Konferenz der Juden, Christen, Muslime für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser
Am 19. Juni, am Tag vor der Ankunft des US-Kriegspräsidenten Bush in Wien, fand am Stephansplatz eine außergewöhnliche Friedenskundgebung statt. Rabbiner, Erzbischöfe und Imame sprachen sich gegen den amerikanischen Krieg, gegen Besatzung und für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, insbesondere des palästinensischen und irakischen, aus. Sie verurteilten Israel und den Zionismus als die wirkliche Ursache des Nahostkonfliktes.
Der Oberrabbiner der Orthodoxen Antizionistischen Gemeinde Englands, Aron Leib Cohen, bezeichnete den Zionismus als dem wirklichen Judentum fremd, das keinen Staatsgedanken enthalte. Israel missachte die jüdischen religiösen Gebote der Toleranz und Achtung den anderen gegenüber. Der Zionismus masse sich an seine
Verbrechen an den Palästinensern im Namen aller Juden zu begehen und schade damit dem wirklichen Judentum, dessen Anhänger vor der Gründung Israels brüderlich unter muslimischen und christlichen Arabern lebten.
Hana Athala, Erzbischof der Griechisch-Orthodoxen Kirche von Jerusalem, der ob seiner mutigen Haltung schon öfters in israelische Haft genommen wurde, betonte, dass Frieden nur auf der Basis von Gerechtigkeit möglich sei und forderte daher die Gewährung des Rechts der Palästinenser auf Selbstbestimmung.
Die religiösen Würdenträger zogen in der Folge gemeinsam zum Ballhausplatz, wo dem Büro von Bundeskanzler Schüssel eine Petition übergeben wurde.
Am 16 Uhr begann im Grand Hotel am Kärntner Ring die interreligiöse Friedenskonferenz aller drei Jerusalemer Religionen.
Die Hauptrede hielt Oberrabbiner Cohen, der nachwies, dass das wirkliche religiöse Judentum mit dem zionistischen Nationalismus nichts zu tun habe. Antizionismus sei daher keineswegs Antisemitismus, wie es heute unterstellt würde, sondern sogar Pflicht eines jeden gläubigen Juden. Der klassische zu verurteilende Antisemitismus sei bereits am Abklingen, während der moderne gegen Israel gerichtete Antizionismus berechtigt sei. Dass allenthalben Elemente aus dem alten antisemitischen Repertoire entlehnt würden, sei, so Cohen, Schuld Israels, das für sich unberechtigterweise die Alleinvertretung der Juden in Anspruch nehme und so den Hass auf Juden unbewusst und bewusst schüre. Dieser diene ihnen wiederum als Argument für die Immigration nach Israel.
Für die jüdische Seite sprachen weiters Rabbiner Chaim Tzvi Freimann, Sprecher der Bewegung Nurei Karta, aus New York und Rabbiner Jakob Weisz von der Satmar-Gemeinde in London.
Für die christliche Seite traten Hana Athala sowie der Erzbischof der Armenisch-Apostolischen Kirche von Wien, Mesrob Krikorian, auf, der die Ähnlichkeit des jüdischen und armenischen Schicksals in Erinnerung rief und betonte, wie gut die armenischen Christen von den muslimischen Arabern aufgenommen wurden.
Für die Muslime intervenierten Mohamed Said Eitta von der Al-Azhr Universität in Kairo, Abdulla Abu Abdelaziz von der Partei der Jungen Muslime Belgiens (PJM), sowie Mohamed Lanzl, Leiter des Islamischen Bildungs- und Kulturzentrums in Wien. Letzterer sprach die westlichen Doppelstandards an, die ganz aktuell gegenüber dem Iran
hinsichtlich des zivilen Nuklearprogramms ins Spiel gebracht würden, während Israel unbehelligt vom Westen sein atomares Waffenarsenal aufrüste.
Eröffnet hatte die Konferenz der palästinensische Botschafter in Österreich, Zuheir Elwazar. Weitere Beträge kamen von George Nicola, dem Präsidenten der Palästinensischen Gemeinde in Österreich, der palästinensischen Schriftstellerin Hanan Awwad, sowie Willi Langthaler von der Antiimperialistischen Koordination (AIK).
Der Sprecher des Islamischen Dschihad aus Ghaza, Scheich Hussein Abu Iyadeh, richtete per Konferenzschaltung seine Grußbotschaft an die Teilnehmer und forderte alle kritischen Menschen in Europa dazu auf, politische Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu üben, das der Zionismus zu vernichten suchte. Der palästinensische Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, Atef Adwan, der von der österreichischen Außenministerin als persona non grata erklärt worden war, sandte eine Videobotschaft.
Der Organisator der Konferenz, der Oberrabbiner der Antizionistischen Gemeinde von Wien, Moishe Friedman, verlas die Schlusserklärung die zum „Respekt der Anderen in ihrer Andersheit“ aufruft. Politisch wird das im Dokument mit dem Selbstbestimmungsrecht insbesondere des palästinensischen Volkes konkretisiert. Auch das Recht des Iran auf ein friedliches Nuklearprogramm entsprechend des Atomwaffensperrvertrages findet Erwähnung.
Insgesamt bestätigt die interreligiöse Mobilisierung, die von den Antiimperialisten unterstützt wurde, dass die Wurzel des Nahostkonflikts keineswegs der „fanatische, terroristische islamischen Fundamentalismus“ ist, wie der westliche Medienmainstream gerne verbreitet, sondern der westliche Imperialismus. Es ist letzterer der einen Kampf der Kulturen führt, der sich nicht nur gegen den Islam, sondern letztlich auch gegen die arabischen Christen und selbst die orthodoxen Juden richtet, die unter den Arabern friedlich leben wollen, so wie es zwei Jahrtausende problemlos möglich war.
Die einzige dauerhafte und friedliche Lösung des Nahostkonflikts ist ein einziger Staat für Araber sowie die Anhänger aller drei Religionen, Juden, Muslime und Christen, die Jerusalem als ihre heilige Stadt betrachten. Dieser Staat muss sich auf die Souveränität des Volkes stützen und sich von der Beherrschung durch den Imperialismus und Zionismus befreien. Zu dieser Sicht kommen nicht nur die revolutionären Antiimperialisten, sondern eben auch die Religionsvertreter.
Antiimperialistische Koordination
20. Juni 2006