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Aufstand und Repression in Oaxaca

14. Dezember 2006

Eine Reportage von Oralba Castillo Nájera

 

Die Ermordung des Indymedia-Journalisten Bradley Will am 27.
Oktober 2006 war der Vorwand für die Entsendung der Präventiven Polizeitruppen
(Policà­a Federal Preventiva – PFP) nach Oaxaca, dem mexikanischen Bundesstaat,
in dem seit Monaten eine starke Volksbewegung die Regierung herausfordert. Am
Tag ihrer Ankunft wurden drei Personen ermordet, unter ihnen ein 14-jähriger
Jugendlicher. Hunderte Menschen verschwanden, mehr als achtzig wurden
festgenommen. Trotz dieser Ereignisse stellte der damalige Regierungssekretär
des Bundesstaates fest, dass die PFP “Ruhe und Ordnung” nach Oaxaca
zurückgebracht hätte. Das seit 17. Juni auf dem Hauptplatz von Oaxaca
aufgebaute Zeltlager der Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca (APPO) wurde
aufgelöst, nicht jedoch die Barrikaden, die noch Wochen nach der Besetzung
standhielten.

Die Anwesenheit der politischen Militärpolizei PFP ist eine
Unterstützung für den Gouverneur Ulises Ruiz, ein typischer Cazique der
früheren Regierungspartei der Institutionalisierten Revolution (PRI), dessen
Rücktritt die zentrale Forderung der Volksbewegung ist. Auf diese Weise
festigte sich das Bündnis zwischen der PRI und der rechten Partei der
Nationalen Aktion (PAN), die derzeit an der Regierung ist. Die PRI unterstützt
die PAN um die Machtübernahme des umstrittenen Präsidenten Felipe Calderà³n zu
garantieren, da von Seiten der Rechten die Befürchtung bestand, dass aufgrund
des Drucks der Bewegung von Là³pez Obrador die Einsetzung des Präsidenten
gefährdet wäre. Là³pez Obrador, Präsidentschaftskandidat der
sozialdemokratischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD), erkennt den
Wahlsieg Calderà³ns nicht an und wurde von der Protestbewegung am 20. November
öffentlich zum “legitimen Präsidenten” erklärt. Eine Million Menschen wohnte
der Veranstaltung bei. Die Masse beschuldigte den scheidenden Präsidenten Fox
des “Verrats an der Demokratie” und Felipe Calderà³n der “Usurpation”. Sie
bekundete, dass sie die für den 1. Dezember nach den Vorschriften der
Verfassung anberaumte Einsetzung des neuen Präsidenten im Abgeordnetenhaus
verhindern werde. Die PAN, die seit dem Jahr 2000 an der Macht, seit dem
allerdings aufgrund einer institutionellen Krise politisch und moralisch stark
geschwächt ist, verbündete sich mit der PRI und bot ihr an, den Verbleib von
Ulises Ruiz als Gouverneur von Oaxaca auch um den Preis eines
Menschenschlachtens in Oaxaca zu unterstützen.

 

Mit der Invasion durch die PFP wurde in Oaxaca der
Ausnahmezustand ausgerufen. Die Universidad Autà³noma Benito Juárez wurde zur
Bastion des Widerstandes. Hier entstand Radio Universidad, das die von der PFP
angegriffene und verfolgte Bevölkerung ständig informierte und die Verbindungen
aufrecht erhielt. Radio Universidad, ein Beispiel für funktionierende
“Volkskommunikation”, ermöglichte es der Bewegung, den Widerstand auch in
Augenblicken der höchsten sozialen Anspannung fortzusetzen.

 

Am 2. November kam es zu einem Zusammenstoß zwischen der
PFP, mit ihr verbündeten Gruppen von Provokateuren, Auftragskillern und von der
PRI Ulises Ruiz’ bezahlten Paramilitärs und dem Volk. Die Repression
konzentrierte sich auf die Universität, stieß jedoch auf starken und gut
organisierten Widerstand. Die Studierenden wurden dank des von Radio
Universidad verbreiteten Aufrufs von den GenossInnen der APPO unterstützt,
welche die PFP zum Rückzug zwingen konnten. Das gleiche geschah in den Straßen
und Plätzen, wo die Bevölkerung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden
Werkzeugen, Molotovcocktails, Steinen und Stöcken das Vordringen der Polizei
abwehrte. Mit diesem Triumph gelang es die Ereignisse des 14. Juni zu
wiederholen, als das Volk die Truppen der Bundespolizei in die Flucht schlug,
die es mit Tränengas und mit Unterstützung von Hubschraubern der Kriegsmarine
angegriffen hatten.

 

Die Anwesenheit der PFP löste in Oaxaca einen
Belagerungszustand aus. Gesetze wurden gebrochen um der Einschüchterung durch
rohe Gewalt freien Lauf zu lassen: Bedrohungen, Festnahmen, Gewaltanwendung,
Entführungen und Tötungen. Zehn Tage nach der Einnahme des Hauptplatzes
vergewaltigte die Polizei eine Frau, etliche Geschäfte wurden ausgeraubt,
Straßen und Plätze standen nur noch der PFP zur Verfügung.

 

In den Tagen des 10. bis 12. November wurde trotz des Ausnahmezustandes
der Konstituierende Kongress der APPO abgehalten, ein entscheidender Schritt im
Aufbau seiner organisatorischen Struktur, der Statuten, Prinzipen,
Kampfvorhaben. Die Teilnahme indigener Gruppen (In Oaxaca sind 80% der
Bevölkerung indigen) am Kongress bereicherte die Bewegung, die generell nach
dem Modell alter kommunitärer Formen, einer kollektiven Führung aus zweihundert
Delegierten und autonomen Versammlungen auf Grundlage der Ausübung der
Volksmacht organisiert ist.

 

Zu den schmutzigen Taktiken von Ulises Ruiz zählt die
Schaffung von Radio Ciudadana (Bürgerradio), über das zu Lynchmorden,
Denunzierungen und Verfolgung von Mitgliedern der APPO aufgerufen wird. Die
Volksbewegung soll so kriminalisiert, Wut und Hass der Bevölkerung auf sie kanalisiert
werden. Darüber hinaus engagierte Ruiz neben der PFP zahlreiche Auftragskiller,
Paramilitärs und Kräfte der Bundespolizei und schuf damit endgültig eine
Atmosphäre des Terrors in der Region.

 

Die politische Unfähigkeit des Staates, der mit dem Koordinierungsrat
der Unternehmer, der Kirchenhierarchie, den Transnationalen Firmen und dem
Drogenhandel über mafiöse Beziehungen verbunden ist, hat sich bis heute darin
gezeigt, die Krise auf politischem Wege zu lösen und im Gegensatz dazu nur zur
Anwendung repressiver Gewalt in der Lage zu sein. Die Härte nimmt infolge der
politischen Schwäche, die sich an der offensichtlichen Illegitimität der
offiziellen Institutionen und dem Wahlbetrug zeigt, zu. Die eiserne Faust gegen
die sozialen Bewegungen manifestierte sich auf allarmierende Weise in den
letzten Monaten der Regierung von Vicente Fox. Im Februar wurde eine
Polizeiaktion gegen den Streik der Minenarbeiter in Sicartsa, im Bundesstaat
Michoacan, durchgeführt, bei der etliche Personen getötet wurden. Im Mai wurde
die Kleinstadt San Salvador Atenco mit Gewalt eingenommen. Zwei Jugendliche
verloren ihr Leben, 207 Personen wurden festgenommen, 47 Frauen bei der
Überstellung von San Salvador in das Gefängnis von Santiaguito vergewaltigt.
Dreißig Menschen befinden sich nach wie vor in Gefangenschaft, darunter der
Führer der Bewegung zur Verteidigung des Landes, Ignacio del Valle. Fünf
ausländische GenossInnen wurden unter Verletzung der Menschenrechte deportiert.

 

Am 25. November infiltrierte Ulises Ruiz einige
Auftragskiller in die Demonstration der APPO. Die Provokateure waren
ausschlaggebend dafür, dass die Gewaltanwendung der PFP gegen die Demonstration
legitimiert werden konnte. Dreihundert Personen wurden festgenommen, zwanzig
verschwanden, es gab Hunderte Verletzte, es kam zu Plünderungen, öffentliche
Gebäude wurden mit dem Ziel im Auftrag des verhassten Gouverneurs Dokumente zum
Verschwinden zu bringen, in Brand gesteckt.

 

Von diesem Tag an wurden die Mitglieder der APPO als
subversiv angesehen und kriminalisiert, die sozialen Bewegung als von höchster
Gefährlichkeit eingestuft. Auf die in der Öffentlichkeit bekannten Führer der
Bewegung sind Haftbefehle ausgestellt, Radio Ciudadana verkündete ein Kopfgeld
von einer Million Pesos.

 

Trotz der angespannten Lage wurde in der Stadt Oaxaca ein
Treffen indigener Bevölkerungsgruppen abgehalten, das mit dem Beschluss endete
den Kampf weiterzuführen. Die Kirche der Armen, die in Mexiko über eine lange
Tradition verfügt, hat der Bewegung ihre Unterstützung ausgesprochen und die
Verbrechen des 25. November verurteilt. Die 141 an diesem Tag Festgenommenen
wurden gefesselt und in Gefängnisse in Nayarit überführt, was eine Verletzung
der Menschenrechte darstellt, da die geografische Entfernung es für die
Familienangehörigen schwierig macht, die Gefangenen zu besuchen. Nur 34 von
ihnen konnten bislang besucht werden. Alle wurden gefoltert und es ist kaum
möglich, zu ihnen Kontakt aufzunehmen.

 

Eine große Anzahle von nationalen und internationalen
Menschenrechtsorganisationen haben Zeugnis dieser Ereignisse und der
Straflosigkeit, unter der sie stattfanden, abgelegt. Sie fordern Gerechtigkeit
für die Gefangenen, die Rückführung aller Verschwundenen bei gesundem Leib und
Leben sowie die sofortige Einstellung der Verfolgung. Letzten Informationen
zufolge verlangen die Behörden bis zu vier Millionen Pesos für die Freilassung
jeder einzelnen Person.

 

Der Ausnahmezustand in Oaxaca spitzte sich einige Tage vor
der Machtübernahme des neuen Präsidenten Felipe Calderà³n zu. Gleichzeitig
organisierten die Nationale Demokratische Konvention und die Partei der
Demokratischen Revolution unter Andrà©s Manuel Là³pez Obrador eine Bewegung gegen
den Wahlbetrug und für die Aberkennung des Wahlsieges des umstrittenen
Präsidenten Calderà³n. Die Abgeordnetenkammer, in der die Übergabe des
Präsidentenamtes stattfindet, wurde von der PRD besetzt, die Türen verriegelt
um die Ankunft des scheidenden und antretenden Präsidenten zu verhindern.
Letztendlich mussten sich die Besetzer jedoch geschlagen geben. Die
Abgeordnetenkammer wurde von der PFP in einer bedrohlichen Aktion umstellt.
Einige Zonen in der Hauptstadt Mexico D.F. wurden ebenfalls polizeilich
abgeriegelt, was die de facto-Situation einer militärischen Besetzung
offensichtlich machte. Überraschenderweise verließ Calderà³n nach nur vier
Minuten offizieller Zeremonie der Amtsübergabe unter Polizeischutz in Zivil die
Abgeordnetenkammer.

 

Auf dem Hauptplatz protestierte eine halbe Million Menschen
gegen den Wahlbetrug. Die Demonstration mit Là³pez Obrador an der Spitze konnte
nur von einem massiven und gewaltbereiten Polizeiaufgebot aufgehalten werden.

 

Die der Regierung hörigen Medien lobten die institutionelle
Ordnung, übertrugen die Amtsübergabe, verschwiegen die gegnerischen Stimmen und
banalisierten die Militarisierung sowie den de facto-Ausnahmezustand in
Mexiko-Stadt. Nach Aussagen der Medien übernahm die Rechte in einem
verfassungsgemäßen Akt in Ruhe und Ordnung die Macht. Unterschiedliche
Kommandos der Demokratischen Revolutionären Tendenz gaben Kommuniquà©s heraus,
in denen sie die Notwendigkeit ihres politisch-militärischen Handelns in naher
Zukunft ankündigten, sich jedoch von den sozialen und politischen
Organisationen abgrenzten um diese nicht zu gefährden.

 

In den letzten Novembertagen beendete die Andere Kampagne,
die von den Zapatisten vor den Präsidentschaftswahlen gegründete nationale
Bewegung, ihre Etappenreise durch das Land. Auf ihrem Weg hatte sie das Volk
und die Linke konsultiert, Stimmen, welche die Geschichte eines anderen Mexikos
erzählen, dessen Geburt dringend notwendig ist. Der Delegierte Zero, wie sich
Subkomandante Marcos nennt, beendete seine Rundreise mit dem Hinweise auf
“nationale Vereinigung des Desasters”. Er sprach von den vier Rädern des
Kapitalismus: Ausraubung, Verachtung, Ausbeutung und Unterdrückung. Das
Zapatistische Heer zur Nationalen Befreiung (EZLN) ruft für den 22. Dezember zu
einer massiven nationalen und internationalen Mobilisierung für Oaxaca auf. Die
Proteste und Verurteilungen vervielfachen sich innerhalb und außerhalb des
Landes in den USA, Kanada, Europa, Asien und Lateinamerika. Nationale und
internationale Menschenrechtsorganisationen verurteilen die Ereignisse, so wie
sie es vor einigen Monaten angesichts der Repression in Atenco getan haben, und
fordern die Einhaltung der grundlegenden Rechte der GenossInnen.

 

Wir durchleben eine Periode einer tiefen Krise der
offiziellen Institutionen. Calderà³n gelangte dank der Unterstützung der
nationalen und internationalen Unternehmen, der Kirchenhierarchie und des
Drogenhandels an die Macht. Die Einsetzung seiner Regierung zeichnet klar die
neoliberale Linie, die eiserne Faust gegen jedwede Bewegung, die sich den
imperialen Absichten entgegenstellt, ab. Die Einsetzung des Vizedirektors des
Internationalen Währungsfonds Agustà­n Castens als Staatssekretär für Finanzen
sowie von Ramà­rez Acuña, ehemaliger Gouverneur von Jalisco, der sich durch die
Verhaftung und Folterung von 44 Globalisierungsgegnern, die 2004 gegen das
Europäisch-Lateinamerikanische Gipfeltreffen protestiert hatten, auszeichnete
wurde von der Bewegung zurückgewiesen.

 

In einigen Wochen beginnt die zweite Phase der Anderen
Kampagne: Der Subcomandante Marcos wird in die Selva Lacandona zurückkehren,
die Anführerinnen und Anführer des EZLN werden in jedem Bundesstaat der
mexikanischen Republik vertreten sein, um die politische Arbeit des letzten
Jahres fortzusetzen.

 

Im Morgengrauen des 5. Dezember wurde Flavio Soda, einer der
Delegierten der APPO, der gemeinsam mit drei weiteren Delegierten ein Treffen
verließ, auf dem die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Regierung diskutiert
worden war, festgenommen. Flavio Sosa wurde in ein Hochsicherheitsgefängnis
überstellt. Dieser Verrat – das Treffen war mit der Regierung im Vorhinein
vereinbart worden – verschlimmert die Situation. Viele Mitglieder der APPO
sehen sich gezwungen in den Untergrund abzutauchen.

 

Oralba Castillo Nájera

Mexiko-Stadt

7. Dezember 2006

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