Site-Logo
Site Navigation

Serbien und Jugoslawien

12. September 2007

Warum wir uns nicht nur auf die Seite Jugoslawiens, sondern auch auf die Serbiens stellen


Der erste Akt der jugoslawischen Tragödie ist vorüber. Die Nebel haben sich etwas gelichtet und die Fronten erscheinen nun in klarerem Licht.

Jene, die nach dem Selbstbestimmungsrecht und für die Teilung Jugoslawiens geschrieen haben, sind seit dem Nato-Krieg gegen Jugoslawien als freiwillige oder unfreiwillige Helfer der Nato und des Imperialismus geoutet.

Doch nach wie vor gibt es im Lager der Verteidiger Jugoslawiens keine Einigkeit. Noch immer gibt es jene, die sich zwar mit uns ehrlich gegen die Nato-Aggression stellen aber dennoch nur Jugoslawien verteidigen, während sie Serbien als reaktionär betrachten. Für sie war einzig und allein das sozialistische (oder zumindest nichtkapitalistische) föderative Jugoslawien historisch fortschrittlich, Serbien und der serbische Nationalismus sei laut ihnen jedoch ein Totengräber dieses Jugoslawien gewesen. Insbesondere die Radikalen � eÅ¡eljs seien nichts anderes als Faschisten, die es zu bekämpfen gelte.

Jugoslawien ist tot

Man muss der Realität ins Auge schauen. Tatsächlich ist die jugoslawische Idee in Form des Titoismus historisch gescheitert.

Aus der Sicht des serbischen Nationalismus trägt Tito die Hauptschuld an der nationalen Katastrophe, da er systematisch serbische Interessen gesamtjugoslawischen oder gar kroatischen (da er selbst kroatischer Herkunft war) geopfert habe. Isoliert man die Frage vom historischen Kontext, sieht man den Jugoslawismus als historische Unmöglichkeit an, so gewinnt diese Betrachtung einiges an Plausibilität:

Tito verhinderte das historische Ziel des serbischen Nationalismus, symbolisiert durch die vier kyrillischen S, die für „Nur die Einheit rettet den Serben“ stehen, die Vereinigung aller Serben in einem Staat. Tatsächlich verblieben Millionen Serben vor allem in Kroatien und Bosnien, aber auch in Mazedonien ohne kollektive Minderheitenrechte. Hinzu kam, dass in Serbien selbst zwei autonome Provinzen, namentlich Kosovo und Vojvodina geschaffen wurden, die praktisch den Status eigener Republiken hatten. Das ist im Fall des Kosovo besonders gravierend, der das Zentrum des serbischen Nationalmythos darstellt und als Wiege des Serbentums gilt. Um den Ausgleich mit den Albanern zu schaffen und ihre Loyalität zu sichern, machte Tito derart weitgehende Zugeständnisse, dass er in einen Gegensatz zum serbischen Nationalismus kommen musste. Die Massenvertreibungen der Serben während des Zweiten Weltkriegs durch die albanischen Nationalisten und die Nazis wurden nicht nur nicht rückgängig gemacht, sondern die weitere Abwanderung der Serben wurde durch keinerlei Maßnahmen gestoppt. Im Gegenteil, im Zuge der Verfassungsänderungen der 60er- und 70er-Jahre wurde der Kosovo tatsächlich albanisiert. Albanisch wurde auf allen Ebenen zur ersten Sprache. Seine Rechte kamen jenen einer Republik gleich ohne jedoch formal eine solche geworden zu sein.

Für eine kurze Periode in den 70er-Jahre schien diese weitgehende Anwendung des Lenin’schen Prinzips des Rechts auf nationale Selbstbestimmung Früchte zu tragen. Der albanische Nationalismus in Form des reaktionären Balli-Kombà«tarismus oder des „marxistischen“ Hoxhaismus blieb auf kleine Minderheitenströmungen beschränkt, während die Masse des Volkes zu Titoisten wurde.

Doch sofort nach dem Tod Titos, der den Staat mit der Klammer seiner historischen Autorität als Sieger über den Faschismus zusammengehalten hatte brachen nationalistische Unruhen aus, welche die Masse der Albaner Jugoslawien wieder entfremdete.

Wie konnte das geschehen? War der Titoismus nur so oberflächlich eingedrungen oder ist der Jugoslawismus gänzlich unmöglich? Es gilt nun die Hauptursachen des Scheiterns des Tito-Jugoslawien aufzuzeigen:

Das zweite Jugoslawien wurde bereits mit einer derart schweren Hypothek belastet geboren, dass retrospektiv betrachtet eine gesunde Entwicklung fast gänzlich ausgeschlossen erscheint – nämlich der nicht gewinnbare Konflikt mit der Sowjetunion Stalins. Zumindest seit Mitte der 30er-Jahre vertrat die Kommunistischen Parteien Jugoslawiens aktiv die Forderung der Balkanföderation. Dies zwar keineswegs aus revolutionären Motiven, sondern weil sich eine solche in der geostrategischen Konzeption Moskaus gegen das Dritte Reich richtete, während die zuvor vertretende Linie der nationalen Zerspaltung des SHS-Staates nach Hitlers Griff auf Kroatien und auf die anderen nicht-serbischen Nationalitäten Jugoslawiens als nicht mehr zweckdienlich herausgestellt hatte. Dennoch konnte die Perspektive der Balkanföderation eine gewaltige revolutionäre Kraft im Kampf der Volksmassen gegen die imperialistische Herrschaft entfalten – ein Moment, das der sowjetischen Führung in Form von Tito und seiner über eine Million Mann zählenden Partisanenarmee als Konkurrenz und Bedrohung ihrer Hegemonie erscheinen musste.

Tito kämpfte für die Verwirklichung der Balkanföderation, allen voran mit Bulgarien, aber auch mit Griechenland. Dass dies nicht ganz uneigennützig geschah und er sich selbst zum Stalin des Balkans erklären wollte, liegt nahe. Dennoch führte er eine soziale Revolution gegen die kapitalistischen Verhältnisse, die dem Stalin’schen Kompromiss von Jalta mit dem siegreichen Entente-Imperialismus, gegossen in die legendäre 50:50-Formel, eindeutig zuwider lief. Mehr noch, er gab den griechischen Partisanen, nachdem sie schon durch eine von Moskau diktierte Kapitulation geschwächt waren aber dennoch den Kampf – bereits auf verlorenen Posten – wieder aufnahmen, ehrliche Unterstützung, zumindest solange der Bruch mit der UdSSR noch nicht endgültig erschien. Das war ein weiterer revolutionärer Schlag gegen den erstickenden Kompromiss von Jalta, der Griechenland gänzlich dem britischen Imperialismus zusprach. Die sowjetische Hilfe floss dagegen nur sehr spärlich, einzig und allein um nicht das Gesicht in einem Kampf zu verlieren, den man gar nicht führen wollte. Stalin machte also der Balkanföderation sowohl in Jalta als auch durch seinen unumschränkte Forderung nach der absoluten Hegemonie den Garaus.

Im Rahmen der Balkanföderation, deren integraler Bestandteil Albanien geworden wäre, hätte sich die Frage des Kosovo – vermutlich zwar auch nicht ohne Konflikte – aber dennoch lösen lassen. In einem gemeinsamen Staat hätte sich ein Status für den Kosovo finden lassen müssen, in dem sowohl die Rechte der Serben als auch jene der Albaner berücksichtigt worden wären. So hätte nämlich ein weiteres Moment des nationalen Konflikts, nämlich die soziale Zurückgebliebenheit des Kosovos und noch mehr Albaniens besser lösen lassen. (Denn der Immigrationsdruck aus dem kargen Nordalbanien in den nicht nur landwirtschaftlich begünstigten Kosovo ist nicht zu unterschätzen.) In diesem Sinne engagierte sich das Jugoslawien Titos, das den Hoxha-Partisanen wesentlich zum Sieg verholfen hatte, in der ersten Phase massiv am wirtschaftlichen Aufbau Albaniens. Damit hätten die konservativen Stämme des Nordens isoliert und in der Folge aufgesaugt werden und der modernere antifaschistische und prokommunistische Süden die Führung übernehmen können, ohne zur hoxhaistischen Diktatur der Gleichheit in Armut greifen zu müssen, die früher oder später zusammenbrechen und die alte Stammeskultur, die mit polizeilichen Mitteln nur unterdrückt jedoch nicht überwunden werden konnte, wieder aufleben lassen musste. Mit dem nicht-zustande-Kommen der Balkanföderation wurde Jugoslawien in der albanischen Frage (und nicht nur in dieser) ein Ei gelegt, aus dem in der Folge ein Monster schlüpfen sollte.

So wie im Kosovo mit den Albanern ist die nationale Frage in Jugoslawien im allgemeinen untrennbar mit der sozialen Frage verwoben. Eines der erklärten Ziele des Titoismus war der soziale Ausgleich zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden, der richtig als wesentliche Voraussetzung zum Abbau der nationalen Gegensätze gesehen wurde. Doch dieser Ausgleich wurde von den nördlichen Republiken und ihrer Bevölkerung nur widerwillig gewährt und stieß mit dem Niedergang der wirtschaftlichen Wachstumsraten und mit dem über die exzessiven Auslandsschulden wirksam werdenden Krisenzyklus der 70er-Jahre zunehmend auf Widerstand. Die immer weitergehenden föderalistischen Reformen, welche die wieder auflebenden nationalen Spannungen hintanhalten sollten, erreichten genau ihr Gegenteil. Mit ihnen wurde den nördlichen Republiken ein Instrument in die Hand zu gegen eben diese Sonderinteressen gegen den Süden geltend zu machen und so die Kluft noch weiter zu vertiefen.

Voraussetzung für den freiwilligen sozialen Ausgleich, der im Norden auch einen gewissen Verzicht bedeutet hätte, ist die Identifikation der Massen mit dem Staat. Diese sollte in Jugoslawien unter anderem mit dem Modell der Arbeiterselbstverwaltung erreicht werden, die den Werktätigen weitreichende Mitbestimmungsmöglichkeiten einräumte. Diese hatte jedoch einen entscheidenden Haken. Die für den sozialistischen Aufbau unbedingt notwendige Partizipation der Arbeiterklasse wurde nämlich untrennbar mit der Zurücknahme und Vernachlässigung der zentralen Rahmenplanung und dem Wirken von Marktmechanismen zwischen den einzelnen selbstverwaltenden Betrieben verbunden. Mögen Marktelemente in einer vorwiegend agrarischen Gesellschaft im Bereich der Kleinbauern, des Kleinhandwerks und des Kleinhandels unvermeidlich sein und ihre administrative Unterdrückung verheerende wirtschaftliche und politische Folgen zeitigen, so können diese nur genutzt werden, wenn ihnen ein zentralstaatlich gelenkter industrieller Sektor gegenübersteht, der im Interesse der gesamten Gesellschaft entwickelt und geführt wird. Statt dessen nisteten sich über die Arbeiterselbstverwaltung in den einzelnen Betrieben Partikularinteressen ein, die in Kombination mit der Auslandsverschuldung und der Aufweichung des Außenhandelsmonopol des Staates sich zu wirklichen kapitalistischen Tendenzen entwickelten.

Der Hauptgrund für die geringe Identifikation und Anteilnahme am Staat, später sogar für die Indifferenz und Entfremdung vom Staat war die fehlende politisch-gesamtstaatliche Beteiligung der Massen, die Inexistenz von politischen Volksmachtorganen. Durch das politische Monopol einer mit der Partei verbundenen privilegierten Bürokratie, die sich von jener Osteuropas nicht grundsätzlich unterschied, konnten sich die kapitalistischen Tendenzen auf allen Ebenen entwickeln. Die Betriebsdirektoren, die im Rahmen der Selbstverwaltung keineswegs den Auftrag hatten im Interesse der gesamten Gesellschaft zu wirtschaften, sondern für jeweils ihre isolierten Belegschaften, traten über den Markt, der wiederum den Weltmarkt ausgesetzt war, in Beziehung mit der Gesellschaft. In der inneren Logik desselben wurde der Erfolg der Unternehmung auf dem Markt mit der persönlichen Bereicherung verknüpft. Statt dass die Arbeiterbeteiligung zur Kontrolle der Bürokratie und zur demokratischen Anteilnahme der Werktätigen an der Lenkung und Steuerung der Wirtschaft führte, wurde sie im Gegenteil ein Transmissionsriemen der Sonderinteressen der Direktoren zu den Belegschaften. Die bekannte Tendenz der privilegierten staatlichen Bürokratie sich in eine kapitalistische Klasse umwandeln zu wollen, verschmolz mit eben diesem Interesse der Betriebsdirektoren, welche die Belegschaften hinter sich wussten. Als ideologisches Werkzeug zur Rechtfertigung und zur Mobilisierung drängte sich geradezu der alte Nationalismus auf. Je tiefer Jugoslawien in die wirtschaftliche Krise schlitterte, desto mehr verstärkte sich vor allem im Norden der nationale Partikularismus, der dem armen Süden die Solidarität verweigerte.

Die exzessive Industrialisierung der 50er- und 60er-Jahre hatte sowohl in der UdSSR als auch in Jugoslawien einen für alle spürbaren sozialen Fortschritt gebracht. Der Sieg über den Faschismus und Kapitalismus gab den Massen Elan zum Aufbau einer neuen Gesellschaft, auch wenn sie von der politischen Mitbestimmung weitgehend ausgeschlossen blieben. Doch in den Massen verblasste zunehmend die Erinnerung an das Elend des Kapitalismus und des Kriegs und den neuen Generationen blieb es gänzlich unbekannt. Der Elan konnte nicht anders als sich zu erschöpfen, denn er wurde weder durch die politische Beteiligung der Massen noch durch die Verbindung mit der Weltrevolution am Leben erhalten. Hinsichtlich der internationalen revolutionären Bewegung spielten beide eine bremsende Rolle. Die Politik der friedlichen Koexistenz der Sowjetunion ist hinlänglich bekannt. Die vom Titoismus wesentlich mitgetragene Bewegung der Blockfreien waren letztendlich nur eine Variante dieser friedlichen Koexistenz. Bestand zwar für alle revolutionären Bewegungen unzweifelhaft die Notwendigkeit sich von der politischen Hegemonie der UdSSR zu befreien und zu schützen, so taten dies die Blockfreien in dem sie sich als „Dritter Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus (wenn auch in seiner deformierten Variante) stellten. Ermöglichten sie so einigen Ländern der Dritten Welt eine gewisse Selbständigkeit, so blockierten sie aber die revolutionären Entwicklungen ebenso wie die UdSSR, weil sie die Bourgeoisien in ihrem Balanceakt zwischen revolutionären Volksmassen und dem Imperialismus bestärkten (Indien und Ägypten legen Zeugnis davon ab). In der Wirtschaftsentwicklung musste der Schwerindustrie die Leichtindustrie folgen. Vergrößertes Augenmerk war auf die technologieintensiven Sektoren und auf die Produktion von hochwertigen Konsumgütern zu legen. Dazu war man aber weder in Russland noch in Jugoslawien fähig, denn dazu bedurfte es nicht nur der passiven Akzeptanz, sondern der aktiven Teilnahme und Mitwirkung der Produzenten. War dies in der UdSSR durch die Kommandowirtschaft unmöglich, so lagen die Voraussetzungen in Jugoslawien mit der Arbeiterselbstverwaltung zwar besser, so war letztendlich auch diese gescheitert. Hinzu kam noch die Kleinheit und Rohstoffarmut des Wirtschaftsraumes, der das Land angesichts der Weigerung der UdSSR, es in den RGW zu integrieren, in die Kreditfalle des Westens trieb, die in den 70er-Jahren die bekannten verheerenden Auswirkungen zeitigte. Die so entstandene Wirtschaftskrise wurde wiederum selbst zum treibenden Faktor des Niedergangs Jugoslawiens. Nur mit dem untrennbar verwobenen Komplex von fehlender Partizipation, Wirtschaftskrise und nationalen Spannungen kann erklärt werden, dass am Höhepunkt der internationalen Revolution in der ersten Hälfte der 70er-Jahre sich die Bewegung des Kroatischen Frühlings, eine klar reaktionäre und prokapitalistische Bewegung entwickeln konnte. War aber einmal die Unterstützung der Massen, der wirkliche Motor des sozialistischen Aufbaus, zerfallen und hatte sich die Spirale des Nationalismus zu drehen begonnen, so war das Schicksal Jugoslawiens besiegelt, um so mehr als auch die internationale Revolution mit dem Ende der 70er-Jahre als geschlagen gelten konnte.

Die spezifisch titoistische territoriale Konzeption des Föderalismus, die als besondere Note die Eindämmung des unitaristischen Serbentums, das als Hauptfaktor des Scheitern des SHS-Staates angesehen wurde, trug, wandte sich also nach dem Tod Titos rapide gegen Jugoslawien. In der Anfangsphase waren die Grundelemente des Titoismus in der nationalen Frage richtig und zweckdienlich. Die staatstragenden Serben, die bereits im Ersten Weltkrieg gewaltige Opfer für die Verteidigung ihres Landes gaben und dann abermals die Hauptlast des antifaschistischen Befreiungskrieges und der sozialen Revolution getragen hatten, mussten unter Beweis stellen, dass sie gegenüber den anderen Nationalitäten keinerlei hegemonialen Ansprüche hatten, so wie es die schmerzvolle Geschichte des SHS-Staates nahe legte. Daher war die Einräumung von weitgehenden territorialen Rechte an alle Nationalitäten zuungunsten der Serben von größter Bedeutung für ihre Loyalität gegenüber dem neuen Staat. Doch bald hätte dieser notwendigen Anerkennung die vorsichtige aber bestimmte Anstrengung zur Schaffung einer neuen, jugoslawischen Nation unter freiwilliger Aufhebung der alten Nationalitäten, insbesondere im serbokroatischen Zentralraum folgen müssen. Dies hätte die territorialen Aspekte der nationalen Selbstbestimmung immer weiter zugunsten einer kulturellen Autonomie zurücknehmen müssen. (Die national-kulturelle Autonomie ist von Lenin für Österreich zu Recht verurteilt worden, denn sie zielte auf nichts anderes ab, als den Habsburgerstaat zu erhalten. Gleichzeitig sollten die Nationalitäten exterritoriale, nicht an ein Territorium gebundene Selbstverwaltungskörperschaften bekommen, welche die nationale Differenzierung noch weiter gefördert hätte. Der nationale Kampf auch der armen Klassen hätte sich statt gegen die Habsburger gegen die jeweils anderen Nationalitäten gerichtet. Doch im Rahmen von Jugoslawien hätte eine kulturelle Autonomie eine andere Bedeutung und vor allem gänzlich andere Auswirkungen. Zu aller erst ging es gerade eben darum den jugoslawischen Staat zu erhalten und zu stärken. Die zunehmend auf Kulturgemeinschaften reduzierten Nationalitäten bekämen in exterritorialen Körperschaften das Recht, diese Kultur zu pflegen und zu entwickeln, sowie ein gewisses Mitbestimmungsrecht (eventuell in Form von Kammern) in der territorialen Administration. Die tatsächlich bestimmenden territorialen Institutionen sind allerdings demgegenüber jugoslawisch-unitaristisch, um so mehr als es zumindest im serbokroatischen Zentralraum keinerlei Verständigungsschwierigkeiten durch die bereits gegebene gemeinsame Sprache gibt. Die austromarxistische Idee, dass jeder Staatsbürger sich zu einer Nationalität bekennen müsse, ist abzulehnen. Jeder wäre zu aller erst Jugoslawe. Zusätzlich könnte er sich noch – freiwillig – zu einer Kulturgemeinschaft bekennen, die aber sein Jugoslawentum nicht aufheben würde. In der in diesem Zusammenhang so wichtigen Schulfrage hieße das eine jugoslawisch-unitaristische Schule mit einer freiwilligen, unter der Obhut der Kulturautonomieinstitutionen organisierten, jedoch klar untergeordneten Komponente. Im übrigen ist das austromarxistische Modell bis zu einem gewissen Grad mit dem konfessionalistischen Modell des Libanon vergleichbar. Im Libanon wäre ein rein unitaristisches Modell nicht denkbar und würde sofort zu den schärfsten Konflikten führen. Auch für dieses Land wäre ein Unitarismus, kombiniert mit einer Komponente der exterritorialen Kulturautonomie, ein gangbares Modell, um die verschiedenen Konfessionen zu vereinen.) Die kulturelle Autonomie, die eine stark religiöse Komponente hat, musste unbedingt geschützt bleiben, doch wäre ihre praktischen Bedeutung durch die industrielle Entwicklung und die damit einhergehende Säkularisierung stark zurückgegangen, wie es tatsächlich auch der Fall war. Denn die drei Religionen sind historisch im Grunde nichts anderes als die Zugehörigkeit zu drei verschiedenen Staaten mit verschiedenen Kulturen. Der Versuch musste gemacht werden, die alten Nationalitäten und Kulturen in einer einzigen neuen überlegenen Nation und einem Staat zu überwinden, was nur unter der Voraussetzung der stetigen sozialen Entwicklung für alle denkbar ist.

Sobald jedoch die soziale Entwicklung ins Stocken geriet, wirkten sich die Versäumnisse in der nationalen Frage doppelt aus. Der territoriale Föderalismus wurde zum Hebel, mit dem die nur langsam und mühsam zusammenwachsenden Nationalitäten wieder auseinandergebrochen wurden und einen neuen Nationalismus entwickelten, der die kapitalistische Restauration im Auge hatte.

Das Beispiel Bosniens zeigt deutlich, dass dies durch einen territorialistischen Föderalismus, wie er durch die verschiedenen Verfassungsänderungen in immer stärkeren Dosen als Gegengift gegen den Nationalismus verabreicht wurde, letztendlich diesen nur fördern konnte. Bosnien wäre die Meisterprüfung des Jugoslawismus gewesen, denn in diesem Gebiet stießen die drei konstitutiven Religionen, Nationalitäten und Staaten am intensivsten aufeinander und hinterließen ihren Einfluss auf unentwirrbare Art und Weise ohne wirkliche territoriale Abgrenzung. Bosnien musste zum Laboratorium des Jugoslawismus gemacht werden und tatsächlich bekannten sich in dieser Teilrepublik im Verhältnis zu den anderen am meisten als Jugoslawen. Bosnien ist als Republik eine historische Missgeburt, denn es hat kein Staatsvolk, keine konstitutive Nationalität. Im Sinne des Jugoslawismus, der eine neue Nation zum Ziel haben musste, hätte Bosnien als eine Art Bundesterritorium verstanden werden, von dem ausgehend der ganze serbokroatische Raum (und in der Folge der Balkan) zu einer einzigen Nation vereinigt werden hätte müssen. Doch wurden die Moslems durch die territoriale Konzeption dazu gedrängt, sich als eigentliche Bosnier zu verstehen und so die alte Loyalität und Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich in einer neuen staatlichen Form zu fassen. Endergebnis dessen ist das heutige NATO-Protektorat, in dem der Westen verzweifelt versucht, eine fiktive bosnische Nationalität nicht nur aus Moslems, sondern erfolgloserweise auch aus Kroaten und Serben zu schaffen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Jugoslawismus nur in der Kombination einer sozialen Entwicklung in Richtung sozialer Gleichheit bei gleichzeitiger Förderung der Bildung einer neuen Nation und Wahrung der Rechte der ausklingenden und sich aufhebenden althergebrachten Nationalitäten verwirklichbar ist. Voraussetzung dazu ist die Vernichtung der Bourgeoisie, deren Herrschaft notwendig die soziale Ungleichheit mit sich bringt (die sich schnell in nationalen Konflikten entlädt) und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, die sich auf die Zustimmung und Beteiligung der Massen stützt. Doch nicht nur für den sozialistischen Aufbau, sondern vielmehr noch für die Verschmelzung von Nationalitäten in einer einzige neuen sind einige wenige Jahrzehnte entschieden zu wenig. Dazu bedarf es mehrerer Generationen.

Zurück zum serbischen Nationalismus

Das serbische Volk ist aus historischen Gründen am öftesten mit dem Imperialismus in Konflikt geraten, da es seine Rechte an einem Schnittpunkt geostrategischer Interessen am Balkan verteidigen muss. Der serbische Nationalmythos und die nationale Konzeption ist daher zutiefst von der Idee der nationalen Verteidigung und des antiimperialistischen Kampfes durchdrungen, in dessen Sinn die Geschichte gedeutet wird.

Mag das osmanische Reich als Träger der islamischen Zivilisation in der Anfangsphase nicht nur militärisch, sondern auch kulturell den verschiedenen aus dem Zerfallsprozess Byzanz‘ hervorgegangenen christlichen Reichen überlegen gewesen sein, so wurde es im Laufe der Jahrhunderte zum Inbegriff der Stagnation auf allen Ebenen. Es war in letzter Instanz nicht fähig, dem Balkan Fortschritt zu bringen und so wurde der serbische Widerstand zu einer historischen Traditionslinie. Erhoffte sich die serbische Bevölkerung vom Aufstieg der Habsburger ihre Rettung, so wurden diese Hoffungen spätestens im 19. Jahrhundert bitter enttäuscht. Es waren die Serben, die in wechselnden Koalitionen, immer wieder verraten, letztlich auf sich allein gestellt, den Befreiungskampf gegen alte und neue Imperialismen führten und sich als Piemont des Balkans oder zumindest der Südslawen, der Jugoslawen, zu begreifen begannen.

Schnell bemächtigte sich mit Unterstützung des westlichen Imperialismus eine kretinistische monarchistische Bourgeoisie der Macht. Nach der Niederlage der Achsenmächte im Ersten Weltkrieg war es die Entente, die gegen Deutschland den SHS-Staat schuf und die der mehr als rachitischen serbischen Bourgeoisie die Herrschaft über diesen übertrug. Das so entstandene Jugoslawien war indes nicht nur von oben geschaffen und erzwungen, sondern es war auch Ausdruck des Wunsches der südslawischen Volksmassen nach Jahrhunderten der kolonialen Knechtschaft in einem eigenen vereinigten Staat zu leben. Doch die serbische Bourgeoisie war unfähig die Entwicklung, Einheit und Selbständigkeit dieses gemeinsamen Staates zu sichern. Mit ihrer serbisch-unitaristischen Unterdrückungspolitik entfremdete sie alle anderen Nationalitäten dem neuen Staat und trieb sie in die Hände des deutschen Faschismus.

Im Zweiten Weltkrieg waren es wieder die serbischen Volksmassen, welche die Hauptlast des Befreiungskrieges gegen die Nazis trugen. Indes war die kapitalistische Durchdringung bereits so weit fortgeschritten, dass die nationale Verteidigung mit einem Kampf um die soziale Befreiung einherging. In dem Maße, in dem die Tito-Kommunisten die Hauptrolle zu spielen begannen, wandelten sich die bürgerlichen Nationalisten unter Mihajlovic zu Kollaborateuren mit der Besatzungsmacht und die serbischen Volksmassen gingen weitgehend zu den Partisanen über.

Doch die soziale Frage war nicht der einzige Grund des Erfolgs des Titoismus. Vielmehr hat er als erster begriffen, dass das serbische Volk, trotz seiner historischen Intransigenz, auf sich allein gestellt zu schwach ist, den Imperialismus zu besiegen, der sich die anderen Nationalitäten des Balkans zu seinen Dienern macht. Nur das gleichberechtigte Bündnis der Balkanvölker gegen den Imperialismus konnte den Sieg bringen. Dieses Bündnis war aber wiederum nur unter Ausschaltung der Bourgeoisien, nämlich auch der serbischen möglich, die aufgrund ihrer egoistischen Klasseninteressen mit den verschiedenen imperialistischen Mächten kooperierten. Diese geniale Kombination der sozialen mit der nationalen Frage hat dem Titoismus seinen nachhaltigen Sieg beschert.

Der titoistische Jugoslawismus weder historisch noch konzeptionell im diametralen Gegensatz zum serbischen Nationalismus – im Gegensatz zu den Behauptungen beider Strömungen -, sondern es besteht eine dialektische Kontinuität zwischen beiden, die Brüche mit einschließt. Es war die Masse der serbischen Kleinbauern, die inspiriert und geprägt durch die Geschichte von 600 Jahren Befreiungskampf, den antifaschistisch-antiimperialistischen Kampf führten. Der Titoismus musste diesen realen Kampf, der im übrigen ohne ihn und sein Zutun begonnen hatte (weil Stalin im Rahmen des Pakts mit Hitler das Stillhalten Titos forderte), nur entwickeln und lenken und das Konzept der serbischen Nation neu, nämlich in Form des Jugoslawismus unter Einschluss der anderen Nationalitäten, die freilich niemals zur treibenden Kraft des Jugoslawismus wurden, formulieren. Der Jugoslawismus ist nicht die Zerschlagung des serbischen Nationalismus, so wie es auch der Titoismus darzustellen versuchte, sondern seine Aufhebung in etwas neuem unter Zerschlagung seiner reaktionären bürgerlichen Elemente. Darum blieb das serbische Volk auch während des Titoismus immer das eigentliche Rückgrad Jugoslawiens.

Nur so ist zu erklären, wie die serbischen Massen die titoistischen Einschränkungen der serbischen Interessen weitgehend akzeptierten. Sie sahen eben die serbischen Interessen im Jugoslawismus verwirklicht!

Sobald aber dieses sich im Niedergang befand und vor allem der reiche Norden, namentlich Kroatien und Slowenen, nicht nur dem Jugoslawismus, sondern tendenziell jeder Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit abzuschwören begann, musste der serbische Nationalismus als Reaktion darauf wieder aufleben. Das was man zugunsten Jugoslawiens bereitwillig geopfert hatte, forderte man nun wieder zurück. Dieses Gefühl wurde dadurch noch bestärkt, dass diejenigen, die davon profitiert hatten, nun nicht einmal mehr dazu bereit waren dem zurückgebliebenen serbischen Süden Aufbauhilfe zu leisten.

So wie die Umwandlung des serbischen Nationalismus in den titoistischen Jugoslawismus kein geradliniger und linearer Prozess war, sowenig war es seine Rückbildung zum serbischen Nationalismus.

Zwar verfolgte der deutsche Imperialismus seit Anbeginn eine Zerschlagung Jugoslawiens entlang nationaler Linien und förderte mit allen erdenklichen Mitteln den kroatischen Nationalismus. Dennoch verfolgten alle sich zunehmend national formierende Bürokratien einen Kurs der kapitalistischen Restauration – inklusive der serbischen – was den herrschenden US-Imperialismus dazu bewog, die kapitalistische Restauration in einem als ganzem belassenen Jugoslawien zu konzipieren. Die 80er-Jahre waren daher noch von sozialen Verteidigungskämpfen gegen die IWF-Programme geprägt, die von Belgrad ausgingen und von allen Republiken gleichermaßen angewandt wurden. Um den gesamtjugoslawischen Streikbewegungen die Schlagkraft zu nehmen, setzte man in bewährter Form auf den Nationalismus. Es war gerade zu dieser Zeit, als man in Serbien das Kosovo-Problem wieder aufgriff und damit eine gewaltige nationale Mobilisierung, der es an chauvinistischen Untertönen nicht fehlte, in Gang setzte.

Doch mit dem Zusammenbruch der UdSSR und dem Versuch Deutschlands, im Machttaumel der Wiedervereinigung abermals Großmachtpolitik am Balkan zu betreiben, wendete sich das Blatt jäh. Deutschland intervenierte massiv für die Zerschlagung Jugoslawiens und die Unterstützung des zutiefst reaktionären kroatischen und slowenischen Sezessionismus. Anfangs versuchten die USA auf ihrer alten Linie des Erhalts der territorialen Einheit Jugoslawiens zu beharren, doch es zeichnete sich bald ab, dass aus imperialistischer Sicht die deutsche Wahl den Verhältnissen besser entsprach. Denn im neu erwachten serbischen Nationalismus war sehr schnell eine soziale Komponente, ein Element der Verteidigung gegen die neoliberalen Reformen zu spüren. War der Funke zum nationalen Erwachen der Serben Mitte der 80er-Jahre der Kosovo, so wandelte er sich unter Benutzung eben dieses Kosovo-Mythos nun unter dem Eindruck der deutschen Aggression hin zu einer antiwestlichen Stossrichtung, kombiniert mit sozialer Verteidigung. Eine alte Traditionslinie war widererwacht, die sich vor allem auf das serbische Kleinbauerntum stützt, das der Titoismus aus politischer Klugheit und Spürsinn nicht angetastet hatte. Während die Arbeiterklasse geschlagen war und zu zerfallen begann, wuchs der politische Einfluss des Kleinbauerntums weit über sein soziales Gewicht hinaus (nicht zuletzt deswegen, weil ein Großteil der Bevölkerung seine agrarischen Wurzeln bewahrt hat, die durch keine Kollektivierung ausgerissen worden waren). Schon allein um Deutschland nicht das Feld zu überlassen, schwenkte die USA auf die deutsche Linie ein, um wieder das Heft in die Hand zu nehmen. Nun stand Serbien, das serbische Volk, der serbische Nationalismus wieder einem übermächtigen Feind gegenüber, wie so oft in der Geschichte.

An dieser Stelle noch ein paar Worte zum Kosovo, der seine überragende Bedeutung aus dem serbischen Nationalmythos erlangt und keineswegs aus wirtschaftlichen Motiven. Es ist auf der einen Seite wahr, dass die serbische Bevölkerung unter Duldung des Titoismus auch nach dem Zweiten Weltkrieg mit mehr oder weniger sanftem Druck zum schrittweisen Verlassen des Kosovos gebracht wurde. Dabei half auch die weitgehende Albanisierung des autonomen Verwaltungsapparates mit. Hinzu kommt die extrem hohe albanische Geburtenrate, die wesentlich mithalf, den serbischen Bevölkerungsanteil zu minimieren. Auf der anderen Seite ist auch wahr, dass es im historischen Gegensatz zwischen Serben und Albanern bei ersteren durch die Armut und Unterentwickeltheit der Albaner einen chauvinistischen Unterton gibt. Immer wieder kam es trotz der weitgehenden titoistischen Zugeständnisse zu repressiven Maßnahmen gegen die Albaner.

Sieht man das nichtkapitalistische Jugoslawien als einen historischen Fortschritt (trotz zahlreicher Deformationen) an – und das tun wir – so muss man der titoistische Politik im Kosovo, den Albanern auf Kosten der Serben weitgehende Zugeständnisse zu machen und damit ihre Loyalität zu sichern, zustimmen. Denn das letztendliche Scheitern Jugoslawiens war keine historische Notwendigkeit und daher musste der Jugoslawismus mit allen zweckdienlichen Mitteln gefördert werden. Diese Zugeständnisse sind insofern auch im Angesicht einer möglichen Sezession akzeptabel, da es sich bei Albanien, trotz des Gegensatzes, letztendlich ebenso um einen nicht kapitalistischen Staat handelte. Wenn damit der historische Ausgleich mit den Kosovo-Albanern und Albanien auf nichtkapitalistischer Basis möglich geworden wäre, so wäre das eine zulässige Variante gewesen.

Doch nach dem Tod Titos lebte der albanische Nationalismus teils entlang hoxhaistischer Linien, aber vor allem auf der Basis eines konservativ-reaktionären balli-kombà«taristischen Nationalismus wieder auf. Der Ausgleich war definitiv gescheitert. Da auf internationaler Ebene der Bestand eines nicht kapitalistischen und antiimperialistischen Jugoslawiens und Serbiens um vieles bedeutungsvoller war als jener Albaniens, das auf hoxhaistischer Grundlage zum Scheitern verurteilt war, musste man sich ab einem gewissen Punkt auf die Seite Jugoslawiens, vertreten von Serbien, stellen. Das bedeutet keineswegs alle Elemente der einsetzenden serbischen Unterdrückungspolitik gutzuheißen. Dennoch wurde die Rücknahme der Albanisierung und zumindest eine Gleichstellung der Serben in der Autonomieverwaltung zu einer Notwendigkeit. Kam die teilweise Aufhebung des Autonomiestatus 1989 in der Form einem Putsch gleich, so war sie in der Tendenz gerechtfertigt die politische Kontrolle über den Kosovo nicht in die Hand einer sezessionistischen Gruppe übergehen zu lassen. Die sezessionistischen Strömungen mussten unterdrückt werden, dazu gab es nach dem Scheitern des jugoslawistischen Versuchs und noch mehr nach der Konterrevolution in Albanien keine Alternative. Doch der Fehler MiloÅ¡ević‘ bestand darin das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, nämlich den loyalen Albanern nicht die Hand ausgestreckt zu haben, sondern die Tür endgültig zugeschlagen und sie in die Arme der Sezessionisten getrieben zu haben. Eine militärische Konfrontation war also unvermeidlich und die Tragödie nahm ihren schrecklichen Lauf.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das serbische Volk trotz der Tatsache, dass Jugoslawien ein kapitalistischer Staat (besonderer Art) ist, heute sich als einziges gegen den Imperialismus zur Wehr setzt, während alle anderen Nationalitäten des Balkan in mehr oder weniger großem Ausmaß zu Dienern, Handlangern und Sklaven des Imperialismus geworden sind.

Der antiimperialistische Charakter des serbischen Volkes hängt zweifellos auch mit der fest verankerten Idee der sozialen Gerechtigkeit zusammen, die ihre Wurzeln im selbständigen Kleinbauerntum hat und durch den Titoismus weiter verfestigt wurde. Daher hat sich ein sozialer Block an der Macht halten können, der die durch die Niedergangskrise und den Druck des Weltmarkts verursachte soziale Differenzierung zwar nicht aufhält, aber dennoch substantiell bremst. Durch seinen ständigen Konflikt mit dem Imperialismus wird er sich nur an der Macht halten können, wenn er die Interessen der breiten Volksmassen weiterhin bis zu einem gewissen Grad gegen den Imperialismus und seine lokalen Handlanger der Kompradorenbourgeoisie verteidigt.

So wie in Jugoslawien die Kompradorenbourgeoisie noch nicht an der Macht ist, so wurde auch der Jugoslawismus noch nicht gänzlich aufgegeben. Vielmehr wurde in der serbischen Nationalkonzeption, jedenfalls in der von MiloÅ¡ević repräsentierten Gemeinsamkeit der verschiedenen Strömungen des herrschenden Blocks, Elemente des Jugoslawismus verschmolzen. So ist man stolz darauf, religiöse, kulturelle, „rassische“ und selbst nationale Minderheiten in die Nation aufzunehmen. Die Tatsache, dass Serbien den verfolgten Juden Aufnahme geboten hat, grub sich tief ins nationale Bewusstsein ein und mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass es in Europa kein Land gibt, in dem der Antisemitismus unbedeutender wäre. Auch die Roma sowie die vielen anderen balkanischen Minderheiten, sind in Serbien-Jugoslawien so akzeptiert wie nirgendwo sonst.

Insofern ist es notwendig mit allen Kräften – auch jene des serbischen Nationalismus um die Radikalen � eÅ¡eljs, in dem Maße in dem er gegen den Imperialismus kämpft – zeitweilige Blöcke zu machen. Tatsächlich haben sie im Laufe der letzten zehn Jahre einen Wandlungsprozess durchlaufen. Begannen sie vor allem als Antikommunisten, so machte sie die Feindschaft zum Imperialismus zu einem integralen Teil des Regimeblocks, der sich gegen den Neoliberalismus zur Wehr setzt. Tatsächlich ist die soziale Basis von � eÅ¡elj und MiloÅ¡ević nicht scharf getrennt und bilden ein soziales Kontinuum. Der Antikommunismus und der Antititoismus wird daher in Zukunft etwas gedämpft werden und im Nationalismus der Massen wird der unüberbrückbare Gegensatz von Partisanenkampf mit serbischem Kampf an Schärfe verlieren.

Heute geht es also darum, Serbien-Jugoslawien gegen den Imperialismus zu verteidigen, wohl wissend, dass der Niedergangsprozess noch nicht gestoppt ist und das ein Sieg der Kompradorenbourgeoisie nicht auszuschließen ist – um so mehr, als ihr die volle Unterstützung des Imperialismus – auch in militärischer Hinsicht – zur Verfügung steht.

Heute ist ein Jugoslawien in den alten Grenzen gänzlich ausgeschlossen. Wir müssen auf der Seite Serbien-Jugoslawiens stehen und den Jugoslawismus als offene und einschließende Form der serbischen Nation sowie als ständiges Angebot an die anderen Nationalitäten des alten Jugoslawiens und des Balkans ein Bündnis gegen den Imperialismus zu schließen, fördern und gegen eine engstirnige Interpretation des serbischen Nationalismus stellen.

Um dieses Bündnis zu verwirklichen ist ein Sieg gegen den Imperialismus nötig, den das kleine Serbien unter den heutigen Bedingungen nicht zu erringen in der Lage ist. Dennoch ist in historischen Dimensionen der Zusammenschluss der jugoslawischen Völker, und nicht nur dieser, sondern aller Völker des Balkans, einerlei ob slawisch oder nicht, die einzige Möglichkeit des Sieges über den Imperialismus, des friedlichen Zusammenlebens und der sozialen Entwicklung. Der Kampf für die Verteidigung Serbiens, der Jugoslawismus und die Balkanföderation bilden also eine dialektische Einheit.

Wir müssen vom heutigen Tag an ausgehend von Serbien als Zentrum des antiimperialistischen Widerstands beharrlich für eine demokratisch-antiimperialistische Balkanföderation der sozialen Gleichheit eintreten. Deren Realisierung wird im historischen Prozess eine Kette von antiimperialistischen Kriegen erfordern (die sich auch gegen die lokalen Marionettenstaaten des Imperialismus richten werden) in deren Zuge die Volksmassen ihre Bourgeoisien abermals stürzen werden. Tatsächlich wird die Balkanföderation also nur auf sozialistischer Grundlage verwirklichbar sein.

Alfred Klein (Wilhelm Langthaler), am 15. Juli 2000
erschienen in „Klassenkampf“ Nr. 75, Sommer 2000, Zeitung der Revolutionär Kommunistischen Liga (RKL)

Thema
Archiv