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Rückkehr der 90er

13. Oktober 2006

Wahlausgang mit
Retro-Look und der Wiederaufstieg des rechten Populismus

Das Wahlresultat hat
ein bisschen überrascht, nur wenige hatten der Sozialdemokratie den ersten
Platz zugetraut. Das wahrscheinlichste Ergebnis, eine Erneuerung der großen
Koalition, war allerdings schon vor dem Urnengang vorgezeichnet – wenn man auch
mit einem Kabinett Schüssel III, mit der SPÖ als Juniorpartner rechnete.

Besonders viel Gutes
verheißt dabei weder der Wahlausgang, noch die politische Konstellation, die
sich jetzt abzeichnet: Eine gestärkte FPÖ, die sich als einzige wirkliche
Opposition gegen die rot-schwarze Regierung gerieren kann. Wieder scheint es
so, als würde der Protest gegen die Globalisierung sich einzig in einer
furchtbaren Verbindung mit dem Rassismus ausdrücken.

Stimmenverluste beider
Großparteien – dennoch grundlegende Stabilität

Tatsächlich haben
beide Großparteien bei der Wahl Stimmen und Prozente verloren, die ÖVP verlor –
auch dank gesunkener Wahlbeteiligung – 500.000 ihrer zwei Millionen Stimmen der
letzten Wahl. Öfters wurde kommentiert, dass die beiden Großparteien der 2.
Republik, bei Einberechnung der Nichtwähler, nur mehr von 50 Prozent der
Bevölkerung unterstützt werden. Richtig. Aber ist das viel oder wenig? Wenig im
Vergleich zu den Anfangsjahren der Republik, wo SPÖ und ÖVP als die zwei großen
Volksparteien praktisch jeden in klientelistischen Netzwerken organisierten,
die Wirtschaft stärker über den Staat gesteuert wurde, Posten und Pfründe über
den Proporz zwischen den Großparteien aufgeteilt und in der Folge nach Unten
weitergereicht wurden. Viel, wenn man die veränderte Situation bedenkt:
Globalisierung, Individualisierung und wirtschaftlicher Strukturwandel haben
aber die traditionellen Lager weitgehend aufgelöst. Die klientelistischen
Netzwerke hatten ursprünglich einen Aspekt der Demokratisierung und Öffnung des
Staates, ermöglichten breitere Partizipation, natürlich unter Ausschluss der
Kommunisten. Der Klientelismus erlaubte dem Block an der Macht eine Verbreiterung
seiner Basis. Aber in einer Zeit, wo sich ein großer Teil der Bevölkerung nicht
mehr einem der alten Lager zurechnet, gelten seine Netzwerke, wo sie nicht
zurückgedrängt wurden, zu Recht als Seilschaften der Korruption. Das Ende der
Lagerdemokratie geht einher mit sinkender Wahlbeteiligung, geringerer
Wählerbindung und dem Entstehen anderer Parteien, es bedeutet auch ganz sicher
eine gewisse Legitimitätskrise des politischen Systems – aber deshalb nicht
automatisch das Entstehen einer antagonistischen Opposition. In den USA beträgt
die Wahlbeteiligung nur etwa 50 Prozent, ohne dass das auf politische
Instabilität hindeutet. So gilt auch für Österreich: Der Kern des politischen
Systems weist eine hohe Stabilität auf. Die Wahlbeteiligung ist mit 75 Prozent zwar
niedriger als im Jahr 2002, aber immer noch relativ hoch. Und die Zahl der
Stimmen, die für Parteien der politischen Mitte (ÖVP, SPÖ, die Grünen)
abgegeben wurden, liegt bei über 80 Prozent.

Ende der „Wende“?

Tatsächlich sind sich
alle Parteien, die im neuen Parlament vertreten sein werden, über die
Grundlinien der Politik de facto einig. Das dumme Gerede von der „Wende“, die
mit der Schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000 begonnen hätte, ist Propaganda
beider Seiten. Propaganda der ÖVP, die sich den Mantel des Neuen und des
Aufbruchs umzuhängen versucht (obwohl sie auf das Tiefste mit dem Filz der 2.
Republik verbunden ist), und Propaganda der SPÖ und der sie umgebenden linken
Zivilgesellschaft, die damit den Sozialabbau der 90er Jahre vergessen machen
können. Wenn es eine „Wende“ gegeben hat, dann hat diese in den 90er Jahren
unter Bundeskanzler Vranitzky und Finanzminister Lacina stattgefunden: Die
„Große Steuerreform“ zur Entlastung von Unternehmen und Vermögenden, sowie die
wiederkehrenden „Sparpakete“, die dem Sozialstaat langsam die Luft nahmen.
Deren erstes wurde schon 1987 aufgelegt, in den 90er Jahren folgten weitere und
allesamt standen sie den schwarz-blauen Einsparungen nicht nach. Auch andere
wesentliche Entscheidungen sind in den 90er Jahren getroffen worden: Der
EU-Beitritt war Kind der Großen Koalition.

Ein qualitativer Bruch
ist mit dem Jahr 2000 also nicht zu erkennen gewesen. Freilich, Finanzminister
Grasser hat sein berühmtes „Nulldefizit“ im Jahr 2001 zeitgerecht zum schweren
Konjunktureinbruch nach der Jahrtausendwende präsentiert und damit die
Konjunkturschwäche deutlich verschärft. Eine solche Dummheit wäre einem
Sozialdemokraten sicher nicht passiert – aber auch keinem deutschen
Konservativen. Finanzminister Grasser hat die Politik mit ein bisschen
Inkompetenz und der Penetranz des Feschen bereichert, aber reicht das für eine
„Wende“? Das in den Fordergrund treten von Show-Elementen zu Gunsten des
Inhalts ist ein langfristiger Trend, der damit zu tun hat, dass die
inhaltlichen Unterschiede zwischen den Wahlwerbern immer geringer werden und
sie daher verstärkt Lifestyle verkaufen. Der Seitenblicke-Promi-Lifestyle ist
ja nicht nur in der ÖVP beheimatet. Auch die Grüne Eva Glawischnig hat das
gesamte Land über ihre Hochzeit im bauchfreien Kleid zwangsinformiert.

Es ist also
auszuschließen, dass ein sozialdemokratischer Bundeskanzler jene „Wende“ beendet, die die SPÖ begonnen
hat. Möglicherweise braucht es sogar eine große Koalition, um sie fortzuführen.
Das endgültige Ende der Sozialpartnerschaft der Nachkriegsperiode – die
Auflösung des Flächentarifvertrages – konnte die ÖVP-FPÖ-Regierung nicht einmal
versuchen. Aber unter einem roten Bundeskanzler, nachdem man den
Gewerkschaftsbund in Konkurs geschickt hat? Vielleicht parallel zur Einführung
eines gesetzlichen Mindestlohnes, um die erregten Gemüter ein wenig zu
beruhigen? – Den könnte man nach französischem Vorbild ja zuerst recht niedrig
gestalten, und dann „vergessen“, ihn an die Inflation anzugleichen? Das sind
natürlich Spekulationen, aber die Standortlogik und die Stärkung des
„Unternehmens Österreich“ sind in der SPÖ genauso beheimatet.

Freilich ist es noch
nicht gesichert (dafür extrem wahrscheinlich), dass tatsächlich Rot-Schwarz
kommt und Bundeskanzler Schüssel nicht doch noch seine Mitte-Rechts-Koalition
mit FPÖ und BZÖ erneuern kann (Strache wird nicht mitspielen). Aber das Gerede
von der großen Stagnation, oder der sozialen SPÖ (je nach Blickwinkel) ist
idiotisch. Allerdings: Die Rückkehr des rot-schwarzen Filz und Postenschacher
wäre bei einer großen Koalition tatsächlich gesichert – aber der rot-schwarze
löst nur den schwarz-blau-orangen Filz ab.

Keine echte Opposition
in Sicht – Wiedergeburt des rechten Populismus

Das grundlegende
österreichische Drama ist aber nicht allein die Stabilität des politischen
Systems die eine wirkliche Gesellschaftsveränderung unmöglich macht, es ist
ebenso das Fehlen JEDER echten Opposition. Es scheint sich heute die Situation
der 90er Jahre zu wiederholen, wo sich der Protest gegen Sozialabbau und
Globalisierung praktisch ausschließlich mit Ausländerfeindlichkeit gepaart in
der FPÖ widerspiegelte. Straches FPÖ-Neu unterscheidet sich dabei von der
Haider-FPÖ in den 90ern. Strache ist radikaler, und er lässt das ausgesprochene
politische Talent Jörg Haiders vermissen. Mehr noch als Haider macht er sich
zum Sprachrohr von sozialem Unmut: Der Angriff auf die EU, die Verteidigung des
Sozialstaats (aber nur für Staatsbürger), die Verachtung für die liberalen
Eliten. Die Bilder der „Wahlpartys“ waren bezeichnend: Döblinger
Apothekerkinder bei der ÖVP (die ansonsten aus dem Stadtbild schon weitgehend
verschwunden sind – glücklicherweise), linksalternative Studenten bei SPÖ und
Grünen, Arbeiterjugendliche bei der FPÖ. In gewisser Weise hat Strache die
Nachfolge des alten sozialdemokratischen Reformismus angetreten, nur hat er
dessen humanistischen Kern durch den Deutschnationalismus ersetzt. Sein anti-elitärer
Impuls geht dabei einigen der alten rechtsextremistischen Deutschnationalen zu
weit. Aus ideologischer Überzeugung haben sie sich mit Strache gegen die
Haider-Führung gestellt. Aber schon vor einem Jahr hat Lothar Höbelt
(Historiker und FPÖ-Paradeintellektueller) bemerkt, dass die Rechte
sozialdarwinistisch und elitär sein müsse, um sich selbst treu zu bleiben. Außerdem
herrsche in der FPÖ eine „Pol-Pot-Stimmung“, wo jeder ein potenzieller
Abweichler sei, der „lesen und schreiben“ könne. Folgerichtig ist man jetzt zu
Haider und seiner orange Postenschacher-Truppe zurückgekehrt. Lothar Höbelt hat
einen Wahlaufruf für das BZÖ herausgegeben.

Dabei ist der soziale
Protest so eng mit der Ausländerfeindlichkeit verbunden, dass linke
Proteststimmen, etwa für die KPÖ, praktisch marginal sind und ausschließlich
aus der kritischen Intelligenz kommen. Das mag aus grundsätzlichen Erwägungen
sozialer Gerechtigkeit passieren, arbeitsmarkttechnisch sind das aber auch jene
Bereiche, die nicht mit ausländischer Konkurrenz zu kämpfen haben. Ein prekär
beschäftigter Germanistik-Absolvent hat tatsächlich jeden Grund zum sozialen
Protest; gleichzeitig ist klar, dass in der spezifischen Arbeitsmarktnische
(etwa Deutschkurse für Migranten) Zuwanderer nicht Konkurrenz, sondern
Kundschaft sind. Bei einem Kellner sieht die Sache anders aus. Zwei Dinge
müssen klar sein: Der Rassismus ist eine Scheinlösung, die an den Problemen von
Arbeitslosigkeit und Armut nichts ändern kann – gleichzeitig ist es aber ein
liberales Märchen, dass Zuwanderung die Ansässigen keine Arbeitsplätze kostet.
Natürlich ist es richtig, dass viele Österreicher in den von Migranten
besetzten Nischen des Arbeitsmarktes (Bau-Hilfsarbeit, Pflege, Tourismus,
Reinigung …) ob der geringen Löhne nicht mehr arbeiten wollen. Auf der anderen
Seite ist es genauso richtig, dass die Löhne in diesen Bereichen höher wären,
wenn die Zuwanderung nicht für zusätzliche Konkurrenz sorgen würde. Zu
bekämpfen sind allerdings nicht die Zuwanderer selbst, sondern die Strukturen
der kapitalistischen Ausbeutung, die die Arbeitsmigration erzeugen. Die Arbeiterbewegung
ist historisch immer zwischen beiden Polen geschwankt: Der radikale Flügel
forderte internationale Solidarität, der gemäßigte Flügel versuchte die eigene
Verhandlungsmacht gegenüber den Unternehmern durch die Ausschaltung möglicher
Konkurrenz zu verbessern. So verweigerten viele Teile der amerikanischen
Gewerkschaftsbewegung die Aufnahme von Schwarzen.

Eine gewisse Zeit
konnte man den Eindruck haben (und in den bruchlinien wurde genau diese
Position vertreten), dass der kurzfristige Zusammenbruch der FPÖ die
Möglichkeit eines linken, nicht-rassistischen Populismus öffnet, und viele
Anzeichen gingen auch in diese Richtung. Der Erfolg von Ernest Kaltenegger in
der Steiermark (ohne Kaltenegger wirklichen Populismus unterstellen zu wollen –
er war doch dazu in der Lage, Proteststimmen aus allen möglichen
weltanschaulichen Lagern zu sammeln), der Erfolg von Hans-Peter Martin bei der
Wahl zum EU-Parlament. Aber die Geschwindigkeit, mit der sich die FPÖ –
immerhin nach dem totalen politischen Versagen – einen großen Teil ihrer
Wählerstimmen zurückholte, war tatsächlich beeindruckend. Wieder – wie in den
90er Jahren – ist die FPÖ das Hauptproblem für den Aufbau einer
antagonistischen Opposition. Nicht weil sie dabei ist, Österreich in eine
faschistische Diktatur zu führen, sondern weil sie die Hauptkonkurrenz um den
Einfluss bei den Unzufriedenen und Enttäuschten ist. Dabei hat sie einen
enormen Startvorteil und liegt obendrein heute viel enger am Bewusstsein der
Unterschichten.

Keine Panik

Das Bild ist nicht
sehr rosig, aber auch nicht aussichtslos. Ein jahre-, jahrzehntelanger Raubzug
gegen die Mehrheit der Bevölkerung hat das Regime der Oligarchie bis dato kaum
destabilisiert. Wenn sich Unmut regt, wird dieser von rechten Populisten kanalisiert
und kann – siehe Regierungsbeteiligung Haider – wieder integriert werden. Man
braucht keine Sekunde zu zweifeln, dass Strache letztlich genauso verfahren
würde: Natürlich, er ist rechter als Haider und er wird für dieses Mal Schüssel
nicht auf den Thron heben. Letztlich wird er aber bemerken, dass sein
Rechtsradikalismus der Karriere schadet, im entscheidenden Moment die EU
akzeptieren, in vier oder acht Jahren bereit sein zur Regierungsbildung. Der
Rechte Populismus ist in erfolgreich der Lage die Globalisierungskrise
aufzugreifen. Aber eine entschlossene antagonistische Opposition wäre dazu auch
in der Lage, falls sie denn bereit wäre, die nationale mit der sozialen
Selbstbestimmung zu verbinden, aus dem linken Ghetto herauszutreten und sich
von den Rockschößen der SPÖ loszusagen. Der Rechtspopulismus kann kaum eine
langfristige Perspektive anbieten, letztlich steht zu wenig dahinter. Die
FPÖ-Neu wird sich letztlich als dieselbe Seifenblase erweisen wie die FPÖ-Alt: Einmal
in das System integriert, ist die Luft heraußen. Früher oder später wird uns
das wahrscheinlich eine wirklich faschistische Partei bescheren, die die
Situation weiter verkompliziert, aber die politischen Turbulenzen der letzten
Jahre haben durchaus gezeigt, dass es möglich sein muss, neben Mitte-Links und
Mitte-Rechts einen anti-oligarchischen Block zu etablieren. Das ist nicht nur
eine organisatorische Aufgabe, es geht auch darum, eine glaubhafte und
verständliche Alternative zur herrschenden Gesellschaftsordnung zu entwerfen.
Wenn das nicht gelingt, dann wird das „Ausländer raus“ erfolgreicher bleiben.

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