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Faschismus oder Demokratie

27. November 2006

Mehmet Agar – neuer Superheld der türkischen
Politik?

Innerhalb weniger Wochen konnte sich Mehmet Agar wieder einen
Platz auf der politischen Bühne einnehmen und sein Name findet sich überall in
allen türkischen Medien. Es ist ja auch wirklich in cleverer Schachzug, der ihm,
dessen Name immer in Zusammenhang mit Mafiakreisen und brutaler
antidemokratischer Politik gestanden hat, gelungen ist. Und gerade unter denen,
die am meisten unter der Politik seiner Partei zu leiden hatten, beobachten
seinen Vorstoß hoffnungsvoll. Gemeint ist die Bevölkerung Kurdistans, die zu
Beginn der 90er Jahre zu Millionen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben
worden sind durch eine Politik, die gleichzeitig zehntausende Menschen das Leben
gekostet hat, viele von ihnen wurden auf offener Straße von „unbekannten
Tätern“, einem Synonym für paramilitäre Killerbanden, damals, als Tansu Culler
der kurdischen Befreiungsbewegung und allen demokratischen kurdischen Kräften
den totalen Krieg erklärt hatte. Jedoch bis zum Ende der 90er verlor die Dogru
Yol Parti (DYP) – Partei des Rechten=Richtigen Weges ihre einstige Popularität;
nicht zuletzt durch den Sursulukskandal, als die direkten Verstrickungen Tansu
Cillers mit dem „tiefen Staat“ (einem Netzwerk, das die türkische Politik
außerhalb der Kontrolle des Parlaments beeinflußt) und der Drogenmafia ans Licht
gekommen waren und natürlich auch wegen ihrer brutalen Ostpolitik hatte sie das
Vertrauen der WählerInnen komplett verloren. Aber nicht nur die DYP, auch alle
anderen Parteien, die in das Netz des tiefen Staates verstrickt waren, wurden in
den letzten Parlamentswahlen abgewählt und die junge gemäßigt islamische AKP,
die auf dem Boden der kemalistischen Verfassung der Türkei steht, übernahm die
Regierungsverantwor

tung. Von dieser Partei versprach sich das Volk eine
saubere weniger korrupte Politik.

Obwohl Tayyip Erdogan während seiner
Regierungszeit einige Versuche unternommen hat, wesentliche Probleme der Türkei
zu lösen, u.a. das Kurdenproblem, so ist er doch jedesmal vom Militär in seine
Schranken verwiesen worden und auch beim EU- Beitritt der Türkei konnte er
letztlich keinen Erfog erzielen, auch wenn es anfangs zu einer Annäherung an
Europa gekommen war, die die Befürworter des EU-Beitritts zuversichtlich stimmen
ließ.

Und gerade die Kurdenfrage ist es, die nun Mehmet Agar auf den
Plan gerufen hat, nachdem sich die USA persönlich mit dem Problem PKK zu
beschäftigen begonnen haben, in erster Linie um zu verhindern, daß die türkische
Armee in ihrem Kampf gegen den Terror, das heißt gegen die PKK weiterhin in den
Nordirak einmarschiert, was die USA , die den Irak zu ihrem Hoheitsgebiet
erklärt haben und die mit ihnen verbündeten südkurdischen Parteien – die
einzigen Verbündeten, auf die die USA im Irak bauen können – ernsthaft zu
verärgern droht.

Erwartungsgemäß steht die Türkei der Einsetzung eines
US-amerikanischen PKK-Koordinators mit großer Skepsis gegenüber, versteht sie
dieses doch als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten wie jede
internationale Kritik, an ihrem Vorgegen gegen die Guerilla der PKK und den
kurdischen Befreiungskampf. Und so hat die Regierung Tayyip Erdogans auch
bislang den einseitigen Waffenstillstand, den die PKK am I. Oktober dieses
Jahres ausgerufen hatte weitgehend unbeantwortet gelassen und das türkische
Militär setzt weiterhin seine Operationen gegen die Guerilla mit unverminderter
Stärke fort. Und in eben dieser Situation entschließt sich nun einer der
ehemalige Befürworter des Vernichtungskampfes gegen den kurdischen Widerstand,
Gesprächsbereitschaft mit der PKK zu anzukündigen. Mehmet Agar möchte die
„verirrten Kinder“ von den Bergen holen, um sie wieder in die Gesellschaft zu
integrieren und damit in der Türkei ein neues Kapitel aufschlagen und den Weg
für Frieden und Demokratie freimachen. Natürlich mußten seine Worte in der
Türkei einschlagen wie eine Bombe. Mehmet Agar war der letzte, von dem man
solche Worte erwartet hatte. Aber nun ist er wieder im Gespräch. Durch seine
Ankündigungen hat er, von dem man nach dem Abgeleiten der DYP ins politische Aus
sich kaum noch gehört hatte, sich von einer Sekunde zur anderen herausgehoben
aus der Menge der rechten Oppositionspolitiker, die alle mehr oder weniger
angegraut ansonsten wenig Beachtung finden.

Taktisch klug ist sein
provokanter Vorstoß auf alle Fälle, man kann nicht sagen, daß er nicht die Gunst
der Stunde zu nutzen gewußt hätte. Man könnte fast meinen, daß sein Vorhaben
fast zu klug und mutig sei für einen einzigen Mann, denn selbst aus den Reihen
seiner Partei bekommt er wenig Unterstützung und er scheint sie auch gar nicht
ernsthaft zu suchen. Er hat sich bewußt alleine uns Rampenlicht gesetzt. Denn er
setzt nicht in erster Linie auf einen Sieg seiner Partei in den nächsten Wahlen
sondern auf seinen eigenen und er scheint darauf zu bauen, daß er durch seine
neue Popularität der nach dem Ausscheiden Tansu Cillers aus dem politischen
Leben farblos gewordenen Partei seinen Willen wird aufzwingen können. Und wenn
er den Mut für seine angebliche 180° Wende nicht aus der Partei schöpfen kann,
so muß er sich sicher sein, anderweitig Unterstützung für seinen Vorstoß zu
bekommen. Und wer könnte mehr Interesse an seinem Vorstoß haben als die USA,
denen die Politik der AKP alles andere als gefällt. Seit die AKP and der
Regierung ist, haben die USA schwere Schläge von ihrer einstmals treuen
Nato-Verbündeten einstecken müssen.. So war Tansu Ciller, einzige weibliche
Ministerpräsidentin in der Geschichte der türkischen Republik und langjährige
Vorsitzende der Partei des Rechten Weges immer eine willige Gefolgsfrau gewesen
und hat alle Nato-Verpflichtungen zur Zufriedenheit der USA erfüllt. Der
wohl schwerste Schlag in den letzten Jahren, den die USA der AKP-Regierung bis
heute nicht verziehen haben, war die Versagung militärischer Unterstützung
während des Irakkrieges, die auf selten demokratische Weise erfolgte, weil die
Mehrheit der Bevölkerung in der Türkei den Krieg abgelehnt hatte. In den letzten
Jahren konnte die Türkei ihre Beziehungen zu dne Nachbarstaaten nicht nur
ausbauen, sie hat auch begonnen, ihre eigenen Nahostpolitik zu machen und war
der erste Staat, der palästinensische Hamasvertreter nach deren Wahl empfangen
hat. Auch wenn die USA diese Angelegenheit damals nicht weiter aufgebauscht
haben, um eine diplomatische Krise zu vermeiden, können ihnen solche
Eigenmächtigkeiten keinesfalls gleichgültig sein. Und auch wenn die AKP sich in
bezug auf ihre religiösen Anschauungen sehr zurückhaltend verhalten, so müssen
die USA doch fürchten, daß sie die Türkei stärker in die Nähe islamischer
Staaten treiben könnten, wenn sie erst einmal die Machtbasis dafür geschaffen
haben. Sollte es Erdogan oder einem anderen Politiker aus den Reihen der AKP
gelingen, im nächsten Jahr den säkularen Sezer als Staatspräsident abzulösen und
gleichzeitig ihre Mehrheit im Parlament zu behaupten, könnte sie wesentliche
Änderungen an der türkischen Verfassung vornehmen. Denn bislang sind den
Abgeordneten der AKP durch das Veto des Staatspräsidenten in Verfassungsfragen
die Hände gebunden. Dagegen könnte eine DYP unter Mehmet Agar die Türkei wieder
auf einen proamerikanischen Nato-freundlichen Kurs einschwenken. Als erklärter
Liberaler würde er auch den imperialistischen Erwartungen an die türkische
Wirtschaft entgegenkommend zeigen. An der Türkei gibt es aus Sicht des Westens
viel zu verdienen, vor allem wenn der von den KurdInnnen bewohnte Osten des
Landes erst einmal befriedet ist. So werden sich nach Fertigstellung des
Ilisustaudamms neue Möglichkeiten im landwirtschaftlichen Sektor öffnen. In
der Ebene bei Diyarbakir könnten riesige Flächen für Monokultur entstehen und es
sich nicht schwer sich vorzustellen, wer von diesen Möglichkeiten profitieren
wird. Die kurdische Bevölkerung soweit sie nicht vertrieben wird, wird sich
allenfalls als Tagelöhner verdingen können.

Aber das sind nicht die
Dinge, von denen man heute reden möchte. Die Menschen in Kurdistan sehnen sich
nach jahrzehnte langem Krieg nach Frieden und Frieden wird es erst dann geben,
wenn die PKK den bewaffneten Kampf aufgibt. Ihre Forderungen dafür hat sie mit
der Erklärung eines einseitigen Waffenstillstandes offengelegt, aber auf dem Weg
zum Friedensprojekt soll ihr bestimmt noch so mancher Zahn gezogen werden, bevor
sie „reintegrationsfähig“ ist möglichst schwach dastehen, denn eine starke
PKK wollen weder die USA, noch die Türkei, noch die feudalen kurdischen Parteien
im Nordirak. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob es sich lohnt, Agar zum
Thronanwärter aufzubauen. Das wird davon abhängen, wieviel Unterstützung er
unter der eigenen Bevölkerung gewinnnen kann. Das hängt im wesentlichen davon
ab, ob sich die KurdInnen überzeugen lassen, daß er ihre Interessen besser
vertritt als die prokurdische DTP (Partei für eine demokratische
Gesellschaft), die obwohl sie weite Teile der kurdischen Bevölkerung
vertritt, über keine richtige Macht verfügt und auch die mit der Politik
Erdogans und der AKP unzufriedenen Massen müssen glaubend gemacht werden, daß
ein Mehmet Agar einen stärkeren demokratischen Vorstoß wagen kann.Und gerade
weil für sie das Friedensprojekt im Vordergrund steht, besteht die Gefahr, daß
andere für die Zukunft wichtige Aspekte in den Hintergrund rücken, weil man
meint, daß sich diese lösen lassen, wenn sie erst einmal die Möglichkeit haben,
sich voll und ganz am politischen und gesellschaftlichen Leben in der Türkei zu
beteiligen können. Aber man darf nicht vergessen, daß Mehmet Agar ein Profi auf
dem Feld der türkischen Politik ist, der beim Einsatz seiner Mittel nicht
zimperlich ist und außerdem mächtige Unterstützung nicht zuletzt von der
türkischen Mafie und dem Militär hat. Für Mehmet Agar ist das Friedensprojekt
heute nur ein Mittel zur Macht, so wie es damals der Krieg gegen den kurdischen
Widerstand und alle demokratischen Kräfte war.

Bagdad, 19. November
2006


Fatma Salih Uthman

Maxmur Organisation für Menschenrechte und
soziale Fragen

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