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Die Meinungsfreiheit die sie meinen

8. März 2006

Belgien: Bis zu 6 Jahre Haft für die politische
Unterstützung des Freiheitskampfes in der Türkei

Am 28. Februar 2006 wurden politische Aktivisten zu schweren
Strafen verurteilt, von 4 bis zu 6 Jahren Haft. Der Grund: weder ein begangenes
noch geplantesVerbrechen dieser Individuen sondern Mitgliedschaft
beziehungsweise politische Unterstützung für die türkische „Revolutionäre
Befreiungspartei-front“ (DHKP-C), welche in der Schwarzen Liste der EU als eine
terroristische Organisation aufgeführt wird. Diese erschreckenden,
antidemokratischen Urteile wurden möglich durch die drakonischen
„antiterroristischen“ Gesetze, welche im Zuge des US-amerikanischen präemptiven
Terrorkrieges beschlossen worden waren.

In dem politischen Schauprozess in Brugge, Belgien, standen
11 Personen vor Gericht, von denen vier freigesprochen und 7 verurteilt wurden.
Musa Asaoglu wurde zu 6 Jahren verurteilt, Zerrin Sari und der Führer der DHKP,
Dursun Karatas (in Abwesenheit) zu jeweils 5 Jahren, Bahar Kimyongür, Fehriye
Erdal (in Abwesenheit) und Sükriye Akar zu jeweils 4 Jahren. Außer Kimyongür,
der in Belgien seinen ordentlichen Wohnsitz hat, wurden alle die anwesend
waren, sofort in Gewahrsam genommen.

Die entscheidende politische Neuheit hierbei ist, dass das
Urteil sich nicht auf irgendein Vergehen bezieht, das gemäß den traditionellen
bürgerlichen demokratischen Strafgesetzbüchern zu verurteilen wäre. Auch ging
es nicht um die konkrete Beteiligung an militärischen Aktionen gegen den
türkischen Staat bei diesem Prozess (wofür die belgische Gerichtsbarkeit auch
nicht zuständig wäre). Die Grundlage des Urteils war, dass alle schuldig
befunden wurden, Mitglieder in einer von der EU als terroristisch bezeichneten
Organisation zu sein.

Was hier bestraft wurde, ist die Unterstützung mit
politischen Mitteln für eine revolutionäre Organisation in einem anderen Land.
Das ist eine klare Verletzung der grundlegenden demokratischen Rechte auf
Meinungsfreiheit, Redefreiheit und Vereinigungsfreiheit.

Auf der anderen Seite wird hier dem türkischen Staat die
Absolution erteilt, welcher noch immer seiner mehreren Millionen starken
kurdischen Minderheit nicht nur das Recht auf Selbstbestimmung vorenthält
sondern auch grundlegende zivile Rechte rund um die Benutzung ihrer Sprache.
Während – solange es in die geostrategischen Interessen des Westens passt – die
USA schon wesentlich mildere Formen der Unterdrückung als Vorwand für
militärische Interventionen verwendet hat, unterstützten in diesem Fall der
Westen, inklusive der EU, den Krieg gegen das kurdische Streben nach Freiheit.
Außerdem sollte nicht vergessen werden, dass das türkische Regime in einer
ungebrochenen Kontinuität mit dem Militärregime seit dem blutigen Staatsstreich
1980, welcher von der NATO unterstützt worden war, steht. Nicht nur die
kurdischen, sondern auch die türkischen demokratischen, antiimperialistischen
und revolutionären Kräfte wurden damals gezwungen im Untergrund zu arbeiten und
zum bewaffneten Kampf zu greifen. Bis heute befinden sich rund 10.000
politische Gefangene in den Händen der staatlichen Folterer, eine Tatsache die
immer wieder von neuem aufgedeckt wurde, auch von EU-Institutionen.

Das Urteil von Brugge ist ein weiterer Schritt zur
vollständigen Legitimation des türkischen Staats und seiner antidemokratischen
Vergangenheit und Gegenwart, seine Integration in die EU vorbereitend. Sowohl
nach innen als auch nach außen ist das Urteil ein Schritt in Richtung von
etwas, das man „Guantanamisierung“ nennen könnte.

Das betrifft vor allem den Fall von Feriye Erdal. Vor
einigen Jahren wurde sie freigesprochen von der Anklage des Terrorismus und die
Auslieferung an die Türkei wurde von eben derselben belgischen Justiz
abgelehnt. Die türkische Presse sah daraufhin rot und der diplomatische Druck
auf Belgien wurde seit damals immer größer. Daher dient die jetzige
Verurteilung von ihr auch dazu, Ankara zufriedenzustellen.

Besonders erstaunlich sind jedoch die Verurteilungen von
Bahar Kimyongür und Sükriye Akar. Beide sind in Europa geboren und sind Inhaber
eines belgischen bzw. deutschen Passes. Kimyongür, als Mitarbeiter des DHKC
Informationsbüros in Brüssel – das von den belgischen Behörden immer toleriert
worden war – wurde angeklagt, die Parteierklärungen übersetzt und verbreitet zu
haben, inklusive jener, in welchen die Verantwortung für bewaffnete Aktionen
übernommen wurde. Damit wird nicht nur offen aktive politische Solidarität für
revolutionäre Befreiungsbewegungen sondern auch einfacher Journalismus
kriminalisiert. Akar, ihrerseits, wurde wegen Mitgliedschaft schuldig
gesprochen, nur weil ihr Besuch in einer konspirativen Wohnung nachgewiesen
werden konnte.

Was den Parteiführer Karatas betrifft, so konnte keine
Verbindung zu der konspirativen Wohnung nachgewiesen werden, in der kleinere
Feuerwaffen und persönliche Dokumente gefunden worden waren, und daher eine
vorherrschende Rolle in dem Amalgam des Staatsanwaltes spielten. Seine
Verurteilung ist ausschließlich politisch, ohne selbst den Versuch etwas
konkretes zu konstruieren. Sie wurde nur ausgesprochen um die Türkei
zufriedenzustellen und einen Haftbefehl zu erlassen.

Diese Verurteilungen sind eine der ersten Anwendungen der
Schwarzen Liste und stehen im Zeichen der Veränderung des legalen Systems im
Sinne des US-Patriot Act. Sie dienen dazu, ein Exempel zu statuieren, indem
antiimperialistischer Aktivismus eingeschüchtert wird. Während Europa das Recht
auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit strapaziert, sobald es um
antiislamische Hexenjagd geht, kriminalisiert es gleichzeitig nicht nur jene,
welche gegen die Tyrannei des kapitalistischen US-Imperiums kämpfen, sondern
selbst jene, welche es einfach nur wagen ihre Stimme gegen die himmelschreiende
Ungerechtigkeit zu erheben. Wir steuern geradewegs auf eine neue McCarthy-Ära zu.
Tatsächlich demokratisiert das Naheverhältnis der Türkei zur EU nicht die
Türkei, sondern bringt türkische Standards der Herrschaft einer
Militäroligarchie nach Europa. Das sollte die Alarmglocken in demokratisch
eingestellten Leuten zum Schrillen bringen, welche wir dazu auffordern, gegen
die Urteile und die damit zusammenhängenden politischen und legalen
Rahmenbedingungen, symbolisiert durch Guantanamo, zu protestieren.

Freiheit für die 7 von Brugge!

Weg mit der Schwarzen Liste und den antidemokratischen
Terrorgesetzen!

Antiimperialistisches Lager

2. März 2006

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