Interview mit Dr. Rabah Mohanna, Mitglied des Politbüros der PFLP
Intifada: Was sehen Sie die Zukunft der palästinensischen Regierung der nationalen Einheit?
Dr. Mohanna: Obwohl die PFLP als dritte Kraft aus den Wahlen hervorging – wenn auch mit einem großen Abstand zur Fatah – beteiligen wir uns nicht an der elften palästinensischen Regierung, weil wir das Dokument der Gefangenen (1), dem alle politischen und sozialen Gruppen in Palästina zugestimmt haben, als den minimalen politischen Konsens betrachten, hinter den die Tagesordnung der Politik nicht zurückfallen darf. Wir denken, dass das, was in Mekka geschehen ist, die Grenzen des im Dokument der Gefangenen Festgehaltenen überschreitet. Beispielsweise erkennt das Dokument der Gefangenen Oslo und die darauf folgenden Übereinkünfte nicht als Basis für die Fortsetzung des politischen Prozesses an. In Mekka wurde das jedoch so vereinbart und auch von der Hamas mitgetragen.
Zweitens stimmen wir nicht mit der Initiative der Arabischen Liga, die auf dem Beiruter Gipfel vereinbart wurde, überein, weil sie nicht in adäquater Weise auf das Rückkehrrecht eingeht, sondern von der Normalisierung der Beziehungen mit Israel spricht. Wir haben auch in Mekka gesehen, dass Fatah und Hamas beide keine wirkliche Partnerschaft zwischen den unterschiedlichen Parteien wollen.
Wir denken, dass es drei Möglichkeiten der zukünftigen Entwicklung der Regierung der nationalen Einheit gibt: Erstens, Abu Mazen will die Hamas näher an seine eigenen politischen Positionen heranbringen. Und tatsächlich sieht es so aus, als ob die Hamas sich der Fatah annähern würde, zunächst in konkreten Dingen, wie das Budget, die Minister etc. Wir fürchten, dass die Hamas diesen Weg weitergehen und schließlich die politischen Positinen Abu Mazens übernehmen könnte. Und diese Regierung, einschließlich der Hamas, wird natürlich auch weiterhin mit dem Nahost-Quartett zusammenarbeiten. Wir denken, dass dies sehr gefährlich für die palästinensische Sache ist. Das ist die erste Möglichkeit.
Zweite Möglichkeit: Es könnten sich Schwierigkeiten innerhalb der Regierung ergeben, die ihren Ursprung in der Hamas selbst haben. Das würde bedeuten, dass die Hamas sich Abu Mazens Positionen nicht nah genug annähern würde. Daraus könnten in der Folge Probleme in der Regierung entstehen und Abu Mazen könnte vorgezogene Wahlen, sowohl Präsidentschafts- als auch Parlamentswahlen, ausrufen. Die Unterstützung für Abu Mazen wäre dann sehr stark. Er würde der Bevölkerung die Botschaft übermitteln: Wir haben eine Fatah-Regierung ausprobiert, die nicht funktionier hat; wir haben eine Hamas-Regierung ausprobiert, die auch nicht funtioniert hat und wir haben eine Regierung der nationalen Einheit ausprobiert, die nicht funktioniert hat, also versuchen wir’s mit Neuwahlen. Abu Mazen würde aus diesen Wahlen massiv gestärkt hervorgehen.
Dritte Möglichkeit: Die politischen Differenzen zwischen Hamas und Fatah nehmen zu und zwar hinsichtlich der Fragen, die direkt die Regierung betreffen, etwa die Machtverteilung, die wichtigsten Ministerposten, interne Beziehungen, die Kommunikation innerhalb der Regierung etc. Und die Hamas wird keine vorgezogenen Neuwahlen akzeptieren und schließlich würde es wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah kommen.
Es gibt auch ein viertes Szenario, das wir von der PFLP propagieren. Wir fordern eine Reform der PLO auf demokratischer Grundlage, mit dem Ziel, die Einhaltung der PLO-Charta zu erreichen. Die PLO-Charta muss die Leitlinie für alle Palästinenser innerhalb und außerhalb Palästinas sein. Nur auf dieser Grundlage können wir die Frage der Regierung, welcher Regierung auch immer, diskutieren. Wir müssen auch die Frage diskutieren, ob wir überhaupt eine Palästinensische Nationalbehörde brauchen, weil sie den palästinensischen Freiheitskampf behindert.
Intifada: Die PLO-Charta soll die Grundlage jedweder zukünftigen palästinensischen Regierung, sei es der nationalen Einheit oder nicht, darstellen?
Dr. Mohanna: Ja natürlich, die ursprüngliche PLO-Charta.
Intifada: Denken Sie, dass in Palästina die Gefahr eines tatsächlichen Bürgerkrieges, der über die bisherigen Zusammenstöße hinausgeht, besteht?
Dr. Mohanna: Ich denke nicht, dass wir auf einen Bürgerkrieg zugehen. Es ist möglich, dass die Auseinandersetzungen zwischen einigen Fraktionen der Fatah und der Hamas weitergehen. Aber ich sehe die Bedingungen für einen wirklichen Bürgerkrieg nicht gegeben. Die Mentalität und Konstitution der palästinensischen Gesellschaft machen es schwierig, dass die Auseinandersetzungen sich zu einem richtigen Bürgerkrieg ausweiten. Die Natur der palästinensischen Gesellschaft stellt eine Art Kontrollorgan über die Situation dar. Stellen Sie sich das etwa so vor: In einem Haushalt steht der Familienvater der Fatah nahe, seine Frau der Hamas, sein Sohn der PFLP. Die Menschen unterhalten, über die politische Zugehörigkeit hinweg, enge Beziehungen miteinander.
Intifada: Was ist die Botschaft der PFLP an die Palästinenser außerhalb Palästinas, insbesondere an die zweite Generation?
Dr. Mohanna: Die PFLP hat Organisationen in Europa, in Nord- und Südamerika, aber ich räume ein, dass unsere Beziehungen nicht aktiv genug sind. Ich denke, wir müssen daran arbeiten, sie zu stärken. Darüber hinaus denke ich, dass unsere Position klar ist: Wir müssen eine starke Verbindung zwischen den Palästinensern innerhalb und außerhalb Palästinas schaffen. Wir haben ein klares Programm: Einerseits stimmen wir der Notwendigkeit eines palästinensischen Staates zu, andererseits beharren wir auf dem Rückkehrrecht. Und wir denken, dass diese Strategie der politischen Realität im Moment am besten entspricht: Die Forderung eines unabhängigen Staates innerhalb der Grenzen von 1967 und unser historisches Ziel, einen demokratischen palästinensischen Staat in ganz Palästina aufzubauen, in dem Araber, Moslems, Christen und Juden ohne religiöse, ethnische oder geschlechtliche Diskriminierung miteinander leben.
Intifada: Aus europäischer Sicht scheint es, dass die Fatah die Position des Widerstandes vollständig oder doch weitgehend aufgegeben hätte, dass sie dem Druck der USA und Israels nachgegeben hätte und sich deren Projekt angeschlossen hat.
Dr. Mohanna: Fatah ist eine große Bewegung und beinhaltet viele unterschiedliche Strömungen. Natürlich, was die offizielle Führung betrifft, so mag das stimmen, was Sie sagen. Aber auf der Ebene der Massenbasis der Fatah ist das Festhalten am Widerstand ungebrochen. Doch die Fatah hat zwei Probleme: einerseits die Korruption, innerhalb der PLO und der PNA, was die gesamte Führungsebene betrifft. Andererseits die Führung der Fatah in einem politischen Sinn, die vollkommen überaltert ist und nicht mehr den politischen Herausforderungen entspricht.
Intifada: Danke für das Gespräch.
Das Interview führten Margarethe Berger und Ghassan Kerry am 8. April 2007 in Kairo.
(1) Das Dokument der Gefangenen wurde 2006 von allen politischen Kräften mit Ausnahme des Islamischen Jihad als ein Dokument des minimalen Konsens unterzeichnet.