Die Angst der Linken vorm Erfolg
Die Proteste gegen die Ratifizierung des EU-Vertrages waren ein Erfolg. Zum ersten Mal seit geraumer Zeit hat die latente Anti-EU-Stimmung in Österreich eine politische Artikulation gefunden. Trotzdem dürfte die Bewegung ihren Zenit schon überschritten haben. Nach der bedenkenlosen Ratifizierung des EU-Vertrages im österreichischen Parlament durch die Mehrheit der Abgeordneten gibt es kaum mehr eine Perspektive für Aktivitäten. Es ist nun der angemessene Zeitpunkt, über die politische Konstellation dieser Tendenzen zu reflektieren.
Am 5. April marschierten etwa 5.000 Menschen zum Parlament, um eine Volksabstimmung zu fordern. Der Demonstrationszug bot ein außergewöhnliches Bild, das die ungewöhnliche Konstellation der EU-Proteste widerspiegelt. Denn abgesehen vom Kreis der veranstaltenden Organisationen um die Friedenswerkstatt Linz zog der Aufruf eine breitere Masse der österreichischen Bevölkerung an. Damit hatte die Aktion in erster Linie bewiesen, welches politische Potenzial in dieser Frage schlummert. Zum ersten Mal seit Jahren ist es gelungen, den tiefen Spalt zwischen einer politisierten Minderheit und einer unpolitischen Masse ein wenig zu verringern, auch wenn nicht übersehen werden darf, dass die Kronenzeitung dabei eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Doch gleichzeitig flößte dieses Potenzial den politischen Kräften der Linken Angst ein. Angesichts der zahlreichen Österreich-Fahnen auf der Demonstration beschlich so manchen Teilnehmer ein unangenehmes Gefühl. Immer wieder wurden Zurufe laut, die suggerieren sollten, dass das Tragen der Fahnen einen rechtsextremen Hintergrund hätte. In Folge kam es auch zu tumultartigen Szenen auf der Demonstration zwischen den Kontrahenten.
Die Linke ist somit in der paradoxen Situation Erfolge erzielen zu können, davor aber zurück zu schrecken. Die EU-Frage ist zur Zeit die einzig konkrete, politische Problemstellung, die fähig ist, die gesamte politische Elite frontal anzugreifen. Denn diese Frage eint alle staatstragenden politischen Lager, wie kaum eine andere. Der liberale Konsens, auf den alle Systemparteien gründen, ist zutiefst proeuropäisch. Gleichzeitig ist die Masse der Bevölkerung zumindest latent gegen die Europäische Union eingestellt. Das größte Hemmnis war bisher, dass diese latente Stimmung keine geeignete Form der Artikulation finden konnte. Der Ratifizierungsprozess und die Forderung einer Volksabstimmung waren ein kleiner Anstoß, der eine Politisierung in einem gewissen Maße einleitete. Die Impertinenz, mit der das Vertragswerk entgegen dem Willen der österreichischen Bevölkerung durchgeboxt wurde, hatte Entrüstung ausgelöst.
Die Bewegung gegen die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon war ein widersprüchliches Amalgam. Dieses setzte sich im wesentlichen aus drei Elementen zusammen: Zunächst wirkten in der Bewegung jene Teile der Linken, die der EU kritisch gegenüberstanden oder die zumindest den Ratifizierungsprozess hinterfragten. Doch auch dieses Element wäre noch weiter zu differenzieren, da es für die Gründe der Ablehnung sehr unterschiedliche Motive gibt.
Neben dem Element der Linken versucht auch der Rechtspopulismus in die Bewegung zu wirken. Dieser hat naturgemäß institutionell viel mehr Rückhalt, doch gleichzeitig gibt es gewisse Schwierigkeiten in seinem Vorhaben. Er dient gewissermaßen als Sicherheitsventil, das verhindern soll, dass solche Protestbewegungen tatsächlich antagonistischen Charakter annehmen. Die FPÖ versuchte – mit gewissem Erfolg – in der Bewegung präsent zu sein. Trotzdem wurde ihre Anwesenheit mit großer Skepsis wahrgenommen, zumeist unter einem allgemeinen Unbehagen gegen Parteipolitik.
Als letztes Element gibt es tatsächlich so etwas wie eine empörte Mitte, die über das Hinwegsetzen der Elite über ihre eigenen Verfassungsregeln bestürzt ist. Dies drückte sich organisatorisch vor allem in der Kampagne „Rettet Österreich“ aus. In diesem Element flossen sehr unterschiedliche Strömungen zusammen, die vom konservativen Bereich bis hin zu fortschrittlichen Elementen reichte. Die Masse der Bewegung versteht sich jedoch überhaupt keinem der traditionellen politischen Lager verbunden. Vielmehr fanden sich verschiedene Versatzstücke, die zu einem bunten Mosaik zusammen gewürfelt wurden.
In diesen Konstellationen mussten man sich als politische Kraft zurecht finden. Ein entscheidendes Problem lag darin, dass große Teile der Linken davor zurück schrecken, Politik im eigentlichen Sinne zu betreiben. Sie schrecken davor zurück, dass mögliche Potenzial, das in dieser Frage liegt, tatsächlich zu realisieren. Die Parolen, unter denen sie den Kampf aufnehmen wollen, sollen der Pflege eigener Identitätsvorstellungen dienen. Mit dieser Identitätspolitik ist man jedoch unfähig, auf tatsächlichen Probleme einzugehen und die vorhanden Bruchlinien in geeigneter Weise aufzunehmen. Diese Unfähigkeit und dieser Unwille äußerte sich in der großen Abwesenheit auf der Kundgebung am 8. April am Wiener Heldenplatz. Keine der Organisationen, die am Samstag erschienen waren, konnte man dort entdecken.
Politik zu betreiben bedeutet, diese Versatzstücke des politischsozialen Protests von unten Schritt für Schritt zu einem Ganzen gegen die Oligarchie zusammen zu fügen. Die politische Aufgabe bestand demnach darin, auf die Bewegung in diesem Sinne einzuwirken – und nicht sie auszugrenzen. Es ging nicht darum Elemente aus einer Demonstration hinaus zu drängen, weil sie Österreich-Fahnen trugen, sondern man müsste diese Elemente für den eigenen Kampf nutzbar machen. Erst durch die Beteiligung antiimperialistischer Kräfte kann dem chauvinistischen Moment, wie es von der FPÖ repräsentiert wird, wirksam entgegengetreten werden. Der permanenten FP-Kampagne gegen Immigranten und vor allem Muslime offene Grenzen entgegenzusetzen, heißt den Teufel mit dem Belzebuben austreiben zu wollen, denn es ist dies die Forderung des globalisierenden Großkapitals.
Wenn man nun versucht hatte, in diese heterogene Bewegung zu intervenieren, so war man von systemlinker Seite oft dem Vorwurf ausgesetzt, man würde mit Rechtsextremen zusammen arbeiten. Die Absurdität dieser Behauptung offenbarte sich darin, dass die GAJ Attac beschuldigt hatte, mit Nazis zusammen zu arbeiten.
In diesem Vorwurf äußerte sich ein ganz grundlegender Unterschiede in der Wahrnehmung politischer Konflikte und Problemstellungen. Abgesehen davon, dass es sich keineswegs um rechtsextreme oder faschistische Elemente handelte, bringt dieser Vorwurf nur eine sterile Form der Identitätspolitik zum Ausdruck. Mit dieser verbohrten Ausrichtung auf vermeintliche Nazis hat man sich eine Genickstarre eingehandelt, die es einen verunmöglicht, den tatsächlichen Feind überhaupt wahrnehmen zu können. Der liberale, proeuropäische Konsens der herrschenden Eliten stellt die hauptsächliche politische Herausforderung zum jetzigen Zeitpunkt dar.
AIK