Zwischenbilanz
nach einem Monat Krieg gegen den Libanon
Als Israel am 12. Juli 2006 seine Kriegsmaschinerie gegen den Libanon in Gang setzte, versprach man der Welt, dass alles in kurzer Zeit vorbei sein werde. Einige Tage, maximal ein bis zwei Wochen, würde man benötigen, um die Terroristen von der Hizbullah zu vernichten.
Schon damals warnten wir davor, dass diese neuerliche Aggression zu einem langen, sich über Monate und vielleicht Jahre ziehenden Krieg werden könnte. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels, also knapp einen Monat nach Kriegsbeginn, wird immer klarer, dass Israel sein Kriegsziel noch in keiner Weise erreicht hat und daher seinen Einsatz steigern wird müssen.
Die Frage ist, ob das israelische Regime selbst an den schnellen Sieg glaubte. Einiges deutet darauf hin. Bekanntlich zeichnen die amerikanischen Neokonservativen, die gleichzeitig alle glühende Zionisten sind, als Architekten des präventiven Offensivkrieges verantwortlich. In ihrer Anmaßung von Allmacht wollen sie politische Hegemonie durch Einsatz überlegender militärischer Macht herstellen. Dazu forcieren sie ihre „Revolution der Kriegstechnik“, die alles auf die Luftwaffe setzt. Es kann davon ausgegangen werden, dass ihr dominierender Einfluss auf das US-Regime auch erheblichen Einfluss auf ihren Zwillingsbruder in Israel ausübt.
Nicht nur die Schwierigkeiten, welche die USA mit dem Widerstand im Irak haben, sondern auch der afghanische Widerstand und nun auch der libanesische, zeigen deutlich, dass der Luftkrieg, von den anglosächsischen Medien euphemistisch „air campaign“ genannt, allein nicht zum Ziel führt. Die Misserfolge haben die Offensivtheoretiker daher gerade auch im Militärapparat ordentlich in die Defensive gebracht.
Es kann sich bei der Verkündung eines schnellen Sieges aber auch um einfache Prahlerei und Propaganda, wie sie jeden Krieg begleitet, gehandelt haben. Wie dem auch sei, mittlerweile ist klar, dass Israel mit Bodentruppen zumindest bis zum Litani-Fluss im Südlibanon vorstoßen wird. Die Logik des Krieges kann aber durchaus dazu führen, dass sie den abermals gegen Beirut vordringen werden müssen.
Die westlichen Medien, die sich bekanntlich nicht durch eine Israel-kritische Haltung auszeichnen, räumen durchgängig ein, dass sich die Hizbullah zur standhaften Verteidigung als fähig erwiesen hat.
Dabei spielt der Raketenbeschuss entgegen der öffentlichen Wahrnehmung keine wesentliche militärische Rolle. Dennoch hat er für beide Seiten einen hohen propagandistischen Wert. Für Israel fungieren die Katjuschas als Legitimation des Krieges und gleichzeitig als Messlatte des Erfolges, insofern das Regime seiner Bevölkerung versprochen hat, diesen Beschuss zu unterbinden. Für die Hizbullah und die arabische Seite im Allgemeinen gelten die Raketen als Vergeltung für das permanente Massaker in Palästina, das aufgrund der Disproportionalität der Kräfte ungesühnt bleiben würde. In diesem Krieg gelten die Raketen aber auch als Lebenszeichen der Hizbullah. Sollten sie verstummen, so wird dies wohl als Anfang vom Ende der Hizbullah ausgelegt werden.
Wesentlich ist hingegen, dass die Hizbullah jeden einzelnen Ort, jeden einzelnen strategischen Punkt im umkämpften Gebiet in heftigen und für beide Seiten oft verlustreichen Gefechten verteidigt. Das geht im Übrigen weit über eine klassische Guerillastrategie hinaus, die ja keine territoriale Verteidigung kennt, sondern von Überraschungsangriffen und schnellem Rückzug lebt. Die Hizbullah kombiniert beides. So ist der israelische Vormarsch äußerst zäh und langsam. Und selbst in bereits als eingenommen geltenden Orten wurden Hinterhalte vorbereitet, die den Besatzern hinter der Front Probleme machen und Kräfte binden.
Es ist kaum abzusehen, ob – und wenn ja, wann – die israelische Armee die Zone südlich des Litani-Flusses unter ihre Kontrolle bringen wird können. So wie es scheint konnte bis jetzt nur ein Bruchteil des Territoriums in Beschlag genommen werden.
Andererseits dürfen von der Hizbullah keine Wunder erwartet werden. So gut sie verteilt, versteckt und eingegraben sein mag, die permanenten Bombardements der israelischen Luftwaffe können nicht anders als nach und nach Wirkung zeitigen. Obwohl sich die Topographie des umkämpften Gebietes durchaus für den Guerillakrieg eignet, handelt es sich doch um ein kleines Territorium, unvergleichlich mit dem Irak, geschweige denn mit dem riesigen Afghanistan. Des Weiteren zielen die israelischen Luftangriffe darauf ab, die Zivilbevölkerung zu vertreiben und damit der Hizbullah das Wasser, in dem sie schwimmt, die Unterstützung aus dem Volk, abzugraben. Drittens kann angenommen werden, dass der Nachschub sowohl an Waffen als auch an Lebensmitteln und medizinischer Versorgung zunehmend schwierig wird.
Früher oder später wird die Hizbullah die befestigten Positionen in den Städten und Orten aufgeben und zur mobilen Guerillataktik übergehen müssen. Die Partisanen werden über kurz oder lang gezwungen sein, die territoriale Kontrolle dem überlegenen Feind zu übergeben.
Das bedeutet jedoch nicht notwendigerweise die Niederlage der Hizbullah. Je länger sie die Invasoren aufhält, sie bindet, ihnen Verluste zufügt, desto mehr kann sie ihr Prestige verteidigen und sogar noch heben. Der Zulauf neuer Rekruten wird so gesichert. Daneben verfügt sie noch über Positionen unmittelbar nördlich des Litani, in Beirut und in der Bekaa. Je mehr Territorium die Besatzer sichern müssen, je weiter sie ihre Kräfte ausstrecken müssen, umso mehr werden sie für die Guerilla verwundbar, wie dies bereits vor dem israelischen Abzug 2000 der Fall war.
Entscheidend ist nicht, wie viel Territorium Israel besetzen kann. Die Zionisten selbst wissen übrigens sehr gut, welche Probleme das mit sich bringt und werden wohl versuchen, das besetzte Gebiet so klein als möglich zu halten. In Afghanistan und selbst im Irak zielen die Besatzer auch nicht mehr auf die Kontrolle des gesamten Gebiets ab. Letztendlich geht es darum, ob die Hizbullah als politisch-militärische Organisation in der Substanz erhalten bleibt, den Kampf weiterführen und den Besatzern das Leben schwer machen kann. Die Chancen dazu sind zumindest gegeben.
Auch wenn heute niemand davon sprechen will, in letzter Konsequenz kann Israel sein Kriegsziel, die Vernichtung oder zumindest substanzielle Schwächung der Hizbullah, nur erreichen, wenn seine Truppen bis nach Beirut vordringen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten sind aber überwältigend, so dass dies nicht anders als als abenteuerlich eingestuft werden kann. Nicht nur, dass das historische Vorbild als gescheitert betrachtet werden muss. Heute sind die Bedingungen dafür noch ungünstiger. Eine sich in die Länge ziehende Aggression gegen den Libanon würde den Widerstand nicht nur im Libanon entfachen. Die ganze, von schwelenden Konflikten zerrissene Region könnte in Brand gesteckt werden.
Israel fordert ultimativ von seinen westlichen Verbündeten Truppen in den Südlibanon zu entsenden und damit die zionistische Besatzung abzulösen. Das stellt für Tel Aviv die Bedingung für einen Waffenstillstand dar.
Wenn die westlichen Regierungen davon sprechen, dass eine Einigung in Sicht sei, so sind das nichts als billige Lügen zur Beruhigung der Öffentlichkeit. Von einer Einigung kann keine Rede sein. Im Gegenteil, die Differenzen sind dank der Stärke des libanesischen Widerstands größer als je zuvor.
Die USA selbst haben es angesichts ihres Mehrfrontenkrieges abgelehnt für Israel die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen. Frankreich – mit seiner Scheinopposition zu den USA und als ehemalige Kolonialmacht des Libanon – wird von Washington diese Rolle zugedacht. Doch noch weniger als die USA ist Frankreich bereit Israel in einem Krieg zu Hilfe zu eilen, den es nur schwer gewinnen kann.
Daher fordert Frankreich und andere eventuell beteiligte Mächte zuerst einen Waffenstillstand und dann erst die Entsendung der Truppe. So wollen sie verhindern mit der Hizbullah zusammenzustoßen. Sie wären also bereit einen von Israel mit Gewalt hergestellten fait accompli zu sichern, aber nicht ihn selbst mittels Fortsetzung des Krieges herzustellen.
Hinzu kommt der innerlibanesische Faktor. Die prowestlichen Kräfte um die Siniora-Regierung können nicht anderes, als sich die Verteidigung der Nation auf ihre Fahnen zu schreiben. Solange die israelische Aggression andauert, sind sie von der Hizbullah abhängig. Solange die Hizbullah wiederum den Widerstand erfolgreich aufrechterhält, steigt ihr politisches Gewicht anstatt zu sinken, wie es Israel und der Westen wünschen. Eine diplomatische Lösung unter Einbindung des libanesischen Establishments liegt also in weiter Ferne.
Die Frage wird letztlich am Schlachtfeld entschieden. Und alles was nicht ein expliziter Sieg Israels ist, gereicht der Hizbullah zum Erfolg.
Die Antiimperialisten stehen nicht nur vorbehaltlos auf der Seite der Hizbullah und lehnen jede Entwaffnung ab. Sie müssen sich auch klar gegen jede internationale Truppe aussprechen, die letztlich – in mehr oder weniger offener Form – den Interessen Israels dient. Nur die Mobilisierung des libanesischen Volkes, die Volksbewaffnung, kann die nationale Souveränität sichern. Die Hizbullah ist Ausdruck davon.
Willi Langthaler
8. August 2006
Willi Langthaler ist Aktivist der Antiimperialistischen Koordination in Wien.