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Verteidigung der Bürgerrechte:Gebot internationaler Solidarität im Kampf für den Frieden

23. November 2006

Erscheint
in „Freidenker“ 4/06

Von Klaus von Raussendorff

Deutschland ist bekanntlich in Europa die
logistische Drehscheibe für die mörderische Militärmaschinerie der USA im Irak.
Diese völkerrechtswidrige Komplizenschaft des deutschen Establishment mit der
NATO-Führungsmacht USA zu behindern und zu beenden, muss Aufgabe aller
rechtlich denkenden und antimilitaristischen Kräfte sein. Die Herrschenden
wissen, dass ihre Rüstungs- und Kriegspolitik internationale Solidarität
provoziert. Und sie reagieren.


Berlin: Trotz Schikanen erfolgreiche
Irak-Konferenz

Das Kesseltreiben gegen die Internationale
Irak-Konferenz, die am 12. März 2005 in Berlin trotz großer Schwierigkeiten
dennoch zu einem beachtlichen Erfolg wurde, begann, als der Berliner
Innensenators Ehrhart Körting (SPD) im Verfassungsausschuss am 13. Januar 2005
erklärte, die Veranstaltung werde von „Anhängern des ehemaligen Regimes von
Saddam Hussein und von linken Gruppierungen“ organisiert. „Er sehe aber keine
Handhabe, dagegen vorzugehen.“ Den Veranstaltern „antisemitische“ Tendenzen
anzuhängen, war direkt nicht möglich. Aber auf die Anti-Semitismus-Masche, mit
der Gegner der Nah- und Mittelostpolitik der USA, Israels und ihrer Verbündeten
verleumdet werden, wollte man nicht verzichten. So lancierte die Berliner
Zeitung (v. 14. 01.05) in ihrer Meldung über den Körting-Auftritt den
orakelhaften Hinweis: „Der gewählte Ort für die Veranstaltung liegt indes ganz
in der Nähe des Jüdischen Museums“. Diese manipulative Botschaft sollte bei
Christenmenschen ankommen, die das Jüdische Museum in Berlin für eine
Institution zur Unterstützung der US-Politik im Irak halten. Das zeigte sich
allerdings erst zwei Monate später, als drei Tage vor dem Termin das
„Interreligiöse Zentrum Jerusalem“, eine Einrichtung der evangelischen Kirche,
wo die Konferenz stattfinden sollte, den Mietvertrag mit den Veranstaltern
kündigte. Begründung: „Aufgrund unserer Ausrichtung als Interreligiöses
Zentrums und insbesondere der engen Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum,
der wir uns verpflichtet fühlen, die durch diese Veranstaltung gefährdet ist,
sehen wir uns leider gezwungen, den Vertrag zu kündigen.“ Es seien „nach
Vertragsschluss Erkenntnisse über Tendenzen der Veranstaltung gewonnen worden“.
Insbesondere über einen der irakischen Referenten, Awni al-Kalemji. In aller
Eile wurde ein Hörsaal in der Fachhochschule für Wirtschaft und Technik angemietet.
Und prompt wurde auch dieser aufgrund des Hinweises eines Denunzianten
gekündigt. Der Trick des Staatsschutzes, Bürgerrechte mit Hilfe williger
Vollstrecker der so genannten „Zivilgesellschaft“ auszuhebeln, hatte Methode.
Sie sollte Schule machen. Später erreichte Körting damit in Berlin die
vorläufige Absetzung einer Opernaufführung, fiel dabei allerdings heftig auf
die Nase. Auch die Irak-Konferenz vermochte Körting nicht zu verhindern. Es war
der türkische Verein IKA in Berlin-Kreuzberg, der in selbstverständlicher
Solidarität sofort seine Räume zur Verfügung stellte. „Wie gut, dass es unsere
türkischen Freunde in Kreuzberg gibt,“ kommentierte Ekkart Spoo, der
Herausgeber der Zeitschrift „Ossietzky“, der bei der Konferenz moderierte.
„Denen haben wir es zu verdanken, dass wir unser Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit und freie Information wahrnehmen können.“ Zu den Unterstützern der Konferenz gehörten die „Attac
Arbeitsgemeinschaft Globalisierung und Krieg“, die Deutsche Kommunistische
Partei (DKP) Berlin, der Deutsche Friedensrat, der Duisburger Initiativ e.V.
und der Deutsche Freidenkerverband, dessen Bundesvorsitzender Klaus Hartmann an
einem der Diskussionsforen teilnahm.

Irak: Zusammenschluss des Widerstands

Inzwischen hat der irakische Widerstand
weitere Fortschritte gemacht. Das Fiasko der Besatzung wurde zum
Hauptwahlkampfthema in den USA. Ende Oktober diesen Jahres formierte sich im
Irak ein „Vereinigtes Politisches Kommando des Irakischen Widerstands“. Es
besteht aus 25 Mitgliedern, 15 im Ausland und 10 im Irak. Diese repräsentieren
die Arabisch-Sozialistische Baath-Partei, die Irakische Patriotische Allianz,
das Generalkommando der Streitkräfte (das aus ehemaligen militärischen
Befehlshabern besteht), die Strömungen der „patriotischen Kommunisten“ in
Opposition gegen den Kollaborationskurs der Führung der Irakischen
Kommunistischen Partei, die Vereinigung der islamischen Ulemas (die höchste
religiöse Instanz der Sunniten im Irak), den schiitischen Ayatollah Ahmed
al-Hussaini al-Bagdadi, die nationalistische und Nasseristische Strömung sowie
die al-Rashidà­n-Armee, die Islamische Armee und die Brigaden der Revolution von
1920 (die drei letztgenannten Formationen sind ebenfalls militärische Gruppen,
erstere von ehemaligen Militärs gebildet, während die beiden letzteren
sunnitisch-islamistischer Herkunft sind, aber nichts mit der pan-islamistischen
Bewegung der Takfiri zu tun haben). Die Irakische Patriotische Allianz (IPA)
ist mit ihrem auch in Deutschland bekannten Vorsitzenden Abdeljabar Al Kubaysi
in dem Einheitskommando vertreten. Der schon erwähnte Awni al-Kalemji, der in
Dänemakr im Exil lebt, ist Sprecher der IPA in Europa.. Er war in der Tat bei
der Berliner Irak-Konferenz einer der drei irakischen Referenten. Dass diese
Kräfte des Widerstands in Deutschland ihre Position vertreten können, ist im
Interesse der Beendigung der Besatzung und eines demokratischen Wiederaufbaus
des Irak noch wichtiger geworden.

Staatsschutz erkaliert Verfassungsbruch …

Doch die Schwierigkeiten sind nicht geringer
geworden. Schon im Frühjahr diesen Jahres war eine Vortragsreise von Kalemji
geplant. In Berlin, bei der ersten geplanten Veranstaltung, zog ein großes
Polizeiaufgebot auf. Kalemji konnte nicht sprechen, hiesiges Publikum durfte
ihn nicht hören. Tags darauf wurde er in Hamburg verhaftet und abgeschoben.
Zwar musste ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Berlin gegen
Kalemji eingestellt werden. Im Hinblick auf die Illegalität des Vorgehens der
Behörden weigerte sich der Verfasser dieser Zeilen, bei der Polizei zur Person
von Kalemji auszusagen. Doch bald holten die Berliner Behörden zum nächsten
Schlag aus. Sie verhängten am 27. September über Kalemji ein Aufenthaltsverbot.
Gegen diese Maßnahme hat der Hamburger Rechtsanwalt Hans-Jürgen Schneider, der
Kalemji vertritt, juristische Schritte eingeleitet.

Die Ausweisungsverfügung der Ausländerbehörde
ist ein Lehrstück. Sie zeigt mit brutaler Offenheit den Zusammenhang zwischen
deutscher Unterstützung für Aggression und neokoloniale Unterdrückung und der
sich daraus zwangsläufig ergebenden Außerkraftsetzung von Freiheitsrechten.
Kalemjis klare Äußerungen zum legitimen bewaffneten irakischen Widerstand lesen
sich in der Ausweisungsverfügung so: „Am 11.12.2003 wurde in der Fernsehsendung
Panorama ein Beitrag gesendet, in dem Sie folgende Äußerung tätigten: ‚Wenn man
die Besatzer schlagen will, gibt es nur einen Weg: einen Guerillakrieg,
bewaffneten Kampf. Die Leute, die mit der Besatzung kooperieren, etwa
Polizisten, alle diese Leute sind Ziel für uns.‘ Ferner äußerten Sie: ‚Ob
Schiiten, Kurden, Fedayin oder auch die Baath-Partei, wir arbeiten mit allen
zusammen, die unsere Ziele teilen, Hand in Hand.‘ In einem Interview mit ‚rote
fahne news‘ am 12.11.2004 sagten Sie: ‚Wir unterstützen alle Arten des
Widerstandes einschließlich des bewaffneten Kampfs.‘ In der BZ am Sonntag war
am 13.03.2005 zu lesen: ‚Die Amis sollen unser Land verlassen. Wir müssen jeden
Tag 100 militärische Operationen gegen die US-Truppen organisieren.‘ In einem
am 14.03.2005 mit Ihnen geführten Interview in der jungen Welt antworteten Sie
auf die Frage, ob Sie ‚Möglichkeiten sehen, dass die US-Truppen auf friedlichem
Wege veranlasst werden können, den Irak zu verlassen? – Nein, das halte ich für
ausgeschlossen. Das geht nur über den bewaffneten Kampf.'“

…im Dienste des Bündnisses mit den USA

Auf der Berliner Irak-Konferenz hatte der
Völkerrechtler Prof. Dr. Gregor Schirmer im Einzelnen dargelegt, dass
Widerstand gegen fremde Besatzung nach überwiegender völkerrechtlicher Meinung
auch in bewaffneter Form legitim ist. (siehe: http://www.irakkonferenz.de/ ) Die von
der Ausländerbehörde angeführte Bestimmung des Aufenthaltsgesetzes ist durch
die öffentlichen Äußerungen von Kalemji zum legalen Widerstand überhaupt nicht
verletzt. Im Aufenthaltsgesetz ist vielmehr davon die Rede, dass ausgewiesen
werden kann, wer „Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein
Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von
vergleichbarem Gewicht in einer Weise billigt oder dafür wirbt, die geeignet
ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören.“ (…§ 55 Abs.2 Nr.8a
AufenthG) Das „Verbrechen gegen den Frieden“ wurde im Irak tatsächlich
begangen, allerdings durch den Angriffskrieg der USA und mit logistischer
Unterstützung Deutschlands. Aus diesem obersten aller Menschheitsverbrechen
folgten alle weiteren „Kriegsverbrechen“. Kalemjis Stellungnahmen werden grob
verfälscht, wenn die Ausländerbehörde in der Ausweisungsverfügung behauptet, in
seinen Äußerungen werde „der gewaltsame Widerstand gegen irakische
Institutionen und deren Repräsentanten und alle anderen Personen, die sie
schützen und konkret vertreten, heraufbeschworen und damit deren Leben und
Gesundheit in unmittelbare Gefahr gebracht.“ Man muss zweimal lesen, um zu
entdecken, wie hier die wirklichen Kriegsverbrecher, die US-Besatzer, die einen
Angriffskrieg führten, die in Abu Ghraib folterten, fast die ganze Stadt
Faludja und andere irakische Örtlichkeiten dem Erdboden gleich machten,
Zehntausende von Zivilisten ermordeten, Tausende Iraker in Konzentrationslager
sperrten und das Morden von Todesschwadronen organisierten im Jargon der
Berliner Ausländerbehörde hinter völlig anonymen „anderen Personen“, die da
„schützen und konkret vertreten,“ unsichtbar gemacht werden sollen. So
hanebüchen die „juristische“ Argumentation, so brutal offen das Eingeständnis
des politischen Zwecks der Ausweisung. Aus der Sicht der Ausländerbehörde
beinhalten Kalemjis Stellungnahmen „eine Beeinträchtigung von Grundinteressen
der Gesellschaft, gerade wenn es um auswärtige Belange der Bundesrepublik
Deutschland geht, hier das Verhältnis zum Irak und zu den USA.“

Nun hat allerdings das Bundesverwaltungsgericht in einem Aufsehen erregenden Urteil vom 22.
Juni 2005 (Aktenzeichen: 2 WD 12.04) festgestellt, dass im Hinblick auf das
Gewaltverbot der UN-Charta und das sonstige Völkerrecht erhebliche
völkerrechtliche Bedenken nicht nur gegen die Invasion der USA und
Großbritanniens im Irak bestehen, sondern auch gegen die von der Bundesrepublik
den USA gewährten Unterstützungsleistungen wie Überflugrechte und
AWACS-Einsätze. Doch das Urteil eines obersten deutschen Gerichts scheint die
Berliner Behörden nicht weiter zu beeindrucken. So entpuppt sich denn ihre
Ausweisungsverfügung gegen Kalemji sich als der kaltschnäuzige Versuch, die
völkerrechtswidrige Handlungsweise der deutschen Regierung zu decken und zu
vertuschen und dies auch noch mit angeblichen „Grundinteressen der Gesellschaft“
zu rechtfertigen.

Maulkorb allein in
Deutschland – Auch zur Abschreckung für anderer Ausländer

Der Eingriff in die
Meinungs- und Informationsfreiheit, so die Ausländerbehörde, könne „nur dann
(schwerwiegend) zum Tragen kommen“, wenn Kalemji seine „politischen Ansichten
ausschließlich im Bundesgebiet artikulieren“ könnte. Aber seine
„Bewegungsfreiheit im übrigen Hoheitsgebiet der anderen Vertragsstaaten“ des
Schengenabkommens sei doch nicht „tangiert“. Er könne doch seine Meinung „frei
außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik äußern“. Auf diese Beschreibung
Deutschlands als demokratisches Notstandsgebiet Europas muss man erst einmal
kommen. Sie offenbar nur einer Behörde
einfallen, die sich gar nicht bewusst zu sein scheint, dass sie mit ihrem
Maulkorb für einen ausländischen Politiker auch in das Informationsrecht von
Deutschen und anderen hier lebenden Menschen in verfassungswidriger Weise
eingreift.

Kalemji habe, so heißt es
in der Ausweisungsverfügung abschließend, mit „Teilnahme an Demonstrationen und
Vorträgen ….erheblich Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt.“ „Andere
Ausländer“ könnten seinem „Beispiel bei öffentlichen Kundgebungen“ folgen. „In
Anbetracht der Zunahme von Gesetzesverstößen der von Ihnen begangenen Art,“ so
wird Kalemji vorgehalten, „besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse an
Ihrer Ausweisung bereits darin, andere Ausländer von vergleichbarem
rechtswidrigem Verhalten abzuschrecken.“ Die Berliner Behörden gestehen damit
ein, dass die Zensur, die sie über den irakischen Exil-Politiker verhängen
wollen, Teil eines weiter reichenden Programms ist, mit dem die politischen
Bürgerrechte von Ausländern und Immigranten generell eingeschränkt werden
sollen. So wurde bei der Berliner Demonstration gegen den Libanon-Krieg am 12. August
wurde das Zeigen der Fahne der Hisbollah verboten, in der viele das Symbol der
legitimen Selbstverteidigung eines kleinen angegriffenen Landes sehen.

Die Verfassung garantiert das Recht, sich
friedlich zu versammeln, Meinungen frei zu äußern und Informationen zugänglich
zu machen. Doch schon in der Weimarer Republik hatte Jahre vor ihrem Ende ein
Prozess der Faschisierung in Politik und Gesellschaft eingesetzt.
Freiheitsrechte sind in der bürgerlichen Demokratie nichts, was der
Herrschaftsapparat den Bürgern bedingungslos und zuverlässig gewährt. Sie
müssen verteidigt werden. Insbesondere dann, wenn es um grundlegende Interessen
der großen Bevölkerungsmehrheit in der Auseinandersetzung mit der Politik der
Herrschenden geht.

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