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September-Prozesse in Belgien

31. August 2006

Prozesstermin & Veranstaltung
Für die Verteidigung der Freien Meinung
und
das Recht auf Widerstand gegen die
Unterdrückung

Gegen „SCHWARZE
LISTEN“
und
„ANTI-TERRORGESETZE“

 

September-Prozess in Belgien

 

Der 11. September
steht nicht nur für die Anschläge auf das „World Trade Center“ in New York im
Jahr 2001. Am 11. September 2006 findet auch das Revisionsverfahren um die
Ereignisse in Knokke, Belgien, der spektakulärste „Anti-Terror“-Prozess gegen
die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)
statt.

 

Der Prozess handelt
um die Beschlagnahme von Waffen, gefälschte Dokumente am 26. September 1999, und
die angebliche Mitgliedschaft in einer „terroristischen
Organisation“.

 

Genau 7 Jahre später
wird nun gegen 11 Personen aus der Türkei, darunter bekannte linke
AktivistInnen, ein Prozess geführt. Die Anklage lautet: Mitgliedschaft in einer
kriminellen Vereinigung, während zwei Personen nach dem neuen belgischen
Anti-Terrorgesetz auch die Mitgliedschaft in einer „terroristischen
Organisation“ vorgeworfen wird. Auf den ersten Blick scheint der Fall eindeutig
zu sein, bei genauerem Hinsehen kommen aber andere Facetten des „US global war
against terrorism“ zum Vorschein.

 

Es fängt bereits
damit an, dass der Prozess von einem Ausnahmegericht ausgetragen wurde. Der
Richter, Freddy Troch ist eine höchst umstrittene Persönlichkeit; vor 10 Jahren
verletzte er den Datenschutz, indem er der türkischen Regierung die Daten
Oppositioneller zuspielte. Als Generalbundesanwalt wurde kein geringerer als
Johan Delmulle eingesetzt. Er ließ bereits vor dem Prozess verlauten, er werde
ein „Exempel statuieren“.

 

Was diesen Prozess
zu einem wahren Medienspektakel machte, war eine der Mitangeklagten: Fehriye
Erdal. Sie arbeitete im Istanbuler Sabanci-Center. Die Familie Sabanci zählt
zu einer der reichsten und mächtigsten Familien der Türkei, die dort das
wirtschaftliche und politische Geschehen bestimmen. Im Januar 1996 wurde Özdemir
Sabanci bei einem Angriff, zu dem sich eine Guerilla-Einheit der DHKC bekannte,
im Sabanci Center getötet.

 

Ohne jeden Beweis
wurde Fehriye Erdal beschuldigt an diesem Mord beteiligt gewesen zu sein, nur
weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort arbeitete und einmal bei einer
Studentendemo festgenommen wurde. Die offizielle Anklage gegen Fehriye Erdal
lautete: nach Artikel 146/1 im türkischen Strafgesetz „Versuch die Verfassung zu
stürzen“.

 

Gegen Fehriye Erdal
wurde wahrlich eine Hetzjagd gemacht. Wie die türkischen Medien ungeniert
berichteten, wurden Killerkommandos auf sie angesetzt. Aus diesem Grund ist sie
untergetaucht, bis sie im September 1999 verhaftet wurde.

 

Ihre Beteiligung
sorgte dafür, dass die Türkei den belgischen Staat unter Dauerbeschuss nahm. Mal
mit Vorwürfen, mal mit juristischen Mitteln. Dabei wandte sie durchaus
Zuckerbrot und Peitsche an. Das Zuckerbrot sind weitreichende wirtschaftliche
Abkommen zwischen der Türkei und Belgien. Somit hat Belgien die Justiz so
zurechtgebogen wie es die Türkei gebraucht hat. Natürlich ist es nicht möglich,
dass ein Staat in einem anderen Staat Mitankläger ist. Doch Freddy Troch erwies
der Türkei einen weiteren Gefallen und ließ ihr alle Prozessakten völlig legal
zukommen.

 

Die Verteidigung
erläuterte auch eingehend, warum die DHKP-C in der Türkei (und ausschließlich in
der Türkei) einen Kampf austrägt: Weil der türkische Staat foltert, mordet,
exekutiert, Dörfer verbrennt, Massaker verübt. An dieser Stelle möchten wir an
die Massaker in Sivas, Gazi und Ümraniye in den ’90ern, an die zahlreichen
Blutbäder in den Gefängnissen, wie etwa im September 1999 in Ulucanlar/Ankara,
das Massaker vom 19. Dezember 2000, in 20 Gefängnissen des Landes, und die
fortwährende Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung.

Der Anwalt der
Türkei stritt die ganzen Verbrechen an der Menschheit auch überhaupt nicht ab,
indem er sagte: „Wir hatten unsere Gründe dafür…“ Dieses Geständnis hatte
keinerlei Folgen für die Türkei. Schließlich ist sie ja ein Kandidat der
EU-Mitgliedschaft… Das Gespann Delmulle-Troch leistete, um den Wünschen der
Türkei zu entsprechen, ganze Arbeit. Die Richter verurteilten 7 der Angeklagten,
5 wegen Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“, eine wegen
Mitgliedschaft in einer „terroristischen Organisation“ und einen der Angeklagten
wegen beidem.

 

Die Definition des
„Terrors“ im neuen belgischen Anti-Terrorgesetz ist dermaßen flexibel und
ungenau formuliert, dass Staaten freie Hand haben. Sie basiert auf den
Kader-Beschluss der Europäischen Kommission im Jahr 2001, als Konsequenz auf die
Anschläge gegen die Zwillingstürme. Teil dieses Beschlusses war u.a. eine Liste
sogenannter „terroristischer Organisationen, bekannt als „Schwarze Listen“. Der
Beschluss und die Auswahl der in die Liste aufzunehmenden politischen und
militärischen Organisationen wurden im geheimen getroffen, ohne Diskussion und
ohne den betroffenen Organisationen die Möglichkeit zu bieten, dagegen Einspruch
zu erheben.

 

Die DHKP-C ist in
Belgien bis zum Urteil im Februar niemals als terroristische Organisation
eingestuft worden. Und 1999 gab es, abgesehen von der Liste des US- State
Departments keine solche „Schwarze Liste“.

 

Doch die belgischen
Behörden bedienen sich dieser flexiblen juristischen Waffe genannt
„Anti-Terrorgesetz“, und machen daraus einen politischen
Prozess.

 

Tatsächlich dient
dieser Prozess dazu, die Ideologie und die Ziele der DHKP-C zu
verurteilen.

 

Schon die Sympathie
für diese revolutionäre Bewegung wird als „Terrorismus“ ausgelegt und kann zu
jahrelangen Gefängnisstrafen führen.

 

Genau so war es bei
Bahar Kimyongür. Bahar Kimyongür wurde in Belgien geboren. Er ist ein
Akademiker-Archäologe. Während seiner Grabungen in der Türkei ist er Zeuge des
Staatsterrors in der Türkei geworden… Seitdem setzt er sich für Demokratie und
Menschenrechte in der Türkei ein. Er hat noch nie in seinem Leben Gewalt
angewandt. Er hat eine Pressekonferenz zum NATO-Gipfel in Istanbul veranstaltet
und dagegen demonstriert. Außerdem hatte er sich zweimal im Fernsehen geäußert:
Einmal zu einem Vorfall 1991 und einmal zu einer versehentlich explodierten
Bombe in Istanbul.

Das war Grund genug,
ihn zur Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen. Die
phantastischen Anti-Terrorgesetze machten es möglich. Er hatte mit der ganzen
Sache in Knokke-Heist nichts zu tun. Genau wie eine andere Verurteilte, die sich
seit dem 28. Februar 2006 in Haft befindet: Sükriye Akar.

 

Sükriye Akar ist
eine politische Aktivistin, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen und für
die Umsetzung demokratischer Rechte in der Türkei einsetzt. Ihr Steckenpferd
sind politische Gefangene. Ihr Mann befindet sich seit 2001 in einem der berühmt
berüchtigten F-Typ Gefängnisse in der Türkei. Sie führte zahlreiche Gespräche
mit Abgeordneten des EU-Parlaments durch. Der Türkei, die eine reine Weste
braucht für den Eintritt in die EU, muss sie ein Dorn im Auge gewesen sein. Kein
Problem für Belgien: Man schaffte sie beiseite.

Sie
hatte nichts mit den Waffen, den gefälschten Dokumenten und Daten in Knokke,
oder mit irgendeiner Gewaltaktion zu tun. Sie wird keinerlei Strafakt
beschuldigt, sondern lediglich ihrer angeblichen Präsenz in diesem Haus. Im
Moment befindet sie sich unter Isolationsbedingungen im Gefängnis von
Brugge.

Das ist aber noch
längst nicht alles. Delmulle’s eigentlicher Geniestreich besteht darin, dass er
alle Akten von DHKP-C Verfahren in ganz Europa in diesen Prozess mit eingebunden
hat. Die neuen Anti-Terrorgesetze machen es möglich. Die engen Beziehungen
zwischen Belgien und der Türkei lassen noch weitere juristische Geniestreiche
zu, wobei Gesetze grundweg ignoriert werden. Obwohl das nur von einem Gericht
beschlossen werden kann, erklärte der belgische Außenminister seinem türkischen
Amtskollegen gegenüber, dass Fehriye Erdal in die Türkei ausgeliefert wird. Dort
wartet die sichere Folter und möglicherweise der Tod auf sie.

 

Sie war damit gut
beraten, einen Tag vor der Urteilsverkündung unterzutauchen. Nun hat Belgien
beschlossen, dass Fehriye Erdal für den „Mord an Sabanci“, der sich 1996 in
Istanbul ereignete, in Belgien verurteilt werden kann. Recht läßt sich eben
biegen und brechen – und kaufen.

 

Angesichts seines
politischen Charakters, den außerordentlichen Maßnahmen während der
Verhandlungen sowie der Schwere der Urteile, stellt dieser Prozess eine Gefahr
für alle DemokratInnen und progressiven Organisationen und Individuen
dar.

 

Am Ende des
Prozesses wurden 4 der 11 Angeklagten vom Gericht freigesprochen. Der
Bundesstaatsanwalt jedoch ging gegen das Urteil von 9 der Angeklagten in
Berufung.

 

Eine Bestätigung
dieser Urteile vom Februar im Revisionsverfahren wird sich mit verstärkter
Repression gegenüber allen antiimperialistischen Kräften in Europa, und selbst
gegenüber jenen, die gegen soziale Ungerechtigkeit kämpfen,
auswirken.

 

Wir rufen zur
zahlreichen Teilnahme an diesem Prozess auf, und betrachten dies als eine
Aufgabe zur Verteidigung der Meinungs- und Organisierungsfreiheit, sowie des
Rechts auf Widerstand gegen die Unterdrückung.

 


Prozess:

Montag, 11. September 2006

Revisionsgericht
von Gent, Belgien

 

 

Im
Vorfeld des Revisionsverfahrens gegen 9 angebliche Mitglieder der
DHKP-C
(der
Fall ist besser bekannt als „Affäre Erdal“

lädt
CLEA (Komitee für Meinungs- und Organisierungsfreiheit) zu folgender
Veranstaltung ein:

 

„6
Stunden im Zeichen der Meinungsfreiheit“

 

 

mit
namhaften Persönlichkeiten aus der Politik, Gewerkschaft, dem Rechtswesen,
Journalismus und der Kunst

 

Samstag,
9. September 2006

Beginn: 16.00
Uhr

Ort:
Freien Universität zu Brüssel (ULB)

Salle
Duprà©el

 

 

 

 

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