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Die Stimmen der bolivarianischen Revolution in Europa

12. November 2006

Bericht vom Solidaritätskongress mit dem bolivarianischen
Venezuela

Ein Monat vor den Präsidentschaftswahlen in Venezuela: Die
Stimmen der bolivarianischen Revolution in Europa

Das bolivarianische Venezuela bereitet sich auf den 3.
Dezember, auf die Wiederwahl des derzeitigen Präsidenten Hugo Chávez Frà­as,
sowie auf die Bekräftigung und Vertiefung des antiimperialistischen und
sozialistischen bolivarianischen Projektes vor. Die politische Konjunktur der
Vorwahl-Periode, die imperialistichen Drohgebärden sowie die interne Reaktion
gegen den Mehrheitswillen des venezolanischen Volkes waren die unmittelbaren
Motive um zu einem „Solidaritätskongress mit dem bolivarianischen Venezuela und
in Unterstützung der Wiederwahl von Präsident Chávez“ aufzurufen. Dieser fand
am 28. und 29. Oktober in Duisburg statt.

Auf dem Kongress, der vom Antiimperialistischen Lager,
Initiative e.V. und der Asociacià³n Nueva Colombia organisiert wurde, traten bedeutende Delegationen aus
Venezuela, anderen lateinamerikanischen Staaten und Europa auf. Er verfolgte
drei grundlegende Zielsetzungen:

1)
Verbreitung von Information über die venezolanische politische Konjunktur
einen Monat vor den Wahlen des 3. Dezember sowie über die Perspektiven der
bolivarianischen Bewegung für ein neues Mandat von Präsident Hugo Chávez;

2)
Beitrag zur Debatte über die Perspektive der
antiimperialistischen Einheit der Völker auf Grundlage des Vorschlags von
Comandante Chávez auf dem Sozialforum hinsichtlich einer „alternativen
antiimperialistischen Bewegung“;

3)
Austausch von Ideen und Vorschlägen zu Fragen des Sozialismus
des 21. Jahrhunderts.

Der Kongress wurde vom Bundestagsabgeordnete der PDS,
Hüseyin Aydin, und dem Generalkonsul der Bolivarianischen Republik Venezuela in
Frankfurt, Cà©sar Osvelio Mà©ndez González, eröffnet. Beide betonten die sozialen
Errungenschaften zugunsten der bislang benachteiligten Mehrheit der Bevölkerung
durch die sozialen Missionen sowie die Bedeutung der internationalen
Positionierung der bolivarianischen Regierung in Verteidigung des
Selbstbestimmungsrechts der Völker um die imperiale Offensive Nordamerikas
gegen die Völker aufzuhalten. Das Wissen um sowie die Reflexion über die
venezolanischen Erfahrungen lassen wichtige politische und theoretische
Überlegungen entstehen, aus denen sich eine gemeinsame Grundlage für die Kämpfe
der Völker der Welt sowie die Suche der Linken nach einem umfassenden
emanzipatorischen Projekt entwickeln kann.

Comandante William Izarra, Direktor der Zentren der
Ideologischen Ausbildung, einer der Gründer des Bolivarianismus der 1970er
Jahre innerhalb der Streitkräfte und heute einer der bedeutendsten
Persönlichkeiten der Entwicklung der Ideen des Sozialismus des 21. Jahrhunderts
sowie der partizipativen Demokratie, präsentierte die politische Konjunktur der
Periode vor den Wahlen und die Vorschläge der bolivarianischen Bewegung für
eine neue Präsidentschaft. Eine grundlegende Herausforderung für die Umsetzung
der von Chávez definierten sieben strategischen Linien zum Aufbau einer
sozialistischen Gesellschaft ist die Überwindung der alten, aus der vierten
Republik ererbten Strukturen. Das beschränkt sich, so Comandante Izarra, nicht
auf eine tiefgreifende Veränderung im institutionellen System des Staates, in
dem nach wie vor das repräsentative, bürokratische und den Volkssouverän
ausschließende Element vorherrscht, sondern impliziert die Notwendigkeit eines
kulturellen und politisch-theoretischen Paradigmenwechsels innerhalb der
Volksbewegung und der revolutionären Sektoren. Die Ideen einer Einheitspartei der
Revolution im Dienste der Basis und eines ideologischen Kongresses, der im
kommenden Jahr stattfinden soll, werden grundlegende Instrumente in der
nächsten Periode sein, um den Aufbau eines neuen revolutionären Modells
voranzutreiben. Izarra unterstrich auch die Bedeutung einer neuen grundlegenden
Verteidigungsdoktrin, die auf der Konzeption des Volkskrieges basiert und
internationale Erfahrungen wie die der Widerstandsbewegungen im Irak und im
Libanon einschließt, sowie die Idee eines antiimperialistischen Blockes des
Südens der Welt um der permanenten imperialen Bedrohung wirksam begegnen zu
können.

Drei bedeutende Vertreter
revolutionärer Volksbewegungen Venezuelas nahmen an dem Kongress teil: Ali
Ramos von der Nationalen Bauernfront Ezequiel Zamora (FNCEZ), Rúben Linares von der
Gewerkschaft Nationale Arbeiterunion (UNT) und Gonzalo Gà³mez, Gründer der
Nationalen Vereinigung der Freien und Alternativen Gemeinschaftsmedien (ANMCLA)
sowie des Internet-Informationsportals Aporrea.

Mit dem FNCEZ verfügt die venezolanische
Bauernbewegung heute über eine starke Organisation, die nicht nur bedeutende
Fortschritte bei der Umsetzung der Agrarreform, im Sinne einer revolutionären
Veränderung der Strukturen des Landbesitzes über den Kampf gegen den
Großgrundbesitz erreichte, sondern auch eine politisch-soziale Kraft darstellt,
die den Aufbau einer nationalen antiimperialistischen Front für die Vertiefung
der Revolution hin zum Sozialismus und gegen den Reformismus, der versucht, den
Status Quo über geringfügige Reformen der politischen und wirtschaftlichen
Strukturen des Staates zu erhalten, vorantreibt. Wie Ali Ramos betonte, ist mit
der neuen Doktrin von Präsiden Chávez auch die Bauernbewegung zu einer
strategischen Kraft in der Verteidigung der Nation geworden, indem sie über
territoriale Bauernmilizen zur Verteidigung gegen die interne Konterrevolution
und den Sozialismus beiträgt. Erfahrungen wie jene der landwirtschaftlichen
Kooperative Berverà© sind Modelle für neue soziale Produktionsverhältnisse und
eine neue Kultur, welche die Entwicklung eines neuen Menschen unterstützt. Doch
der Bauernführer stellte klar, dass „es sich heute hierbei noch um Inseln
handelt. Unser Kampf orientiert sich an einer nationalen revolutionären
Veränderung in einem Bündnis mit anderen organisierten Sektoren der
revolutionären bolivarianischen Volksbewegungen.“

Zu diesen organisierten Sektoren des Volkes zählt
die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung UNT. Rubà©n Linares, Mitglied der
nationalen Führung und Vertreter der Strömung C-CURA, erklärte die strategische
Rolle der Arbeiterklasse in der bolivarianischen Revolution und den Prozessen
antiimperialistischer Kämpfe, die sich in Lateinamerika entwickeln. Rubà©n
Linares stellte fest, dass für die UNT ein Gewerkschaftsführer „eine Person ist,
die mit ihrer Klasse lebt, die keine Privilegien hat, deren Leben vollkommen
der Sache der ArbeiterInnen gewidmet ist und vor allem, die von der Basis über
demokratische Wahlen legitimiert wurde.“ Das unterscheidet die neue
Gewerkschaftsbewegung nicht nur von der alten, korrupten und den Putsch
unterstützenden Gewerkschaftszentrale CTV, sondern auch von jenen europäischen
Gewerkschaftern, die die Rechte der ArbeiterInnen verkaufen. „Wenn ein
Gewerkschaftsführer von Privatisierungen spricht, ist er bereits dabei die
Arbeiterklasse zu verkaufen!“ Linares erläuterte, dass der Aufbau einer neuen
Gewerkschaftsbewegung eine Herausforderung sei. Häufig werden Arbeitskonflikte
von den Unternehmern mit dem Ziel provoziert, das Land zu destabilisieren. Die
UNT ist aus diesem Grund zu einer Organisation geworden, die nicht nur für die
Verteidigung der Arbeiterrechte zentral ist, sondern auch für die Verteidigung
und das Fortkommen des von Präsident Chávez angeleiteten bolivarianischen
Prozesses. Für die bolivarianische Bewegung gibt es keinen Zweifel darüber,
dass die Wiederwahl des Präsidenten der Schlüssel zur Fortführung des
bolivarianischen Prozesses darstellt und dass die neue Präsidentschaft die
reaktionären Kräfte, die sich der sozialistischen Transformation des Landes
widersetzen, mit Hilfe der organisierten ArbeiterInnen besiegen muss.

Gonzalo Gà³mez, Begründer von ANMCLA und einer der
Protagonisten der Bewegung alternativer Gemeinschaftsmedien, die während der
zentralen Momente des bolivarianischen Prozesses, wie etwa dem Putsch des 11.
April 2002, dem Streik in der Erdölindustrie 2002/03 und dem Referendum 2004
wesentliche Waffe der Volksbewegung gegen die Oligarchie waren, informierte das
Publikum darüber, dass das Hauptziel der Gemeinschaftsmedien sein muss, dass
lokale Radio- Fernsehsender und Zeitungen den Schritt hin zu nationalen Medien
machen um die noch vorherrschende Präsenz der privaten Fernsehkanäle der
Rechten zu durchbrechen. „Es ist uns gelungen, die Präsenz der lokalen Medien
auszuweiten, trotzdem sehen wir uns mit langen bürokratischen Prozessen
konfrontiert, wenn es darum geht die Legalisierung und Unterstützung zu
erhalten, welche die Regierung für alternative Medien vorsieht.“ Der Kampf im
Feld der Medien bezieht sich nicht nur auf die numerische Ausdehnung lokaler
Medien, sondern auf die Rücknahme der Lizenzen für die großen reaktionären
Fernsehkanäle. Wenn das Volk beginnt, die Legitimität dieser Kanäle, die den
Putsch unterstützt und nicht anderes gemacht haben, als der Mehrheit der Bevölkerung
die Stimme zu nehmen, in Frage zu stellen, dann schreit der Imperialismus, dass
die Regierung Chávez die Meinungsfreiheit einschränken würde. In Wahrheit wird
die Meinungsfreiheit für das Volk erst dann vollkommen garantiert sein, wenn es
dem Prozess gelingen wird, sich von den imperialistischen Ketten und der
Oligarchie zu befreien, die systematisch Desinformation verbreiten,
manipulieren und gegen den souveränen Willen des Volkes konspirieren.

Nach den Präsentationen der venezolanischen
Delegierten, wurde der internationale Kontext der bolivarianischen Revolution
sowie ihre Auswirkungen auf internationaler Ebene analysiert. Luz Perly Cordoba
von der Bauernvereinigung in Arauca, Kolumbien (ACA) berichtete von der
gefährlichen Situation an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze. Es handelt
sich nicht nur um ein Territorium, in dem die Streitkräfte und Paramilitärs des
Regimes von Uribe Và©lez kontinuierlich Massaker gegen FührerInnen sozialer
Bewegungen und Oppositionelle durchführen, sondern es geht auch um
destabilisierende und eine Intervention vorbereitende Operationen des
Imperialismus gegen das bolivarianische Venezuela.

Der Soziologe Gregory Wilpert fasste in seiner
Einleitung zum Thema des Sozialismus des 21. Jahrhunderts die Fundamente des
bolivarianischen politisch-ökonomischen Projekts und die zentralen Elemente für
den Übergang zum Sozialismus zusammen: volle Beteiligung des Volkes an den
Staatsentscheidungen und Stärkung der wirtschaftlichen Elemente, die nicht den
Marktgesetzen untergeordnet sind.

Die europäischen Delegierten Roberto Massari,
Vorsitzender der Stiftung Che Guevara in Italien, und Nekane Jurado, von
Izquierda Abertzale im Baskenland, unterstrichen, dass der bolivarianische
Prozess und seine Erfahrungen mit einem neuen Übergang zum Sozialismus die
Diskussion und theoretische Erneuerung auch in Europa fördern könnten. Roberto
Massari präsentierte eine Analyse über die Elemente der Kontinuität und des
Bruchs mit den lateinamerikanischen revolutionären Prozessen, welche die These
eines neuen Versuchs einer sozialistischen Revolution unterstützt. Die
Diskussion konzentrierte sich vor allem auf ein neues Verständnis und die
bolivarianische Definition des Konzeptes einer Einheitspartei. Im Baskenland
sind die Volksbewegung und die linke Unabhängigkeitsbewegung im Begriff ein
Modell des identitären Sozialismus auszuarbeiten, das sich auf
Selbstbestimmung, Volkssouveränität und historisch-kulturelle Identität des
Volkes stützt und in vielen Aspekten Gemeinsamkeiten mit den Ideen des
Sozialismus des 21. Jahrhunderts aufweist.

Die Revolutionäre
Volksbefreiungsfront der Türkei DHKC, die revolutionäre islamische Bewegung
Özgür Der aus der Türkei, die Kommunistische Partei Portugals (PCP) und
Resistir.Info, ein antiimperialistisches Kommunikationsmedium aus Portugal,
hatten Solidaritätsbotschaften an den Kongress gerichtet.

Der Kongress in Duisburg war
nicht nur ein Akt der Solidarität und Gegeninformation. Sein Geist war von der
antiimperialistischen Einheit gegen einen gemeinsamen Feind und von einem
internationalistischen kollektiven Ziel bestimmt, einem neuen Projekt
sozialistischer Emanzipation. Um diese Zielsetzungen des praktischen
antiimperialistischen Kampfes und der politsch-theoretische
Auseinandersetzungen zu erreichenn sind noch große Anstrengungen von Nöten. Es
hat sich gezeigt, dass der venezolanische bolivarianische Prozess ein
Katalysator ist, der auch in Europa das Entstehen einer neuen
antiimperialistischen Opposition mit erneuerten Konzeptionen einer politischen
und sozialen antikapitalistischen Alternative für die Völker Europas ausgehend
vom Widerstand gegen das nordamerikanische Imperium, dem derzeitig zentralen
Element der internationalen Geopolitik, anregt. Was für die AktivistInnen und
FührerInnen der bolivarianischen Volksbewegungen die natürliche Essenz von
RevolutionärInnen konstitutiert, nämlich der Antiimperialismus, die Sympathie
und Solidarität mit allen Völkern, die Widerstand leisten und mit ihrem
Widerstand den gemeinsamen Feind schwächen, erreicht in Europa, dessen Linke
weitgehend von der dominierenden Kultur und Denkweise des westlichen
Liberalismus durchdrungen ist und folglich den Widerstand der Völker als
„islamistisch“, „fundamentalistisch“, „terroristisch“, „populistisch“ oder
„nationalistisch“ zurückweist, dieser Ansatz nur eine Minderheit jener Kräfte,
die sich den Wiederaufbau eines revolutionären antiimperialistischen Projekts
gemeinsam mit den Widerstand leistenden Völkern des Südens in einem gemeinsamen
Kampf gegen das nordamerikanische Imperium zum Ziel setzen. Die bolivarianische
Revolution kann ein Motor von größter Bedeutung sein, wenn es darum geht, diese
Minderheit zu einer neuen breiten Option für die Massen in Europa zu machen.
Sie kann maßgeblich dazu beitragen, die imperialistischen Paradigmen zu
brechen, die Grundlagen für einen neuen Solidarität und Einheit unter den
Völkern, die gegen das Imperium kämpfen, zu legen und die Ausarbeitung neuer
strategischer Ideen des Aufbaus eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der die
oppositionellen Kräfte in ihrer Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus
und Imperialismus eint, voranzutreiben. Wir sind davon überzeugt, dass der
Kongress von Duisburg einen wichtigen Beitrag auf diesem strategischen Weg
leistet.

Antiimperialistisches Lager

November 2006

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