Interview mit Musa Abu Marzook, Stellvertretender
Vorsitzender des Hamas Political Office
Frage: Zur Zeit gibt es Gespräche zwische Hamas und Fatah
zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Was sind die Ziele einer
solchen Regierungen und halten Sie Ihre Bildung für wahrscheinlich?
Abu Marzook: Bereits vor den Wahlen haben wir die Politik
verfolgt, gemeinsam mit der Fatah die Verantwortung für die palästinensischen
Staatsangelegenheiten zu übernehmen. Der Vorschlag einer Regierung der
nationalen Einheit war Teil unseres Wahlprogramms. Wir Palästinenser müssen mit
einer schwierigen Situation zurecht kommen und daher ist es am besten, wenn
alle politischen Organisationen für die Regierung Verantwortung übernehmen.
Nach der Regierungsübernahme durch die Hamas sind wir mit allen Organisationen
in Diskussion getreten, um eine gemeinsame palästinensische Regierung zu
bilden. Sie haben aufgrund des Drucks der USA abgelehnt. Sie nahmen auch an, daß
die Regierung der Hamas nach einigen Monaten scheitern würde. Das war aber
nicht der Fall, weil die Bevölkerung hinter der Regierung stand.
Wir haben nun erneut Gespräche mit Fatah begonnen. Vor einer
Regierungsbildung ist es jedoch notwendig die Freilassung der verhafteten
Parlamentsabgeordneten und Regierungsmitglieder von der israelischen Regierung
zu erwirken.
Frage: Ist die Anerkennung des israelischen Staates
Voraussetzung für die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit?
Marzook: Nein, das ist nicht Teil der Übereinkunft zwischen
Hamas und Fatah. Hamas hat unter den derzeitigen Bedingungen nicht vor, die
Anerkennung Israels auszusprechen.
Frage: Die jüngste israelische Aggression gegen den Libanon
hat mit einem de facto-Sieg der Hisbollah geendet. Welche Auswirkungen hat das
auf den palästinensischen Widerstand gegen die israelische Besatzung?
Marzook: Hisbollahs Sieg ist ein Sieg für alle
Widerstandsbewegungen in der Region. Heute kann Israel nicht mehr als regionale
Supermacht bezeichnet werden. Die USA können nicht mehr von einem neuen Nahen
Osten unter Führung der Regionalmacht Israel sprechen.
Frage: In Europa besteht vielfach die Meinung, dass Hamas
antisemitisch sei und alle Juden aus dem Gebiet des historischen Palästina
vertreiben möchte.
Marzook: Wir haben nichts gegen Juden. Der Islam gebietet
jedem gläubigen Moslem die Propheten der Juden als solche anzuerkennen. Juden
haben jahrhundertelang mit Moslems in arabischen Ländern zusammen gelebt, ohne
daß es Massaker wie in Europa gab. Viele der Juden kamen in arabische Länder,
weil sie vor der Unterdrückung in Europa geflohen waren. Die Probleme begannen
mit der massiven jüdischen Einwanderung nach Palästina und mit der Vertreibung
der palästinensischen Bevölkerung. Das ist der Grund, warum wir den
israelischen Staat bekämpfen. Wären es Christen oder Moslems, die uns
Palästinenser vertreiben würden, wir würden ebenso gegen sie kämpfen.
Frage: In Europa wird Hamas abgelehnt, weil das
Gesellschaftsmodell, das mit ihr verbunden wird, das eines islamischen Staates
ist.
Marzook: Zunächst muss festgehalten werden, daß für Hamas
die Beseitigung der israelischen Besatzung und die Errichtung eines souveränen
palästinensischen Staates zur Zeit oberste Priorität hat. Darüber hinaus ist die
derzeitige Regierung der Hamas selbstverständlich an die Verfassung gebunden.
Was die Frage des islamischen Staates betrifft, so werden damit häufig falsche
und missverständliche Vorstellungen verbunden. Der Iran, der oft als Beispiel
herangezogen wird, kann nicht als Modell dienen. Ich bin davon überzeugt, daß
ein islamischer Staat in jedem Fall mehr Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit
für seine Bewohner bedeuten würde, als dies zur Zeit in irgendeinem arabischen
Staat der Fall ist. Allerdings steht diese Frage in Palästina nicht auf der
Tagesordnung. Vielmehr geht es darum einen unabhängigen und souveränen Staat zu
errichten, in dem die palästinensische Bevölkerung nach dem Ende der Besatzung
das Recht haben wird, ihre Verfassung selbst zu wählen.
Frage: Was ist Ihre Botschaft an die europäische
Bevölkerung?
Marzook: Ich fordere die Europäer auf, der palästinensischen
Situation ihre Aufmerksamkeit zu widmen und ihren historischen Fehler wieder
gut zu machen, den sie begingen, als sie die Gründung eines israelischen
Staates unterstützten ohne die Rechte der Palästinenser zu berücksichtigen. Die
Europäer müssen sich hinter die Palästinenser stellen.
Willi Langthaler