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„Für einen Libanon ohne Konfessionalismus“

5. April 2007

Interview mit Dr. Ali Fayyad, Präsident des Beratungszentrums für Studien und Dokumentation, der Think-Tank der Hisbollah

F: Wie sehen Sie die Rolle der UN-Truppen im Libanon, sieben Monate nach dem Ende des Krieges? Sind sie zum Schutz der libanesischen Bevölkerung da, oder sehen Sie sie als Besatzungstruppen?

A.F.: Ich denke, dass die UN-Resolution 1701 von zwei unterschiedlichen Blickpunkten aus gesehen werden kann. Wir können sagen, dass die Vereinten Nationen von den USA kontrolliert werden und dass die UNIFIL Israel helfen will und daraus folgend versucht die Hisbollah zu entwaffnen. Aber gleichzeitig kann man anführen, dass es viele Absätze in dieser Resolution gibt, die feststellen, dass die UN-Truppen im Süden des Libanon dafür da sind der libanesischen Bevölkerung und der libanesische Regierung zu helfen die libanesische Souveränität zu schützen. Auf dieser Basis haben wir unsere Haltung gegenüber den UN Truppen im Süden des Libanon eingenommen. Wir haben klargestellt, dass wir bereit sind ihnen gegenüber neutral zu sein, wenn sie dem Libanon und nicht Israel helfen. Wir können sagen, dass das unsere Bedingung ist für einen positiven Umgang mit den UN-Truppen im Südlibanon.

F: Glauben Sie, dass die Gefahr einer neuerlichen Aggression durch Israel besteht?

A.F.: Es gibt diese ernste Drohung. Die Israelis haben erklärt, dass sie daran arbeiten ihre Armee wieder vorzubereiten für einen neuen Krieg gegen Hisbollah und gegen den Libanon. Ich denke, wir müssen das ernst nehmen.

F: Wie sieht es innenpolitisch im Libanon aus? Die Oppositionsallianz mobilisierte für den Rücktritt der Sioniora-Regierung, aber dieser Versuch schlug fehl. Können Sie uns erklären weshalb?

A.F.: Es gibt jetzt im Libanon einen großen Graben zwischen zwei politischen Gruppen. Die erste ist in der Siniora-Regierung drinnen, sie ist proamerikanisch. Und es gibt die libanesische Opposition, welche dagegen ist, dass der Libanon von den Amerikanern oder dem Westen im allgemeinen kontrolliert wird. Wir denken, dass es heute keine nahe Lösung für die Krise gibt. Wir steuern auf eine Eskalation zu und das wesentliche Hindernis, um einen Kompromiss zu erreichen, besteht im Amerikanischen Herangehen. Die USA verhindern einen Kompromiss zwischen ihnen und sie haben offen angekündigt, dass sie es ablehnen, dass Hisbollah eine passende Vertretung in der libanesischen Regierung erhält.

F: Worin bestand der Kompromissvorschlag der Hisbollah?

A.F.: Es gab viele Punkte. Erstens wollen wir ein aktiver Teil der Regierung sein. Wir müssen ein Drittel plus ein Mitglied der Regierung stellen. Zweitens muss es eine Diskussion über die interne Organisation des internationalen Tribunals geben. Das ist unser Recht. Wir müssen die Funktionsweise dieses Tribunals basierend auf dem Prinzip, die libanesische Souveränität zu erhalten, diskutieren. Wie können wir verhindern, dass dieses Tribunal politisiert wird? Drittens müssen wir eine Übereinkunft über ein neues Wahlsystem im Libanon finden. Dies sind die drei Elemente.

F: Das war der Kompromiss welcher der Siniora-Regierung vorgeschlagen wurde. Sind das auch die Eckpunkte des politischen Programms der Hisbollah?

A.F.: Ja, das ist unser Programm. Unser Hauptziel ist es die Stabilität im Libanon zu retten. Wir brauchen diese Stabilität wegen der schwachen libanesischen Wirtschaft. Und wir denken, dass die libanesische nationale Einheit notwendig ist um den Herausforderungen Israels und Amerikas und der israelischen Drohung gegen den Libanon zu begegnen.

F: Wenn Sie von der Einheit des Libanon sprechen, sprechen Sie von einer Einheit mit Kräften wie Jumblat oder Geagea, die klar auf der Seite der USA sind. Wie kann die Hisbollah als Widerstandsbewegung zu einer Einheit mit solchen Kräften aufrufen?

A.F.: Wir müssen pragmatisch in diesem Fall sein, denn der Libanon ist eine konfessionelle Gesellschaft, und manche dieser Führer repräsentieren wichtige konfessionelle Gruppen im Libanon. Schließlich müssen wir unser Land aufbauen und ich denke es wird keine Stabilität zwischen diesen unterschiedlichen libanesischen Gruppen geben. Ja, wir teilen ihre Politik und Allianzen nicht. Wir haben völlig andere Perspektiven für die Zukunft des Libanon. Aber wir lehnen es ab mit diesen Differenzen durch Kämpfen und Rückkehr zum Bürgerkrieg fertig zu werden. In diesem Fall haben wir keine Wahl. Wir müssen einen Kompromiss finden, aber einen speziellen Kompromiss, der die Position des Libanon gegen Amerikas Position im Nahen Osten orientiert.

F: Was ist das langfristige Projekt der Hisbollah im Libanon? Was für eine Art von Gesellschaft schlägt sie vor?

A.F.: Zunächst mal arbeiten wir für den Aufbau eines politischen Systems ohne konfessionelle Strukturen. Wir wollen die libanesische Souveränität erhalten. Wir wollen die libanesische Armee so aufbauen, dass sie Israel davon abhalten kann unsere Gesellschaft, unser Land anzugreifen. Wir wollen gute Beziehungen zwischen dem Widerstand und der libanesischen Armee. Und letztendlich wollen wir mit anderen Gruppen darin zusammenarbeiten einen Ausweg aus der libanesischen Wirtschaftskrise zu finden, die sehr gefährlich ist.

F: Ist die Hisbollah bereit sich in die libanesische Armee zu integrieren?

A.F.: Wir sind darauf vorbereitet die Diskussion zu diesem Punkt noch lange zu führen. Zunächst müssen wir die nationale Verteidigungsstrategie festlegen und danach können wir darüber sprechen, was die Zukunft des Widerstands ist und wo die Position des Widerstands sein soll, innerhalb oder außerhalb der Armee.

F: Schlagen Sie eine Veränderung der Behandlung der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon vor, denen bislang jegliche Rechte durch den libanesischen Staat verweigert wurde?

A.F.: Das ist ein essentieller Punkt in unserem politischen Programm. Wir haben dafür gearbeitet, dass den palästinensischen Flüchtlingen dieselben Rechte wie den libanesischen Einwohnern gegeben werden, und wir werden das auch weiterhin tun. Das inkludiert das Recht zu arbeiten, das Recht auf Gesundheitsversorgung durch den Staat und andere zivile Rechte.

F: In Europa wird die Hisbollah als radikal islamische Organisation wahrgenommen. Die Kairo-Konferenz ruft zur Einheit im Kampf zwischen islamischen und linken Kräften auf. Was denken Sie über dieses Thema?

A.F.: Wir sind eine nationale Widerstandsbewegung. Wir haben spezifische Ziele. Wir wollen unser Land von Besatzung befreien. Wir wollen unsere Gefangenen aus den israelischen Gefängnissen befreien. Und wir wollen den Libanon gegen die israelische Bedrohung gegen unsere nationale Souveränität verteidigen. Wir sind eine politische Partei, die dafür arbeitet das politische Regime zu verändern. Wir sind eine demokratische Partei, denn wir versuchen in einem fortschrittlichen Sinn die Beziehungen mit anderen libanesischen Gruppen, Christen, wie der nationalen patriotischen Strömung von Michel Aoun und anderen säkularen Gruppen wie der Kommunistischen Partei oder den Nasseristen zu entwickeln, und auch allen anderen,, die mit unserem politischen Programm übereinstimmen, besonders was die Notwendigkeit des Widerstands gegen Israel betrifft.

F: Unterstützt die Hisbollah den irakischen Widerstand und wie denken Sie kann die Gefahr eines Bürgerkriegs im Irak abgewendet werden?

A.F.: Ich denke ein Bürgerkrieg zwischen den irakischen Gruppen ist eine wirkliche Bedrohung der wir uns stellen müssen. Wir müssen die unterschiedlichen irakischen Gruppen ermuntern für ihre Einheit zu arbeiten. Ich denke der Konflikt innerhalb des irakischen Volkes, besonders zwischen den Schiiten und Sunniten und zwischen Arabern und Kurden ist fest in der amerikanischen Strategie verankert. Wir unterstützen den irakischen Widerstand gegen die amerikanische Besatzung.

F: Denken Sie es gibt die Gefahr, dass die arabischen Widerstandsbewegungen über die Frage des Irans auseinanderdividiert werden?

A.F.: Iran ist eine große Macht in der Region und ich denke er stellt die Hauptkraft dar, die sich der amerikanischen Macht und dem amerikanischen Militär in der Region entgegenstellt. Wir alle müssen den Iran in diesem Kampf unterstützen. Wenn die USA den Iran angreifen, dann wird die Bedrohung einer amerikanischen Aggression gegen die ganze Region steigen. Wir müssen das Bild, das wir vom Iran haben, neu überdenken und besonders die iranische Rolle im Irak. Ich teile die Vorstellung der religiösen Einmischung des Irans im Irak nicht. Wir haben dazu eine andere Meinung und ich rufe alle politischen Kräfte dazu auf, den Versuch zu unternehmen, die Wirklichkeit der iranischen Politik im Irak zu verstehen.

F: Danke für das Gespräch.

1. April 2007, Kairo, Margarethe Berger und Doris Höflmayer

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