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Herausforderungen in Ägypten heute

1. März 2007

Interview mit Abdel-Halim Qandil,
Koordinator der nationalen Kräfte in Kifaya, Chefredakteur der
nasseristischen Zeitung „Karama“, über die allgemeine Situation der
Opposition in Ägypten, dem Zögern der Moslemischen Bruderschaft sich
auf die radikalen Oppositionskräfte einzulassen, den Auswirkungen von
Saddam Husseins Hinrichtung und des Krieges gegen den Libanon auf die
ägyptische oppositionelle Bewegung.

F: Können Sie uns
einen Überblick über die Situation der Oppositionsbewegung in Ägypten
heute geben? Es ist der Eindruck entstanden, dass die Bewegung über die
letzten Monate zurückgegangen ist, besonders Kifaya schien in
Schwierigkeiten zu stecken.

Qandil: Es gibt derzeit drei Teile
der Oppositionsbewegung. Ein Teil besteht aus Parteien die vom Staat
anerkannt sind, also keine wirkliche Opposition darstellen, wie Tagammu
oder die Wafd-Partei. Der zweite Teil ist die Moslemische Bruderschaft,
die natürlich illegal ist und unter ständigen Angriffen zu leiden hat,
und der dritte Teil besteht aus kleinen politischen Parteien, darunter
sind islamische, nasseristische, wie die Karama Partei, und linke
Gruppen. Aus diesem Teil kommen auch jene Kräfte, welche Kifaya bilden,
die nicht so sehr eine Bewegung, als vielmehr den Ruf nach Veränderung
repräsentiert. Wir haben heute in Ägypten eine sehr gespannte soziale
Lage, es gab eine Reihe von Streiks hier während der letzten Monate,
wilde Streiks, gegen die offizielle Gewerkschaft, die vollkommen vom
Staat kontrolliert wird. Leider gibt es eine tiefe Kluft zwischen
diesen sozialen Kräften und den politischen, was der Repression
geschuldet ist.
Was die Situation des Regimes heute betrifft, so
befindet es sich in einem Transformationsprozess, der es Gamal, dem
Sohn des Präsidenten, gestatten wird seinem Vater nachzufolgen. Die
vorgeschlagenen Verfassungsänderungen müssen in diesem Sinn verstanden
werden, dass sie eben diese Thronerbe ermöglichen sollen.
Es gibt
eine Art Orientierungslosigkeit, Depression unter den Intellektuellen
und politischen Oppositionsfiguren. Oft sehen sie keine andere
Möglichkeit als entweder sich der Moslemischen Bruderschaft
anzuschließen, oder zu versuchen an der „Brot-Intifada“, den sozialen
Revolten, teilzunehmen.
Was diese drei Teile der Opposition angeht,
so versucht der dritte Teil, also die radikalen Kräfte, die Moslemische
Bruderschaft dazu zu bringen mit ihnen zu kooperieren.

F: Welche
Position nimmt die Bruderschaft heute ein, was die
Verfassungsänderungen betrifft und die Repression, der sie ausgesetzt
sind?

Qandil: Zunächst mal war die Moslemische Bruderschaft eine
religiöse Gruppe, die sich in eine politische Kraft transformiert hat.
Sie ist eine im Grunde rechte Kraft, was man gut an ihren ökonomischen
Ideen festmachen kann, die sich von jenen der Regierung um nichts
unterscheiden. Die Widersprüche mit dem Regime eröffnen sich bei Fragen
wie Israel, den USA und nationalen Belangen, sowie natürlich Fragen der
allgemeinen Freiheit, wie politische Rechte. Man könnte also sagen, die
Bruderschaft stellt die stärkste rechte politische Kraft im Land dar.
Tatsächlich gibt es keine regierende politische Partei, da die
Regierungspartei, die Nationale Demokratische Partei keine politische
Organisation ist, sondern eine Sicherheitsorganisation, die sieben
Millionen Menschen angestellt hat, davon eine Million Soldaten, und
dass ist die Grundlage ihrer Macht, sie ist nicht politisch. Die
Moslemische Bruderschaft ist Teil der Opposition, was nationale Fragen,
politische Freiheiten betrifft, aber was wirtschaftliche Belange
angeht, so ist sie eine rechte Partei. Die Verfassungsänderungen
befassen sich mehr mit Sicherheit als mit Politik, da sie die Nachfolge
von Gamal sichern sollen. Es dürfen nur noch anerkannte Parteien bei
Wahlen antreten, aber der moslemischen Bruderschaft zum Beispiel wird
dieser Status einfach nicht zuerkannt. Das ist die Lektion die der
Staat nach Dezember 2005 gelernt hat, als die Bruderschaft großen
Erfolg bei den Wahlen hatte. Natürlich ist die Bruderschaft gegen diese
Änderung, wie auch Kifaya. Kifaya erklärte, dass sie das Referendum
bezüglich der Verfassungsänderungen, das am 7. April stattfinden soll,
boykottieren wird. Wir schlagen eine breite, breiter noch als Kifaya
selbst, nationale Oppositionsbewegung zur Organisierung der
Boykott-Kampagne vor, die auch die Bruderschaft einschließen sollte.
Wir haben zwei Punkte. Erstens wollen wir ein friedliches Ende dieses
Regimes. Zweitens wollen wir gemeinsam während einer Übergangsperiode
von drei Jahren dafür sorgen, dass demokratische Rechte etabliert
werden, wie freie Wahlen, eine neue Verfassung usw. Dieser Vorschlag
trägt den Namen „Ein neues Zeitalter – eine neue Verfassung. Wir lehnen
es ab, irgendetwas mit den derzeitigen Verfassungsänderungen zu tun zu
haben. Solche eine Bewegung sollte hauptsächlich aus Kifaya, der
Bewegung der Richter, der Moslemischen Bruderschaft und anderen
radikalen Parteien bestehen, die nicht vom Regime anerkannt sind, wie
Karama, die Revolutionären Sozialisten, Amal, Wasad und
Intellektuellen. Und der Sprecher sollte einen nationalen Konsens
hinter sich haben, sodass er auch gemeinsam mit anderen in einer
Übergangsperiode wirken könnte.

F: Was waren die Gründe, die vom Staat angegeben wurden, als er der Bruderschaft den Parteienstatus verweigerte?

Qandil:
Es gibt eine Institution, die sich Parteikomitee nennt, die von einer
Person der Regierungspartei geführt wird, der lange Zeit Minister unter
diesem Regime war. Prinzipiell werden von diesem Komitee keine Gruppen
akzeptiert, wenn sie Anlass zum Zweifel ihrer Loyalität gegenüber dem
Regime geben. Dieses Komitee hat jüngst die Parteilizenz der
Islamischen Arbeitspartei (Amal) entzogen, sie haben diese Lizenz
dreimal der Wasad Partei verweigert, zweimal der Karama Partei. Und was
die Bruderschaft betrifft, so gibt es unter den Verfassungsänderungen
einen Artikel der praktisch für sie geschrieben wurde, der besagt, dass
es nicht gestattet ist eine politische Partei zu gründen, deren Basis
Religion ist.

F: Sind die radikalen Kräfte erfolgreich in ihrem Versuch die Bruderschaft zur Kooperation mit ihnen zu bewegen?

Qandil: Bislang waren die Versuche nicht besonders erfolgreich.

F: Weshalb zögert die Bruderschaft mit ihnen zusammenzuarbeiten?

Qandil:
Es gibt zwei Hauptgründe dafür. Zunächst mal gibt es zwei
unterschiedliche Flügel innerhalb der Führung der Moslemischen
Bruderschaft, dem Führungsrat. Der eine ist im allgemeinen sehr
politisch und hat ein aktivistisches Herangehen, sucht die
Zusammenarbeit mit Kifaya und anderen demokratischen Parteien. Der
andere Flügel hat seine Wurzeln in der Nasser Zeit und fürchtet
schlicht und einfach die Konfrontation mit dem Regime. Sie haben Angst
vor der Auseinandersetzung. Zweitens war die Bruderschaft sehr harten
Angriffen ausgesetzt, und auch im Moment wird gegen sie ohne Pardon
vorgegangen. 300 ihrer führenden Kader sind derzeit im Gefängnis. Da
davon ausgegangen wird, dass diese Angriffe fortgesetzt warden, bildet
das einen weiteren Grund warum sie zögern die Bühne zu betreten. Es
gibt aber auch Persönlichkeiten der Bruderschaft, die auch aktive
Mitglieder bei Kifaya sind, selbst von der höchsten Führung. Aber die
alte Führung, die von dem antipolitischen Klima unter Nasser geprägt
wurde, hat ein anderes Herangehen an die Sache. Wir hatten viele
Treffen mit der Bruderschaft, sie versprechen immer unsere Vorschläge
zu prüfen. Wir arbeiteten zusammen was die Vereinigung der Ingenieure
betraf, die praktisch geschlossen wurde, es gab keine freien Wahlen
dort. Aus diesem Anlass hätte letzten Mittwoch eine Demonstration
stattfinden sollen, aber die Moslemische Bruderschaft erschien einfach
nicht, da gedroht worden war, ihre Teilnehmer allesamt zu verhaften.
Die Repression ist also tatsächlich eines der Haupthindernisse für sie
sich der Oppositionsbewegung anzuschließen.

F: Gehen Sie davon aus, dass sie sich an der Boykottkampagne für das Referendum beteiligen werden?

Qandil:
Am Ende werden sie keine andere Wahl haben. Das Regime will nicht mit
ihnen zusammenarbeiten, und die USA treiben derzeit eine Kampagne
voran, nicht mit der Bruderschaft zu kooperieren.

F: Unter diesen Umständen, was erwarten Sie von der Kairo-Konferenz?

Qandil:
Ich habe jüngst gehöhrt – auch wenn ich keine konkreten Informationen
darüber habe – dass die Journalistengewerkschaft, die nahe der
Anwaltsgewerkschaft lokalisiert ist, wo die Konferenz hätte stattfinden
sollen, es abgelehnt hat, dass die Karama Partei in ihren
Räumlichkeiten eine Konferenz abhält. Ich befürchte, dass es dieses
Jahr Probleme mit dem Ort geben könnte. Dabei ist es wichtig nicht zu
vergessen, dass beide Gewerkschaften von unseren Freunden kontrolliert
werden, aber denn gibt es offensichtlich heftigen Druck von Seiten des
Staates auf beide von ihnen.

F: Was erwarten Sie für politische Ergebnisse?

Qandil:
Es kann davon ausgegangen werden, dass nach der Hinrichtung Saddam
Husseins einige Probleme auftreten könnten, nicht intern hier in
Ägypten, aber von irakischen Teilnehmern. Aber alle politischen Kräfte
hier in Ägypten sind mit dem irakischen und dem palästinensischen
Widerstand. Andere Probleme die auftreten könnten, hängen mit der
Sicherheitssituation zusammen, denn die Lage ist angespannter als
letztes Jahr.

F: Die Enderklärung der Kairo-Konferenz letztes
Jahr war sehr deutlich in der Iran Frage, in der klaren Verteidigung
des Iran gegen die westliche Aggression obgleich es irakische
Teilnehmer gab, die in ihren Meldungen erklärten, es gäbe keine
Bedrohung des Irans. Denken Sie dass diese Deutlichkeit heuer, nach der
Hinrichtung Saddam Husseins, verloren gehen könnte?

Qandil: Das
alles könnte Probleme verursachen, denn es werden sicher irakische
Teilnehmer anwesend sein, die den Iran für dasselbe halten wie Israel,
aber wenn die Konferenz stattfindet, dass wird sie jede Aggression
gegen den Iran verurteilen. Und was die ägyptischen Kräfte betrifft,
alle die an der Konferenz teilnehmen sind gegen jedwede Art von
Angriffen auf den Iran. Dies wird noch mehr herausgestrichen werden.

F: Nun, da wir bereits auf den Iran gekommen sind, denken Sie ein Angriff steht unmittelbar bevor?

Qandil:
Nein, nicht unmittelbar. Die Amerikaner haben noch immer zu große
Probleme im Irak, aber ja, es scheint als würden die Amerikaner in
diese Richtung gehen, es gibt eine allgemeine Orientierung auf einen
Angriff gegen den Iran. Ich war bei einem Treffen in Beirut, auf dem
ich von Iranern, die nahe der Hisbollah waren,, gefragt wurde, was die
ägyptische Position wäre, gäbe es einen Angriff auf den Iran. Und ich
habe geantwortet, dass e seine allgemeine Ablehnung eines solchen geben
wird, aber die Stärke dieser Ablehnung wird von der Rolle des Iran im
Irak abhängen. Wenn der Iran weiterhin die Marionettenregierung und die
sektiererischen schiitischen Kräfte unterstützt, wird die Stärke die
Ablehnung nicht so ausgeprägt sein, als wenn der Iran mit dem
Widerstand wäre.

F: Was ist Ihr Kommentar zur Situation im Irak heute? Ist der Bürgerkrieg bereits im Gange?

Qandil:
Im Irak herrscht eine schreckliche Situation heute, aber was die
Möglichkeit eines Bürgerkrieges betrifft, so denke ich, dass wenn die
Amerikaner das Land verlassen würden, dann würde vermutlich ein Kampf
um die Macht beginnen, der aber nicht lange dauern würde. Je länger die
Amerikaner jedoch im Land bleiben, desto schlimmer werden diese
Spannungen später werden.

F: Was hat der Krieg gegen den Libanon
letztes Jahr für Ägypten bedeutet? Der Eindruck war, dass die Bewegung,
Demonstrationen hier schwächer waren als erwartet.

Qandil: Nein,
dass ist nicht richtig. Hier gibt e seine sehr starke Unterstützung für
Hisbollah, für Hassan Nasrallah. Beispielsweise findet man zahlreiche
Besitzer kleiner Geschäfte oder Minibusse, die sein Bild aufgehängt
haben, wobei keine Bilder politischer Führer seit Nasser mehr
aufgehängt wurden. Kifaya stellte in einer Erklärung fest, dass die
Waffen der Hisbollah nicht nur die Waffen des libanesischen Widerstands
seien, sondern jene der arabischen Nation. Die Moslemische Bruderschaft
unterstützte ohne zu zögern die Hisbollah und der Krieg gegen den
Libanon führte zu einem Zusammenrücken aller Feinde der Amerikaner.
Möglicherweise schienen die Demonstrationen nicht besonders groß zu
sein, aber in der arabischen Welt hatte es den Anschein, als wäre die
Hisbollah siegreich, und daher fehlte die mobilisierende Wut.

F: Würden Sie kurz die palästinensische Situation kommentieren?

Qandil:
Wahrend eines Fernsehauftritts bei Al Manar gemeinsam mit einem
Sprecher von Hamas, schlug ich vor, die Palästinenser sollten mit der
PA Schluss machen und zum Widerstand zurückfinden. Das Mekka Abkommen
hat vielleicht dazu beigetragen, einige der schlimmsten internen
Probleme auszuräumen, aber das Problem des Widerstands hat es nicht
gelöst.

F: Danke für das Gespräch.

21.2.2007, Kairo, Doris Höflmayer, Lars Akerhaug

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