Bedenkliche
Entwicklungen beim Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes
Die Gründung des DÖW
im Jahr 1963 kann sicherlich als eine Reaktion auf den österreichischen Umgang
mit der NS-Zeit gesehen werden. Hauptmotivation für die Entstehung dieser
Organisation war der Kampf gegen das Schweigen und Vergessen, gegen den
breiten, von Politik, Wirtschaft und Medien getragenen Konsens, keine
gründliche Diskussion über die Verbrechen des NS-Regimes und ihre gesellschaftlichen
Ursachen sowie kein allzu tiefgehendes Bewusstsein über den Blickwinkel des
Widerstandes und der Opfer aufkommen zu lassen. Im Interesse der
kapitalistischen Kontinuität und des ungestörten Zusammenhaltes und
Fortbestandes der entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen lag es viel
eher, das Thema „NS-Zeit“ weitgehend unter den Tisch zu kehren und zur
Tagesordnung überzugehen.
So war es dann auch
eine von Wissenschaftlern unterstütze Initiative von ehemaligen KZ-Häftlingen,
Widerstandskämpfern und -kämpferinnen und zurückgekehrten Geflüchteten bzw.
Vertriebenen, durch die das DÖW vor über vierzig Jahren ins Leben gerufen wurde
und in weiterer Folge dafür sorgte, dass viele Tonnen an Material über die
NS-Zeit zusammengetragen wurden und zumindest nicht völlig unbeachtet
verstaubten.
Zu einer breiten
Diskussion über die Ursachen des Faschismus ist es freilich nie gekommen, eine
solche wäre auch nicht im Interesse der Eliten gewesen. Stattdessen verstand
man es schon im Zug der in den 1980er Jahren aufkommenden Enttabuisierung der
NS-Zeit, den liberalen Kapitalismus als Erscheinungsbild von Freiheit und
Demokratie, also als Gegenpol zum Faschismus darzustellen – eine Entwicklung,
die sich besonders nach den Jahren 1989-91 (also der Zeit des Zusammenbruchs
der sozialistischen Regime) noch massiv verstärkte. Der Faschismus wurde nicht
als das erklärt, was er war, nämlich die offene Terrorherrschaft des
Kapitalismus und Imperialismus unter Erfindung von Sündenböcken und brutaler
Unterdrückung jeder Opposition. Stattdessen wurde er weitgehend auf
Antisemitismus und Holocaust reduziert und einer politischen und sozialen
Analyse entzogen. Durch die Kollektivschuldthese wird die entscheidende Rolle
der kapitalistischen Eliten ebenso totgeschwiegen wie der Widerstand. Wer
dieses Faschismus-Bild übernimmt, wird nicht nur blind für wesentliche Aspekte
der Vergangenheit, sondern ebenso blind für tatsächliche faschistische Gefahren
der Gegenwart.
Das entstehende
imperialistische Weltreich unter unumschränkter US-amerikanischer Vorherrschaft
und seine vielen großen und kleinen Profiteure (die natürlich keineswegs nur in
den USA sitzen) haben sich angeschickt, jeder Opposition den Garaus zu machen.
Dabei sind Krieg, Folter sowie wirtschaftliche Erpressung und Unterdrückung an
der Tagesordnung. Wer sich nicht unterordnet oder gar dagegen ankämpft, gilt
schnell als Terrorist oder zumindest als Extremist und Terrorunterstützer.
Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei dem politischen Islam zu, da dieser
derzeit die stärkste Mobilisationskraft gegen den westlichen Imperialismus
besitzt. Daneben werden aber antiimperialistische Linke natürlich ebenso
verfolgt – ein Blick auf die amerikanische, von der EU übernommene
„Terrorliste“ genügt.
Hingegen kann man
sagen, dass die imperialistische Hetzpropaganda im Gegensatz zu früher
heutzutage praktisch völlig frei von antisemitischen Momenten ist. Die
Verbreitung der Wahnidee einer „jüdischen Weltverschwörung“ ist für den
Imperialismus nicht mehr von Nutzen. Antiislamismus und Terrorhysterie haben
den Antisemitismus als tragendes Element faschistischer Tendenzen abgelöst.
Umso befremdlicher ist
es, dass heute eine Organisation wie das DÖW, die sich auf das
antifaschistische Erbe beruft, ihre gegenwärtige und künftige Hauptaufgabe ganz
offensichtlich keineswegs darin sieht, mit aller Entschiedenheit gegen
Antiislamismus, Terrorhysterie und Demokratieabbau Stellung zu beziehen.
Stattdessen widmet man sich – stets in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt
und/oder sonstigen Bereichen des Kampfes gegen den Imperialismus – mit Eifer
dem Aufspüren angeblicher „linker AntisemitInnen“, dem Enttarnen von
„Querfronten“ und der Diskreditierung des antiimperialistischen Widerstandes –
bevorzugt in Zeiten, in denen der Imperialismus Kriege führt bzw. plant.
So wusste man die
Antiimperialistische Koordination (AIK) punktgenau in der Zeit, als der
völkerrechtswidrige Angriff der USA auf den Irak unmittelbar bevorstand und der
Widerstand im Westen immer stärker anwuchs, des „Antisemitismus im linken
Gewand“ zu bezichtigen, obwohl im inkriminierten Artikel keine einzige
antisemitische Aussage der AIK angeführt werden konnte und stattdessen
hauptsächlich versucht wurde, die AIK in die Nähe von Gruppen zu rücken, mit
denen sie keinerlei bzw. kaum Kontakt hatte. Israelfeindliche Aussagen von
AIK-Vertretern wurden als „Beweis“ für den Antisemitismus der Gruppe
herangezogen, obwohl einer Organisation wie dem DÖW, das den Anspruch der
Wissenschaftlichkeit erhebt, bekannt sein müsste, dass die AIK immer schon klar
zwischen dem Judentum einerseits und dem Staat Israel andererseits
unterschieden hat. Als sich in weiten Teilen der Linken (inklusive mehrerer
Überlebender und Widerstandskämpfer und -kämpferinnen aus der NS-Zeit) Protest
gegen die Parteinahme des DÖW für Israel regte, erklärte der damalige
wissenschaftliche Leiter des DÖW, Dr. Wolfgang Neugebauer, der Artikel stamme
nicht vom DÖW, sondern von der „Aktion gegen Antisemitismus“, die lediglich
„Untermieterin“ der Internetseite des DÖW sei. Tatsache ist aber, dass der
Artikel eben auf der Seite des DÖW erschienen ist und dass Dr. Neugebauer der
„Aktion gegen Antisemitismus“ selbst angehört.
Die DÖW-Position zum
Palästina-Konflikt lässt sich, geht man nach Dr. Neugebauers Aussagen im Zuge
der damaligen Diskussionen, in etwa folgendermaßen umreißen: Das DÖW sieht es
nicht als seine Aufgabe, Vorgänge im Palästina-Konflikt zu bewerten, es sei
aber in jedem Fall illegtitim und antisemitisch, dem Staat Israel das
Existenzrecht abzusprechen. Auch Kritik an Israel sei antisemitisch, und zwar
dann, wenn an Israel andere Maßstäbe gelegt würden als an andere Staaten. Klar
wurde im Zuge Auseinandersetzung des DÖW mit der antiimperialistischen Linken
daher, dass maßgebliche Personen im DÖW die (von vielen Linken erhobene)
Forderung nach der Ersetzung Israels durch einen demokratischen Staat in ganz
Palästina für alle dort lebenden Menschen als „antisemitisch“ ansehen.
Dass ein Staat, der
durch nichts anderes als Landraub, Massenvertreibungen und Völkermord entstanden
ist und dies alles bis heute weiter betreibt, kein Staat wie jeder andere ist,
liegt eigentlich auf der Hand – sollte man meinen. Nicht so für das DÖW bzw.
seine tonangebenden Mitglieder, die offenbar die Reduktion des
Faschismusbegriffs auf Antisemitismus und Holocaust nachvollzogen haben und
jetzt ihrerseits vorgeben.
Weitere Hetzartikel
(größtenteils gegen die AIK und zumeist verfasst von Herrn Karl Pfeifer, der im
arabisch-israelischen Krieg 1948/49 der zionistischen Terroreinheit „Palmach“
angehörte, auf deren Konto die Vertreibung hunderttausender Palästinenser und
die Zerstörung zahlreicher Dörfer geht) folgten und zogen entsprechende
Gegendarstellungen der AIK nach sich (die das DÖW unbeachtet ließ).
Zur seit Jahren in
Europa und Österreich ansteigenden Feindseligkeit gegenüber Moslems und anderen
Minderheiten, liegen vom DÖW kaum Stellungnahmen vor, zum ebenfalls in ganz
Europa zunehmenden Demokratieabbau im Zuge der Terrorhysterie gar keine. Auch
die antiislamische Hetze der FPÖ im Wiener Wahlkampf 2005 förderte keinerlei
Reaktion des DÖW zutage. Wichtiger ist da offenbar schon „die iranische
Rechtsextremisten-Connection“, ein auf der DÖW-Seite veröffentlichter Artikel
von Anton Maegerle, der zwar tatsächlich einige antisemitisch durchsetzte Solidaritäts-
und Sympathiebekundungen deutscher Rechtsextremer für das iranische Regime
dokumentiert, bei dem es aber dennoch in erster Linie verwundern sollte, dass
er ausgerechnet in einer Zeit publiziert wird, in der das Kriegsgetrommel der
rechtsradikalen US-Administration gegen den Iran zunehmend an Lautstärke
gewinnt.
Freilich bezieht das
DÖW niemals offen Stellung zugunsten der USA, auch greift man bei diesen Themen
offenbar gern auf Artikel zurück, bei denen man gegebenenfalls argumentieren
kann, sie würden ja nicht vom DÖW selbst stammen (sondern seien „nur“ auf
dessen Internetseite veröffentlicht worden…). Dennoch lässt sich anhand des
Inhalts einiger Artikel und vor allem anhand der Zeitpunkte ihrer
Veröffentlichungen (immer dann, wenn Konflikte auf einen Höhepunkt zusteuern)
der naheliegende Schluss ziehen, dass nach Ansicht maßgeblicher Personen im DÖW
ein(e) Antifaschist(in) stets auf Seiten der USA und Israels zu stehen hat.
Das DÖW bezieht,
getarnt unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit und des Antifaschismus,
unmissverständlich Stellung für den Imperialismus, der in Wirklichkeit der
globale Faschismus der Gegenwart ist. Das antifaschistische Erbe wird damit von
einer Organisation, die eigentlich zu seiner Wahrung und Fortführung angetreten
ist, auf schändliche Art verraten. Es bleibt abzuwarten, ob innerhalb des DÖW
noch Kräfte vorhanden sind, die dieser erschreckenden Entwicklung Einhalt
gebieten können, und es bleibt desweiteren abzuwarten, wie weit das DÖW unter
den derzeitigen Umständen seine Funktion als Säulenheilige und maßgebliche
Autorität des Antifaschismus erhalten können wird.
Gunnar Bernhard
Gunnar Bernhard lebt in Wien und ist in der
Solidaritäsbewegung mit Palästina aktiv.