Warum wir die iranische Konferenz „Neubeurteilung des Holocaust Globale Perspektiven“ verurteilen, den Kampf gegen den Missbrauch des Holocaust aber für notwendig befinden
Iranisches Doppelspiel
Der Iran ist in der Zwickmühle. Einerseits ist das islamische Regime eines der wesentlichen Hindernisse gegen die amerikanischen imperialen Bestrebungen. Um die drohende Aggression abzuwehren, bedarf es der Unterstützung der eigenen Bevölkerung und auch der arabischen Massen. Auf der anderen Seite hat das islamische Regime in einem Viertel Jahrhundert unter Beweis gestellt, dass es die Hoffnungen der Massen in die Revolution nicht erfüllen kann. Eine sich islamisch gebende Elite frönt dem ungezügelten Kapitalismus und bereichert sich auf Kosten der Massen. Nicht nur die zahlreichen Minderheiten, sondern jegliche soziale und politische Opposition wird mit harter Hand unterdrückt.
Die Spitze des Eisbergs der Verbrechen der klerikalen Elite zeigt sich indes im Irak, wo sie die amerikanische Besatzung gegen den Widerstand unterstützt und das Regime stellt. Die regionale Hegemonialpolitik Teherans dient im Irak als Faustpfand gegen die US-Attacke. Opfer sind dabei die Iraker.
Um sich die Unterstützung der eigenen Bevölkerung und der arabischen Massen zu sichern, zieht es das iranische Regime vor, rhetorische Attacken gegen Israel zu reiten anstatt den arabischen aber auch afghanischen Befreiungskampf gegen die USA und Israel wirklich zu unterstützen. So würde beispielsweise im Irak ein Wink aus Teheran genügen, um die schiitischen Massen am bewaffneten Kampf gegen die US-Besatzer zu beteiligen. Doch daran denkt Teheran nicht. Das Regime greift vielmehr rhetorisch auf das legitime Bedürfnis der eigenen Bevölkerung und der arabischen Massen zurück, sich gegen die Unterdrückung und Demütigung durch den Westen und Israel zur Wehr zu setzen. Doch missbraucht es die Widerstandsbestrebungen zur Festigung der eigenen Herrschaft. Die kürzlich in Teheran abgehaltene Holocaust-Konferenz ist ein deutliches Bespiel dafür.
Inversion des Zionismus
Die iranische Formel ist so einfach wie falsch. Wenn der Holocaust Israel rechtfertigt, dann darf es den Holocaust eben nicht gegeben haben. Zu kompliziert die Debatte über die Ursachen des Nationalsozialismus und Antisemitismus, über die Differenz von Judentum und Zionismus, über Kapitalismus und Imperialismus; vielleicht würde sie sogar die Hohlheit der eigenen islamischen Legitimation angreifen. Darum wird die zionistisch-westliche Propagandaformel einfach umgekehrt.
Der Schaden für den antiimperialistischen Befreiungskampf ist enorm. Denn wenn der Holocaust geleugnet wird, kann der Zionismus seinen Vorwurf, dass die arabisch-islamischen Befreiungsbestrebungen antisemitisch wären, ein Stück weit glaubhafter erscheinen lassen. Wer den Genozid an den Juden leugnet, dem kann leichter unterstellt werden, etwas gegen Juden als solche im Schilde zu führen. Der legitime Widerstand gegen die zionistische Ideologie und Praxis der Vertreibung, Unterdrückung und Besatzung kann so als Judenhass delegitimiert werden. Statt den Holocaust-Missbrauch anzugreifen, leistet der Iran ihm sogar noch Vorschub. Letztlich beschädigt der herrschende Klerus damit auch die antiimperialistische Verteidigung des Irans in aller Welt.
Missbrauch des Holocaust
Tatsache ist jedoch, dass Israel und der Westen den Holocaust missbrauchen um die eigene Politik zu rechtfertigen. Sichtbar ist dies an der Verleumdung des palästinensischen Befreiungskampfes als Antisemitismus, die sich in den westlichen Medien durchzusetzen beginnt. Sichtbar ist dies allerdings auch an der Weigerung der westlichen Medien sich mit der tatsächlichen politischen Dynamik in der arabisch-islamischen Welt auseinanderzusetzen.
Dort ist die Wut über den westlich-israelischen Missbrauch des Holocaust groß. Die Vertreibung der Palästinser aus ihrer Heimat wird von Israel seit jeher, vom Westen zunehmend mit dem Völkermord des Nationalsozialismus an den Juden gerechtfertigt. In den Augen der arabisch-islamischen Massen bedeutet dies in zynischer Weise den aktuellen Völkermord mit dem historischen zu rechtfertigen. Israel und seine permanente koloniale Aggression wird als unantastbar dargestellt, denn es sei der Staat der Opfer des Holocaust, die es zu schützen gelte.
Wenn man die Rache an den ehemaligen Tätern noch verstehen könnte, auch wenn mit der Kollektivschuldthese die verantwortlichen Eliten entlastet werden, so fällt geflissentlich unter den Tisch, dass die Palästinenser gar nicht die Täter waren. Um die Existenz Israels als exklusiv jüdischer Staat auf Grundlage einer historischen wie permanenten Vertreibung der ursprünglich ansässigen Bevölkerung zu rechtfertigen, sieht sich Israel genötigt, eine angebliche kollektive Täterschaft der Palästinenser zu konstruieren. Hierzu dient der Antisemitismusvorwurf gegen Palästinenser und andere Araber sowie überhaupt an alle Kritiker des Zionismus.
Mit den Nachfolgern der Täter ist man indes ausgesöhnt. Die tatsächliche Kontinuität der Täter, nämlich die des Imperialismus, wird geleugnet. Die deutschen Eliten haben den Völkermord an den Juden zu verantworten. Komplizen dabei waren der US-Imperialismus, der sie in antikommunistischer Funktion gewähren ließ und diese Eliten auch nach der deutschen Niederlage an den Schalthebeln der Macht beließ. Diese lassen sich indes aber als Befreier feiern. Und da war noch ein Komplize, der Zionismus, der sich als Sachwalter der Opfer aufspielte! Diesem ging es einzig darum auf dem unsäglichen Leid der Juden sein Kolonialprojekt in Palästina zu befördern, was sowohl von Nazis als auch von den USA grundsätzlich unterstützt wurde.
Die Hintermänner der Antisemiten von damals sind also die Hintermänner der Araberhasser von heute. Wenn diese Kriegsherren und Sklaventreiber heute salbungsvoll vor der Gefahr des Antisemitismus warnen und sich gar als Antifaschisten geben, dann ist das nicht nur durch und durch verlogen (es sei als bezeichnendes Beispiel erwähnt, dass die Familie Bush die Hausbanker der Nazis in den USA waren), sondern damit wollen sie ihre imperialen Pläne, sich die Welt und insbesondere die arabisch-islamische Untertan zu machen, verdecken.
Wenn die „Opfer der Opfer“, wie es Edward Said etwas vereinfachend aber um so plakativer einmal sagte, gegen diese ideologische Verdrehung aufstehen, dann ist das nicht nur verständlich, sondern auch ganz im Sinne des antifaschistischen Auftrags „Nie wieder!“
Kritik an der „Zivilreligion“ des Holocaust
Wir sind nicht nur weit davon entfernt, den Nazi-Genozid an Juden, Roma, diversen osteuropäischen Völkern und den systematischen politischen Mord an der Opposition zu leugnen. Im Gegenteil, wir verurteilen diese Versuche nicht nur aufs Schärfste, sondern repräsentieren die Kontinuität derjenigen, die gegen den Faschismus kämpften, mit dem Ziel damit den Kapitalismus und Imperialismus als ganzes zu überwinden. Es war die Arbeit unserer Vorläufer, die Katastrophe des Faschismus und den Widerstand dagegen zu dokumentieren, die die Eliten aufgrund ihrer Verstrickung unter den Teppich zu kehren versuchten.
Wenn wir heute davon sprechen, dass der Umgang Israels und des Westens mit dem Genozid an den Juden einer Zivilreligion gleichkommt, dann meinen wir damit, dass die zionistisch-imperialistische Ideologie den Holocaust missbraucht, um die imperiale Aggression und den modernen Kolonialismus zu rechtfertigen. Die Weigerung den Nationalsozialismus einer seriösen Analyse zu unterziehen und seine Kontinuität bis heute aufzuzeigen führt dazu, den Holocaust als sichtbarstes Verbrechen des Faschismus quasi irrational verklären zu müssen. Hierzu ist festzuhalten:
1) Der Holocaust hat nichts mit den Palästinensern zu tun und rechtfertigt in keiner Weise die zionistische Kolonisierung Palästinas, die nichts als ein permanenter rassistischer Vertreibungskrieg, eine fortgesetzte „ethnische Säuberung“ ist, wie die USA es gerne nennen, wo es ihren Interessen dient.
2) Der Holocaust ist nicht das unerklärliche absolute Böse, sondern hatte eine konkret fassbare historische Funktion für die deutschen kapitalistischen Eliten: die Ideologie der Herrenrasse in ihrer brutalen Konsequenz vorzuführen (den „totalen Krieg“ nach innen), um die Mobilisierung für ein unrealistisches Ziel, nämlich die globale Herrschaft des deutschen Kapitals (den „totalen Krieg“ nach außen), zu ermöglichen. Die Verklärung und Vertuschung dieser Tatsache entschuldigt die noch immer herrschenden Eliten, die heute unter dem Schutzschirm der USA sehr zufrieden ihre imperialistischen Verbrechen fortsetzen.
3) Der Antisemitismus war keine alleinige Ideologie der Eliten, sondern hatte tiefe Wurzeln im Volk. Doch seine Organisation zum Völkermord ist nur durch die Eliten möglich geworden. Heute ist der historische Antisemitismus abgeklungen, weder seine politisch-sozialen Ursachen bestehen fort, noch erscheint er seinen ehemaligen Förderern weiterhin als politisch-soziales Instrument dienlich. Der westliche Sozialchauvinismus hat ein neues Feindbild: die Moslems und Araber. Die irrationale Beschwörung des Antisemitismus als treibende Kraft der Geschichte dient heute einzig der Legitimation Israels.
4) Der Zionismus braucht den Antisemitismus und sucht ihn zu fördern, denn ohne ihn verlöre Israel als „Heimstatt der Juden als ewige Opfer“ seine Legitimation. Zionismus und Antisemitismus sind nicht Antipoden, sondern Zwillingsbrüder.
Meinungsfreiheit
Die um sich greifenden Verbote der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Leugnung des Holocaust, sind eine politische Auflage, ja die einzige Existenzgrundlage für die kleine Gruppe von Apologeten des Nazi-Regimes. Deren Argument ist einfach: „Wer Meinung verbietet, muss etwas zu verbergen haben.“ Insbesondere in der arabisch-islamischen Welt wird dadurch die Empfänglichkeit der aufgebrachten und gedemütigten Massen für die Propaganda der Holocaust-Leugner aus dem Westen nur vergrößert. Meinungsfreiheit beinhaltet auch das Recht etwas Falsches behaupten zu dürfen. Und das umso mehr, als es sich dabei um eine verschwindende Minderheit handelt. Bekämen sie das Recht zu sprechen, würden ihnen noch weniger Menschen zuhören – vor allem auch nicht in der arabisch-islamischen Welt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mögen die Verbote ihren Wert gehabt haben. Es ging darum, die Kontinuität der Nazi-Ideologie zu brechen, die durch die neuen US-Herren gegen den Kommunismus abermals zumindest teilweise in Stellung gebracht wurde. Der Antifaschismus der Linken hatte seine Berechtigung genau deswegen, weil die neuen Pro-US-Eliten nicht nur ihre Vergangenheit unter den Tisch zu kehren versuchten, sondern sich für den Fall der Fälle auch ein Netz von Alt- und Neunazis bereit hielten („Gladio“). Doch mit dem Fall der Sowjetunion ist das definitiv vorbei. Es ist jetzt auch für die Eliten billig sich als antifaschistisch darzustellen. Seitens der Eliten und ihrer exlinken Wendehälse wird versucht, die antiimperialistische Linke mittels des Antisemitismusvorwurfs in die Nähe des Faschismus zu rücken. Es besteht die akute Gefahr, dass ein infames Amalgam von neuer Antiterrorlegislation und historischen Nazi-Verbotsgesetzen gegen die Antiimperialisten in Stellung gebracht werden. Die EU hat bereits die grundsätzliche Kritik an Israel als einem jüdischen Separatstaat, der die Palästinenser rassistisch unterdrückt, als antisemitisch bezeichnet.Quelle
Die palästinensischen Befreiungsbewegungen, die laut Völkerrecht bewaffnet gegen die fremde Besatzung kämpfen dürfen, sind schon alle auf der EU-Terrorliste. Da bedarf es nur mehr weniger Schritte, um die politische Unterstützung für die Palästinenser zu kriminalisieren.
Israel und die heute dominante zionistische Zivilreligion sollen heilig gesprochen und damit unantastbar werden. Wer nicht dem Dogma huldigt und Israel das Recht auf Vertreibung eines ganzen Volkes abspricht, muss bestraft werden. So wie damals die Antifaschisten als Banditen verfolgt wurden, so heute die Antiimperialisten als Antisemiten und Terroristen. Uns ist das Recht auf freie Meinungsäußerung heilig, und dieses betrifft immer, wie Rosa Luxemburg schon bemerkte, die Andersdenkenden. Diese können Richtiges und Unterstützenswertes, aber auch Falsches und Verurteilenswertes sagen. Wir lehnen jedenfalls einen staatlichen Zensor über politische Meinungen als antidemokratisch ab, die sich im Hauptstoß letztendlich immer gegen die Kräfte richten wird, die für soziale Gerechtigkeit und die Macht des Volkes eintreten.
Antiimperialistische Koordination (AIK)
15. Dezember 2006