Interview mit Sultan Abu Alaynen
Sultan Abu Alaynen ist Sekretär der PLO, Factions Command and Fatah movement im Libanon. Das Interview führte Thomas Kukovec im Winter 2006.
Kukovec: Sehr geehrter Herr General Sultan Abu Alaynen, Sie sind als Sekretär der PLO der ranghöchste Vertreter der Palästinenser im Libanon, außerdem oberster Befehlshaber der Fatah-Bewegung und deren Miliz. Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die libanesische Innenpolitik, auf amerikanischen Druck hin, mit dem Thema der Entwaffnung der Hizbullah und auch der Palästinenser-Milizen im Libanon. Warum sollen Ihnen Ihre Waffen abgenommen werden und wie stehen Sie dazu?
Sultan Abu Alaynen: Die Libanesen möchten die Waffen in unseren Lagern kontrollieren, geben uns aber andererseits keine Rechte als Bürger im Libanon. Wir sind nicht bereit unsere Waffen, die wir zu unserem persönlichen Schutz haben, abzugeben, wenn wir keine Rechte als Flüchtlinge oder Bürger im Libanon genießen können. Diese Waffen sind also mehr politische Waffen als Waffen des Kampfes.
Sie leben im Flüchtlingslager Rashidieh, das sich südlich von Tyros, im Südlibanon befindet, umstellt und schwer bewacht von der libanesischen Armee, infiltriert von Geheimdiensten der Syrer, Israelis und Libanesen. Auf libanesischem Boden sind Sie zum Tode verurteilt. Warum?
Ich wurde politisch zum Tode verurteilt. Das war vor acht Jahren. Mir wird vorgeworfen eine bewaffnete Miliz zu führen. Aber ich bin nur der Führer der Fatah-Bewegung im Libanon, die in der PLO und von der Arabischen Liga voll und ganz akzeptiert ist. Die Frage ist eine politische: Bin ich ein Terrorist, oder ein arabischer Führer? Das ist eine Intrige, um die Fatah zu schwächen, um der Fatah unter den restlichen Palästinensern Sympathiewerte zu entziehen. Sie (die Libanesen und Syrer) möchten uns (die Fatah-Bewegung) dadurch bekämpfen, aber es gelingt ihnen nicht, im Gegenteil, wir werden immer stärker. Das ganze ging eigentlich von den Syrern aus, die im Libanon, auch nach dem Abzug, noch immer sehr stark sind! Die Syrer wollen, dass andere palästinensische Organisationen im Libanon das Sagen haben.
Hat sich für Sie, Ihre Bewegung und die Palästinenser allgemein nach dem Abzug der Syrer etwas verändert?
Der syrische Geheimdienst hat mir ein Angebot gemacht, mich nicht zu töten, wenn ich mit der syrischen Politik konform gehe. Ich bliebe aber offiziell immer noch zum Tode verurteilt. Ich habe aber abgelehnt. Ich werde für mein Recht kämpfen. Und um meine Begnadigung. Sie werden sehen, die libanesische Regierung wird jetzt, nach dem Abzug der Syrer, aufhören mich zu verfolgen, weil ich unschuldig bin. Ich bin kein Terrorist, sondern ein politischer Führer in einer von der PLO und der arabischen Liga akzeptierten arabischen Bewegung. Ich werde ins Gericht gehen und bereit sein meinem Schicksal ins Gesicht zu schauen. Neun Anschläge habe ich überlebt! Davon waren einige Attentäter Israelis, vor allem aber waren es Syrer und auch Palästinenser, die von Syrien unterstützten Fraktionen geschickt wurden.
Die Entwaffnung der Milizen, wie es die UNO in Resolution 1559 festgelegt hat, kann nicht stattfinden, solange die Resolution 149 (Rückkehrrecht) nicht erfüllt ist. Warum sollen wir unseren Teil erfüllen, wenn die UNO ihren Teil nicht erfüllt? Die Resolution 149 besagt, dass Israel und Palästina, also beide Staaten existieren sollen. Warum wurde aber nur die Hälfte erfüllt? Und zwar nur der Staat Israel?
Die Hamas hat die Wahlen gewonnen. Wie sehen Sie das? Was hat sich für die Fatah verändert?
Die Fatah ist seit vierzig Jahren aktiv. Israel hat jedes Übereinkommen mit uns seitdem abgelehnt. Wir haben viel Arbeit geleistet, aber die Israelis haben all unsere Arbeit zerstört. Deshalb haben viele palästinensische Bürger nie wirklich gesehen, was wir geleistet haben. Das hat die Palästinenser natürlich enttäuscht. Das hat die Leute in die Arme der Hamas getrieben. Die Hamas hat aber nur geredet und Selbstmordattentate verübt, aber noch keine politische Arbeit geleistet. Es ist leicht über Misserfolge der Fatah zu schimpfen, wenn man selbst noch nichts gemacht hat. Jetzt habe sie die Chance zu beweisen, dass ihre Worte nicht nur Worte waren. Es ist ein Leichtes zu reden, wenn man nichts vorzuweisen hat.
Hier im Libanon kann man unsere Arbeit aber sehen. Hier wurde von den Israelis nicht so viel zerstört wie in Palästina selbst. Hier im Libanon sind wir daher noch immer die weitaus stärkste Fraktion.
Israel hat die Wahlen eigentlich gewonnen! Statt sich auf eine Friedensdebatte zu einigen, konnten sie durch den Wahlsieg der Hamas die Debatte in eine andere Richtung führen.
Wenn wir zurückblicken, hatte Arafat bei Camp David keine Chance. Die USA und Israel waren quasi eine Partei. Die USA waren kein neutraler Vermittler! Fatah hatte also nie wirklich Chancen etwas zu verändern.
Aber in den europäischen Medien wurde der Wahlverlust der Fatah damit begründet, dass die Fatah schon ein so korruptes Netzwerk hatte, dass die palästinensischen Bürger kein Vertrauen mehr zur Fatah hatten und deshalb….
… Sehen sie: Die europäischen Medien möchten gerne ein Bild der „bösen“ und „korrupten“ Araber darstellen.
Arafat wurde getötet, weil er der einzige war, der bei den Palästinensern als Führer akzeptiert war. Israel möchte keinen Frieden. Der Abzug aus Gaza war nur eine Ausrede, um den Rest des besetzten Landes zu behalten.
Ich wünsche Hamas viel Glück. Wir werden dem Wunsch der USA nicht nachkommen, die Hamas zu boykottieren. Wir erlauben der Hamas, zu regieren und sich zu beweisen. Die Amerikaner wollten Demokratie im Nahen Osten und dann können sie mit demokratischen Entscheidungen nicht umgehen.
Wir (Fatah) sind jetzt in der Opposition und werden konstruktiv sein. Wir können nun sehen, ob Hamas etwas verändern kann, oder ob sie nur Bomben werfen kann. Ob sie sich den Wahlsieg erbombt oder ihn wirklich verdient haben.
Die Hamas akzeptiert Israel nicht, wir tun es aber. Deshalb wird sich zeigen, ob wir einen Konsens finden oder ob es zu einem internen Konflikt kommen wird. Möchte Hamas alle Milizen zu einer einheitlichen Armee vereinigen oder das Chaos bestehen lassen? Wir (PLO) glauben, dass das nicht geht und lehnen es sogar ab die Hamas zu entwaffnen. Wir entwaffnen unsere Milizen solange nicht, solange wir keinen eigenen Staat haben. Eine reguläre Armee kann es nur geben, wenn wir einen regulären Staat haben. Das ist eine offene Frage …
Vielen Dank für das Gespräch.
Thomas Kukovec ist Student und freier Photojournalist (thomaskukovec.com, lightstalkers.org/thomaskukovec)