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Eine Sensation, die keine war

4. Oktober 2006

Zu den Landtagswahlen in Deutschland

„Es ist geschafft!“ kann Jürgen Gansel, seines
Zeichens Landtagsabgeordneter der NPD in Sachsen und ein Vordenker der Partei,
seine Freude kaum verbergen. „Ziemlich genau zwei Jahre nach den triumphalen
9,2 Prozent bei der sächsischen Landtagswahl hat die NPD im Nordosten unseres
Landes das zweite Landesparlament erobert. 7,3 Prozent der Mecklenburger und
Pommern verpaßten den etablierten Volksbetrügern mit der Wahl der NPD eine
schallende Ohrfeige, die noch bis ins Superwahljahr 2009 nachhallen wird.“
werden die Jubelorgien des NPD- Mannes immer lauter. Er hat ja angesichts des
Ergebnisses auch allen Grund zur
Freude. 60.000 Mecklenburger stimmten 6 seiner Parteikameraden in gut bezahlte
Landtagssessel. „Nach dem letzten Wahltag ist nichts mehr so wie vorher!“ freut
sich der hagere, aschblonde Mann diebisch.

Doch sind die 7,3 Prozent respektive 60.000
Wähler so eine Überraschung? War es eine Sensation die sich da in Meck-Pomm am
17.09.2006 abspielte? Denn allen Warnungen im Vorfeld bzw.
Betroffenheitsbekundungen und erstaunten Gemütern im Nachhinein, zum Trotz: der
Landtagseinzug der NPD ist alles andere als sensationell. Wer hätte sie auch
daran hindern sollen? Etwa die zur Linkspartei umetikettierte PDS? Jene PDS die
Mecklenburg-Vorpommern auf den vorletzten Platz im bundesdeutschen
Ländervergleich regiert hat? Die ja alles gegen Arbeitslosigkeit tun will und
knapp 20% Arbeitslosigkeit mitzuverschulden hat? Die Regierungssozialisten im
Nadelstreifenanzug als Vertreter des kleinen Mannes? Die Regimelinke hatte der
radikalen Rechten nichts entgegenzusetzen. Geschickt warf die NPD die soziale
Frage auf, bot sich den breiten Massen als antagonistische, soziale Alternative
zum herrschenden System an. Von regionalen Schulen über Arbeit und die im
nächsten Jahr bevorstehende Mehrwertsteuererhöhung thematisierte die NPD im
Wahlkampf nahezu alles was der Bevölkerung im Nordosten Deutschlands Sorge
bereitet. Selbst den politischen Gegner brachte das ins Schwärmen: Das von der
NPD ausgesendete Jungwähleranschreiben war laut Günter Hoffmann von der zivilgesellschaftlichen
Bürgerinitiative „Bunt Statt Braun“ das „beste Flugblatt“ was er je von einer
rechten Partei gesehen hat. Und in einem Interview mit der „tageszeitung (taz)“
überschlägt sich der Politologe Hubertus Buchstein fast vor Freude: „Die NPD
betreibt im Landtagswahlkampf einen immensen Aufwand. Das ist geradezu
grandios, was die hier alles auf die Reihe kriegen…Der Plakataufwand ist
riesig. Und diese Plakate sind zum Teil wirklich stark… Die NPD profitiert von
der Schwäche der demokratischen Parteien – die fast keinen Inhaltswahlkampf
machen. Auf deren Wahlplakaten sind fast nur Bilder. (…) Das Starke an der NPD
ist, daß sie wirklich einen Themenwahlkampf macht. Darunter sind wie üblich
fürchterliche Dinge: Bonzenbeschimpfung oder Ausländerhetze.“ Neben dem
üblichen Populismus von „Schnauze voll“ und „Gute Heimreise“ setzte die NPD auf
Inhalte im Wahlkampf die die restlichen Parteien vermissen ließen. Doch hält
die NPD auch das was sie verspricht? 2004 schwamm man in Sachsen auf einer
Welle des (Hartz-IV) Protestes in den Landtag. Ihren Wählern versprach sie eine
„fundamentale Oppositionspolitik“. Seitdem fahren die „nationalen Sozialisten“
im Mercedes vor, tragen die feinsten Anzüge, haben nicht einen Antrag gegen
Hartz IV ins Plenum selbst eingebracht, haben drei Mandate durch (fungierte?)
Austritte verloren, den Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz und MVP allen
Anschein nach mit sächsischen Steuergeldern finanziert. Nebenbei nutzen sie das
Plenum lieber für Geschichtsrevisionismus statt für engagierte Sozialpolitik
und es wurde bekannt das die Parteipostille „Deutsche Stimme“ seit Jahren in
Osteuropa gedruckt wird. Und das einzige was sie in Lohn und Brot brachten
waren 12 von 15 Parteivorstandsmitgliedern der NPD und diverse andere rechte
Kader. Doch das sieht Kamerad Gansel ganz anders. Bezugnehmend auf die
neofaschistischen Landtagspräsenzen in Sachsen als auch MVP schreibt er: „Es
hat sich für die NPD als goldrichtig erwiesen, schon vor vielen Jahren
personelle, intellektuelle und finanzielle Ressourcen auf Mitteldeutschland zu
konzentrierten und dort zum Marsch in die Mitte des Volkes anzusetzen.“ Man
kann es auch folgendermaßen ausdrücken: In Anbetracht der sozialen Not und Kluft
in der ostdeutschen Gesellschaft gegenüber Westdeutschland hat die NPD
Westkader von A wie Apfel über G wie Gansel bis P wie Pastörs angesiedelt und
hat sich in Gegenden ohne Perspektive für jedermann breit gemacht. Diese
Populisten verkaufen sich und ihre Partei als Heilsbringer. Die einzigen die
davon nutzen haben sind die Partei- und Privatkonten dieser Herren. Und auch in
Meck-Pomm fließt jetzt Geld en masse.

Auch in Berlin wurde am 17. September gewählt.
Hier wäre es wahrlich eine Sensation gewesen, wäre der NPD der Einzug in das
Abgeordnetenhaus gelungen. Die blieb aus. Stattdessen gab es etwas anderes,
sensationell anmutendes, zu sehen: den totalen Absturz der PDS. 22,6 Prozent
wählten im Jahr 2001 die PDS. Mit 17+ zogen die Linken in den Wahlkampf. 13,3
Prozent erhielt sie letztendlich, allein 20 Prozent verlor man im ostdeutschen
Teil der Stadt. Zwar war mit erheblichen Stimmenverlusten zu rechnen. Das es
dann aber fast die Hälfte des Ergebnisses der letzten Wahl sein sollte hätte
man aber auch bei den Regierungssozialisten in Berlin nicht für möglich
gehalten. Aber nachdem man 34.000 Ein-Euro-Jobber versklavt hat und die Kita-
und Hortgebühren um 17- bis 40 Prozent erhöht hat und die Erziehungshilfe um
128 Millionen gekürzt hat und 400 Referendariatsstellen gestrichen und dem
sonstigen Lehrpersonal 2 Stunden aufgedrückt hat und, und, und…. Wirklich
beeindruckende Erfolge linker Politik, und das sind nur ein paar Beispiele. Ob
eine Koalition aus Schwarz-Gelb besser im Sozialbereich abgebaut hätte? Rot-Rot
rühmt sich gerne damit das Sozialticket wieder eingeführt zu haben was u.a.
dazu befähigt ein Konzert- oder Theaterbesuch für 3€ zu tätigen. Doch welche
5köpfige Hartz-IV abhängige Familie mit einem Monatseinkommen von knapp 1000€
kann sich das noch leisten? Angesichts solcher linker Politik ist es ein
leichtes für Faschisten sich als sozial herauszustellen. Zwar gelang mit 2,6
Prozent der Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus deutlich nicht, man zog
aber mit 11 Vertretern in 4 Bezirksverordnetenvertretungen (BVVen) ein.
Demnächst sitzen in Treptow-Köpenick (5,3 %), Lichtenberg-Hohenschönhausen (6,0
%) und in Marzahn-Hellersdorf (6,4 %) jeweils drei NPD´ler, was Fraktionsstärke
bedeutet, und überraschenderweise im multikulturellen Neukölln (3,9 %) zwei
Vertreter der radikalen Rechten in BVVen, was die einzige Sensation des Abends
darstellte. Damit hatte man nicht einmal in der Seelenbinderstrasse 42
gerechnet, in der die Parteizentrale der NPD ihren Sitz hat. Für die Rot-Rote
Regierung in Meck-Pomm wird es voraussichtlich kein Happy End geben: die SPD
bevorzugt die CDU als Koalitionspartner. Für Rot-Rot geht es in Berlin jedoch
weiter. Es ist dann wohl sehr wahrscheinlich das die NPD bei der Fortsetzung
einer Politik der Hartz-Verbrecher von SPD und der Regimelinken der PDS in fünf
Jahren auch in Berlin Platz im Landtagssessel nehmen darf.

Was bleibt festzuhalten? Das der Osten
vollends braun ist und die NPD Wähler alles Nazis sind? Auf keinen Fall sind
sie das. Zwar gibt es Gegenden in Ostdeutschland die sind sehr stark faschisiert
und die NPD ist dort extrem weit in die Köpfe vorgedrungen und hat ihr
Gedankengut fest verankert. Aber der Großteil wählt die NPD nicht wegen ihrer
Verehrung für Hitler und die Nazis sondern weil sie es vermag in einer Zeit in
der der Mensch nur noch wenig zählt und von sämtlichen Parteien verraten und
mit guten Worten abgespeist wird sich als sozial, kompetent, menschennah und
fürsorgend herauszustellen. Man knüpft im Osten an Gemeinschaftssinn und
soziale Werte der DDR an. Der Neofaschismus in (ost-)Deutschland speist sich
nicht mehr aus den Kassen des Finanzkapitals sondern in der Bedienung der
sozialen Frage gepaart mit dem schüren dumpfer Ressentiments und
Schuldzuweisungen an Unschuldige, vorgeblichen Antikapitalismus, ein wenig
rechter Sozialarbeit und dem erwecken von romantischen Erinnerungen an die DDR.
Eine Linke die denkt den Kapitalismus von seinen Systemfehlern zu reformieren
und verbessern zu können ist alles andere als nötig. Der Kapitalismus hat keine
Fehler, er ist der Fehler. Wenn man sich in der Linken wieder darauf besinnen
würde endlich konsequent für die sozialen Rechte der Menschen einzutreten, in
den Antagonismus zu gehen und sich nicht nur von der herrschenden Klasse
sondern auch der Mainstream-linken abgrenzen würde und am Aufbau einer
sozialistischen Massenalternative arbeiten würde, könnte über kurz oder lang
ein neuerlicher Versuch des Ausbruches aus kapitalistischen Lebensverhältnissen
gestartet werden und eine ordentliche Zukunftsperspektive errungen werden. Den
Kapitalismus auf die Müllhalde der Geschichte schmeißen. Die Betrüger von PDS
und NPD gehören dann auch dort hin.

Steve Uebrück

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