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Das politische Projekt „Bide eginez“: „Den Weg bereitend“

17. März 2008

Ein Auszug aus dem Buch „Das Baskenland – Wege zu einem gerechten Frieden. Ein Gespräch mit Arnaldo Otegi“, neu erschienen bei Pahl-Rugenstein.

Im Pahl-Rugenstein Verlag erscheint diese Tage das Buch „Das Baskenland – Wege zu einem gerechten Frieden. Ein Gespräch mit Arnaldo Otegi“. Das Interview zweier Journalisten der baskischen Tageszeitung Gara mit Otegi, ist bereits Ende 2005 entstanden. Dies sollte niemanden von der Lektüre abhalten. Ein Schwerpunkt des Buches ist die Entwicklung des baskischen Konflikts seit dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs: Angefangen beim Franco-Regime und der Transicià³n (Übergang zur parlamentarischen Monarchie); über die von der PSOE initiierten Todesschwadronen in den 1980er Jahren und die Verhandlungen zwischen ETA und Madrid 1989 in Algerien; bis zu den Friedensvorschlägen, welche die Unabhängigkeitsbewegung seit Mitte der 1990er Jahre unterbreitet hat. Die deutsche Ausgabe enthält nun auch ein aktuelles Vorwort des Nationalen Vorstandes von Batasuna, in dem die Ereignisse in den Jahren 2006 und 2007, die schließlich zum Scheitern der Anoeta-Initiative führten, kommentiert und bewertet werden.

Das Buch erschöpft sich jedoch nicht in historischen Betrachtungen. Otegi erörtert auch zentrale theoretische Fragen: Welchen Stellenwert haben heute die Begriffe Nation, Selbstbestimmung, Territorialität und Souveränität? Was will die baskische Linke? Wie kann ein sozialistischer, demokratischer Staat aufgebaut werden? Wie kann eine linke Europa-Konzeption aussehen? Allesamt Fragen, die im innerlinken Diskurs teilweise sehr kontrovers behandelt werden. Dieser Diskurs sollte um die Auffassungen und inhaltlichen Perspektiven einer mitten in Europa agierenden Befreiungsbewegung erweitert werden. Hierfür bietet sich dieses Buch ganz besonders an.

Wir dokumentieren einen Auszug aus dem Buch:

Das politische Projekt „Bide eginez“: „Den Weg bereitend“


Als dieses Interview stattfand, begann Batasuna ihren Diskussionsprozess „Bide Eginez“ („Den Weg bereitend“), mit dem sie ihre politische Strategie für die nächsten vier Jahre festlegen möchte.

Wohin marschiert die abertzale Linke in der näheren Zukunft?
Die nächsten Schritte sind auf die politische Linie ausgerichtet. Der erste Schritt sieht vor, ein demokratisches Szenario zu errichten, das diesem Land erlaubt, Wort und Stimme zurückzuerhalten. Der nächste Schritt ist die Festigung eines Nationalprojektes für die Gesamtheit des Baskenlandes. Die Unabhängigkeitsbewegung und die Linke sollen ein Angebot für einen umfassenden politischen Wechsel vorlegen.

Wie wird Batasuna ihre Arbeit im Bereich des nationalen Aufbaus konkretisieren?
Die Basis unserer Strategie geht von folgender Analyse aus: Vielfach besteht die Versuchung, von der Unterdrückung des baskischen Volkes durch die beiden Staaten nur in Begriffen der polizeilichen, militärischen und juristischen Repression zu sprechen. Diese Repression existiert natürlich und man muss auf sie antworten, aber es gibt eine weitere Ebene, die zunächst weniger auffällt: Die Strategie, die Grundsäulen eines jeden Nationalprojekts verschwinden zu lassen, also die Sprache, die Erziehung, das Wirtschaftssystem und die Institutionen zu zersetzen und aufzulösen. Wir schlagen vor, dass man neben dem Engagement für die demokratische Lösung täglich mit allen volksnahen Kreisen arbeiten muss, die daran interessiert sind, diese Zersetzungsstrategie zu bekämpfen.

Batasuna spricht davon, „allen unterschiedlichen soziopolitischen Realitäten des Landes eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen.“ Was will sie damit sagen?
Vor einem Jahrzehnt setzten wir auf etwas völlig Neues innerhalb der abertzalen Bewegung: Wir gründeten politische Organisationen, die Strategien auf nationaler Ebene entwickelten. Politik, Soziales, Kultur und Erziehung sollten in einem nationalen Kontext betrachtet und behandelt werden. Ich glaube, dieses Ziel haben wir erreicht. Jetzt machen wir einen weiteren Schritt: Wir wissen, dass eine nationale Strategie nicht aufgestellt werden kann, ohne die in diesem Land existierenden unterschiedlichen Realitäten zu berücksichtigen. Dabei schlagen wir keine unterschiedlichen Geschwindigkeiten vor, sondern eine einheitliche nationale Strategie, welche den existierenden verschiedenen Realitäten Rechnung trägt.

Parteien wie die PNV und die EA sagen, die abertzale Linke nehme heute realistische Positionen ein, welche die genannten Parteien seit Jahren vertreten würden. Trifft das zu?
Sie pfuschen beim Kartenlegen: Weder die PNV noch die EA haben eine nationale Strategie. Ihre Strategie drehte sich in diesen Jahren in erster Linie um die drei Gebiete der Autonomen Baskischen Gemeinschaft und das Parlament. Sie waren kaum in Nafarroa Garaia tätig und noch weniger in Nafarroa Beherea, Lapurdi und Zuberoa. Es hat aber auch Veränderungen gegeben, die wir als positiv betrachten, und wir heißen PNV und EA im Euskal Herria der sieben Gebiete Willkommen. Und denen, die behaupten, die abertzale Linke mache heute eine Politik des Möglichen, denen antworten wir: Ja, die abertzale Linke macht heute das möglich, was vor zehn Jahren unmöglich war – das Land mit einem nationalen Projekt zu versehen.

Lassen Sie uns von jeder einzelnen der soziopolitischen Wirklichkeiten sprechen: Was ist der Vorschlag für Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa?
Das Engagement zielt darauf, die Institutionalisierung von Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa und ihre Anerkennung durch den französischen Staat zu erreichen. Einige haben dieser Strategie den Namen Departement gegeben, wir geben ihr keinen Namen. Wir sagen, diese drei Gebiete müssen eine Institution haben und die Anerkennung von Seiten des französischen Staates. Wir werden versuchen, dies mit allen Kreisen zu erörtern, die an der Institutionalisierung interessiert sind. Dieser Vorschlag kann in der institutionellen politischen Klasse eine Mehrheit erlangen, die es ermöglicht, dem französischen Staat die Anerkennung derjenigen Realität abzuringen, die Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa darstellen und die das Pays Basque genannt wird. Gleichzeitig muss die abertzale Linke tagtäglich den Kampf für die sozialen, sprachlichen und kulturellen Rechte in den drei Gebieten artikulieren und vorantreiben.

Haben Sie eine ausgearbeitete Strategie für diesen Bereich?
Es gibt eine Strategie, die in verschiedene Richtungen geht. Zum einen existiert ein Maß an Zusammenarbeit zwischen den abertzalen Kräften, die sich seinerzeit für die Institutionalisierung einsetzten. Einige Kreise haben das mit einer weitgreifenderen Dynamik in der Bewegung Batera, die ein baskisches Departement fordert, verbunden. Das ist eine Dynamik, die wir nicht behindert haben. Aber wir halten einen gewissen Abstand zu dem Ziel, ein Departement zu schaffen, weil wir glauben, dass das eine unzureichende Lösung für die territoriale Neuordnung des französischen Staates darstellt – selbst Paris betrachtet es als eine unzureichende Lösung. Konkret stellen wir die klare Forderung nach einer eigenen Institution auf und arbeiten gleichzeitig mit den anderen abertzalen Kräften zusammen. Wir verbinden die Institutionalisierung mit dem Projekt Euskal Herria und damit, dass wir die Dynamik von Batera begleiten, ohne die Forderung nach einem Departement zu teilen, aber auch ohne sie gering zu schätzen.

Worauf wird sich Ihre Arbeit in Nafarroa Garaia konzentrieren?
Die abertzale Linke setzt auf einen Politikwechsel im gesamten Land. Wir nennen Politikwechsel eine strukturelle Veränderung, welche die Lösung des Konflikts ermöglicht. Manche übersetzen einen Politikwechsel in Nafarroa nur mit einem Regierungswechsel. Hier möchten wir präzisieren. Wir können sehr gut die innere Unruhe nachvollziehen, die in den progressiven Kreisen dieses Landesteils wegen der reaktionären und die baskische Identität vernichtenden Politik der UPN-Regierung besteht. Das führt zur Hoffnung auf einen Regierungswechsel. Aber die Alternative kann nicht von Carlos Chivite und seiner PSN kommen, weil sich heute seine Vorstellungen und seine Praxis nicht wesentlich von denen der UPN und ihres Miguel Sanz unterscheiden. Auf dieser Basis steht unsere politische Analyse. Hiervon ausgehend sagen wir, dass ein politischer Wechsel in Nafarroa stattfinden muss, der mit der Präsenz dieses Gebiets und der Teilhabe der navarresischen Frauen und Männer am Lösungsprozess und am politischen Dialog verbunden ist. Der Regierungswechsel wird nur dann zum Politikwechsel, wenn die Bildung der neuen Regierung im Zusammenhang mit der Überwindung des Konfliktes stattfindet.

Um die UPN aus der Regierungsmacht zu entfernen, ist die PSN notwendig – eine Partei also, die nicht in der Lage ist, auch einen strukturellen Wechsel in Nafarroa herbeizuführen. Ein Teufelskreis?
Wir beobachten, dass bis zum heutigen Tag die Positionen der PSN gleich geblieben sind. Es erscheint mir sehr gewagt, jetzt eine virtuelle Debatte darüber zu beginnen, was innerhalb der nächsten zwei Jahre bis zu den Regionalwahlen in Nafarroa passieren könnte und welche Veränderungen die politische Haltung der PSN in diesem Zeitraum erfahren könnte. Die einzige Möglichkeit für einen wirklichen Wechsel in Nafarroa – ich betone: realen Wechsel, und nicht scheinbaren Wechsel – besteht darin, einen Prozess zur Lösung des Konflikts anzuschieben, der Nafarroa mitbetrifft. Es gibt keine andere Möglichkeit. Deshalb halten wir fest, dass jetzt nicht die Debatte über den Wahlkampf Priorität hat. Wir sind nicht bereit, in den nächsten zwei Jahren eine unendliche Wahlkampfdiskussion zu führen, welche die wirklich nötige Debatte über die Konfliktlösung verdrängt. Es ist Science Fiction zu denken, es werde sich ein wirklicher politischer Wechsel in Nafarroa vollziehen, wenn man den Konflikt in denselben Parametern wie bisher behandelt. Einige Dinge werden sich verbessern, wenn die PSN dazu den Willen hat, aber es wird keinen Politikwechsel geben, wenn sich nicht die Eckpunkte des Umganges mit dem Konflikt ändern.

Es hat schon die ersten Appelle gegeben. Könnte Batasuna irgendein Wahlkampfabkommen mit der Koalition Nafarroa Bai abschließen?
Das überrascht uns. Wenn man von einer historischen Gelegenheit spricht; wenn alle Kommunikationswege offen sind; wenn man eine Testphase festigen kann, die es erlaubt, den historischen Konflikt zu überwinden; und wenn alle Welt weiß, dass es das Beste ist, damit das gedeiht, dass keine Wahlen dazwischen stehen, welche die Parteien dazu bringen, sich auf ihre Interessen und den Erhalt ihrer Wählerquote zu konzentrieren; dann verstehen wir nicht, was der Beweggrund einer angesehen Tageszeitung aus Nafarroa und der Mehrparteienkoalition Nafarroa Bai ist, eine Wahldiskussion loszutreten, die zwei Jahre dauern soll. Die Wahlen finden 2007 statt. Ibarretxe zog die Wahlen um einige Monate vor. Und jetzt wollen der Aralar-Vorsitzende Patxi Zabaleta und der PNV-Präsident Josu Jon Imaz dasselbe in Nafarroa machen, aber gleich um zwei Jahre.

Denken Sie auch über eine Strategie für die Übergangsperiode nach, so etwas wie ein gemeinsames Gremium? Die EA hat seinerzeit als gemeinsames Organ die Dieta Vasco-Navarra vorgeschlagen. Ein anderes Modell ist das Organo Permanente de Encuentro, das aus der Zeit des Lehendakaris Josà© Antonio Ardanza und des Präsidenten von Nafarroa Javier Otano stammt.
Es hat immer schon abertzale Kreise gegeben, die gedacht haben, dass es einfacher würde, andere Kreise mit einzubeziehen, wenn sie solche Übergangsmodelle vorschlügen. Aber tatsächlich war das ein Konstrukt. Diese abertzalen Kräfte sprachen nicht mit der Sozialistischen Partei sondern schlugen einfach das vor, wovon sie annahmen, dies könne die Synthese zwischen der abertzalen Position und der der PSN sein. Wir planen eine Lösungsstrategie, die von einer ganz anderen Ebene ausgeht. Wir sind für die Unabhängigkeit und sehen Euskal Herria als das einzige nationale Subjekt. Und wenn jemand – in diesem Fall können das PSN, PSE, PSOE oder PSF sein – zeigt, dass er wirklich und ehrlich gewillt ist, einen Prozess zur Lösung des Konflikts mitzuentwickeln, dann werden wir von einem gemeinsamen Modell sprechen. Aber nur dann. Wir sagen auch, dass der Prozess von Anfang an die Beteiligung aller Basken und aller Gebiete garantieren muss. Die Kriterien dafür werden wir am Verhandlungstisch aushandeln.

Was ist die Strategie in Araba, Bizkaia und Gipuzkoa?
Was die Autonomie betrifft, hat die abertzale Linke eine strukturell kritische Haltung eingenommen. Sie hat ihre politische Kritik in erster Linie auf die Modelle der UPN und der PNV konzentriert, weil diese auf territoriale Teilung und das Fehlen der Souveränität setzten. Jetzt fügen wir dem hinzu, dass wir auch Alternativen haben, um aus dem Modell in Nafarroa, den Vascongadas oder im Nordteil ein anderes zu machen: Wir würden das aktuelle institutionelle Gebilde der Autonomen Baskischen Gemeinschaft benutzen, um es in den Dienst einer nationalen Strategie zu stellen – und nicht, um die Strukturen der Teilung zu stärken. Außerdem täten wir das aus linken Positionen heraus.

Zu einem anderen Zeitpunkt während der Interviews sagten Sie, dass sich Batasuna in ihrer Strategie des nationalen Aufbaus kein globales Abkommen mehr mit der PNV vorstelle. Können Sie diese Idee weiter ausführen?
Im Abkommen von Lizarra-Garazi unternahmen wir bereits den Versuch eines globalen Abkommens mit der PNV. Heute sollte eines leicht zu verstehen sein: Ich werde nicht anfangen zu diskutieren, ob die PNV ein nationales Aufbaumodell hat oder nicht. Vom Standpunkt der abertzalen Linken hat sie es nicht, aber wenn man mit einem ihrer Parteiführer spricht, wird er das Gegenteil behaupten. Deshalb interessiert uns diese Diskussion nicht. Wie dem auch sei, wenn sie ein Modell hat, dann unterscheidet es sich von dem unseren; das ist legitim, aber eben anders als das unsere. Daher können wir zu keinen Abkommen mit der PNV kommen, weder was das Endprojekt angeht – Ko-Souveränität gegen Unabhängigkeit – noch bezüglich des sozialen Modells. In dieser historischen Phase suchen wir mit der PNV lediglich einen Raum, in dem wir uns darüber verständigen können, welche die Minimalpunkte sind, die ermöglichen, den Konflikt zu lösen. Danach kann jeder Einzelne seine eigenen Strategien und sein eigenes politisches Projekt vorschlagen. Aber zuvor muss man die Minimalpunkte zur Lösung des Konflikts festlegen.

Glauben Sie, dass es möglich ist, beim nationalen Aufbau ohne die PNV voranzukommen?
Das machen wir ja gerade. Anfang Oktober fand eine Versammlung des Nazio Garapen Biltzarra statt, auf der fast 400 volksnahe, gesellschaftliche, politische und gewerkschaftliche Akteure einen nationalen Plan ausgearbeitet haben. Natürlich ist es ohne die PNV schwieriger. Ohne die Mitarbeit der Institutionen ist es noch schwieriger, weil die finanziellen Mittel, über die wir verfügen, sehr begrenzt sind. Aber man kann etwas erreichen. Sicherlich gäbe es größere Spielräume, aber wir können die PNV nicht zwingen, einer derartigen Bewegung beizutreten, wenn sie das nicht will. Und es nicht zu wollen, ist legitim. Wir sagen, obwohl die PNV nicht dabei ist, machen wir im Übrigen trotzdem weiter: Die Schaffung der unabhängigen Laborantza Ganbara im Nordteil, des Observatoriums für die Soziale und Wirtschaftliche Entwicklung des Baskenlandes Gaindegia, des Projektes für die Bildung einer baskischen Universität. Ja, das alles wäre einfacher mit der PNV und noch einfacher und effizienter, wenn sogar die Sozialisten verstünden, dass auch sie ein nationales Projekt benötigen, selbst wenn sie es am spanischen oder französischen Staat festmachen – aber das findet jetzt nicht statt. Wenn wir, die wir daran interessiert sind, etwas umsetzen wollen, werden wir es anschieben.

Gab es in diesem Bereich eine gewisse Abhängigkeit der abertzalen Linken von der PNV? Und hat man Zeit verloren, als man versuchte die PNV davon zu überzeugen, sie möge einem Nationalen Aufbauprojekt mit den genannten Charakteristiken beitreten?
Diesen Versuch musste man unternehmen. Ich glaube nicht, dass er umsonst war. Es lag in der Logik, die meisten möglichen Alliierten zu suchen. Das brachte uns dazu, ein Abkommen mit der PNV zu suchen. Vielleicht kann es in der Zukunft oder sogar in der Gegenwart zu Abkommen mit der PNV in Einzelfragen kommen, auch wenn wir ein strukturelles Abkommen momentan als sehr schwierig betrachten. Aber ich würde jenen Versuch nicht als verlorene Zeit ansehen. Es war ein Versuch in einer konkreten historischen Etappe und in einer Konfrontation mit dem Staat. Er fruchtete nicht, unter anderem weil jeder unterschiedliche Modelle für den Aufbau dieses Landes im Sozialen, Nationalen und Institutionellen hat.

Die abertzale Linke ist bis heute in ihrem Kerndiskurs mehr abertzal (patriotisch) denn links gewesen…
Damit bin ich nicht einverstanden. Man wirft uns vor, wir hätten unser linkes Profil im Diskurs vernachlässigt. Meine Erfahrung als Sprecher ist, dass wir die Medien nicht interessieren, wenn wir von sozialen Themen sprechen. Wenn wir Wertungen oder Vorschläge über die Fusion der Sparkassen oder den Metallerstreik in Bizkaia präsentieren, dann tauchen wir in den Medien nicht auf. Es gibt das kalkulierte Interesse – nicht nur von Seiten des Staates, sondern auch von der PNV, die die öffentlich-rechtlichen Medien in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft kontrolliert – der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, als sei die abertzale Linke einzig mit dem Konflikt, der Gewalt und der Frage der öffentlichen Ordnung befasst. Warum? Weil die PNV sich bewusst ist – wie auch der Staat -, dass die abertzale Linke eine solide Kraft ist, die ihr eines Tages ihre Vormachtstellung streitig machen kann. Deshalb sind sie daran interessiert, nicht durchscheinen zu lassen, dass wir eine nationale Linke sind, die ein politisches Projekt besitzt. Sie sind daran interessiert, wir hätten eine Zuneigung für Ärger und Konflikt. Das Gegenteil trifft zu. Die abertzale Linke hat wichtige Rathäuser in diesem Land mit absoluter Ehrlichkeit und Transparenz geführt, indem sie den Mehrheitsinteressen des Volkes diente. Wenn wir die Aktivitäten in diesem Land Revue passieren lassen, kann man unsere aktive Präsenz in der Kultur, Erziehung, dem Euskera, in der Gewerkschaftsbewegung sehen…

Worauf wird sich das linke Engagement von Batasuna in den nächsten Jahren konzentrieren?
Wir wollen ein klarer Bezugspunkt für die Linke in diesem Land sein. Wir nehmen für uns in Anspruch, eine sozialistische Kraft zu sein, und wir glauben, dass dieser Weg, der der europäischen Wirklichkeit entspricht, eine notwendige Alternative für die Mehrheit dieses Landes darstellt. Die Linke kann ein anderes Baskenland aufbauen und das ist, was die Mehrheit des baskischen Volkes interessiert.

Gibt es realistische Alternativen zu den Regierungsmodellen, die momentan von den Institutionen umgesetzt werden und die sich auch nicht so sehr unterscheiden, ob jetzt die PNV, UPN oder die PSOE gerade regiert?
Nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks sprach jemand vom Ende der Ideologien und der Geschichte. Der Fall dieses Blocks ließ die weltweite Linke – auch, wenn sie mitunter starke Kritiken an diesem Block hatte -, an Orientierung verlieren. Auf der anderen Seite sind wir davon überzeugt, dass uns das neoliberale und kapitalistische Modell in die Katastrophe führt. Das ist ein Planet, auf dem jeden Tag Zehntausende Kinder sterben, weil sie nichts zu Essen haben. Um mit dem Hunger in der Welt aufzuräumen, benötigte man Hunderte Milliarden US-Dollar. Sehr viel Geld. Ungefähr dieselbe Summe, die die US-Amerikaner jedes Jahr für ihre Haustiere ausgeben. Die zweite Todesursache in der Welt ist fehlendes Trinkwasser. Auch hier hat man ausgerechnet, wieviel es kosten würde, damit alle Welt über ausreichend sauberes Trinkwasser verfügt. Es ist die Summe, die wir Europäer jedes Jahr für Kosmetik ausgeben. Das sind die Gründe, die rechtfertigen, warum wir Sozialisten sind. Wenn das noch nicht ausreichen sollte, muss man nur einmal auf die Flüchtlingsdramen in Melilla und Ceuta schauen. Das bestätigt mich darin, dass die Formel „Sozialismus oder Barbarei“ eine große Wahrheit darstellt. Dieser Planet mit dem momentanen Entwicklungsmodell und mit diesen Ungerechtigkeiten ist untragbar. Es gibt nur eine Art, dieser Situation entgegenzutreten: Ein sozialistisches Modell vorzuschlagen, das den Menschen ins Zentrum aller Notwendigkeiten setzt.

Welchen Widerhall kann das im hiesigen Baskenland haben, wo die Leute es als völlig normal empfinden, vier Euros für einen Gin-Tonic zu bezahlen?
Ich habe nichts gegen Leute, die Gin-Tonics trinken…

…wirklich nicht…?
…ich sage das, weil in meiner Jugendzeit die Leute, die zur PNV gehörten, gewöhnlich etwas kritisierten, was ich als sehr lustig empfand: Immer wenn sie einen im Dorf bekannten Kommunisten sahen, wie er Champagner trank, sagten sie: „Was für ein Kommunist muss das sein, der trinkt ja Champagner.“ Als ob Kommunist zu sein, bedeutet, blöd zu sein, oder von einem verlangt, keinen Champagner oder Gin-Tonics zu trinken. Wir sind uns bewusst, auch wenn wir Sozialisten sind, in welcher Gesellschaft und in welchem soziopolitischen Raum wir leben. Und dabei stoßen wir an ganz offensichtliche Grenzen. Das Hauptproblem ist ein ideologisches. Der Kapitalismus und der Neoliberalismus haben es geschafft, in der Gesellschaft die Gleichung einzuführen, wonach der Lebensstandard gleich der Konsumfähigkeit ist. Je mehr du fähig bist, Dinge zu konsumieren, desto besser lebst du. Das kann auf die große Mehrheit in Euskal Herria zutreffen. Stattdessen meinen wir, Lebensstandard ist, dass du gesund essen, eine saubere Luft atmen kannst, dass du eine garantierte medizinische Versorgung hast ebenso wie eine Wohnung. Das bedeutet Lebensstandard für einen Sozialisten.

Die Frage ging auch mehr in die Richtung, herauszufinden, welche Veränderungen die abertzale Linke vorschlägt bezüglich Euskal Herria, wo es weder ein Hunger- noch ein Trinkwasserproblem gibt …
Was man hier zuallererst machen müsste, wenn man das Land anders regieren will, ist eine demokratische Revolution, um es zu säubern: Die Vetternwirtschaft muss aufhören, ebenso die Prozente, die bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen fällig werden, oder dass das Parteibuch den Sprung auf bestimmte Arbeitsplätze erleichtert. Damit muss man zuerst aufräumen. Das wäre die erste ruhige Revolution in diesem Land, die von sich her zeigen würde, dass man die Dinge auch anders machen kann. Und das kann nur die abertzale Linke, weil alle Welt weiß, dass man bei uns nicht aktiv mitarbeitet, um politische Karriere zu machen. Wir wehren uns dagegen, wenn wir hören, dass alle Politiker gleich wären. Nein, mein Herr. Das ist eine Lüge. Wir sind nicht gleich – weder in der aktiven Parteiarbeit noch im Engagement noch beim Gehalt.

Gibt es eine linke Kraft in Europa, in der sie sich wiederfinden?
Wir haben es immer vorgezogen, Modelle nicht zu kopieren, weil jedes Modell seine positiven aber auch seine negativen Seiten hat. Aber ich stelle schon ein Phänomen fest, dass glücklicherweise in Europa Form annimmt. Es gibt einen Bereich der Sozialdemokratie, der ehrlich an einen Weg zu einer gerechteren Gesellschaft glaubt, und der jetzt begonnen hat, sich gegen den Niedergang zu artikulieren, den der Sozialliberalismus darstellt. Wir haben das Beispiel der Linkspartei in Deutschland, das uns zeigt, dass es eine Linke links von der Sozialdemokratie gibt. In diesem Raum – links von der Sozialdemokratie – fühlen auch wir uns am wohlsten.

Welche Beziehung zu den Gewerkschaften schlägt Batasuna vor?
Eine linke Kraft muss ein Referenzpunkt sein im gewerkschaftlichen und nationalen Raum und dem der Klasse. In diesem Sinne bildet Batasuna einen klaren Referenzpunkt im Modell der sozialen und gewerkschaftlichen Einmischung, welche durch die abertzale Gewerkschaft LAB verkörpert wird. LAB ist momentan eine wichtige Protagonistin beim Umbau der Gewerkschaftsbewegung. Daher wäre es für Batasuna wünschenswert, wenn sich ein Klassenpol konsolidiert, der das gewerkschaftliche und abertzale Ganze repräsentiert und für die Unabhängigkeit eintritt.

Batasuna spricht auch von der Verteidigung aller bürgerlichen wie politischen Rechte. Wie konkretisieren Sie das?
In Situationen des Konflikts und der Konfrontation wie der aktuellen verteidigst du die Grundrechte, wenn du Auswege aus dem Konflikt suchst. Von unserem Standpunkt aus betrachtet sind die bürgerlichen und politischen Freiheiten sowie Rechte nicht diskutierbar. Uns belustigen die Diskussionen über die hohe oder niedrige Qualität der spanischen Demokratie. Das ist wie mit dem Schwangersein: Entweder man ist es oder man ist es nicht. Entweder gibt es Demokratie oder es gibt keine Demokratie. Und im spanischen Staat gibt es keine Demokratie. Bei seinem Versuch, die abertzalen Linken zu liquidieren, hat dieser Staat die Rechte und Freiheiten der gesamten Gesellschaft beschnitten. Der kraftvolle Einsatz für die Konfliktlösung und den nationalen Aufbau muss andauernd einhergehen mit dem Einsatz für die bürgerlichen Rechte und Freiheiten.

Immer wenn Batasuna von Rechten spricht, dann wird sie von anderen Seiten daran erinnert, dass sie weder die Aktionen der ETA verurteilt noch die kale borroka, den Straßenkampf …
Eben habe ich von dem Paradigma gesprochen, dass der Kapitalismus es geschafft hat, der öffentlichen Meinung ein bestimmtes Konsumverständnis aufzudrängen. Im politischen Umfeld gibt es ein weiteres Paradigma: Den Versuch, der Vorstellungswelt der Bürgerinnen und Bürger aufzuzwängen, dass die abertzale Linke für den Grad an Gewalt verantwortlich ist, den es in diesem Land gibt, dass die Gewalt von der ETA kommt oder von volksnahen Schichten, während andere Parteien oder Regierungen überhaupt nichts mit der Gewalt zu tun haben. Das führt dazu, dass diejenigen, die die spanische Verfassung verteidigen, die wiederum in ihrem Artikel 8 der Armee die Verteidigung des Vaterlandes überträgt, überhaupt nichts mit der Gewalt zu tun haben. Das führt dazu, dass die, die in Gasteiz regieren, auch nichts damit zu tun haben, was die Ertzaintza gemacht hat. In diesem Land gab es Anschläge auf das Leben durch die ETA, den GAL, der Guardia Civil, der spanischen Nationalpolizei, der Ertzaintza und den militärischen Geheimdienst Cesid. Das heißt, es gibt eine Gewalt des Staates in all ihren Varianten und es gibt eine Gewalt von der ETA, die wir als eine Antwort sehen. Vor diesem Hintergrund setzen wir uns dafür ein, ein Szenario zu finden, in dem man alle Rechte aller Menschen im ganzen Baskenland respektiert. Die Staaten mögen endgültig darauf verzichten, Methoden wie die juristische oder militärische Erpressung zu benutzen, mit denen sie verhindern wollen, dass diese Volk frei und demokratisch seinen Willen ausdrückt.

Sei es aufgrund der Medien, die sie verschweigen, oder wegen anderer Gründe, von Batasuna hört man wenig, wenn es um die Rechte der Schwulen und Lesben oder der Migranten geht…
Man setzt uns einen Schalldämpfer auf. Ich beharre darauf, dass viele Leute nur daran interessiert sind, die abertzale Linke mit dem Konflikt und der Frage der öffentlichen Ordnung zu assoziieren. Was wir zu den genannten Angelegenheiten sagen, ist für die Medien nicht von Interesse. Es interessiert sie, was Arnaldo Otegi über die ETA sagt, über Kontakte mit der PNV, oder ob die ETA mit was weiß ich wem in Kontakt steht. Das interessiert sie.

Welche Haltung nimmt Batasuna zum Beispiel zur gleichgeschlechtlichen Ehe ein?
Alles, was dazu beiträgt, die Freiheiten zu vertiefen, kann auf unsere Unterstützung zählen. Wir können nicht nachvollziehen, wie man zu diesen Fragen steinzeitliche Diskussionen lostreten kann. Wir treten für die Rechte aller Personen ein, gleich ob es Heterosexuelle, Homosexuelle, Transsexuelle sind. Anders herum gesagt: Wir glauben, dass die öffentliche Verwaltung das gesellschaftliche Leben regeln muss, aber das, was jemand privat macht, muss privat bleiben, solange es nicht die Rechte eines anderen verletzt. Uns interessiert keine Gesellschaft, in der die Leute ihre sexuellen Orientierungen bekannt geben müssen. Das bleibt im privaten Umfeld und in der Freiheit der Personen. Dort ist die Garantie der Rechte das Fundamentale.

Vorhin haben Sie vom Einfluss der Medien gesprochen, die ein bestimmtes Image der abertzalen Linken verbreiten. Wie bewerten Sie die aktuelle Medienlandschaft in Euskal Herria, wo die Verteilung der Medien nicht den sozialen und politischen Kräfteverhältnissen entspricht?
Ich erinnere mich, dass wir vor 20 Jahren, als die abertzale Linke die Staaten analysierte, immer den Begriff von den „faktischen Mächten“ anwandten, den wir auf die Armee, das Bankenwesen usw. bezogen. Ich glaube, jeder objektive Analyst in Europa kann herleiten, dass auch die Kommunikationsmedien faktische Mächte sind. Sie informieren nicht nur oder bilden Meinungen, sondern sie richten sich an die Wählerschaft, führen parallele Gerichtsverfahren, verwandeln sich in Anstifter bestimmter politischer Handlungen usw. Sie sind wahre faktische Mächte. Wir von der Linken wissen, dass hinter jedem Kommunikationsmedium eindeutige wirtschaftliche und politische Kräfte stehen. Und in Euskal Herria sind diejenigen Medien die Ausnahme, die sich für eine Lösung des Konflikts einsetzen. Sie verteidigen einen anderen Typus von Interessen, und das ist ein Hindernis. Wir, alle politischen Parteien gemeinsam, stehen einer Herausforderung gegenüber: Wir müssen sehen, wie wir eine Verpflichtung der Medien zuerst gegenüber Wahrheit und dann gegenüber dem Prozess der Konfliktlösung herstellen. Das ist eine noch ungelöste Aufgabe. Es müsste so etwas wie einen ethischen Kodex der Medien gegenüber dem Prozess der Konfliktlösung geben, weil dieses Land darum ringt, ob es ein Stadium des Friedens und der dauerhaften Gerechtigkeit erreicht oder nicht.

Objektiv betrachtet: Bis wohin, glauben Sie, kann der Raum reichen, den die abertzale Linke gesellschaftlich und bei Wahlen besetzen kann?
Sie könnte die Mehrheit in Euskal Herria sein. Ich weiß schon, dass das verwegen anmutet, weil wir verboten sind. Aber ich beziehe mich auf die Belege. 1999, in einem anderen Szenario, erlangte die abertzale Linke ihren historischen Höchststand. Ich habe keinen Zweifel, dass die abertzale Linke in einem demokratischen Szenario eine Regierungsalternative in diesem Land sein wird. Ich weiß, dass man mich den Herrn Optimum nennt, aber ich bin überzeugt, dass die abertzale Linke ein nationales und linkes Projekt sowie eine wichtige Bürgschaft hat: Die Menschen können uns zustimmen oder gegen uns sein, aber alle wissen, dass wir eine ehrliche politische Kraft sind, die keine politische oder wirtschaftliche Karriere machen will. Das erfüllt mich mit Genugtuung.

Iñaki Iriondo, Ramà³n Sola: Das Baskenland – Wege zu einem gerechten Frieden
Ein Gespräch mit Arnaldo Otegi

Mit einem Vorwort von Heinrich Fink, einer aktuellen Einschätzung des Nationalen Vorstand von Batasuna und einem umfangreichen Glossar.

249 Seiten, brosch, 22,90 Eur, Pahl-Rugenstein Verlag, ISBN 978-3-89144-399-6
Übersetzung aus dem Spanischen von Ralf Streck und Ingo Niebel

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