Die Verhaftung von Ahmed Saadat
Wir haben Ahmad Sa’dat an einem sengend heißen Nachmittag im August 2005 in Jericho getroffen, im palästinensischen Gefängnis zwischen Palmen und Wüste, in dem er eingeschlossen war. Gaza war nur wenige Tage zuvor „befreit“ worden und ein Gefühl von überraschter Aufregung erfüllte auch diesen Ort neben unserer Ungläubigkeit, dass dieses Zusammentreffen tatsächlich möglich geworden war.
Im März 2006 stürmt die israelische Armee in einer schnellen und äußerst telegenen Aktion, unterstützt von Hubschraubern, Panzern und Bull…dozern das Gefängnis von Jericho, tötet zwei palästinensische Wach…offiziere, verletzt mehr als zwanzig Personen und nimmt sechs unbewaffnete Männer fest, unter ihnen Ahmad Sa’dat. Bevor diese sich ergeben, befehlen die israelischen Soldaten den Häftlingen und Polizisten sich auszuziehen – aufgrund der Gefahr von versteckten Bomben. Das alles vor laufender Kamera.
Ahmad Sa’dat ist Generalsekre…tär der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas), seit Jänner 2006 gewählter Abgeordneter zum palästinensi…schen Legislativrat. Die säkulare, mar…xis…tische Partei PFLP zeichnet sich innerhalb der politischen Arena der besetzten Gebiete durch ihre linke oppositionelle Haltung sowohl gegen…über der palästinensischen Autonomiebehörde und der bislang regierenden Partei Fatah als auch gegenüber der Hamas aus.
Sa’dat wurde in Jericho inhaftiert, weil er der Beteiligung am Mordanschlag auf den der extremen Rechten zuzuordnenden israelischen Tourismusminister Rehavam Ze’evi aus dem Jahr 2001 angeklagt ist. Dieser Anschlag galt seinerseits als Vergeltung für die Ermordung von Abu Ali Mustafa, damals Generalsekretär der PFLP. Mustafa wurde in seinem Büro in Ramallah von einem Raketentreffer getötet. Er war nur zwei Jahre zuvor, nach dreißig Jahren im libanesischen Exil, in die besetzten Gebiete zurückgekehrt. Bis heute wurde kein Israeli für diese Straftat verurteilt oder inhaftiert. Auch die internationale Gemeinschaft hat ihrerseits nie interveniert, damit die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden. Ze’evi war als Minister der Sharon-Regierung glühender Verfechter der „Transfer-Lösung“, der Aussiedlung aller Palästinenser aus Palästina – ein Projekt der tatsächlichen ethnischen Säuberung zur Lösung des arabisch-israelische Konflikts.
Die drei Männer, die an dem Anschlag auf Ze’evi beteiligt waren, und Sa’dat waren in Jericho aufgrund eines Abkommens inhaftiert, das die palästinensische Regierung während der Militäroffensive des Jahres 2002 im belagerten Hauptquartier Arafats, der Muqata’a in Ramallah, mit Israel und mit Unterstützung der USA und Großbritanniens unterzeichnet hatte. Die Übereinkunft sah – im Austausch gegen die Lockerung des Belagerungszustands – vor, dass Sa’dat und die anderen Angeklagten in einem palästinensischen Gefängnis unter palästinensischer Bewachung inhaftiert werden, das selbe Gefängnis jedoch unter ständiger Aufsicht durch britische und US-amerikanische Beobachter stehen sollte. Bereits im Jahr 2002 hat das palästinensische Höchstgericht die Freilassung von Sa’dat angeordnet.
Von palästinensischen, israelischen und internationalen Beobachtern wird der Überfall auf das Gefängnis von Jericho als Propagandaakt interpretiert, der in erster Linie den Wahlinteressen von Ehud Olmert dienen sollte. Hingewiesen werden muss jedoch auch die Komplizenschaft der britischen und US-amerikanischen Beobachter, die ihren Beobachterposten an jenem Tag verlassen hatten um den israelischen Truppen das Feld zu überlassen. Mahmud Abbas stellte fest, dass er einen allgemeinen Hinweis darauf erhalten hätte, dass die Beobachter in naher Zukunft von ihren jeweiligen Regierungen abgezogen werden könnten.
Diese perfekte zeitliche Abstimmung kann kaum als zufällig angesehen werden. Auf Grundlage der ab…lehnenden Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem demokratischen Wahlsieg der Hamas-Regierung fühlt sich Israel legitimiert seine Politik des unilateralen Bruchs von Übereinkünften fortzusetzen. Die Erstürmung des Gefängnisses von Jericho ist ein weitere Bestätigung dieser Politik, während die Verpflichtung zur Einhaltung solcher Übereinkünfte nur auf Seiten der Palästinenser reklamiert wird. Diese Aktion weist erneut darauf hin, dass Israel nur mit Gewalt in der Lage ist die Illegalität der Besatzung der palästinensischen Gebiete aufrecht zu erhalten und zu erweitern, während die internationale Gemeinschaft schweigt.
Beatrice Dacli
Juni 2006