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Nein zu westlichen Truppen im Libanon!

31. August 2006

Nur der
Widerstand des libanesischen Volkes selbst kann die nationale Souveränität des
Zedernlandes sichern

Der Einsatz
europäischer Truppen im Libanon wird gemeinhin als Friedensmission bezeichnet.
Die führenden Nationen stellen sich als Schlichter zwischen den Streitparteien
dar. Das UN-Mandat garantiere, dass nicht einseitige Machtinteressen, sondern
der Interessensausgleich mit friedlichen, diplomatischen Mitteln obwalte.

Dieses von
Politik und Medien suggerierte Bild hat indes recht wenig mit der Realität zu
tun. Es sieht völlig von der Gewalt des Zusammenstoßes und der
Unversöhnlichkeit der Interessen in der Region ab. Israel versuchte mittels
massiven Bombenterrors aus der Luft die schiitische Unterstützerbasis der
Hisbollah einzuschüchtern und zu bestrafen. Gleichzeitig sollten die anderen
konfessionellen Gruppen gegen den Widerstand aufgebracht werden. Beides
misslang kräftig. Am Schlachtfeld im Süden konnte die israelische Armee gegen
die Hisbollah nichts ausrichten und musste sich mit schmachvollen Verlusten
zurückziehen. Von Freund und Feind wird dies als Sieg der Hisbollah gewertet,
der nicht nur ihre Basis stärkt, sondern auch jene politisch-konfessionellen
Kräfte, die gegen die Hisbollah stehen, weiter in die Defensive drängt. Israel
mag mit einer Neuauflage des Bürgerkrieges geliebäugelt haben, doch dieser
wurde doch den Sieg der Hisbollah hintangehalten. Wenn nicht einmal Israel den
Widerstand besiegen kann, wie sollen es dann die inneren proimperialistischen
Kräfte können?

Die
internationalen Truppen sollen nun diplomatisch-defensiv zumindest teilweise
das durchführen, was Israel militärisch-offensiv nicht gelang. Es geht um die
Entwaffnung der Hisbollah oder zumindest um die Abschnürung des Waffennachschubs.
Der französische Vorstoß, Truppen entlang der gesamten Grenze zu Syrien
stationieren zu wollen, schlägt genau in diese Kerbe. Jedenfalls werden die USA
und Israel die internationale Truppe immer wieder in diese Richtung drängen.

Die europäischen Truppen
werden sicher nicht versuchen die Hisbollah offensiv zu entwaffnen. Dazu sind
sie gar nicht fähig, denn das würde die Fortsetzung des Krieges auf
unmittelbarer zionistischer Linie bedeuten. Im Gegenteil, man wird versuchen
einen mehr oder weniger offenen Nichtangriffspakt zu schließen, der die
Sicherheit der Truppen gewährleisten soll. Die Hisbollah hat ihrerseits darin
schon eingewilligt. Vielmehr wird man versuchen mit den Truppen den notwendigen
politischen Druck auszuüben, um die libanesische Elite zu stärken und sie zu
befähigen die Hisbollah zurückzudrängen. Auch die antisyrische und
antiiranische Kampagne soll angefacht werden.

Es darf nicht
vergessen werden, dass Israel das Luft- und Seeembargo gegen den Libanon bis
auf weiteres aufrecht hält. Unter dem Titel des Kampfes gegen den Terror behält
es sich das Recht vor, immer wieder Kommandoaktionen gegen die Hisbollah und
gezielte Morde an ihren Führungskräften durchzuführen. Dabei werden ihnen die
europäischen Truppen als Puffer oder Schutzschild dienen, der sie vor
Vergeltung bewahren soll. So kann Israel Konflikte zwischen den fremden
Besatzungstruppen und der Hisbollah provozieren. Es kann die Konstellation
eintreten, wo dies Israel ins Kalkül passt.

Nicht für die
Entwaffnung, sondern für die „Nationalisierung“ der Hisbollah

Man muss
unbedingt mit der US-israelischen Darstellung der Hisbollah als
Terrororganisation aufräumen, die leider nicht nur von den Massenmedien
reproduziert wird, sondern vom Gutteil der historischen Linken und traditionellen
Friedensbewegung. Die gängige pejorativ konotierte Bezeichnung
„Radikalislamisten“ sagt nicht nur nichts über ihr reales Programm aus, sondern
soll die Sicht darauf verstellen, dass sich die Hisbollah – wie auch die Hamas
– als Widerstandsorganisationen gegen die zionistische Besatzung konstituiert
haben.

Erstens muss
immer der absichtlich verschleierte Kontext der zwei Jahrzehnte israelischer
Besatzung hergestellt werden. Die Entstehung der Hisbollah ist zu aller erst
Folge und Reaktion auf diese. Über die israelische Invasion war der
libanesische Staat zerfallen. Teile der maronitischen Rechten gingen sogar ein
strategisches Bündnis mit dem Zionismus mit dem Ziel der Schaffung eines
christlichen Separatstaates am Mount Lebanon ein. Die Linke war durch die
syrische Intervention als überkonfessionelles Bündnis zerschlagen worden. Die
sunnitische Handelsbourgeoisie blieb in Lähmung erstarrt. So ergriff die sozial
benachteiligte und im Staat unterrepräsentierte schiitische Bevölkerung, die
die Hauptlast der Besatzung zu tragen hatte, selbst die Initiative. Erschien
die Hisbollah anfangs als eine doktrinäre proiranische Kleingruppe, gelang es ihr sehr schnell sich an den vorgefundenen
politisch-sozialen Humus anzupassen und zu jener zutiefst im Volk verankerten
Massenorganisation zu werden, die sie heute ist.

Zweitens ist da
die Palästinafrage, die auch im Libanon nicht nur wegen der Hunderttausenden
palästinensischen Flüchtlinge eine wichtige Rolle spielt. Die maronitische
Rechte hatte die Palästinenser in Sabra und Schattila unter Beihilfe der
Israelis zu Tausenden massakriert. Dieses Verbrechen steht symbolisch für die
Behandlung der Palästinenser durch die libanesische Elite. Das stand im
Einklang mit einem der wesentlichen Kriegsziele Israels im Libanon, namentlich den
vom Westjordanland, nach Jordanien und später in den Libanon vertriebenen palästinensischen
Widerstand zu vernichten. Dies gelang 1982 mit dem erzwungenen Abzug der PLO
nach Tunesien. Doch die Besatzung Palästinas und das Flüchtlingsproblem bleiben
akut, insbesondere auch für den Libanon. Die Hisbollah spricht das Problem
richtig an und beharrt darauf, dass die Lösung nur in Palästina selbst liegen
kann, nämlich mit dem Selbstbestimmungs- und Rückkehrrecht für die
Palästinenser.

Drittens ist die
Hisbollah eine Wohlfahrtsorganisation, die Sozial-, Bildungs- und
Kultureinrichtungen unterhält, wie sie der liberalistisch-kapitalistische
libanesische Staat den Armen einfach nicht bieten will. In dieser Hinsicht kann
sie mit der europäischen Sozialdemokratie in deren ersten Jahrzehnten
verglichen werden. Beeindruckend sind auch die Hilfs- und
Wiederaufbauleistungen nach den israelischen Luftangriffen, die von einer
eigenen Baubrigade, dem „Dschihad des Wiederaufbaus“, durchgeführt werden. Durch
die kapillare Organisation der Hisbollah haben selbst milliardenschwere
Hilfsorganisationen wie jene der Hariri-Familie oder das Rote Kreuz, die
jeweils auch politischen Einfluss gegen die Hisbollah auszuüben versuchen, das
Nachsehen, denn sie sind einfach zu langsam und zu wenig mit der Bevölkerung
verbunden. Ganz zu schweigen vom libanesischen Staat, der nur zuschauen kann.

Die historische
Linke Europas sprach früher davon, die Arbeiterklasse oder auch das Volk an die
Macht bringen zu wollen – und zwar in Überwindung des kapitalistischen Staates.
In Form der Hisbollah existiert im Libanon eine Situation der Doppelmacht, wie
es im marxistischen Jargon genannt wurde. Die schiitischen Unter- und
Mittelschichten verfügen über eine selbständige politische Organisation
unabhängig vom kapitalistisch-proimperialistischen Staat, die aus dem antiimperialistischen
Kampfes hervorgeht. Dies bestätigt sehr deutlich die alte marxistische Annahme,
dass nur die Volksmassen selbst sich vom Imperialismus befreien können und
nicht die mit dem Imperialismus verstrickten lokalen kapitalistischen Eliten.

Doch plötzlich
spricht die europäische Linke abwertend vom Staat im Staat, von der
Notwendigkeit der Entwaffnung der Hisbollah und ruft sogar nach westlichen
Truppen. Von Volksmacht ist da keine Rede mehr. Als Vorwand wird der
konfessionell-religiöse Charakter der Hisbollah genommen, der den
emanzipatorischen Zielen widerspreche. Im besten Fall handelt es sich um
Dogmatismus, der geblendet von der Form den Inhalt nicht sieht. Aber in der
Substanz steht dahinter die Unterstützung für den zionistischen Kolonialismus,
denn letztlich geht es der westlichen Linken um den Schutz Israels. Die alte
„zivilisatorische Mission“ des Imperialismus wird selbstmitleidig als Sühne für
den Holocaust dargestellt, wobei gar nicht mehr auffällt, dass nicht Europa ein
Opfer bringt, sondern jemand anders, nämlich die Araber, auf die Schlachtbank
geführt wird. Doch diese seien ja ohnehin mörderische Barbaren, die einer
archaisch-unzivilisierten Religion anhängen, wie man an der Hisbollah sehen
könne.

Problem des
Konfessionalismus

Der
schiitisch-konfessionelle Charakter der Hisbollah ist unbestritten und stellt
auch für sie selbst ein strategisches Problem dar, denn nur ein gutes Drittel
der Libanesen sind Schiiten und global gesehen nur ein sehr kleiner Bruchteil
aller Araber, geschweige denn Muslime sind Anhänger dieser Interpretation des
Islam. Er setzt einem antiimperialistischen Bündnis, das die Mehrheit umfassen
und die Grundlage eines neuen Staates bilden könnte, eine schwer überwindliche
Grenze.

Doch die
historischen Umstände haben bewirkt, dass der Widerstand diese Form angenommen
hat. Das hat zuerst damit zutun, dass der Imperialismus den Konfessionalismus
als Herrschaftsinstrument einsetzte. Es war die alte Kolonialmacht Frankreich,
die ihre Herrschaft auf die Maroniten stützte und sie so privilegierte, dass
sie auch nach der formalen Entkolonisierung Paris die Treue halten würden. Und
der Zionismus selbst legitimiert sich selbst über die Religion. Zu guter letzt
haben die USA höchst selbst dem Islam den Kreuzzug erklärt. Sie führen ihren
Krieg also als einen kulturell-religiösen. Da nimmt es nicht Wunder, dass die
unterdrückten Massen und ihr Widerstand darauf reagieren und auf ihr kulturell-religiöses
Erbe zur Identitätsstiftung zurückgreifen. Das um so mehr als der säkulare,
nationalistische und marxistische Weg als praktisch gescheitert erscheint.

Das bedeutet
gleichzeitig jedoch nicht, dass die Hisbollah nicht versuchen würde ein sich über
die Konfessionen erstreckenden Bündnis zu bilden. Spektakulär beweist das der
Pakt mit dem Maronitenführer Exgeneral Michel Aoun, der vermutlich die
einflussreichste Figur seiner Konfessionsgruppe ist. Fragen über seine Motivation
sind sicher berechtigt. Mit Sicherheit kann angenommen werden, dass sein
Ausscheren aus der traditionellen maronitischen proimperialistischen Linie mit
der Zurückdrängung der Maroniten aus dem Staatsapparat überhaupt und der
Machtbeteiligung der anderen maronitischen Faktionen, die mit der dominanten
sunnitischen Hariri-Gruppe unter einer Decke stecken, zu tun hat. Doch
grundlegend bleibt, dass Aoun als Ergebnis des Bürgerkriegs akzeptiert hat,
dass ein christlicher Separatstaat an der Seite Israels nicht möglich ist. So
wird Aouns Auftreten für die nationale Souveränität des Libanons auf der Seite
der Hisbollah verständlich. Die unterschiedliche Haltung zu Syrien wurde durch
den Abzug der Damaszener Truppen als Hindernis aus dem Weg geräumt.

Ziel muss
letztlich ein überkonfessionelles antiimperialistisches Bündnis sein, das die
alte kapitalistisch-proimperialistische sunnitisch-maronitische Elite von der
Macht vertreibt und durch die Demokratie des Volks, durch die Volksmacht,
ersetzt. Das erfordert gleichzeitig Maßnahmen hin zur sozialen Gerechtigkeit,
zur Enteignung der kapitalistischen Oligarchie und zur Kontrolle des neuen
Staates über die zentralen Industrie-, Handels-, und Finanzunternehmen. Statt
die Hisbollah zu entwaffnen muss sie zum Kern der bewaffneten Macht des neuen
Staates werden und Schritt für Schritt ihren beschränkten konfessionellen
Charakter überwinden.

Hisbollah
unterstützen und damit konfessionelle Logik durchbrechen

Gern wird im
europäischen Mainstream von den überlegenen westlichen Werten schwadroniert,
die Demokratie, Freiheit und allenthalben auch Frieden enthielten. Wieder und
wieder haben wir diese als Vorwand für westliche und insbesondere amerikanische
Hegemonialinteressen denunziert. Was Israel und die USA betrifft, so kommt
deren diesbezügliche Glaubwürdig in Europa schon ordentlich ins Schwanken. Doch
was Europa selbst betrifft, so versteht es sich tief in die Masse der
Bevölkerung unerschütterlich als Hort der überlegenen Zivilisation.

Wem Demokratie,
Frieden und soziale Gerechtigkeit ein ehrliches Anliegen ist, der muss
konsequenterweise die Hisbollah unterstützen. Denn die Hisbollah ist eine
soziale Befreiungsorganisation. Ihr Gefangensein in der konfessionellen Logik
ist vor allem dem Kulturkrieg des Westens selbst geschuldet, der ja ebenfalls
konfessionalistisch ist, denn der europäische Säkularismus ist mittlerweile
selbst zu einer Glaubensgemeinschaft degeneriert.

In der
Mobilisierung der Hisbollah stecken die alten Ideen von Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit drinnen. (Natürlich nicht rein, aber wo gab es das schon?) Man
muss ihr die Hand entgegenstrecken, dass sie sich in ihrem universalen Moment
entfalten können. Denn der Krieg der Kulturen hat den Westen als einheitlichen
imperialistischen Block zur Voraussetzung, so wie es sich den
arabisch-islamischen Massen zumindest seit 1989/91 darstellt. Bricht der Block
auf, so lassen sich wieder gemeinsame suprakulturelle Interessen und Werte
formulieren.

Doch darf nicht
Unmögliches erwartet werden, denn ein solcher Prozess ist langwierig und mit
Konflikten übersäht. Im Libanon darf nicht zur Bedingung gemacht werden, dass
sich alle Konfessionen gleichermaßen beteiligen, denn ihre Kultur und ihre
politischen Interessen wurden in einem langen historischen Prozess geformt. So
stehen die Maroniten seit einem Jahrtausend im politischen Bündnis mit Rom und
dem Westen und haben da und dort auch den heute symbolisch so oft bemühten Kreuzzüge
tatsächlich historisch unterstützt. Auch die wirtschaftlich privilegierte Rolle
der Sunniten hat ihr übriges zur Haltung der Konfessionsgruppe bis hinunter zu
den Armen getan. Zuletzt wurden sie von der Familie Hariri gekauft, doch auch
zuvor lies die Handelsbourgeoisie ihren Reichtum in ihrer Konfessionsgruppe
hinunter diffundierten und schuf so Konsens. Natürlich gibt es in allen
Bereichen auch antiimperialistische Gegenkräfte verschiedenster Art, an denen
man ansetzen kann.

Alles hängt
letztlich von einer signifikanten Unterstützung aus dem Westen ab. Solange die
nicht vorhanden ist, wäre es für die Hisbollah und andere islamische
Widerstandskräfte politischer Selbstmord auf die mobilisatorische Kraft der
religiös-kulturellen Identität zu verzichten.

Willi Langthaler

Wien, 30. August
2006

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