Absterben
des Staates durch die Staatsmacht?
Die klassische
Philosophie und die Revolutionäre des 17. und 18. Jahrhunderts sahen im
demokratischen Staat jene Institution, die den souveränen Volkswillen zum
Ausdruck bringen und das gesellschaftliche Leben nach ethischen Prinzipien
steuern werde. Die Marxisten waren skeptisch, denn sie erkannten im Staat das
Instrument der Herrschaft der ökonomisch dominanten Klassen. Aus diesem
Zusammenhang dachten sie an die langfristige Möglichkeit seines Absterbens,
sobald die Gesellschaft von der Ausbeutung der kapitalistischen
Produktionsweise befreit sei. Als letzter Schritt zu diesem Ziel sei jedoch die
Staatsmacht der unterdrückten Klassen nötig, um den Übergang zu einem klassen-
und herrschaftslosen Zustand zu bewerkstelligen. Noch Lenin setzte kurz vor dem
Oktoberaufstand in seiner Schrift „Staat und Revolution“ auf diese Idee einer
revolutionären Staatsmacht, die mit ihrer Etablierung bereits ihr eigenes
Verschwinden einleiten werde.
Die Geschichte nahm
jedoch einen anderen Verlauf, die revolutionären Staaten verfestigten sich,
führten in ihrem Versuch die Gesellschaft von den „blinden Gesetzen des
Marktes“ zu befreien zu einem riesigen Verwaltungsapparat mit wachsenden
bürokratischen Auswüchsen. War die Idee vom „absterbenden Kommunestaat“ eine
Utopie? Oder widerspricht das Konzept des Kampfes um die Staatsmacht
grundsätzlich dem Ziel der freien Gesellschaft, wie es die anarchistische
Theorie behauptet?
Das Seminar setzt sich
das Ziel, an diese Frage insofern pragmatisch heranzugehen, als einerseits das
Ziel einer umfassend demokratisierten Gesellschaft – ohne von der Gesellschaft
abgesonderte staatliche Institutionen – für Revolutionäre ein Wesenselement
bleibt. Andererseits führten jene Ideen der gesellschaftlichen Umgestaltung,
die nicht auf das Instrument eines sozialistischen Staatsapparates setzen, der
die Mittel hat, diese Veränderung der politisch-ökonomischen Strukturen
durchzusetzen, meist zu „Small-is-beautiful“ Rückzügen, die sich mit partiellen
selbstverwalteten Freiräumen begnügen, während die Gesellschaft ihren alten
Lauf weiterführt. Es geht also darum, die bisherigen Erfahrungen revolutionärer
Staaten kritisch auszuwerten, um Mittel zu finden, der Bürokratisierung und
Überzentralisierung einer zukünftigen neuen (sozialistischen) Staatsmacht entgegenzuwirken
und diese mit wachsender direkt-demokratischen Elementen zunehmend aufzuheben.
Neben der Lektüre des
Lenin’schen „Traumstaates“ und seiner historischen Begründungen, soll insbesondere
der Frage nach dem Übergang von einer revolutionären gesellschaftlichen
Mobilisierung in einen neuen sozialistischen „Normalzustand“ des
gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Mittel zur Befähigung zur
Selbstregierung aus der Sicht des Hegemoniekonzeptes von Gramsci nachgegangen
werden.
Marx: Die Kommune von
Paris – Konzept eines künftigen Staates oder Ausnahmezustand der Geschichte?
Text: Der Bürgerkrieg
in Frankreich
Lenin: Staat und
Revolution – Ohne Staatsmacht keine Revolution? Wie werden Bauer und Hausfrau
zum Präsidenten?
Gramsci: Hegemonie und
Ausnahmezustand – Was sind die Instrumente staatlicher Kontrolle im
Kapitalismus und können sie konzeptionell für Ideen zur radikalen
Demokratisierung der Gesellschaft genutzt werden?
Text: Harald Neubert –
Antonio Gramsci – Staat, Zivilgesellschaft und Partei. Eine Einführung.
VSA-Verlag.