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Grußadresse Samir Amins an die Irak-Konferenz von Chianciano

21. Juli 2007

aus Intifada Nr. 24Am 24. und 24. März 2007 fand in Chianciano, Italien die internationale Konferenz „Mit dem Widerstand, für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“ statt. Mit dieser Veranstaltung war es gelungen, Vertretern der Volkswiderstandsbewegungen gegen die Besatzung aus dem Irak, dem Libanon, Palästina und Afghanistan zum ersten Mal auf europäischem Boden eine Stimme zu geben.
Wir veröffentlichen im Folgenden die Schlussresolution der Konferenz sowie drei Beiträge in gekürzter Fassung mit freundlicher Genehmigung des Pahl Rugenstein Verlags. Wir möchten an dieser Stelle unseren Leserinnen und Lesern die Neuerscheinung des Verlags „Naher und mittlerer Osten: Krieg – Besatzung – Widerstand“ empfehlen, die neben der vollständigen Version der hier vorabgedruckten Texte die wesentlichen Beiträge der Konferenz in Chianciano sowie die aktualisierten Fassungen der Referate einer Berliner Konferenz vom Februar 2007 ebenfalls zum Thema Besatzung und Widerstand in Nahost enthält.

An vorderster Front im Kampf für die Destabilisierung der USA, Israels und ihrer Verbündeten: Palästina, Libanon, Afghanistan, Irak, Iran

Das Projekt der USA, unterstützt von ihren Sekundanten in Europa und Israel, besteht darin, die militärische Kontrolle über die ganze Welt zu erlangen. Der Nahe Osten ist aus vier Gründen vorrangiges Ziel: Erstens gibt es dort die größten Ölreserven der Welt; deren Kontrolle durch die US-Armee würde Washington eine einzigartige privilegierte Stellung verschaffen, da sowohl seine Verbündeten – Europa und Japan – als auch mögliche Rivalen wie China von diesem amerikanisch kontrollierten Öl abhängig wären. Zweitens liegt der Nahe Osten im Herzen der Alten Welt und wäre so ein guter Stützpunkt für eine permanente militärische Bedrohung Chinas, Indiens und Russlands. Drittens ist die Region derzeit in einem Zustand der Schwäche und Verwirrung, was dem Aggressor zumindest kurzfristig einfache Erfolge beschert. Viertens haben die USA dort einen treuen Verbündeten, nämlich Israel, das über Atomwaffen verfügt.
Für die Länder an der Frontlinie bedeutet die Aggression zum einen Zerstörung – für Palästina, den Libanon, Afghanistan und den Irak, zum anderen Bedrohung – für Syrien und den Iran.

Die Aggression gegen den Libanon

Israels Aggression gegen den Libanon im Juli und August 2006 ist Teil des Planes Washingtons für die gesamte Region. (…) Der Boden für die Aggression war bereits durch eine UN-Resolution bereitet, die den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon und die Entwaffnung der Hisbollah forderte (…).
Washingtons Ziel ist die vollständige militärische Kontrolle über die gesamte Region, wobei es dieses Ziel mit Gerede über den Export von Demokratie zu vertuschen sucht und gleichzeitig die neoliberale Ordnung, die die Plünderung der Ölressourcen erleichtert, durchsetzt. Washington hat auch bereitwillig die zionistischen Träume übernommen – die Aufteilung der Region in Kleinstaaten basierend auf ethnischen und religiösen Differenzen, mit Israel und den USA als Protektoratsmächten.
Die Umsetzung dieses Plans ist schon ziemlich weit fortgeschritten. (…) Nachdem der libanesische Widerstand gezeigt hat, dass er den israelischen Aggressor in die Knie zwingen kann, konzentrieren sich die USA und Europa nun darauf, ihn zu entwaffnen, um so der nächsten israelischen Aggression doch noch einen „strahlenden Sieg“ zu ermöglichen. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass alle Völker das unveräußerliche Recht haben, sich gegen Interventionen der Imperialisten und ihrer Verbündeten militärisch zu wappnen.

Afghanistan

In der neueren Geschichte hat Afghanistan seine Blütezeit während der sogenannten „kommunistischen“ Republik gehabt. Diese war ein despotisches, aber modernes und aufgeklärtes Regime, das im Kampf gegen Obskurantismus die Erziehung für beide Geschlechter forcierte und die entscheidenden Kräfte der Gesellschaft stärkte. Die „Agrarreformen“ waren im wesentlichen Maßnahmen, um die Macht der Clan-Chefs zu beschneiden. Mit der zumindest indirekten Unterstützung durch die Mehrheit der Bevölkerung hätte diese schon begonnene Entwicklung erfolgreich weitergeführt werden können. Die westlichen Medien und der politische Islam stellten in ihrer Propaganda diese Erfahrung als „kommunistischen, atheistischen Totalitarismus“ dar, der vom afghanischen Volk abgelehnt worden wäre. In Wirklichkeit jedoch war dieses Regime weit davon entfernt, unpopulär zu sein. (…)
Vor allem die USA und ihre Verbündeten waren hartnäckige Gegner der afghanischen Parteien – ob Kommunisten oder nicht -, die die Modernisierung betrieben. Sie waren es auch, die die obskuranten Kräfte des politischen Islam, die Pakistani (Taliban) und die Warlords (…) mobilisierten und ihnen Ausbildung und Waffen zukommen ließen. Selbst nach dem sowjetischen Rückzug wäre der Widerstand der Regierung von Najibullah gegenüber den Angriffen der obskuranten Kräfte wahrscheinlich nicht gebrochen worden, wäre da nicht die militärische pakistanische Offensive zur Unterstützung der Taliban gewesen, die Chaos hervorrief und den Warlords wieder zu Macht verhalf.
Afghanistan ist durch die militärische Intervention der USA, ihrer Verbündeten und Handlanger, insbesondere der Islamisten, zerstört worden. Ein Wiederaufbau wird nicht möglich sein mit diesen Marionetten, deren Macht von einem Clown repräsentiert wird, der über keinerlei Wurzeln im Land verfügt, dafür aber die Unterstützung der texanischen transnationalen Gesellschaft, deren Angestellter er einmal war, genießt. Wer das Heil in einer Scheindemokratie von Washingtons, der NATO und der UNO Gnaden sucht, legitimiert deren Anwesenheit – also die Besatzung. In diesem Kontext ist „Demokratie“ schon immer eine Lüge gewesen; jetzt ist sie eine hinterhältige Farce.
Es gibt nur eine Lösung für das afghanische Problem. Alle ausländischen Kräfte müssen das Land verlassen und keine der Mächte darf ihren Verbündeten finanzielle Hilfe oder Waffenlieferungen zukommen lassen. (…)

Irak

Die bewaffnete Diplomatie der USA zielte auf die Zerstörung des Irak, lange bevor sie den Vorwand dafür fand – zuerst, als es im Jahre 1990 zum Einmarsch in Kuwait kam, dann nach dem 11. September. (…) Der Grund für den Krieg ist ganz einfach und hat nichts mit dem Gerede von der „Befreiung“ des irakischen Volkes von der blutigen Diktatur Saddam Husseins zu tun. Ein sehr großer Teil der Ölressourcen der Welt liegt im Irak. Des weiteren hatte der Irak wissenschaftliche und technische Kader, mit denen ein nachhaltiges nationales Projekt hätte aufgebaut werden können. (…)
Folgende Fragen sind für uns von Bedeutung. Erstens: Wie konnte der Plan Washingtons so leicht als großartiger Erfolg verkauft werden? Zweitens: Wie stellt sich die neue Situation für das irakische Volk dar? Drittens: Wie stellen sich die verschiedenen Teile des irakischen Volkes dieser Herausforderung? Viertens: Welche Lösungen können die irakischen, die arabischen und die internationalen demokratischen und fortschrittlichen Kräfte anbieten?
Die Niederlage Saddam Husseins war vorauszusehen. (…) [Jedoch] die Tatsache, dass der kämpfende Widerstand mit jedem Tag stärker wird – trotz der ernsten Schwächen, die die verschiedenen Gruppen des Widerstands aufweisen -, hat die Installierung eines sklavischen Regimes, das die Fassade der „Ordnung“ aufrecht erhalten könnte, unmöglich gemacht. Hierin zeigt sich in einem gewissen Maß das Scheitern des US-Projekts. Die Tatsache, dass die gezähmte UNO dieses künstliche Regierungsgebilde anerkannt hat, ändert nichts an der Wahrheit, dass diese „Regierung“ weder legitim noch akzeptabel ist.
Die militärische Besetzung hat eine neue Situation geschaffen. Die irakische Nation ist ernsthaft bedroht. Das Projekt Washingtons, das unfähig ist, das Land mittels einer Regierung, die sich als „national“ ausgibt, unter Kontrolle zu halten, und gleichzeitig dessen Ölressourcen zu plündern (was ja das Hauptanliegen ist), hatte die Zerstörung des Landes zur Voraussetzung. Die Teilung des Landes in mindestens drei „Staaten“ für Kurden, Sunniten und Schiiten könnte von Anfang an ein Ziel Washingtons und Israels gewesen sein (was die Archive in der Zukunft enthüllen könnten). Derzeit setzt Washington auf den „Bürgerkrieg“ – wie immer, wenn es um die Legitimierung von Besatzung geht. Eine permanente Besatzung war und ist das Ziel, denn sie ist der Garant für die Kontrolle über das Öl. (…)
Wir können den aufeinander folgenden Baath-Regimes, auch dem im letzten Stadium des Verfalls unter Saddam Hussein, alles unterstellen bis auf den Vorwurf, den religiösen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten geschürt zu haben. Wer aber ist dann verantwortlich für die Wunden, die zu den jetzigen Kämpfen zwischen diesen beiden Gruppen führten? Ich bin mir sicher, dass wir eines Tages erfahren werden, wie der CIA (und zweifellos auch der Mossad) viele dieser Massaker organisierten. Es ist aber auch wahr, dass die politische Wüste, die das Hussein-Regime schuf, die heutigen Machthaber stimulierte, den gleichen Weg zu gehen – oft geschützt von der Besatzungsmacht, manchmal vielleicht in dem naiven Glauben, selbst die Besatzer zu benutzen. Diese Machthaber – Stammesführer oder besonders korrupte „Geschäftsleute“, direkt aus den USA importiert – sind nicht wirklich mit dem Land verbunden. Dasselbe muss man auch von den religiösen Oberhäuptern (Schiiten und Sunniten) sagen, die von den Gläubigen respektiert werden, denn sie können bisher keine politische Aktivität nachweisen, die für die Iraker akzeptabel wäre. Hätte Saddam Hussein nicht solch eine Leere hinterlassen, wären diese Führer in der Bedeutungslosigkeit geblieben. Wird es anderen politischen Kräften, in den Massen verankerten nationalen Bewegungen mit einer demokratischen Perspektive, möglich sein, sich neu zu formieren?
Es gab eine Zeit, in der die kommunistische Partei Raum für die Besten aus der irakischen Gesellschaft bot. Sie war im ganzen Land verankert, sammelte besonders viele Intellektuelle um sich, gerade auch aus dem schiitischen Milieu – wobei ich der Meinung bin, dass aus den Reihen der Schiiten Revolutionäre und religiöse Führer kommen, selten jedoch Bürokraten und Kompradoren. Die kommunistische Partei war eine echte Massenpartei und anti-imperialistisch, kaum demagogisch und potentiell demokratisch. Heute ist sie allerdings dem Untergang geweiht, nachdem die Baath-Diktatur Tausende ihrer besten Kämpfer ermordete, die Sowjetunion zerfiel (worauf sie nicht vorbereitet war) und schließlich einige Intellektuelle glaubten, dass es angebracht wäre, im Gefolge der amerikanischen Truppen aus dem Exil zurückzukehren.
Das „Kurdenproblem“ ist sowohl im Irak als auch im Iran und in der Türkei ein echtes Problem. Wir sollten uns diesbezüglich aber in Erinnerung rufen, dass auch hier die westlichen Mächte ihre Doppelmoral mit dem immer gleichen Zynismus anwenden. Im Irak oder im Iran wurden die Forderungen der Kurden nie mit einem ähnlichen Ausmaß an militärischer und polizeilicher Gewalt unterdrückt wie in der Türkei. Weder der Iran noch der Irak haben das Existenzrecht der Kurden so rückhaltlos verweigert wie Ankara. Der Türkei wird dies jedoch verziehen, da sie Mitglied der NATO ist. (…)
Die irakischen Massenorganisationen, die sich um die kommunistische Partei und die Baath-Partei in deren besten Zeiten gebildet hatten, fanden immer eine Ebene der Verständigung und der Zusammenarbeit mit den wesentlichen kurdischen Parteien, die ihre Verbündeten wurden.
Die so genannten „Anti-Shiiten“- und „Anti-Kurden-Gesetze“ unter Saddam Hussein hat es gegeben. Die Armee bombardierte die Region von Basorah nach der Niederlage in Kuwait im Jahre 1990 und ging gegen die Kurden unter Einsatz von Giftgas vor. Dies geschah jedoch im Gefolge der Aktionen der bewaffneten Demokratie Washingtons, die den Zauberlehrling dazu angestiftet hatte, seine Chancen zu nutzen. Das ändert natürlich nichts daran, dass diese Aktionen dumm und verbrecherisch waren.
Unter den genannten Umständen erscheint die Stärke des Widerstands gegen die Besatzung als etwas Unerwartetes, fast wie ein Wunder. Das ist sie aber nicht. Die Realität ist einfach die, dass das irakische Volk als Ganzes (Araber und Kurden, Sunniten und Schiiten) die Besatzer hasst und sich deren täglichen Verbrechen bewusst ist – der Morde, Bomben, Massaker, der Folter. Was wir brauchen, ist eine Widerstandsfront, die alle teilnehmenden Personen, Organisationen und Parteien vereinigt und ein gemeinsames Programm veröffentlicht. Aber bis jetzt gibt es diese vereinte Widerstandsfront nicht, vor allem wegen der sozialen und politischen Zerstörungen, die die Besatzer und zuvor Saddams Diktatur angerichtet haben. Das Fehlen einer gemeinsamen Front ist ein entscheidender Nachteil, da Zwietracht verstärkt und Opportunisten ermutigt werden, und Verwirrung über die Ziele der Befreiung herrscht.
Wer wird diese Schwächen überwinden? Kommunisten müssen dazu bereit sein, wie auch die Kämpfer, die jetzt schon aktiv sind. Sie unterscheiden sich von all den „führenden Persönlichkeiten“ (die einzigen, die die Massenmedien kennen), die nicht wissen, welchen Weg sie einschlagen sollen und sich deshalb eine Aura der Legitimierung durch ihre Positionen innerhalb der Kollaborationsregierung verschaffen und gleichzeitig vorgeben, für die Aktionen des bewaffneten Widerstands zu sein. Es gibt viele andere politische Kräfte, die sehr viel geeigneter wären, die Initiative für die Bildung einer gemeinsamen Widerstandsfront zu übernehmen.
Trotz all seiner Schwächen hat der irakische Widerstand das Projekt Washingtons entscheidend erschüttert – noch nicht militärisch, aber politisch. Das ist es auch, was die treuen Verbündeten der USA in der EU so beunruhigt. Die Vasallen Washingtons fürchten die Niederlage der USA, weil diese Niederlage die Völker des Südens stärken würde, weil sie deren Spielraum erweitern würde, dem globalisierten transnationalen Kapital Respekt für die Interessen der Nationen und Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas abzuringen.
Der irakische Widerstand hat Vorschläge gemacht, um aus der bestehenden Sackgasse herauszufinden und die USA zum Verlassen des Landes zu veranlassen. Die Vorschläge sind erstens die Bildung einer Übergangsadministration, die vom Sicherheitsrat unterstützt wird, zweitens das sofortige Ende der Kampfhandlungen des Widerstands und der Besatzungstruppen (Militär und Polizei), und drittens der Abzug aller militärischen und zivilen ausländischen Kräfte innerhalb von sechs Monaten. Die Details dieser Vorschläge wurden im angesehenen arabischen Magazin „Al Mustaqbal Al Arabi“ im Januar 2006 in Beirut veröffentlicht.
Das völlige Schweigen der europäischen Massenmedien zu diesen Vorschlägen veranschaulicht die Solidarität unter den Imperialisten. Die demokratischen und progressiven Kräfte in Europa sollten die Strategie der imperialistischen Triade bekämpfen und die Vorschläge des irakischen Widerstands unterstützen. Es ist nicht akzeptabel, das irakische Volk im Kampf gegen seinen Feind allein zu lassen, denn dies fördert die gefährliche Idee, dass von den Ländern des Westens nichts zu erwarten sei, und stimuliert auf diese Weise inakzeptable, ja kriminelle Tendenzen in den Praktiken gewisser Widerstandsbewegungen.
Je stärker die Unterstützung für das irakische Volk durch die demokratischen Kräfte in Europa und in der gesamten Welt, desto eher werden die Besatzungstruppen das Land verlassen und desto besser werden die Voraussetzungen für eine bessere Zukunft des irakischen Volkes sein, das so viel Terror ausgesetzt ist. Je länger die Besatzung andauert, desto dunkler wird die Zukunft nach deren unvermeidlichen Ende sein.

Palästina

Seit der berühmten Balfour-Deklaration während des Ersten Weltkriegs ist das palästinensische Volk Opfer eines ausländischen Kolonialprojekts und erfährt das Schicksal der nordamerikanischen Indianer. Das Projekt wird schon immer von den bestimmenden imperialistischen Mächten in der Region (zuerst Großbritannien, dann die USA) bedingungslos unterstützt. Die Gründung eines Staates als Fremdkörper in der Region heißt nichts anderes als die Etablierung eines bedingungslosen Unterstützers der fortgesetzten Interventionen in diesem Raum, mit dem Ziel der Unterwerfung des arabischen Nahen Ostens unter die imperialistische Vorherrschaft.
Alle Völker Afrikas und Asiens, die die Rechte des palästinensischen Volkes unterstützen, durchschauen diese Situation. In Europa hingegen sorgt das „Palästina-Problem“ für große Meinungsverschiedenheiten, verursacht durch die zionistische Ideologie, die hier auf fruchtbaren Boden fällt.
Das amerikanische Projekt für einen „Größeren Mittleren Osten“ bedeutet für das palästinensische Volk mehr denn je zuvor, dass ihm alle seine Rechte genommen werden. Im Lauf der Zeit hat die PLO die Verträge von Oslo und Madrid wie auch die „Road Map“, die von Washington entworfen wurde, anerkannt. Es war Israel, das offen seine Unterschrift verweigerte und ehrgeizig die eigene Expansion vorantrieb. Die PLO wiederum war geschwächt und, es muss wohl gesagt werden, naiv genug, an die Ehrlichkeit des Gegners zu glauben. Die Unterstützung, die der Hamas als islamischem Gegner der PLO zumindest am Anfang von Israel zukam, sowie die korrupten Praktiken der palästinensischen Administration führten (und vielleicht war das so gewollt) zum Wahlerfolg der Hamas, was wiederum als Vorwand diente, die israelische Politik bedingungslos zu unterstützen.
Seit seiner Entstehung ist das zionistische koloniale Projekt eine Bedrohung für Palästina und die arabischen Nachbarländer, was deutlich wird an Israels Interesse an der Annexion des ägyptischen Sinai und an der praktischen Annexion der Golan-Höhen. Im Projekt des „Größeren Mittleren Ostens“ ist ein besonderer Platz für Israel vorgesehen, für seine regionale Monopolstellung als militärische Nuklearmacht. (…)
Die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes zu verteidigen ist für alle Demokraten weltweit eine wichtige Herausforderung. Palästina steht im Zentrum der größten Konflikte unserer Zeit. Wenn man den israelischen Plan zur Zerstörung Palästinas und seines Volkes akzeptiert, heißt das so viel wie die Verweigerung des elementaren Rechtes eines jeden Volkes, nämlich des Rechtes auf seine Existenz. Und deshalb ist es nicht akzeptabel, dass diejenigen, die gegen die Umsetzung und Vollendung dieses Plans sind, des „Antisemitismus“ beschuldigt werden.

Iran

(…)
Ich möchte lediglich einige Bemerkungen machen, die für uns von besonderem Interesse sind. Erstens ist das politische islamische Regime im Iran nicht prinzipiell inkompatibel mit der Integration des Landes in das weltweite kapitalistische System als solches (die Grundfesten, auf denen es steht, unterstützen die Vision eines liberalen wirtschaftlichen Managements). Zweitens ist der Iran eine „starke Nation“. Das heißt, dass seine besten, wenn nicht sogar alle Teile – Volksmassen und Führer – die Integration des Landes als beherrschte Nation innerhalb des Weltsystems nicht akzeptieren. Es gibt einen offensichtlichen Widerspruch zwischen diesen beiden Dimensionen der iranischen Realität, wobei die zweite die Ausrichtung der Außenpolitik Teherans erklärt – nämlich die Entschlossenheit, ausländische Forderungen zurückzuweisen.
Die Stärke Irans ist sein Nationalismus, der meiner Meinung nach historisch eine positive Rolle spielt. Er erklärt den Erfolg der Modernisierung der wissenschaftlichen, industriellen, technologischen und militärischen Kapazitäten – eine Entwicklung, die unter den Schah-Regimes begann und sich im Khomeinismus fortsetzte. (…)
Da der Iran die Möglichkeiten und Fähigkeiten hat, sich als unabhängiger Partner zu etablieren, haben die USA beschlossen, dieses Land durch einen neuen „Präventivkrieg“ zu zerstören. Wie wir wissen, wird der Konflikt heute auf dem Gebiet der nuklearen Kapazitäten, die der Iran entwickelt hat, ausgetragen. Sollte dieses Land nicht wie alle anderen das Recht haben, eine militärische Nuklearmacht zu werden? Dürfen die imperialistischen Mächte und ihre Marionette Israel für sich das Recht in Anspruch nehmen, das Monopol auf Massenvernichtungswaffen zu kontrollieren? (…) In Bezug auf den Iran sind die europäischen Staaten leider auf einer Linie mit dem Vorhaben Washingtons, das den militärischen Angriff zum Ziel hat.

Schlussfolgerungen

Derzeit sind drei relevante Gruppen in den politischen Auseinandersetzungen in der Region involviert. Zum einen diejenigen, die für sich eine nationale Vergangenheit beanspruchen (sie sind aber nichts anderes als die korrupten und degenerierten Erben der Bürokratien einer nationalistisch-populistischen Ära); dann gibt es die, die dem politischen Islam zugerechnet werden können, und schließlich diejenigen, die aus einer Bewegung „demokratischer“ Forderungen, die mit einer liberalen Wirtschaftsordnung kompatibel sind, hervorgegangen sind. Keine dieser Gruppen ist akzeptabel für einen linken Zugang, der sich der Interessen der Nationen und der Volksmassen bewusst ist, denn alle drei Gruppierungen sind von den Interessen der Kompradorenklassen beherrscht. (…) Die Linke sollte die Kämpfe unterstützen, in denen sie sich selbst wiedererkennt, das heißt: die Kämpfe zur Verteidigung der ökonomischen und sozialen Interessen der Volksmassen sowie zur Konsolidierung von Demokratie und nationaler Souveränität als deren untrennbare Ziele. Alle Demokraten der Welt sollten die Aktivitäten der progressiven Kräfte unterstützen und jede Intervention der USA, der NATO, Israels und der unterwürfigen UNO sowie ihrer Verbündeten in der Region vorbehaltlos verurteilen.
Der „Größere Mittlere Osten“ ist heute der Brennpunkt im Kampf aller Völker der Welt gegen das imperialistische Zentrum. Die Destabilisierung und Schwächung des Projektes der USA bedeutet eine Ermutigung und Stärkung der fortschrittlichen Kräfte weltweit. Ohne diese Entwicklung wären diese Kräfte sehr verletzbar. Das heißt aber nicht, dass die Bedeutung anderer Kämpfe in anderen Teilen der Welt – in Europa, Lateinamerika – unterschätzt werden darf. Es bedeutet einfach, dass diese Kämpfe im Sinne einer globalen Perspektive dazu beitragen sollen, die Interessen Washingtons in der Region, die das Hauptangriffsziel darstellt, entscheidend zu schwächen.

Samir Amin

Samir Amin ist marxistischer Ökonom und zählt zu den Führungspersönlichkeiten des Weltsozialforums. Der aus Ägypten stammende Wissenschaftler leitete das „African Institute for Economic Development and Planning“ und ist heute Direktor des „Dritte-Welt-Forums“ in Dakar. Autor zahlreicher Bücher über Imperialismus und ungleiche Entwicklung.


Übersetzung: Elisabeth Lindner

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