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Bürgerkrieg im Irak

26. Januar 2007

Warum wir weiterhin den Widerstand unterstützen, aus Intifada Nr. 23

Sprechen wir Klartext: der sunnitisch-schiitische Konflikt im Irak hat sich im Verlauf des letzten halben Jahres zu einer Form des Bürgerkriegs ausgewachsen.

Es hilft da wenig, das einfach mit dem Hinweis abzustreiten, dass dies alles Machinationen der USA und des Zionismus seien – wie es viele unserer Freunde im Widerstand gerne tun. Sicher, die USA haben tatsächlich wesentlich dazu beigetragen, ohne jedoch dies von Anfang an im Schilde zu führen. Denn der Bürgerkrieg zeigt keineswegs den Erfolg Washingtons an, sondern dessen totales Fiasko, den völligen Verlust der Kontrolle über die Situation.

Man kann sich auf die Suche nach dem historischen Kontext des Konflikts machen Doch es hätte nicht zwangsläufig so weit kommen müssen. Oder anders gesagt: die zentralen Gründe liegen in den aktuellen Interessenskonflikten.

Um Saddam Hussein und sein Baath-Regime zu stürzen, schlugen die Neocons alle Vorgaben der bisherigen US-Politik in der Region in den Wind. Noch 1991 hatten sie Baath als das kleinere Übel gegenüber dem proiranischen schiitischen politischen Islam verstanden und dementsprechend Saddam bei der Niederschlagung des schiitischen Aufstands gewähren lassen. Bis 2003 überwog die Angst vor dem Iran und der Ausdehnung seines Einflusses auf den gesamten Schatt el Arab und darüber hinaus.

Die Neocons glaubten mit Waffengewalt alle politischen Hindernisse hinwegfegen zu können. Anfangs träumten sie davon, mittels ihrer direkten politischen Agenten Chalabi und Allawi ein loyales Marionettenregime errichten zu können, ähnlich jenen, über die sie in der halben Welt gebieten. Doch das misslang gründlich. Nicht nur schlug ihnen der raue Wind des vor allem vom sunnitischen Bevölkerungsteil getragenen Widerstands entgegen. Sondern mit dem von ihnen eingesetzten Regime passierte genau das, wovor die alten US-Machteliten gewarnt hatten – es gelangte unter die Kontrolle proiranischer Kräfte, für die die US-Besatzung nur das kleinere Übel gegenüber dem Saddam-Regime darstellt und die sich unter veränderten Umständen ohne weiteres gegen die USA wenden können.

Washington hatte sich also gleich zwei Eigentore auf einmal geschossen. Aus dem ehemaligen „dual containment“ (doppelte Eindämmung, so der Name der politischen Linie der USA am Golf seit der islamischen Revolution im Iran 1979) ist so was die eine doppelte Entfremdung geworden.

Die proiranischen Kräfte haben in Bagdad ein richtiggehendes Terrorregime aufgezogen. Kern dessen sind die Badr-Brigaden der Hakim-Familie, die direkt an den iranischen Militärapparat gebunden sind. Mit Billigung und Unterstützung Washingtons veranstalteten sie zuerst eine Treibjagd auf die Reste der Baath-Partei. Von den amerikanischen Auftraggebern wurde dieser Rachefeldzug euphemistisch „Debaathisierung“ genannt. Doch je mehr sich der Widerstand ausdehnte, war er es, der zum Ziel des Terrors der Todesschwadronen wurde. Nachdem der Widerstand breiteste Unterstützung in der sunnitischen Bevölkerungskomponente genießt, nahmen die Attacken einen antisunnitischen Charakter an.

Für den Ausbruch des Bürgerkrieges gibt es also eindeutig Schuldige. Neben Washington ist das Teheran mit seinen lokalen Verbündeten.

Der Widerstand setzte sich natürlich gegen die Angriffe zur Wehr. Er versuchte das auf eine nicht-konfessionalistische Weise. Aber angesichts der starken islamischen Färbung des nationalen Widerstands konnte es nicht ausbleiben, dass konfessionelle Vergeltung geübt wurde. Zumal die salafitischen Strömungen (al Qaida ist nur eine davon) diese Situation ausnutzen, um ihre offen chauvinistische antischiitische Kampagne zu fahren. Obwohl diese Form des Islam im Irak über keine historischen Wurzeln verfügt, erweist sich der politische Boden angesichts der beschriebenen Situation für sie als fruchtbar.

So dreht sich nun die Spirale von konfessioneller Gewalt und Gegengewalt scheinbar unaufhaltsam in den Bürgerkrieg. In dieser Form ist er auch den USA aus der Hand geglitten, insofern er Akteure stärkt, die sich nicht unter ihrer Kontrolle befinden, unberechenbar sind und sich sogar gegen sie wenden. Hinzu kommt, dass die USA ihre Invasion als einen Export von Demokratie, Frieden und Wohlstand angepriesen haben. Die Welt kann die Bredouille, in der sie sich heute im Irak befinden, nur als Zeichen ihrer Schwäche werten, was ihre Glaubwürdigkeit und damit auch ihre Macht schmälert.

Damit ist aber vorläufig auch die Perspektive auf eine nationale Widerstandsfront, die einen signifikanten Teil des schiitischen politischen Spektrums einschließen würde, verstellt. Größte Enttäuschung dabei ist die Bewegung des schiitischen Subproletariats unter der Führung von Muqtada as-Sadr. Nicht nur wir, sondern selbst Teile des Widerstands gaben die Hoffung bis zuletzt nicht auf, dass er sich ihnen anschließen könnte. Tatsächlich gab es vielversprechende Zeichen. Neben den immer wieder gemachten Aufrufen an die USA bedingungslos abzuziehen, waren da die Aufstände 2004, die Solidarität mit dem belagerten Falludscha, sowie die Ablehnung der oktroyierten Verfassung 2005 mit einem vehementen Eintreten gegen die Teilung des Landes.

Anlässlich der Wahlen im Dezember 2005 stellten wir fest, dass der eigentliche Wahlsieger Muqtada hieß und damit die engsten US-Kollaborateure unter den Kräften des schiitischen politischen Islam geschlagen worden waren. Tatsächlich verband sich die Regierung al-Maliki mit Muqtada, der zur Hauptstütze des Regimes in Bagdad wurde. Die Folge davon war auf der anderen Seite, dass Muqtada und seine Mahdi-Armee trotz anderslautender Rhetorik in den Bürgerkrieg auf schiitischer Seite hineingezogen wurde und vom Widerstand zu Recht für die Politik der Regierung verantwortlich gemacht wurde.

Den Bruch besiegelte die Hinrichtung Saddams Ende 2006, bei der offensichtlich Parteigänger Muqtadas sich als Henker verdingten und Saddam noch während der Exekution zu demütigen versuchten. Saddam ist dank seiner Standhaftigkeit gegen die Besatzung aber mittlerweile zum Symbol des Widerstands geworden, ungeachtet möglicher Kritikpunkte. Die grausame Inszenierung der Erhängung wird vom Widerstand als gemeinsame Attacke der USA und ihrer schiitisch-islamistischen Verbündeten einschließlich Muqtadas verstanden – ein Graben, der auf absehbare Zeit nicht zu überbrücken sein wird.

Wie von Anfang an stehen wir weiter fest auf der Seite des Widerstands, auch gegen die Regierung Maliki und ihren Verbündeten Muqtada. Sollten sich die Rahmenbedingungen und die internationale Konstellation ändern, mag der Widerstand abermals versuchen, die Hand auszustrecken. Vielleicht wird sie ja dann angenommen.

Die politische Gegnerschaft zu den großen Formationen des schiitischen politischen Islams im Irak sowie der Quasi-Besatzungspolitik des Iran gegenüber seinem Nachbarn darf aber keinesfalls zu antischiitischen und chauvinistischen antiiranischen Ausfällen führen, wie sie im sunnitischen Milieu verbreitet sind. Der Kampf muss weiterhin als nationaler und politischer geführt werden, obwohl nicht geleugnet werden kann, dass die Basis des Widerstands vorwiegend die sunnitischen Araber sind.

Bruchlinien sind im schiitischen Bereich genug vorhanden. Einerseits ist da die drohende Aggression der USA gegen den Iran und seine schiitische Achse, die die antiamerikanische Stimmung nur verstärken kann – ganz abgesehen davon, dass die Besatzung auch unter den Schiiten abgelehnt wird. Andererseits ist da die arabische Identität auch der irakischen Schiiten, die eine zu starke Bevormundung aus Teheran wohl nicht ewig dulden werden können. Es liegt auch am Widerstand, diese Bruchlinien zu fördern und den Schiiten ein für sie akzeptables Programm zu präsentieren.

Der Zusammenschluss der sunnitischen und schiitischen Gegner der Besatzung in eine gemeinsame Front würde mit großer Wahrscheinlichkeit genug Kraft entfalten, um die Invasoren aus dem Land zu jagen

Willi Langthaler
14. Jänner 2006

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