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Somalia: Nachhaltiger Sieg Äthiopiens oder Öl ins Feuer der amerikanischen Weltordnung?

14. Januar 2007

aus Intifada Nr. 23

Unerwartet schnell besiegten die äthiopischen Truppen die somalischen islamistischen Milizen. Nicht nur die Hauptstadt Mogadischu wurde kampflos geräumt, sondern es kam zu überhaupt keiner größeren militärischen Konfrontation. Zu groß ist die Überlegenheit der äthiopischen Armee in der konventionellen Kriegsführung, die eine der potentesten Militärmächte Afrikas darstellt. Zudem hatten sie die Unterstützung der USA im Rücken, die den Konflikt sogleich in ihr Schema des Kriegs gegen den islamischen Terror einreihten. Ob diese eine gewonnene Schlacht eine dauerhafte Befriedung im Sinne des US-Imperiums darstellt, muss indes als ungewiss gelten. Ähnliches Siegesgeheul hatte man schon in Afghanistan und dem Irak angestimmt. Doch bereits in den ersten Tagen nach der Einnahme der Kapitale kam es zu Straßenprotesten gegen die äthiopische Militärpräsenz sowie gegen den Versuch der neuen Regierung von Addis Abebas Gnaden die Bevölkerung zu entwaffnen. Nichts weist darauf hin, dass die neuen Machthaber Lösungen für die Probleme anzubieten haben, die die Islamisten als einzige anzupacken versuchten.

Historischer Konflikt am Horn von Afrika

Der somalische Krieg kann nicht ohne den Kontext der politischen Verhältnisse am Horn von Afrika verstanden werden, dessen Machtzentrum der politische Block des abessinischen Christentums ist. Die christlichen Eliten Äthiopiens schreiben sich gerne auf die Fahnen, die einzige Macht Afrikas gewesen zu sein, die sich einer dauerhaften Kolonisierung widersetzen konnten, was ihnen erhebliches Prestige einbrachte.

Doch das einschränkende Gegenargument der nichtchristlichen Nationalitäten Äthiopiens scheint zu stechen. Das christliche Machtzentrum konnte seine relative Selbständigkeit nur dadurch bewahren, indem es sich am und um das abessinische Hochland seinerseits als Kolonisator im Dienste des westlichen Imperialismus betätigte. Tatsächlich besiedelt das Kernvolk der Amharen und der verwandten Tigrai nur einen kleinen Teil im Norden des Hochlands. Zusammen stellen sie rund ein Drittel der Bevölkerung. Die größte mehr oder weniger einheitliche Nationalität stellen hingegen die Oromo mit rund 40%, während die Muslime der verschiedensten Volksgruppen zusammen mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Der christliche Machtblock unterwarf sich die von den Muslimen besiedelten Territorien, die flächenmäßig ein Vielfaches ihres eigenen Siedlungsgebietes ausmachen. Ihre Bestrebungen auf Selbstbestimmung werden bis heute blutig unterdrückt.

Am bekanntesten ist sicher der Konflikt um Eritrea. Dabei handelt es sich um eine ehemals italienische Kolonie, die Äthiopien nach im Zuge der Entkolonisierung annektierte. Es entwickelte sich eine nationale Befreiungsbewegung, die sich auf die Tigrai stützte und die gegen das prosowjetische Regime der Derg gemeinsam mit der äthiopischen „Tigray People’s Liberation Front“ (TPLF) kämpften. Als im Gefolge des Falls der Berliner Mauer auch das Derg-Regime zusammenbrach, erhielt Eritrea seine Unabhängigkeit und die TPLF mit dem heutigen starken Mann Meles Zenawi übernahm in Addis Abeba die Macht. Dabei stellen die Tigrai von einer Gesamtbevölkerung von rund 75 Millionen maximal fünf Millionen. Beim nachher neuerlich aufgeflammten äthiopisch-eritreischen Krieg handelt es sich also teilweise um einen Inner-Tigrai-Konflikt, denn diese christliche Volksgruppe stellt auch in Eritrea den herrschenden Block. Die imperiale Logik Äthiopiens macht also selbst dann keine Ausnahme, wenn es um einen Teil der herrschenden Nationalität geht, die durch den direkten Kolonialismus einen anderen Entwicklungsweg genommen hat.

Die Bewegung der Oromo-Nationalität ist im Westen weitgehend unbekannt, weil sie nie eine eigene Staatlichkeit entwickelte, sondern sich im Einflussbereich des christlichen Zentrums befand und so auch teilweise christianisiert wurde, obwohl sie mehrheitlich muslimisch ist. Die Stoßrichtung der Bewegung ist daher weniger die Unabhängigkeit von dem Land, in dem sie selbst die Mehrheit stellen, sondern eine stärkere Beteiligung an der Macht. Erst mit dem sich verstärkenden Einfluss des Islam als Befreiungsideologie und der damit verbundenen internationalen Frontstellung könnten sich solche Tendenzen stärken. Die äthiopische Armee brüstete sich in ihrem Somalia-Feldzug jedenfalls damit, auch Kämpfer der „Oromo Liberation Front“ (OLF) getötet und gefangengenommen zu haben. Die oromoische Nationalbewegung unterstützt die Bewegung der Somalis im Ogaden im Osten Äthiopiens, die laut CIA-Factbook rund 6% der Gesamtbevölkerung zählen.

Ogaden – internationale Überlagerung eines regionalen Konflikts

Die muslimischen Somalier in Äthiopien aber auch in vielen Teilen Somalias lebten und leben teilweise noch heute nomadisch in Stammesverbänden. Die Grenzziehung kümmerte sie bei ihren saisonalen Wanderungen auf der Suche nach Wasser und Weideland wenig. Gegen die Unterdrückung durch die Zentralregierung entwickelte sich schon in den 60er Jahren eine Bewegung. Mit der Parteinahme Somalias und seinem militärischen Eingreifen ab 1975 entspann sich ein internationaler Konflikt im Rahmen der Blockkonfrontation.

Die linksmodernistischen Militärs der amharischen Derg, die 1974 in Addis Abeba an die Macht gekommen waren, lehnten sich immer stärker an die Sowjetunion an. Ursprünglich hoffte auch der somalische Machthaber Siad Barre auf die Unterstützung der UdSSR im Aufbau eines modernen Staatswesens. Aber da sein großsomalisches Projekt mit dem viel stärkeren Äthiopien zusammenstieß, wandte er sich schließlich an die USA. Der Ogadenkrieg endete schließlich trotz westlicher Unterstützung in einer Niederlage für Somalia und ebenso der Niederschlagung der authochtonen Bewegung der Somalier in Äthiopien.

Äthiopische Kontinuitäten und Diskontinuitäten

Mit der Machtübernahme der Derg veränderten sich die Bündnissysteme am Horn radikal. War das äthiopische Zentrum früher Hauptverbündeter, so wurde es nun zum Hauptfeind des Westens. Sudan, Somalia, Kenia sowie die eritreische Bewegung brachte man gegen Addis Abeba in Stellung. Da Äthiopien die südsudanesische „Sudan People’s Liberation Army“ (SPLA) unterstützte, gab Washington Khartum gegen sie freie Hand.

Im Gegensatz zu vielen anderen Verbündeten der UdSSR, die sich lediglich an Moskau anlehnten, um ihre nationale Unabhängigkeit durchsetzen zu können, führten die Derg radikale soziale Reformen, wie eine Landreform und Verstaatlichungen, durch. Dass solche Maßnahmen trotz anderer Intentionen nach hinten losgehen können, sah man bereits an den radikalen Reformen der linksnationalistischen Khalk in Afghanistan. So darf es nicht wundern, dass die revolutionären Reformen der linken Amharen an den ungleichen Beziehungen zwischen den Nationalitäten des Vielvölkerstaates wenig veränderten. Die Konflikte setzten sich nach tradierten Mustern fort, so dass berechtigter Unmut und Protest vom Imperialismus für seine Zwecke missbraucht werden konnten.

Der Sturz der Derg Anfang der 90er Jahre war so tief, dass mit ihnen das staatstragende Volk der Amharen nach zwei Jahrtausenden erstmals von der Macht gefegt wurde. An der Spitze einer Nationalitätenkoalition übernahmen die ebenfalls christlichen Tigrai den Staatsapparat. Die Hoffnungen der anderen Nationalitäten wurden schnell enttäuscht, bis an den Punkt, dass die herrschende TPLP sich in einem Krieg gegen ihre ehemaligen Verbündeten von der „Eritrean People’s Liberation Front“ (EFLP), die der gleichen Nationalität angehören, stürzte.

Die Bündniskonstellation am Horn drehte sich indes abermals um 180 Grad. Das autoritäre äthiopische Regime von Meles Zenawi wurde wieder zum Hauptpfeiler der USA in der Region, vor allem gegen den Sudan, der von Washington zum Schurkenstaat erklärt wurde. In ihrem Kreuzzug gegen den Islam trifft es sich für die USA bestens, dass es sich in Addis Abeba um ein christliches Regime handelt. Dass dabei die somalischen Islamisten ins Visier geraten würden, war abzusehen.

Islamisten als Alternative

Nach 1991 war das Regime Siad Barres in Mogadischu mangels Unterstützung durch die USA nach Ende des Kampfes gegen die Derg zusammengebrochen. Das Land zerfiel entlang von Clan- und Stammesstrukturen, die diesen Kapitalismus besonderer Form strukturierten. Stammesführer transformierten sich in Kriegsherren, die die Territorien in wechselnden Allianzen gewaltsam unter sich aufteilten, Wegzölle und Abgaben einhoben und die Zivilbevölkerung nicht nur der Gegner terrorisierten. Anfangs störte das die USA nicht weiter, aber als die Konflikte sich zum Bürgerkrieg auswuchsen, griffen die USA unter der Ägide der UNO militärisch ein. Neben den üblichen unmittelbaren Wirtschaftsinteressen dürfte ausschlaggebend gewesen sein, dass Washington gerade seine Neue Weltordnung verkündet hatte, die eine allgemeine Befriedung versprach.

Eine US-Kommandoaktion 1993 endete mit dem Abschuss zweier Kampfhubschrauber und dem Tod von 19 Soldaten, die über den Film „Black Hawk Down“ zum nationalen Trauma wurde. Damit wurde schlagartig klar, dass es im Chaos des Zerfalls auch Platz für ein antiimperialistisches Moment gab.

Aber nicht nur die USA versuchten auf die Warlords Einfluss zu nehmen, sondern auch Äthiopien. Auf dem Gebiet der ehemals englischen Kolonie Somaliland im Norden entstand der gleichnamige Quasistaat, in der Mitte Somalias einschließlich des Horns der Quasistaat Puntland. International nicht anerkannt, hält doch Addis Abeba mit Duldung der USA seine schützende Hand über sie. Ähnliches hatte man mit der Übergangsregierung im Süden des Landes vor, die, beschützt von Äthiopien, nur in der Provinzstadt Baidoa residieren konnte.

Fast zwei Jahrzehnte des Chaos und der Willkürherrschaft von marodierenden Milizen waren nicht nur der einfachen Bevölkerung zu viel. Auch viele Geschäftsleute drängten nach Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung, die ihnen nicht nur ihr Eigentum und eventuelle Investitionen sichern, sondern auch einen über die Kontrolle der jeweiligen Miliz hinausgehenden nationalen Wirtschaftsraum garantieren kann.

In Ermangelung eines nationalen Projekts und einer nationalistischen Bewegung, wie sie der Modernist Siad Barre konzipiert hatte, fällt diese Rolle den Islamisten zu. Sie bieten nicht nur eine Ideologie an, die die engen Grenzen der Stammesloyalitäten überwinden kann, sondern reihen sich in die internationale islamische Mobilisierung gegen den Imperialismus ein. So gelang es den bewaffneten Verbänden der „Vereinigung der Islamischen Gerichte“ im Sommer 2006 nicht nur Mogadischu einzunehmen, sondern der größte Teil des Südens fiel praktisch kampflos in ihre Hände. Die Bevölkerung hieß die neue Ordnung sichtlich willkommen, ähnlich wie die Taliban sich in Afghanistan durchsetzen konnten, weil sie den mörderischen Krieg der Mudschaheddin-Fraktionen beenden konnten.

Die Putzkolonen, die Mogadischu vom Dreck der letzten 15 Jahre befreiten, die freie Bewegungsmöglichkeit ohne bei Checkpoints willkürlich abkassiert oder von Milizionären vergewaltigt zu werden, wog die kulturelle Rigidität der Islamisten in den Augen der breiten Massen auf. Auch viele lokale Geschäftsleute freuten sich über die neue Sicherheit für ihre Unternehmungen.

Anders als in Afghanistan soll die strenge Interpretation des Islam in Somalia keine Tradition haben. So ist beispielsweise der Genuss der Kaudroge Khat, den die Islamisten untersagt hatten, sehr weit verbreitet und auch sozial akzeptiert.

Salafitische Gruppen wie die Al Qaida mögen in Somalia einzelne Zellen unterhalten und auch die lokalen Islamisten unterstützt haben, über eine wirkliche Verankerung im Volk verfügen sie indes nicht.

Guerillakrieg oder Stabilisierung?

Dass die Islamisten in offener Feldschlacht nicht bestehen konnten, war von Anfang an klar. Da ist Somalia keine Ausnahme, sondern die Regel. Es stellt sich viel mehr die Frage, ob sie zum Guerillakrieg fähig sind.

Die Ausgangsbedingungen der Islamisten scheinen jedenfalls ungünstiger als anderswo. Es fehlt an politischen und militärischen Kadern, die Rückgrad des Kampfes sein und die eine disziplinierte Organisation jenseits der Stammesloyalitäten bilden könnten.

Nicht nur der progressiv-antiimperialistische Islamismus zum Beispiel der libanesischen Hizbollah steht im bewussten Bruch mit der Tradition, der etablierten Gesellschaft und ihrer Eliten, sondern auch der reaktionär-antiimperialistische Fundamentalismus der Salafisten. Die Taliban bleiben zwar mit ihrer Stammesbasis eng verbunden, wurden aber dennoch zutreffend als Bewegung des Lumpenproletariats bezeichnet, das gegen die in Warlords verwandelten Mudschaheddin-Führer rebellierte. Die somalischen Islamisten hingegen stützen sich trotz aller universellen islamischen Rhetorik vor allem auf die Stammesloyalitäten, vor deren Konflikten und Opportunismen sie keineswegs gefeit sind. Nicht umsonst drängen die USA darauf, das, was sie moderaten Flügel der Islamisten nennen, in das neue Regime einzubinden.

Aber es gibt auch Faktoren, die eine Eskalation des Konflikts und Radikalisierung der Islamisten bewirken könnten.

Die Präsenz äthiopischer Truppen ist extrem unpopulär, um so mehr als es sich um den Erzfeind handelt. Meles Zenawi hat zwar den baldigen Abzug seiner Verbände versprochen. Doch er will seinen Erfolg nicht aufs Spiel setzen und weiß, dass die von ihm eingesetzte Regierung äußerst schwach ist und internationaler Truppen bedarf. Bisher hat nur der US-Verbündete Uganda zugesagt. Man versucht möglichst muslimische Länder wie Malaysia oder Indonesien für die Aufgabe einzuspannen. Es ist jedoch nicht abzusehen, ob dies gelingen wird und in welchem Zeitraum. Und selbst afrikanische Truppen könnten schnell als Fremdherrscher angesehen werden.

Hinzu kommt die aggressive Haltung der USA, die nicht nur die Küste abgesperrt hat, sondern auch vor Luftangriffen nicht zurückschreckt.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Konflikt zwischen den Milizen um die Macht wieder ausbricht, wenn es der eingesetzten Regierung nicht gelingt alle wesentlichen Kräfte einschließlich eines signifikanten Teils der Islamisten einzubinden. In Somaliland und Puntland scheint es gelungen zu sein, im Süden nicht. Sollte der Bürgerkrieg wieder aufflammen, dann gibt das den besten Humus für die Islamisten ab.

Und da gibt es natürlich noch den globalen amerikanischen Krieg, in den hineingezogen, Somalias Islamisten sicher zu einer Radikalisierung tendieren werden und dafür auch den notwendigen Zuspruch aus dem Volk bekommen könnten.

Vor dem Hintergrund der internationalen Kräfteverhältnisse und des globalen „US-Anti-Terrorkrieges“ nehmen die islamischen Antiimperialisten in Somalia zweifellos die gesellschaftlich progressivste Position ein. Angesichts der Medienschlammschlacht im Westen sollten ihnen die Solidarität der antiimperialistischen Bewegung zuteil werden.

Willi Langthaler
8. Januar 2007

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