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„Wir fordern die Abschaffung des Ausnahmezustandes“

25. März 2006

Interview mit Ali Abdel
Fattah, Sprecher der Moslemischen Brüder in Alexandria und einer der Hauptorganisatoren
der Kairo-Konferenz

F: Was sind heute die Prioritäten der
Moslemischen Brüder nach dem Einzug ins Parlament vergangenen Dezember?

A: Eine unserer Prioritäten ist die
Verabschiedung einer Reihe von Gesetzen, die die Armut und die Korruption
bekämpfen. Wir brauchen Gesetze, die diese Schlucht zwischen Arm und Reich verkleinern,
denn wir sehen, wie die Reichen reicher und Armen ärmer werden. Ich möchte
daran erinnern, dass 28 Prozent der Ägypter von nur einer Mahlzeit am Tag
leben. Zweitens werden wir für Gesetze kämpfen, die dem Volk Meinungsfreiheit
garantieren. Die Unabhängigkeit des Justizsystems, die Verteidigung der Bürger
gegen die Überschreitungen des Regimes, wie Folter, willkürliche Verhaftungen
und Internierung in Straflager. Als erstes fordern wir die Abschaffung des
Ausnahmezustandes und wir werden auch weitere Aktivitäten und Demonstrationen
gegen diesen Ausnahmezustand zustande bringen.

F: Das heißt, dass ihre Schwerpunkte mehr
auf sozialer und politischer Ebene liegen, als auf religiöser?

A: In erster Linie geht es darum den Bürger
zu befreien, damit wir aktive Bürger mit Mitbestimmungsrecht haben, die für
sich selbst entscheiden können, was das Beste für sie ist.

F: Wie sind die Beziehungen zwischen ihrer
Organisation und den anderen Parteien und Organisationen in Ägypten?

A: Es gibt mehrere Bewegungen für eine
wirkliche nationale Unabhängigkeit bzw. für Reform und Veränderung, an denen
wir teilnehmen. Es gibt die Nationale Koalition, in der die Moslemischen Brüder,
die Wafd-Partei, die Arbeitspartei, einige linke Gruppierungen und einige
unabhängige Personen Mitglieder sind. Ebenso gibt es die Nationale Front für
Reform und Veränderung, an der wir auch teilnehmen.

F: Hat euer Eintritt ins Parlament eure
Strategie verändert? Ziehen sie jetzt die parlamentarischen Aktivitäten vor,
oder bleiben sie nach wie vor auf der Straße aktiv?

A: Natürlich bleiben wir auf der Straße
aktiv, denn unsere Präsenz im Parlament ist nur eine Verkörperung der
Reformforderung der Öffentlichkeit. Nur deswegen erhalten wir die Unterstützung
der Massen und das ist die Hauptsache. Wer die Straße verlässt, verzichtet auch
auf die Reformen.

F: In Ägypten gibt es immer noch das Verbot
von religiösen Parteien. Sind die Parlamentarier der islamischen Strömung im
Parlament als eine parlamentarische Fraktion oder als Unabhängige vertreten?

A: Offiziell sind wir als Unabhängige im
Parlament, aber gleichzeitig schaffen wir einen fait accompli. Der Vorsitzende
unserer Parlamentsfraktion spricht als Vorsitzender der Fraktion der
Moslemischen Brüder. Wir betonen wiederholt den Namen, damit wir ihn als einen
fait accompli durchsetzen: Wir sind da, wir sind eine Fraktion und keine Einzelpersonen.
Wir vertreten einen Teil der Massen und diese haben das Recht sich politisch auszudrücken.

F: Mubarak bereitet systematisch die
Übergabe der Macht an seinen Sohn vor. Stellt euer Wahlerfolg für ihn eine
tatsächliche Hürde dar oder glauben sie, dass er ungestört weitermachen kann
wie bisher?

A: Es ist ein Kampf zwischen dem Willen des
Volkes und dem des Regimes. Das Volk lehnt die Vererbung der Macht ab und das Regime
setzt alles daran, eben dies durchzusetzen und dem Volk einen Schritt voraus zu
sein. Die kommende Zeit wird zeigen, welcher von beiden gewinnen wird. Das Volk
und die gebildete Elite konnten sich auf ein gemeinsames Ziel einigen. Wir
werden Schritt für Schritt arbeiten, um die Machtvererbung zu verhindern.

F: Was ist die Position der ägyptischen
Moslemischen Brüder zur Allianz der Moslemischen Brüder Syriens mit dem
Dissidenten Abdel Halim Khaddam gegen die syrische Regierung, die vom Westen
abgesegnet wurde?

A: Zuerst möchte ich sagen, dass wir uns
nicht mit den Amerikanern treffen. Es gab zwei Treffen, eines zwischen der
syrischen Opposition und den syrischen Moslembrüdern, beim zweiten war Khaddam
dabei. Über das zweite Treffen wurde in den Medien viel berichtet. Es waren
keine direkten Treffen mit Khaddam alleine und es waren keine Amerikaner anwesend.
Es war also kein Treffen nur mit Khaddam, sondern mit der Opposition und
Khaddam, es gibt den Beschluss bei den Moslemischen Brüdern, sich nicht alleine
mit ihm zu treffen.

F: Auch wenn diese Oppositionskoalition dem
westlichen Druck auf Syrien zuträglich ist?

A: Es ist traurig, dass uns die arabischen
Regimes vor zwei Optionen stellen, die beide bitter sind. Entweder Tyrannei
oder Besatzung. Wir lehnen jedenfalls eine Befreiung durch die Panzer von
Besatzern ab. Diese werden uns nicht die Freiheit bringen, denn diese wollen
uns eher unterwerfen. Was auf Kosten der Heimat geht, werden wir unterlassen.

F: Im Westen gibt es den Eindruck, dass die
Moslemischen Brüder nach ihrem Eintritt ins Parlament auch das Camp David
Abkommen mit Israel akzeptieren würden. Was sagen Sie dazu?

A: Primär geht es uns darum dem Volkswillen
Ausdruck zu verleihen. Wir werden dieses Abkommen einer Volksabstimmung
unterziehen.

 

Kairo, 24. März 2006

Doris Höflmayer und Mohamed Aburous

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