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Buchbesprechung: Antisemitismus als politische Waffe

11. August 2006

Israel, Amerika und der Missbrauch der Geschichte

Ein Buch von Norman G. Finkelstein
Piper Verlag, München 2006, 387 Seiten

In Österreich und Deutschland wurde in den letzten Jahren zunehmend jeder,
der den Terror Israels als Besatzungsmacht gegenüber den Palästinensern, die
Menschenrechtsverletzungen oder den Bau der Apartheidmauer verurteilt und
umgekehrt das legitime Recht der Palästinenser auf nationale Selbstbestimmung
verteidigt hat, des Antisemitismus beschuldigt. Der Antisemitismus-Vorwurf wird
als politische Waffe eingesetzt, um jede Kritik an und Auseinandersetzung um
den zionistischen Staat Israel mundtot zu machen. Mit dieser Thematik setzt
sich Norman G. Finkelstein im ersten Teil seines aktuellen Buches auseinander und
gibt denjenigen eine politische Waffe in die Hand, die sich durch die
Antisemitismuskeule nicht mundtot machen lassen wollen.

Edward Said sagte einmal, dass der palästinensische Kampf deshalb so
schwierig sei, weil die Palästinenser Opfer von Opfern seien. Das ist der
zentrale Ansatzpunkt für Finkelsteins These der Instrumentalisierung des
Holocaust, um das zionistische Projekt mit all seinen Folgen zu rechtfertigen.
Damit beschäftigte er sich schon in seinem Buch „Die Holocaust-Industrie“,
bereichert diese These nun in diesem „mit einer Variante des Holocaust-Trumpfs:
dem „neuen Antisemitismus“. Allerdings sind die Warnungen vor einem neuen
Antisemitismus weder neu noch haben sie etwas mit Antisemitismus zu tun.
Jedesmal, wenn Israel durch internationalen Druck dazu gebracht werden soll,
seine Besatzungspolitik zu beenden, inszenieren diejenigen, die Israel blind
gegen jede Kritik verteidigt sehen wollen, eine weitere, bis ins kleinste
Detail durchkomponierte Oper, die den Zuschauern medienwirksam die erschrecklichen
Ausmaße des weltweiten Antisemitismus vor Augen führen soll.“ (S. 45 f.)

Das Konstrukt des „neuen Antisemitismus“ wurde nach dem Oktoberkrieg 1973
von Forster und Epstein in ihrem Buch „The New Anti-Semitism“ auf den Punkt
gebracht. Überlegungen oder gar Forderungen, Israel sollte sich aus dem Sinai
zurückziehen und diplomatische Wege mit den Palästinensern suchen, wurden als
„Feindseligkeiten“, die das „Herzstück des neuen Antisemitismus“ seien,
interpretiert. Dieser wiederum speist sich laut Forster und Epstein aus der
Tatsache, dass die Welt Juden nur solange dulde, als sie Opfer seien. „Wenn
sich die Situation dahingehend verändert, dass sie nicht länger Opfer sind
(oder es zumindest den Anschein hat, als seien sie es nicht mehr), nimmt die
nicht-jüdische Welt daran dermaßen Anstoß, dass sie anfängt, die Juden erneut
zu Opfern zu machen.“(S. 58) Interessanterweise ging dieses „neue
Antisemitismus-Gespenst“ in den Siebzigerjahren gar nicht so sehr in Europa,
sondern in den USA um, laut Forster und Epstein ausgehend von der „radikalen
Linken“ (einschließlich religiöser Gruppen) – also von allen, die berechtigte
Kritik und Besorgnis über die Aggressionspolitik Israels äußerten.

Während für Forster und Epstein die radikale Linke noch „eine mindestens
ebenso große Gefahr für die Juden in aller Welt wie die Gefahr von rechts“ (S.
61) darstellten, wurde 1982 in „The Real Anti-Semitism in America“ von Nathan
und Ruth Ann Perlmutter die gemäßigte Linke, bis weit in die politische Mitte
hinein, zur größten Gefahr. Dabei ging
es bei dem neuen „wahren“ Antisemitismus um jedweden Angriff auf jüdische
Interessen, was konkret bedeutete um Israel, denn einen Unterschied zwischen
Zionismus und Judentum gab es bei den „neuen Theoretikern“ nicht. „Dieser Antisemitismus
müsse sich nicht einmal subjektiv gegen
Juden richten – es reiche, dass er ihnen objektiv schade.“ (S. 62) Dazu kommt
die Warnung, dass sich dieser Antisemitismus zum klassischen entwickeln könne,
wenn er nicht in jedweder Form unter Kontrolle gehalten werde.

Wie wenig dieser „neue Antisemitismus“ der Linken mit Antisemitismus zu tun
hat, belegen die Perlmutters selber, die „der christlichen Rechten – die sich
zwar in antijüdischer Bigotterie gefiel, aber „pro“-israelisch eingestellt war
– gegenüber dem liberalen Protestantismus den Vorzug gaben. Letzter war zwar
frei von antijüdischer Bigotterie, galt aber als „anti“-israelisch.“ (S. 67)

Finkelstein setzt sich weiters mit den neuesten Entwicklungen auseinander,
wo auf die Unterscheidung zwischen „wahrem, neuem“ und „klassischem“
Antisemitismus verzichtet wird. Mittlerweile handelt es sich bei Israels
Kritikern einfach nur um klassische Judenhasser. Abraham Foxman, Chef der
Anti-Defamation League, sagt im Jahr 2003: „Wir sehen uns heute mit einer Situation
konfrontiert, in der die Sicherheit des jüdischen Volkes genauso stark bedroht
ist wie in den 1930er Jahren – wenn nicht noch stärker.“ (S. 53) Foxman warnt davor, dass das Überleben des
jüdischen Volkes schon wieder konkret in Gefahr sei. Phylis Chesler führt in
„Der neue Antisemitismus“ aus, dass unter der „gegenwärtigen Belagerung“ nicht
etwa die Palästinenser leiden; „die Opferrolle kommt allein Israel (und Juden)
zu.“(S. 72) Und laut Ruth Wisse, die an der Harvard Universität lehrt, ist „verglichen
mit dem Antisemitismus der Nazis, die arabische Spielart schlimmer.“ (S.102)

Hier wird alles durcheinander gemischt, denn es geht ja nicht um irgendeine
fundierte Analyse sondern lediglich darum, dass Kritik an Israel oder der Kampf
der Palästinenser um ihr Überleben als Anzeichen für die Bedrohung des
Judentums oder der Juden der Welt interpretiert wird. Die Einfachheit des
Musters scheint unglaublich, ist aber auch erschreckend, da sie oft ihre
Wirkung nicht verfehlt.

Die Protestbewegung gegen den Irakkrieg der USA wird beschuldigt, „sie
vertrete einen „Antisemitismus“, von dem man dachte, dass er im Westen längst
nicht mehr existierte.“ (S. 88) Man
rufe sich die Situation vor Augen – der westliche Kreuzzug des amerikanischen
Imperiums ist auf seinem Höhepunkt, Muslime in Europa und den USA werden
verfolgt, Israel festigt im Schatten der globalen Ereignisse seine Stellung in
den besetzten Gebieten!

Weiters bezieht sich Finkelstein auf Alan M. Dershowitz, dessen „Plädoyer
für Israel: Warum die Anklagen gegen Israel aus Vorurteilen bestehen.“, im März
2005 im Europa Verlag deutschsprachig erschienen ist. Er behauptet unter
anderem, dass „der internationale Menschenrechtsschutz und die
Menschenrechtsrhetorik zu wirksamen Waffen geworden sind, die selektiv gegen
Israel eingesetzt werden.“ (S. 89) Folgerichtig verlangt Dershowitz, internationale Gesetze und Konventionen wie
„die Genfer Konvention“ sollten geändert werden, damit zum Beispiel
Kollektivstrafen wie Zerstörung von Dörfern oder gezielte Tötungen mit so
genannten Kollateralschäden als
moralisch durchaus gerechtfertigte Methoden Israels anerkannt werden könnten.
Denn es sollte alles erlaubt sein, wenn es um die Sicherheit Israels gehe.

Um angesichts der Tatsachen – der
rassistische, militärisch hochgerüstete Staat Israel betreibt die Vernichtung
der Palästinenser – trotzdem das Bild der ständigen Bedrohung Israels zu
zeichnen und seine Vorzugsbehandlung
international einzufordern, wird laut Finkelstein einerseits die
Einzigartigkeit und die universelle Bedeutung des jüdischen Schicksals
hervorgehoben. „Alles an den Juden ist einzigartig: der Antisemitismus, der
Holocaust, Israel, die jüdische Nation, das jüdische Volk…“ (S. 109)
Andererseits werden Judentum und
Zionismus völlig gleichgesetzt, damit auch wirklich jede Kritik an Israel mit
der Antisemitismuskeule erschlagen werden kann.

Allen denjenigen, die die hasserfüllten Antisemitismusvorwürfe im
Zusammenhang mit jeder Kritik an Israel oft nicht nachvollziehen können, wird dieses Buch hilfreich sein, um diese
Angriffe zu verstehen. Die Lehrmeister der hiesigen Verteidiger des
Zionismus sind in den USA zu finden,
ausführlich besprochen in Finkelsteins Buch. Der zweite Teil des Buches – eine
detaillierte Besprechung der Menschenrechtsverletzungen Israels in den letzten
Jahren – besticht nicht nur durch seine Genauigkeit und Ausführlichkeit sondern
soll auch als Aufforderung gelesen werden, dem theoretischen ersten Teil
praktische Schritte folgen zu lassen – gegen die Vernichtungspolitik Israels
gegenüber den Palästinensern.

Elisabeth Lindner-Riegler

Elisabeth Lindern-Riegler ist Aktivistin der Antiimperialistischen
Koordination in Wien.

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