Der Prozess gegen Mohamad Mahmoud, Vorabveröffentlichung aus Intifada Nr.25
Im März dieses Jahres steht Österreich ein außergewöhnlicher Gerichtsprozess bevor. Zwei Angeklagte werden beschuldigt Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein. In diesem Prozess stehen jedoch nicht nur die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft zur Debatte. Vielmehr geht es dabei um die Legitimität politischer Äußerungen. Auf der Anklagebank sitzt nicht das Ehepaar Mahmoud, sondern der politische Islam. Das Plädoyer der Anklage führt nicht die Staatsanwaltschaft, sondern der westliche Liberalismus unter dem Banner der Aufklärung und des Fortschritts.
Der Prozess gegen Mohamad Mahmoud und Mona Ahmed Salem wird bald Österreich erfassen. Er wird nicht einfach stattfinden, sondern er wird das Land erfassen. Das zuständige Gericht hat den Prozess für März 2008 angesetzt. Die Medien werden vor der Terrorgefahr warnen und immer wieder neue Bedrohungen aufspüren. Die Behörden werden versuchen zu beruhigen, um im selben Atemzug weitere Maßnahmen gegen den Terrorismus anzukündigen. Eine Spirale von Angst und Repression wird Österreich erfassen. Dreh- und Angelpunkt dieser Spiralenbewegung ist jetzt schon abzusehen. Der Islam wird diesen Dreh- und Angelpunkt darstellen.
Die gesamtgesellschaftliche Situation hat sich, bezogen auf den Islam, grundlegend verschlechtert. Er wird heute sowohl als kulturelles aber auch als politisches Phänomen zunehmend mit rassistischen Ressentiments konfrontiert. Parallel dazu wird die Debatte um den Terrorismus in den westlichen Gesellschaften so erdrückend, dass eine Verurteilung der Angeklagten fast zwingend scheint. An Mahmoud und Salem soll ein Exempel statuiert werden: der Islam soll in die Privatsphäre zurückgedrängt werden – manche meinen auch hinters Mittelmeer – und jede Form der weitergehenden Kritik soll mundtot gemacht werden. Terroristische Vereinigung lautet das Zauberwort, mit dem dies bewerkstelligt wird.
Terroristische Vereinigung
Einer der wesentlichen Anklagepunkte gegen Mahmoud und Salem lautet Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Nach …§ 278b des StGB ist eine terroristische Vereinigung „…ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten ausgeführt werden.“ Damit wird die Definition der terroristischen Vereinigung auf eine terroristische Straftat zurück geführt. Doch welcher terroristischen Straftat haben sich Mahmoud und Salem schuldig gemacht? Sie haben Texte und Videos im Internet veröffentlicht. Dies als terroristische Straftat zu qualifizieren ist – gelinde gesagt – gewagt.
Da die Anklage in Bezug auf den Verweis auf terroristische Straftaten sehr schwach ist, muss sie sich um so mehr auf die Verbreitung des sogenannten Drohvideos stützen. Als eine terroristische Straftaten wird nämlich unter anderem schwere Nötigung angeführt, welche die Staatsanwaltschaft durch dieses Video erfüllt sieht. Mahmoud hatte dieses Video in einem Internetforum hinauf geladen und somit im Internet veröffentlicht.
Die Verbreitung des Videos erfüllt jedoch mitnichten den Tatbestand einer schweren Nötigung. Zunächst ist dem Argument der Staatsanwaltschaft entgegen zu halten, dass die im Video gebrauchten Formulierungen viel zu abstrakt sind, als dass sie tatsächlich als Drohung aufgefasst werden könnten. Damit bleibt jedoch nur mehr die politische Forderung des Abzugs der Truppen aus Afghanistan. Eine legitime politische Forderung, die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Gerichtsbarkeit fällt.
Ein zweiter Vorwurf der Anklage besteht darin, dass Mahmoud Anschläge auf die Fußballeuropameisterschaft 2008 geplant habe. Die dürftige Grundlage dieses Vorwurfs ist ein Internetchat mit Personen, deren Identität nicht feststeht. Hier zeigt sich eine allgemeine Problematik der gesamten Anklage, da sich diese vor allem auf Daten der Internetkommunikation als Beweismittel stützt. Dabei besteht das Problem, dass weder schlüssig nachgewiesen werden kann, von wem bestimmte Texte stammen und wer diese Texte empfängt. Konkrete Maßnahmen, die tatsächlich auf die Vorbereitung eines solchen Unternehmens hinweisen, konnten von den Ermittlungsbehörden nicht nachgewiesen werden.
Im Lichte dieser Beweislage transformiert sich die Konstruktion einer terroristischen Vereinigung zu einem Mittel der politischen Delegitimierung. Die politische Öffentlichkeitsarbeit, die Mohamad Mahmoud geleistet hat, soll kriminalisiert werden. Dies zu problematisieren bedeutet nicht seine Ansichten zu teilen. Auch wenn man mit seinen politischen Forderungen nicht übereinstimmt, so kann man doch unerhörte Vorgehensweise des Staates in diesem Bereich kritisieren. Mahmouds Eintreten für die Forderungen des salafitischen Islam – so sehr man sie ablehnen mag – werden von einer Meinungsäußerung zu einem strafrechtlichen Delikt verwandelt. Die Anklage richtet sich nicht gegen die Vorbereitung von Anschlägen oder ähnlichem, sondern gegen Mahmouds Auftreten im Internet.
Beweismittel Internet
Fast alle Beweismittel, welche die Staatsanwaltschaft vorlegt, beruhen auf den Abhörmaßnahmen der Internetkommunikation. Dies stellt eine Besonderheit des Prozesses dar, da es somit nicht um Handlungen, die Anschläge oder ähnliches vorbereiten, geht, sondern ausschließlich um Kommunikation entweder zwischen Personen oder zwischen Mahmoud und einer bestimmten Öffentlichkeit. Die Übersetzung und Veröffentlichung von Texten, der politische Kommentar, all das wird gemäß der Staatsanwaltschaft als terroristische Handlung gesehen.
Abgesehen davon wurde der Trojaner, der regelmäßig Screenshots des Monitors von Mahmoud an die Ermittlungsbehörden sandte, in einem rechtsfreien Raum installiert. Bisher gab es noch keine gesetzliche Grundlage dafür. In Österreich hat das keinen zwingenden Einfluss auf die Beweiswürdigung vor Gericht. Doch die Methoden der Ermittlungsbehörden erscheinen damit in einem schiefen Licht. Leider wird dies wahrscheinlich bald nachgeholt werden. In einem Ministerratsbeschluss wurde im Oktober 2007 die Onlineüberwachung vereinbart. Und man weiß ja, wie die österreichische Demokratie funktioniert: Die Exekutive beschließt die Gesetze, das Parlament segnet sie ab.
Der Tatbestand, den Mahmoud erfüllt, ist die Veröffentlichung von Texten und von einem Video im Internet. Dabei steht eben nicht die konkrete Vorbereitung einer terroristischen Straftat – wie etwa Flugzeugentführung oder ähnliches – zur Debatte, sondern politische Äußerungen. Der Diskurs des Terrorismus ist so erdrückend, dass er alles darunter begräbt: Die Kritik an der amerikanischen Kriegspolitik und die Unterstützung des nationalen Widerstandes gegen Besatzungsmächte.
Nun könnte eingewandt werden, dass mit dem Aufruf zur Unterstützung militärischer Operationen Terrorismus unterstützt werden würde. In Bezug auf die Taliban etwa, oder die in der Anklageschrift erwähnten Mujahedin im Irak, ergeben sich vielfältige Fragestellungen. Denn zunächst einmal wäre nach der politischen und auch völkerrechtlichen Legitimität der Bewegungen und Organisationen zu fragen. Der Widerstand, auch der militärische, gegen eine fremde Besatzung ist nicht nur politisch legitim, sondern auch völkerrechtlich. Leider muss man eingestehen, dass die herrschenden Kräfte im internationalen System das Völkerrecht zu ihren Gunsten beeinflussen konnten, doch das Recht auf Selbstbestimmung ist weiterhin verankert.
Außerdem kann grundsätzlich eingewandt werden, dass Mahmoud das Feld der Meinungsäußerung nie verlassen hat. Auch wenn er politische und ideologische Unterstützung verschiedenen Organisationen angedeihen hat lassen, so hat er niemals konkrete Schritte auf finanzieller, logistischer oder gar militärischer Ebene unternommen, die ihm zur Last gelegt werden könnten. Sein einziges Verbrechen war, dass er seine politische Überzeugung im Internet veröffentlicht hatte.
Ein wichtiges Problem in der Auseinandersetzung mit den Beweismitteln besteht darin, dass nicht schlüssig nachgewiesen werden kann, von wem die Texte tatsächlich stammen. Hat Mahmoud Texte übersetzt und veröffentlicht? Hat er diese Texte selbst verfasst? Wer sind seine Partner in der Internetkommunikation? Diese Fragen bleiben unbeantwortet.
Interessanter Weise wurde gerade in der Frage der Beweismittel sehr stark von ausländischer Seite interveniert. So berichtete das Magazin News, dass die österreichischen Behörden zunächst die recherchierte IP-Adresse nicht zuordnen konnten. Erst durch einen Hinweis eines „befreundeten“ Geheimdienstes konnte die IP-Adresse Mahmoud zugeordnet werden. Gleichzeit berichtete die Zeitung Österreich, dass der einzige Hinweis, der eine Bedrohung der EURO 2008 belegen würde, vom US-amerikanischen Institute SITE stammt.
Die Zusammenarbeit der österreichischen Ermittlungsbehörden mit ausländischen Geheimdiensten und Institutionen zeigt deutlich die internationale Bedeutung, die man dem Fall Mahmoud beimessen muss. Die österreichische Regierung arbeitet an ihren maßgeschneiderten Waffen im Kampf gegen den Terrorismus. Einem Kampf, der sich unbenommen einfügen lässt in den von den USA geführten, internationalen Kampf gegen den Terrorismus.
Krieg gegen den Terrorismus
Nach dem 11. September rief die neokonservative Führung der USA den Krieg gegen den Terrorismus aus. Seither verschärfte sich der Sicherheits- und Terrorismusdiskurs zunehmend. Jeglicher Widerstand, jegliche Kritik, die an den USA formuliert werden, stempeln einen zum Terroristen. Guantanamo ist zum Symbol dieses Krieges geworden: ein rechtsfreier Raum, in dem die USA walten und schalten können nach Belieben. Ein mit Stacheldraht gesäumtes Gefängnis, wo sie jeden wegsperren können, den sie der Opposition verdächtigen.
Die politische Überzeugung Mahmouds berührt eine alte Problemstellung, die jedoch mit den neuen Aggressionen der USA eine neue Brisanz erreicht hat: Wo verläuft die Grenze zwischen Befreiungskampf und Terrorismus? Diese Frage zu klären ist schwierig. Es gibt zwar ein völkerrechtlich verankertes Recht auf Selbstverteidigung und damit auf Verteidigung der nationalen Souveränität. Doch die neue machtpolitische Situation hat es mit sich gebracht, dass sich auch allmählich das Völkerrecht verändert. Gerade das Völkerrecht ist für machtpolitische Interessen sehr anfällig, da es keine übergeordnete Instanz gibt, die gemeinsames Recht sanktionieren könnte. Zur Zeit versucht man die Trennlinie vor allem anhand der gesetzten Handlungen zu ziehen. Somit gibt es einen bisher unverbindlichen Katalog von Handlungen, die als terroristisch gelten. Der nationale Widerstand in Afghanistan und im Irak gegen die Besatzungsmächte kann nichts desto trotz vor allem politisch aber auch gemäß dem Völkerrecht als legitimer Widerstand qualifiziert werden. Dennoch versuchen die USA diesen Widerstand als Terrorismus zu diffamieren.
Obwohl noch kein einheitlicher Terrorismusbegriff im Völkerrecht verankert wurde, so zeigt doch die Geschichte dieser Auseinandersetzung deutlich eine Verschiebung der internationalen Kräfteverhältnisse. Zur Zeit des Höhepunktes der kolonialen Befreiung konnten die Bewegungen der Dritten Welt das Recht auf Widerstand stärker im Völkerrecht verankern. Doch mit der weltpolitischen Lage wandelte sich auch das Völkerrecht. Die herrschenden Kräfte wollen sich nicht mehr an grundlegende Rechte, wie das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf Selbstverteidigung oder gar das Gewaltverbot entsinnen. Mit dem Krieg gegen den Terrorismus hat sich diese Situation noch weiter verschärft. Die Legitimität wird nun vollends abgesprochen und jeder Widerstand als Terrorismus qualifiziert. Nationale Befreiungsbewegungen werden auf schwarzen Listen geführt, Mitglieder und Führer vor Gericht gestellt und deren Vermögen eingezogen.
Der in den USA ausgerufene Krieg gegen den Terrorismus hat auch Europa erreicht. Auf EU-Ebene wurde ebenfalls eine Liste terroristischer Organisationen präsentiert und in Österreich wurde im Strafgesetzbuch der Paragraf zur terroristischen Vereinigung eingefügt. Damit ist klar, wem die Stunde geschlagen hat: Einer antagonistische Opposition wird damit die Rute ins Fenster gestellt.
Antiislamische Hetze
Die politische Hetzkampagne gegen den Islam bildet das gesellschaftliche Milieu, in dem dieser Prozess stattfinden wird. Wie kann ein fairer Prozess gewährleistet werden, wenn illustrierte Magazine mit großen Lettern Titel: „Islamistische Terrorgefahr“?
Dieses antiislamische Milieu stellt den Leim der westlichen Gesellschaft dar, der alles zusammenhalten soll. Auch wenn das politische Projekt des westlichen Liberalismus die Massen nicht mehr in derselben Form erfassen kann wie früher, so basiert er dennoch auf einem spontanen, ideologischen Konsens. Dieser Konsens ist zunehmend von einer aufgeheizten Stimmung gegen den Islam geprägt. Die Frage der Frauenemanzipation wurde dazu benutzt, um solche Ressentiments zu schüren. Das Modell der westlichen Demokratie wird als universales Vorbild verklärt, dessen Gegensatz zu den Barbaren für jeden historisch evident sein soll. Dass jedoch dieses Modell in seiner heutigen Funktionsweise vor allem auf dem politischen Desinteresse der Massen am politischen System funktioniert, zeigt den perfiden Zynismus der Argumentation. Dem Islam politische Rückständigkeit unterstellend wird das eigene politische System verklärt.
Der Rechtspopulismus hat diese Hetzkampagne am weitesten getrieben. Ungeachtet der guten Beziehungen des Landeshauptmannes Haider zur arabischen Welt, wollen sich die beiden Parteien FPÖ und BZÖ unter dem Banner des Antiislamismus wieder vereinen. Der Rechtspopulismus versucht damit die allgemeinen, rassistischen Ressentiments für sich zu kanalisieren.
Weitaus schlimmer ist der sich antirassistisch und antifaschistisch gebärende Liberalismus. Er verachtet den Rechtspopulismus ob seiner niveaulosen Äußerungen und wirft ihm seinen Rassismus vor. Aus dieser antirassistischen Haltung heraus formuliert er verschiedene Vorwürfe, wie etwa die fehlende Aufklärung, den Irrationalismus – in Form des Fanatismus – und die Rückständigkeit. Diese Vorwürfe aus der Perspektive des aufgeklärten, rationalistischen und fortschrittlichen Liberalismus sollen vor allem den Islam treffen. In der Verfechtung des Antirassismus verfängt er sich in einen kulturellen und ethnischen Neorassismus, der vor allem den Islam betrifft. Der Rechtspopulismus repräsentiert in gewisser Weise ein Zwischenphänomen, einerseits noch geprägt von den alten Paradigmen des Rassismus aber gleichzeitig schon beeinflusst von den neuen Formen des Neorassismus. Der liberale Mainstream hingegen ist schon viel weiter. Sein Rassismus funktioniert nach neuen Paradigmen und kann mit herkömmlichen Mitteln linker Politik nicht erfasst werden.
Wenn Mahmoud und Salem auf der Anklagebank sitzen, dann sind nicht sie angeklagt. Angeklagt ist der Widerstand gegen die Besatzer in Afghanistan. Angeklagt ist der Widerstand gegen die Fremdherrschaft im Irak. Angeklagt ist der Islam als Kulturgemeinschaft.
Sebastian Baryli