermeintlichen Hintermänner des Schwarzen September. Die Wahl dieses
Blickwinkels auf die Geschichte des Kampfs zwischen dem palästinensischen Volk
und Israel bestimmt die zentrale Aussage des Films, den alle Details
untermauern.

Der Anschlag in München hat also keine Geschichte.
Es kommt kein palästinensisches Volk vor, das 1948 und 1967 zu Hunderttausenden
von seinem Land vertrieben wurde, das seit 1967 – also damals seit fünf Jahren
– unter israelischer Besatzung lebte. Kein Wort davon, dass tausende
Palästinenser in israelischen Gefängnissen gefoltert wurden, dass zur
Bekämpfung des Widerstands – eines legitimen Widerstands gegen Besatzung –
Zivilisten als „Kollateralschäden“ ermordet wurden oder Flüchtlingslager
bombardiert wurden. Die brutalen ersten Jahre der Besatzung waren der direkte
Hintergrund von München 1972. Aber diese Geschichte darf nicht erzählt werden,
damit der zweistündige Rachefeldzug der Israelis menschlich verstanden und
nachvollzogen werden kann.

Die Antwort Israels, die im Film nicht vorkommt,
sind sofortige Luftangriffe auf palästinensische Flüchtlingslager in Syrien und
im Libanon, bei denen über zweihundert Men…­schen – Zivilisten, Flüchtlinge – er…­mordet
wurden. Dieser israelische Ter…­ror hätte wohl die Balance gestört, so
konzentriert sich der Film auf die Jagd nach den vermeintlichen Hintermännern
der Geiselnahme. Der is…­ra…­elische Geheimdienst Mossad beauftragt ein fünfköpfiges Team damit, in Europa
die Hintermänner zu liquidieren. Der Codename der Operation ist „die Rache
Gottes“. Spielberg bezieht sich in seiner historischen Recherche auf das Buch
„Vengeance�? von George Jonas, eines kanadischen Journalisten. Ausgestattet mit
der Liste der Namen der angeblichen Hauptverantwortlichen für München beginnt
die Jagd. Das erste Opfer, Wa’il Zu’yatir, war PLO-Vertreter in Rom, der nichts
mit München zu tun hatte. Weitere Kandidaten auf der Todesliste können nach und
nach abgehakt werden. Irgendwann kommen Avner, dem Leiter des Kommandos,
Zweifel, ob das wirklich auch immer „die Richtigen“ sind. Bei den Zweifeln
bleibt es bei Spielberg. Wenn er es schon sonst nicht so genau wissen wollte,
musste er doch über die breit in der Öffentlichkeit diskutierte Ermordung Ahmed
Bouchikis, eines marokkanischen Kellners in Norwegen, Bescheid gewusst haben.
Das Killerkommando erschoss ihn, weil es ihn mit dem Topkandidaten Ali Hassan
Salameh verwechselte. Nein, diese Aktion hätte auch die Balance gestört und
findet keine Erwähnung.

Abu Daud, ein Organisator des Anschlags in München,
lebt heute in Damaskus und sagt über den Film, dass Spielberg die historische
Wahrheit verdreht. Denn die Legende will es, dass die Verantwortlichen von
München weltweit gejagt und getötet wurden. Heute weiß man, dass Menschen
ermordet wurden, die nichts mit München zu tun hatten. Auf die Frage, ob der
Mossad versuchte, ihn zu töten, weil er der Verantwortliche für die Beschaffung
der Waffen war, antwortet Abu Daud, dass er es nicht wisse. Er lebe jedenfalls
noch. Ali Hassan Salameh wurde schließlich im Januar 1979 in Beirut von einer
Autobombe zerfetzt. Mit ihm starben mehrere unbeteiligte Personen. Laut Abu
Daud hatte Ali Hassan Salameh mit München nichts zu tun, war aber als einer der
engen Vertrauten Arafats Zielscheibe für die Israelis. (Abu Daud in einem
Focus-Interview mit Thomas Scheuer)

Man fragt sich, wie man all die Enthüllungen der
letzten Jahrzehnte ignorieren kann, wenn man den Anspruch hat, sich auf
historische Tatsachen zu berufen. Wie kann man ignorieren, dass es bei der
„Rache Gottes“ hauptsächlich darum ging, möglichst viele PLO-Vertreter zu
vernichten? Man kann es, wenn man mit
seinem Film einen anderen Anspruch verwirklichen will. Heute, wo der „Kampf
gegen den Terror“ alle Mittel legitimieren soll, passt der Film nahtlos ins
Konzept. Am Beginn wird Golda Meir als die gütige, alte Dame porträtiert, die
zur Selbstverteidigung Israels nichts anderes tun konnte, als den Mord an den
israelischen Sportlern zu rächen. Es ist die Golda Meir, die – historisch
belegt – über die Palästinenser sagte: „So etwas wie ein palästinensisches Volk
existiert nicht.“ Sie verfolgte eine dementsprechende Politik. Spielberg setzt
ihre Ideologie im Film um. München hat keine Vorgeschichte, die Palästinenser
sind Terroristen. Zu sagen haben sie im Film wenig. In der englischen Fassung
in den amerikanischen Kinos wird das Wenige, was auf Arabisch gesagt wird,
nicht einmal untertitelt.

Breiten Raum hingegen bekommt das fünfköpfige
israelische Killerteam, um zu vermitteln, dass sie Menschen sind und keine
Killer. Sie haben für Israel ein ungeheuerliches Verbrechen zu sühnen – deshalb
können sie weder Terroristen noch Killer sein. Ausgehend von dieser Prämisse
sehen wir sie essen, lachen, scherzen oder auch später von gewissen Zweifeln
geplagt. Wir haben es mit Menschen zu tun, mit denen man sich identifizieren
kann. Avner ist zudem Vater eines kleinen Babys, nach dem er sich sehnt, das er
nur übers Telefon hören kann. Wir werden Zeugen, wie er darüber in Tränen
ausbricht. Alle Register werden gezogen um Avner, den Killer, nicht als Killer
darzustellen. Als ein Partner seine Zweifel mit den Worten äußert: „Juden tun
nichts Unrechtes, nur weil ihre Feinde etwas Unrechtes tun“, antwortet Avner
vorerst noch: „Wir können es uns nicht leisten, anständig zu sein.“ Am Ende
steigt Avner aus, verlässt Israel und stellt seinem ehemaligen Vorgesetzten die
Frage nach Beweisen für die Schuld der Männer, die umgebracht wurden. Er kommt
zu dem Schluss: „Gäbe es Beweise, hätten wir sie verhaften sollen, so wie
Eichmann.“

Dieser Schluss ändert nichts an der Grundaussage
des Films, nämlich dass Israel im Kampf gegen die „terroristischen
Palästinenser“ jedes Recht hat, Rache zu nehmen. Im Gegenteil – die
unmenschliche Politik bekommt noch menschlichere Züge. Die Schlussszene mit
Avner und seinem Baby auf dem Arm macht die Identifikationsmöglichkeit
vollkommen.

Spielberg hat dem rassistischen zionistischen
Israel einen hervorragenden Dienst erwiesen, darüber hinaus auch noch George
Bush in seinem „Kampf gegen den Terror“.

Schlussbemerkung

Isi Leibler, ehemaliger Vizepräsident des
Jüdischen Weltkongresses, erboste sich über „München“ in der Jerusalem Post:
„Wie konnte ein guter Jude einen Film promoten, der das Recht Israels auf Selbstverteidigung
untergräbt, indem er eine moralische Gleichwertigkeit zwischen
Mossad-Opera…­tionen und terroristischen Mor…­den herstellt?“ Wenn man den Film
gesehen hat, wird man erkennen, dass es gerade um die absolute moralische
Ungleichheit geht und dass Stimmen wie die Leiblers offensichtlich jeden noch
so zarten Hauch an Kritik als Angriff auf ein moralisch absolut über jeden
Zweifel erhabenes Israel sehen. Dennis Ross, ehemaliger Nahost-Gesandter der
USA unter Bill Clinton, der für den Film in der jüdischen Gemeinde in Manhattan
warb, sieht die Sache anders. „Munich�? sei sehr wohl „ein guter Film für die
Juden und für Israel.“ Was Israel betrifft, hat er leider Recht.

Elisabeth Lindner-Riegler

Elisabeth Lindner-Riegler ist Aktivistin
der Antiimperialistischen Koordination in Wien.

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