aus Intifada Nr. 24
Angeblich um die Gewalt, die Tag für Tag den Irak erschüttert, von Kurdistan fernzuhalten wird immer öfter nicht-kurdischen Reisenden an den Einfahrten zu Städten, die von den südkurdischen Parteien verwaltet werden, die Weiterfahrt verboten. Die an den Kontrollpunkten stationierten Peschmergas (kurdischen Milizionäre) fahnden in Sammeltaxen systematisch nach Arabern, um sie entwürdigenden Befragungen und Durchsuchungen zu unterziehen, von denen auch Frauen und Alte nicht ausgenommen werden. Nur wer einen konkreten Grund für seinen Besuch vorweisen kann, hat überhaupt eine Chance auf eine Betretenserlaubnis. Nach dem Bombenanschlag vom 9. Mai 2007 im Stadtzentrum von Erbil vor dem Innenministerium, bei dem fünfzehn Menschen ums Leben gekommen sind, hat man sich eine neue Schikane ausgedacht: Ab sofort müssen Fahrzeuge einen Aufkleber der Region Kurdistan tragen, um am Eingang von Erbil durchgelassen zu werden. Diesen Aufkleber bekommen nur Halter von Personenkraftwagen, die in Kurdistan zugelassen sind, für eine Gebühr von 500 US$.
Aber nicht nur in den Landesteilen, die offiziell unter kurdischer Hoheit stehen, sondern überall dort, wo Kontrollposten mit Peschmergas besetzt sind, die je nach Bedarf mal als Polizisten, mal als Soldaten funktionieren, gilt kurdisches Wegerecht. So stehen auf der Hauptstrecke zwischen Mosul und Kirkuk irakische Wachposten, die leicht an der Flagge zu erkennen sind, während die Kontrollpunkte auf der Nebenstrecke ohne Fahnen also von Peschmerga besetzt sind, die die irakische Fahne nicht anerkennen. An letzteren werden nur „genehme“ Fahrzeuge durchgelassen. Aus diesem Grunde müssen Nicht-KurdInnen, die in den Nordteil Kirkuks wollen, die halbe Stadt umfahren, bis sie an einen Kontrollpunkt kommen, der sich nicht in den Händen der kurdischen Milizen befindet. Das ist, was Mesud Barzani unter einem demokratischen pluralistischen Kurdistan versteht. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, was die Menschen erwartet, wenn nach dem Kirkuk-Referendum die kurdischen Parteien die uneingeschränkte Macht über die gesamte Region haben werden.
Die jüngste Anschlagswelle im Nordirak fällt zeitgleich mit einer Diskussion im irakischen Parlament über eine Verschiebung des geplanten Kirkuk-Referendums, in dem über die Annektierung Kirkuks abgestimmt werden soll, um keine weiteren ethnischen Spannungen zu provozieren. Dagegen behaupten kurdische Politiker wie Barzani, die schnelle Anbindung Kirkuks an Kurdistan sei nötig, um ethnische Gewalt zu vermeiden. Wie zur Bekräftigung seiner Worte kommt es in Kurdistan zu den blutigsten Anschlägen seit mehreren Jahren. So werden nur wenige Tage nach der Explosion von achthundert Kilogramm TNT in Erbil in der Kleinstadt Maxmur, sechzig Kilometer südlich von Erbil von einem mit Sprengstoff beladenen Wagen über fünfzig Menschen in den Tod gerissen. Dass gerade jetzt zwei so schwere Anschläge verübt werden können, während sonst jede Handtasche kontrolliert wird, hinterlässt bei allem Bedauern für die Opfer einen bitteren Nachgeschmack.
Die Angst, einer (vermeintlichen) Bedrohung von außen ausgesetzt zu sein, hat zudem einen zusammenschweißenden Effekt im Inneren. In den letzten Tagen hört man keine Kritik an der Praxis der politischen Führung. Niemand redet mehr von Korruption, Cliquenwirtschaft und Machtmißbrauch. Die Gewalt hat den politischen Führern eine Ruhepause verschafft, die ihnen nicht ungelegen kommen kann. Die offensichtlichen Parallelen zwischen der heutigen Lage in Südkurdistan und der Phase nach dem 11. September 2001 lassen nichts Gutes für die nächste Zukunft erwarten.
Fatma Salih Osman
Maxmur Organisation für Menschenrechte
Bagdad
19. Mai 2007