Hohe Haftstrafen in Belgien für Meinungsdelikte verhängtHeute (1. März) ging im lokalen
Strafgericht der belgischen Stadt Brugges der Prozess gegen 11 der
Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) zugerechneten AktivistInnen
mit hohen Hafturteilen zu Ende.
Die Anklage geht auf ein
Vorkommnis im Jahre 1999 zurück. Damals wurde in der belgischen Stadt
Knokke eine Hausdurchsuchung durchgeführt.
Die belgischen Behörden
bezeichneten das Haus als „Organisationszentrale“, ausgehend davon, dass
verschiedene archivierte Dokumente und andere Materialien gefunden worden
sind.
Die türkischen Behörden üben seit Jahren Druck auf die belgische
Regierung aus, Fehriye Erdal, die sich
damals ebenfalls in der Wohnung befand,
auszuliefern. Die belgischen Behörden entschieden aufgrund starker
Gegenöffentlichkeit und der nicht sicheren Menschenrechtslage gegen eine
Auslieferung.
Jahre später wurden nun 11 Personen, die
entweder bei der Hausdurchsuchung gegenwärtig waren, oder die im Namen eines
legal arbeitenden Informationsbüros in Brüssel eine Pressekonferenz
organisierten, basierend auf das, vergangenen Dezember erlassene
„Anti-Terrorgesetz“ zu hohen Haftstrafen verurteilt. In einer stundenlangen
Rede, wiederholte der Richter immer wieder die Vorwürfe gegen die Organisation.
Zu den Angeklagten gehört auch die deutsche Staatsbürgerin Sükriye
Akar, die sich während der Hausdurchsuchung gerade in der Nähe befand und der
Polizei ihren Ausweis zeigte. Im Fall von Bahar Kimyongür, der zu 4
Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er bei einer Pressekonferenz über eine
Erklärung der Organisation im Zusammenhang mit einem Vorfall in der Türkei
berichtete, äußert sich die Subjektivität der belgischen Justiz.
4 der 11 Angeklagten wurden freigesprochen, M usa Asaoglu zu 6 Jahren,
Kaya Saz, Bahar Kimyongür, Fehriye Erdal und àžükriye Akar zu je 4 Jahren, Zerrin
Sarའund der Generalsekretär der DHKP Dursun Karataà¾, deren Fingerabdrücke sich
laut Polizei in der durchsuchten Wohnung befunden hatten, wurden in ihrer
Abwesenheit zu je 5 Jahren Gefängnis verurteilt.
Darüber hinaus wurde
Musa Asoà°lu zu einer Geldstrafe von 5500, die anderen 6 Angeklagten zu einer
Geldstrafe von je 2478,94 Euro verurteilt.
Die Angeklagten können
innerhalb von zwei Wochen Einspruch gegen das Urteil erheben.
Mit der Behauptung, dass die 7 Personen gefährlich seien und Fluchtgefahr
bestünde, forderte Staatsanwalt Johan Delmule das Hafturteil sofort
umzusetzen. Ihre RechtsanwältInnen erinnerten daran, dass ihre
MandantInnen seit vielen Jahren in Europa leben und arbeiten, und es daher
keinen Anlass für eine Flucht gäbe. Sie hätten dies auch durch ihre Anwesenheit
bei allen Verhandlun gen erwiesen. Der Richter entschied
daraufhin die Verhaftung von Musa Asaoà°lu, Kaya Saz und àžükriye Akar. Sie wurden
in Handschellen in das Gefängnis von Brugge gebracht.
Bahar Kimyongür
wurde aufgrund seines ordentlichen Wohnsitzes in Belgien vorläufig nicht
verhaftet.
Neben vorwiegend belgischer und türkischer Presse und
Fernsehsender, befanden sich etwa 150 BeobachterInnen im Gerichtssaal. Nach
Bekanntgabe des Urteils drückten sie ihre Solidarität mit den Verurteilten aus,
indem lautstark Parolen riefen. Mitunter dröhnten die Parolen „Nieder mit dem
Imperialismus, Es lebe unser Kampf“, „Faschistische Türkei, Kollaborateur
Belgien“ und „Der Name der Hoffnung lautet DHKP-C“ durch den
Gerichtssaal.
Die Angeklagten genossen auch internationale
Solidarität, vor allem aus Italien und Belgien haben mehrere Abgeordnete, der
bekannte Schriftsteller Henri Alleg und politische Organisationen
Unterstützungserklärungen geschickt.
Etwa 15 StudentInnen in Brüssel
nahmen aus Solidarität am Prozess teil. Im Rahmen des Prozesses wurde von einer
Gruppe Lehrkörpern an der Freien Universität zu Brüssel das „Komitee für
Meinungs- und Organisierungsfreiheit“ (Comità© Libertà© d’Expression et
d’Association – CLEA) gegründet. Das Komitee hatte bereits am 23. Februar eine
Konferenz mit dem Titel „Der Kampf gegen den Terrorismus und die Bedrohung
unserer Freiheiten“ organisiert und ist mit einem Transparent zum Prozess
gekommen.
Nach Angaben des Halkin Sesi-TV wurde heute Abend
gegen 19.40 Uhr das DHKC Informationsbüro in Brüssel und der im gleichen Gebäude
befindliche Webnachrichtensender Halkà½n Sesi Tv von der belgischen Polizei
gestürmt.
Lars Huybrechts, der sich als Anti-Terrorchef vom Team 5
vorstellte, erklärte, dass sie nach einer „bestimmten“ Person suchen
würden. Die Razzia dauerte etwa 20 Minut en, auch in der Straße waren
zahlreiche Polizisten positioniert. Aus dem Bürogebäude wurde eine
Videokassette der Sicherheitskamera beschlagnahmt. Von Fehriye Erdal fehlt
derzeit jede Spur.
Sandra Bakutz