Eine persönliche Reportage
Ich konnte und wollte es nicht wahrhaben, als am 12. Juli diesen Jahres, einen Tag vor meiner schon wochenlang geplanten Reise in den Libanon, die Israelis den Libanon angegriffen haben. Wir waren doch längst gewöhnt an die üblichen Hahnenkämpfe zwischen Hizbullah und israelischen Besatzungstruppen. Was war also wirklich geschehen, dass es soweit kam; dass sogar der Internationale Flughafen in Beirut unter Beschuss genommen wurde? Fragen die mich quälten, aber die mich auch dazu drängten, koste es was es wolle und sei was sei, in den Libanon zu reisen. In Beirut konnte ich ja schließlich nicht mehr landen, also flog ich nach Damaskus, um eventuell über Syrien einzureisen, was dann auch irgendwie gelang.
Nach einem abenteuerlichen Umweg über Feldwege und Berge, kam ich nach fünf Stunden, früh am Morgen, in Beirut an. Von den Bergen aus konnte man schon vorher die Rauchsäulen aus Beirut aufsteigen sehen. Ich muss zugeben, dass sich da mein Magen zusammengezogen hat und mir kotzübel wurde. Ich musste mich ein paar mal übergeben. Mir wurde schwindlig und hatte ein paar Panikattacken, die ich gerade noch irgendwie unter Kontrolle bringen konnte. In Beirut angekommen, war mein erster Weg zum lokalen Greenpeace-Büro, um meine Freunde zu sehen und zu überprüfen, in wie weit sie sich in der internationalen Friedenskampagne von hier aus engagieren wollten. Leider musste ich feststellen, dass das Greenpeace-Büro geschlossen war und alle Greenpeacer noch am selben Tag des Kriegsausbruches das Land fluchtartig verlassen hatten.
Enttäuscht darüber wollte ich eigentlich nicht hier bleiben. Aus Zufall traf ich auf der Straße einen alten Freund, der mir sagte, dass einige kleinere lokale Umwelt – und Sozial-NGOs sich zu einem Reliefcenter zusammenfügen möchten und dass ich das Land nicht verlassen sollte, weil alle namhaften internationalen NGOs und Organisationen das Land verlassen hatten und sich nun irgendjemand den Flüchtlingen annehmen müsse. Gesagt getan!
Die erste Nacht war schlimm. Die Live-Bilder auf BBC-World und der quasi Live-Ton vor der eigenen Haustüre. Die ganze Nacht vielen Bomben und die Flugabwehrraketen gingen die ganze Zeit.
In den ersten Tagen des Krieges wurde auch untertags bombardiert, aber als sich die Situation dann etwas entspannt hat, da hat es auch nicht mehr lange gedauert und wir fingen an uns zu organisieren. Man muss wissen, dass die libanesische Regierung keinen Katastrophenschutzplan für solche Fälle in der Schublade hatte. Es blieb alles an freiwilligen Helfern und Zivil-NGOs hängen. Nachdem ich ohnehin für NGOs tätig war, war mein erster Weg in das Büro der lokalen Umweltschutzorganisation „Greenline“. Ich kam zur rechten Zeit. Genau am selben Tag wurden Leute in ganz Beirut, die sich in der linken und der NGO-Szene bewegen, mit SMS-Meldungen überhäuft, dass es einen dringenden Bedarf an Volunteers gibt, die sich freiwillig zur Koordination von Flüchtlingen in Schulen melden sollen, wo die Flüchtlinge aus der Beiruter Südstadt und dem Südlibanon Zuflucht fanden. Wir haben unsere Arbeit aufgenommen.
Inzwischen verging kaum eine Nacht, in der nicht bombardiert wurde. Gott sei Dank nur der Süden. Beirut war soweit sicher. Um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, Beirut brannte keinesfalls, so wie es die Krone darzustellen versuchte. Beirut wurde nicht einmal bombardiert. Es handelt sich dabei um Dahyih, einem südlichen Vorort von Beirut.
Am Anfang hatten wir etwa 30.000 Flüchtlinge aus der Beiruter Südstadt und dem Südlibanon, die in den Schulen, im nördlichen Beirut, Zuflucht fanden. In den nächsten Tagen wurde die Zahl der „internally displaced“ auf eine Million korrigiert! Nicht alle davon waren in Beirut, sondern verstreut überall im Land, bis nach Syrien. Israel hat uns wie die Hölle bombardiert. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht und die Wohnviertel in der Beiruter Südstadt in Schutt und Asche gelegt. Der angebliche Selbstverteidigungskrieg gegen Hizbullah kostete Tausend ZivilistInnen, davon 45% Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren, das Leben. Nicht einmal fünfzig Widerstandskämpfer wurden getötet. Davon 13 kommunistische Kämpfer und etwa vierzig Guerillas der Hizbullah und der Amal-Bewegung.
Auf israelischer Seite wurden etwa vierhundert Soldaten getötet und vierzig ZivilistInnen, davon zwölf ReservistInnen, die von der israelischen Propaganda als „ZivilistInnen“ tituliert wurden. Ein ungleicher Krieg zwischen der drittstärksten Armee der Welt gegen weniger als zweitausend Widerstandskämpfer verschiedener Kampfgruppen im Libanon, die nicht nur von der geradezu systematisch dämonisierten Hizbullah waren.
Die lokale Umweltschutz NGO „Green Line“ kümmerte sich, nach Bekanntwerden der Tatsache, dass ein Ölkraftwerk im Süden unter Beschuss genommen und hundert Kilometer Küste mit Öl verseucht wurden, vorbildhaft um die Koordination der Reinigungsaktionen an den Küsten, während das Umweltministerium noch wochenlang untätig blieb.
Nach dem Waffenstillstandsabkommen, das am 14. August in Kraft trat, brach eine neue Ära im Libanon an. Es ging darum in den Süden zu fahren und an den Wiederaufbau zu denken. Zu dieser Zeit wurde ich von der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen als Projektkoordinator angeworben, um Wiederaufbauprojekte im Süden auszuloten. Allgemein möchten wir in nachhaltige Umweltprojekte investieren.
Die Situation im Süden ist jetzt entspannt und ruhig. Die Leute haben keine Zeit zu trauern und sich zu sorgen. Man ist viel mehr damit beschäftigt, sich auf den Wiederaufbau zu konzentrieren, der bereits voll im Gange ist. Wenn auch ausländische Organisationen und die eigene Regierung nicht gerade mit Initiativen glänzen, so ist die Bevölkerung dennoch motiviert, sich mit vollem Engagement der Zukunft zu stellen und das Land, ihr Land, wieder aufzubauen. Der Schutt ist von den Straßen geräumt, die Einschusslöcher mit Spachtelmasse überstrichen und wieder zugemauert. An den völlig zerstörten Häusern wird noch immer daran gearbeitet, die Stahlverstrebungen von den Betonklötzen abzuschweißen und den Schutt teilweise von Hand auf LKWs zu laden. Wo der Schutt hingeht, das interessiert leider keinen, dieses Problem bleibt wieder einmal an Umwelt-NGOs hängen.
Die UN zeigt bereits Präsenz im Süden und patrouilliert in den zerstörten Dörfern, um die libanesischen Armee bei ihrer Grenzsicherung zu unterstützen. Leider ist die libanesische Armee völlig unfähig in ihrer derzeitigen Verfassung die Kontrolle über die Grenzen zu übernehmen. Ich persönlich verstehe die Hizbullah, wenn sie sagt, dass die Armee die Verantwortung über die Grenzen noch nicht übernehmen kann. Zum einen verfügt sie nur über völlig veraltete Handfeuerwaffen, die zum Großteil den verschiedenen Privatmilizen nach dem Bürgerkrieg abgenommen wurden, zum anderen über rostige Kleinpanzer und Geländefahrzeuge aus den 40er Jahren. Des Weiteren sind die Soldaten völlig untrainiert und machen mitunter einen geradezu lachhaften Eindruck: Ein 17-jähriger Bursche, dessen Gewehr fast größer ist als er selbst, oder ein übergewichtiger Mann, der bereits weit über fünfzig zu sein scheint. Am Militärcheckpoint befinden sich Soldaten, die aus den untersten Schichten der Bevölkerung zu kommen scheinen. Die Unfähigkeit einen Diplomatenpass lesen zu können und deshalb einen Diplomanten nicht in den Süden passieren zu lassen ist nur ein Beispiel für den derzeitigen Zustand dieser Armee zeigt. Der Grenzkonflikt im Libanon ist keine Frage der Kooperationsbereitschaft von Hizbullah, sondern lediglich eine Frage der Fähigkeit der Armee die Grenzen sichern zu können. Die Politik muss daran arbeiten dieses Problem zu lösen und die internationale Gemeinschaft muss alles daran setzen, um der libanesischen Armee dementsprechend unter die Arme zu greifen, dann könnte man auch das „Hizbullah-Problem“ im Süden einfach und diplomatisch lösen.
Es liegt jetzt daran den Süden wieder aufzubauen und mehr noch, nachhaltig zu investieren. Ein wiederaufgebautes Haus nützt aber keinem, wenn die kulturelle und soziale Hilfe in den nächsten Jahren wieder zum erliegen kommt, wie in den Jahrzehnten davor.
Es gilt jetzt vor allem in folgenden Bereichen nachhaltig zu investieren: Kultur, Gesundheit, Soziales, Umwelt und Energie. Es nützt nichts, wenn die Jugend keine Möglichkeit auf Arbeit hat sowie das soziale Entertainment und die medizinische Grundversorgung auch in Zukunft fehlen. Die Energieversorgung muss gewährleistet werden, nachhaltig und umweltverträglich.
Wiederaufforstung von zerstörten Wäldern und Investitionen in die landwirtschaftliche Infrastruktur könnte die verarmte Landbevölkerung, die sich im Laufe der letzten Jahre, aufgrund der allgemeinen Vernachlässigung des Südens, immer mehr in den Slums, an den Rändern der großen Städte, angesiedelt hat, wieder zurückbringen. Die Landflucht war schon vorher ein Problem, aber jetzt liegt es an den künftigen Projekten und Investitionen, ob der Süden zu einem Geisterland wird oder wieder aufblüht.
Ein weiteres Problem stellen die rund 15000 UN-Soldaten dar, die hauptsächlich aus westlichen Ländern stammen. Keiner weiß, wie lange sie bleiben und wie deren westliches Verhalten in einer traditionell konservativ-schiitischen Region das Zusammenleben beeinflussen kann.
Wenn die Israelis die Hizbullah bekämpfen wollten, dann frage ich mich doch, was dann die Zerstörung von 15.000 Häusern und Wohnungen bezwecken sollte? Es wurden nicht einmal fünfzig libanesische Widerstandskämpfer getötet, dem gegenüber aber 1300 ZivilistInnen. In Israel starben hunderte IDF-Soldaten, aber die Zahl der zivilen Opfer liegt weit unter fünfzig. Wer sind hier die Terroristen? Irans Staatspräsident Ahmedinejad wird als Terrorist und illegaler Waffenlieferant bezeichnet, weil er die Hizbullah mit einigen Flugabwehrraketen und Sturmgewehren beliefert hat, aber die USA, welche hunderttausende international gebannte Clusterbombs, Uranium-Geschosse, Phosphorbomben und 22 der neuesten „Lookhead Martin“-Kampfjets an die Israelis geliefert haben, samt Raketen und Bomben, werden noch immer als die größte Demokratie der Welt bezeichnet und als „defender of justice, freedom and democracy“ gefeiert.
Diese international gebannten „Clusterbombs“ wurden, und das konnte ich mit eigenen Augen feststellen, blindlings über Wohngegenden im Südlibanon abgeworfen. Äcker und Felder sind deshalb für einige Monate unbrauchbar, dauert es doch sicherlich solange, um diese von den „Clusterminen“, die eine ständige Gefahr für Leib und Leben der Bauern und spielenden Kinder darstellen, zu reinigen. Nicht auszudenken, wenn wir doch tatsächlich feststellen würden, dass die Israelis auch Uranium-Munition gegen die Libanesen bei ihren Feuergefechten im Süden eingesetzt haben. Erste Krankheitserscheinungen würden erst nach Jahren auftreten. Die Opfer dieses Krieges sind also noch nicht gezählt.
Und was ist mit den ständigen illegalen Luftraumverletzungen, obwohl die UN schon seit Wochen präsent ist? Was wollen die Israelis wirklich?
Helfen sie uns, der GÖAB, damit wir unsere geplanten Projekte verwirklichen können.
Thomas Kukovec
Thomas Kukovec ist für die GÖAB (Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen) Projekt-Koordinator im Libanon.
thomas.kukovec@gmx.at
ww.saar.at/libanon
Weitere Infos:
Sanaya-relief Center www.samidoun.org
Green Line www.greenline.org.lb
www.oilspilllebanon.org