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„Wir erlauben der Hamas zu regieren und sich zu beweisen“

28. April 2006

Interview mit Sultan Abu Alaynen


Sultan Abu Alaynen ist Sekretär der P.L.O., Factions Command and Fatah movement
im Libanon. Das Interview führte Thomas Kukovec.

Kukovec: Sehr
geehrter Herr General Sultan Abu Alaynen,
Sie sind als Sekretär der P.L.O. der ranghöchste Vertreter der
Palästinenser im Libanon, außerdem oberster Befehlshaber der Fatah-Bewegung und
deren Miliz. Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die libanesische Innenpolitik,
auf amerikanischen Druck hin, mit dem Thema der Entwaffnung der Hisbollah und
auch der Palästinenser-Milizen im Libanon. Warum sollen Ihnen Ihre Waffen
abgenommen werden und wie stehen Sie dazu?

Sultan Abu Alaynen: Die Libanesen möchten die Waffen in unseren Lagern kontrollieren, geben
uns aber andererseits keine Rechte als Bürger im Libanon. Wir sind nicht bereit
unsere Waffen, die wir zu unserem persönlichen Schutz haben, abzugeben, wenn
wir keine Rechte als Flüchtlinge oder Bürger im Libanon genießen können. Diese
Waffen sind also mehr politische Waffen, als Waffen des Kampfes.

Kukovec: Sie leben
im Flüchtlingslager Rashidieh, das sich südlich von Tyre, im Südlibanon
befindet, umstellt und schwer bewacht von der libanesischen Armee, infiltriert
von Geheimdiensten der Syrer, Israelis und Libanesen. Auf libanesischem Boden
sind Sie zum Tode verurteilt. Warum?

SAA: Ich wurde
politisch zum Tode verurteilt. Das war vor acht Jahren. Mir wird vorgeworfen
eine bewaffnete Miliz zu führen. Aber ich bin nur der Führer der Fatah-Bewegung
im Libanon, die in der P.L.O. und von der Arabischen Liga voll und ganz
akzeptiert ist. Die Frage ist eine politische: Bin ich ein Terrorist, oder ein
arabischer Führer? Das ist eine Intrige, um die Fatah zu schwächen, um der
Fatah unter den restlichen Palästinensern Sympathiewerte zu entziehen. Sie (die
Libanesen und Syrer) möchten uns (die Fatah-Bewegung) dadurch bekämpfen, aber
es gelingt ihnen nicht, im Gegenteil, wir werden immer stärker. Das ganze ging
eigentlich von den Syrern aus, die im Libanon, auch nach dem Abzug, noch immer
sehr stark sind! Die Syrer wollen, dass andere palästinensische Organisationen
im Libanon das Sagen haben (PFLP GC)*.

Kukovec: Hat sich
für Sie, Ihre Bewegung und die Palästinenser allgemein nach dem Abzug der Syrer
etwas verändert?

SAA: Der syrische
Geheimdienst hat mir ein Angebot gemacht, mich nicht zu töten, wenn ich mit der
syrischen Politik konform gehe. Ich bliebe aber offiziell immer noch zum Tode
verurteilt. Ich habe aber abgelehnt. Ich werde für mein Recht kämpfen. Und um
meine Begnadigung. Sie werden sehen, die libanesische Regierung wird jetzt,
nach dem Abzug der Syrer, aufhören mich zu verfolgen, weil ich unschuldig bin.
Ich bin kein Terrorist, sondern ein politischer Führer in einer von der P.L.O.
und der arabischen Liga akzeptierten arabischen Bewegung. Ich werde ins Gericht
gehen und bereit sein meinem Schicksal ins Gesicht zu schauen. Neun Anschläge
habe ich überlebt! Davon waren einige Attentäter Israelis, vor allem aber waren
es Syrer und auch Palästinenser, die von Syrien unterstützten Fraktionen
geschickt wurden.

Die Entwaffnung der Milizen, wie es die UN in
Resolution 1559 festgelegt hat, kann nicht stattfinden, solange die Resolution
149 (Rückkehrrecht) nicht erfüllt ist. Warum sollen wir unseren Teil erfüllen,
wenn die UN ihren Teil nicht erfüllt? Die Resolution149 besagt, dass Israel und
Palästina, also beide Staaten existieren sollen. Warum wurde aber nur die
Hälfte erfüllt? Und zwar nur der Staat Israel?

Kukovec: Die Hamas
hat die Wahlen gewonnen. Wie sehen Sie das? Was hat sich für die Fatah
verändert?

SAA: Die Fatah ist
seit vierzig Jahren aktiv. Israel hat jedes Übereinkommen mit uns seitdem
abgelehnt. Wir haben viel Arbeit geleistet, aber die Israelis haben all unsere
Arbeit zerstört. Deshalb haben viele palästinensische Bürger nie wirklich
gesehen, was wir geleistet haben. Das hat die Palästinenser natürlich
enttäuscht. Das hat die Leute dann in die Arme der Hamas getrieben. Die Hamas
hat aber nur geredet und Selbstmordattentate verübt, aber noch keine politische
Arbeit geleistet. Es ist leicht über Misserfolge der Fatah zu schimpfen, wenn
man selbst noch nichts gemacht hat. Jetzt habe sie die Chance zu beweisen, dass
ihre Wort nicht nur Worte waren. Es ist ein Leichtes zu reden, wenn man nichts
vorzuweisen hat.

Hier im Libanon kann man unsere Arbeit aber
sehen. Hier wurde von den Israelis nicht so viel zerstört, wie in Palästina
selbst. Hier im Libanon sind wir daher noch immer die weitaus stärkste
Fraktion.

Israel hat die Wahlen eigentlich gewonnen!
Statt sich auf eine Friedensdebatte zu einigen, konnten sie durch den Wahlsieg
der Hamas die Debatte in eine andere Richtung führen.

Wenn wir zurückblicken, hatte Arafat bei Camp
David keine Chance. Die USA und Israel waren quasi eine Partei. Die USA waren
kein neutraler Vermittler! Fatah hatte also nie wirklich Chancen etwas zu
verändern.

Kukovec: Aber in
den europäischen Medien wurde der Wahlverlust der Fatah damit begründet, dass die Fatah schon ein so korruptes
Netzwerk hatte, dass die palästinensischen Bürger kein Vertrauen mehr zur Fatah
hatten und deshalb….

SAA: …Sehen sie:
Die europäischen Medien möchten gerne ein Bild der „bösen“ und „korrupten“
Araber darstellen.

Arafat wurde getötet, weil er der einzige war,
der bei den Palästinensern als Führer akzeptiert war. Israel möchte keinen
Frieden. Der Abzug aus Gaza war nur eine Ausrede, um den Rest des besetzten
Landes zu behalten.

Ich wünsche Hamas viel Glück. Wir werden dem
Wunsch der USA nicht nachkommen, die Hamas zu boykottieren. Wir erlauben der
Hamas zu regieren und sich zu beweisen. Die Amerikaner wollten Demokratie im
Nahen Osten und dann können sie mit demokratischen Entscheidungen nicht
umgehen.

Wir (Fatah) sind jetzt in der Opposition und
werden konstruktiv sein. Wir können nun sehen, ob Hamas was verändern kann,
oder ob sie nur Bomben werfen kann. Ob sie sich den Wahlsieg erbombt haben,
oder wirklich verdient haben?

Die Hamas akzeptiert Israel nicht, wir tun es
aber. Deshalb wird sich zeigen, ob wir einen Konsens finden oder ob es zu einem
internen Konflikt kommen wird. Möchte Hamas alle Milizen zu einer einheitlichen
Armee vereinigen oder das Chaos bestehen lassen? Wir (PLO) glauben, dass das
nicht geht und lehnen es sogar ab die Hamas zu entwaffnen. Wir entwaffnen
unsere Milizen solange nicht, solange wir keinen eigenen Staat haben. Eine
reguläre Armee kann es nur geben, wenn wir einen regulären Staat haben. Das ist
eine offene Frage…

Kukovec: Vielen
Dank für das Gespräch.

* PFLP –
GC: Popular Front for the Liberation of Palestine – General Command /
Volksfront
zur Befreiung Palästinas – General Kommando.
(Anmerkung des Interviewers)

Thomas Kukovec ist Student und freier
Photojournalist (www.thomaskukovec.com
, www.lightstalkers.org/thomaskukovec
)

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