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Die Humanität der Intervention

6. Mai 2008

Der Tschad im Gestrüpp der Großmachtinteressen, aus Intifada Nr. 25
Mit der Beteiligung der österreichischen Soldaten am EUFOR-Einsatz
rückte die politische Situation des Tschads auch in das Zentrum der
Debatten in Österreich. In einigen Analysen wurde versucht, der
komplexen Situation Herr zu werden. Immer wieder wurde dabei der
Gegensatz zwischen den USA und Frankreich und das Argument des Erdöls
bemüht. Diese Bemühungen führten jedoch in Sackgassen.

Als am 2. Februar dieses Jahres Rebellen in die Hauptstadt des Tschad einmarschierten, reagierten die europäischen Außenminister mit Nervosität. Der erst kurz zuvor fixierte Einsatz der EUFOR wurde sofort suspendiert. Ein Fiasko der europäischen Außenpolitik. Nachdem lange Zeit das Zustandekommen der Mission an vielen Detailfragen zu scheitern drohte, schien diese Entwicklung der endgültige Todesstoß zu sein. Doch Frankreich reagierte prompt. Mit gebotener Zurückhaltung – da man den humanitären Charakter
nicht zu sehr karikieren wollte – wurde das kränkelnde Regime Dà©by noch einmal am Leben erhalten. Damit wurde aber der gesamte EUFOR-Einsatz ad absurdum geführt: Um einen Einsatz zu ermöglichen, dem man
jeglichen politischen Charakter abspricht, musste militärisch in die politischen Verhältnisse der Region eingegriffen werden. Mit den jüngsten Ereignissen wurde die Debatte über die Entsendung österreichischer Soldaten im Rahmen der EUFOR weiter angeheizt. Dabei wurden Argumente eingebracht, die man von früheren Debatten kennt und die hellhörig machen sollten: Der militärische Einsatz sei notwendig, da eine humanitäre Katastrophe drohe. Dieser Text soll auf einige Aspekte eingehen, die in Zusammenhang mit dem Tschad-Einsatz von Bedeutung sind. Zunächst wird die Situation des Tschad auf verschiedenen Ebenen behandelt. Ausgehend von der Situation im Land selbst, von den dort bestehenden Kräfteverhältnissen, wird auf die regionale und internationale Konstellation eingegangen. Insbesondere
wird die Frage von Bedeutung sein, welche Position Frankreich in diesem Konflikt hat. Für die Beantwortung
dieser Fragestellung ist es notwendig, sich Gedanken über die allgemeine Struktur des internationalen
Systems Gedanken zu machen. Damit kommt man zwangsläufig auf einen akuten Streitpunkt, nämlich wie die aktuelle Beschaffenheit der Konkurrenzverhältnisse in diesem internationalen System zu bewerten
sei.

Kolonialismus und Neokolonialismus
Der Einfluss der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich im Tschad ist ungebrochen. Der Einsatz der EUFORTruppe steht in einer Kontinuität mit einer langanhaltenden Präsenz französischer Truppen in diesem Land. Seit 1976 gibt es ein Militärabkommen zwischen den beiden Staaten, das eine Stationierung französischer Soldaten beinhaltet. Frankreich betreibt daher im Tschad zwei eigene Militärstützpunkte und einen Flughafen in der Hauptstadt N’Djamena. (1) Nach der Gründung der unabhängigen Republik 1960 dominierte lange Zeit ein wesentlicher Konflikt die innenpolitische Lage: Franà§ois Tombalbaye,
der erste Präsident, repräsentierte den animistisch-schwarzafrikanischen Süden. Der muslimisch-arabische Teil des Landes, fühlte sich dadurch nicht repräsentiert. Mitte der Sechziger Jahre formierte sich die Front national de libà©ration du Tchad (FROLINAT). Frankreich intervenierte 1969 gegen die FROLINAT, um den Präsidenten an der Macht zu halten. Nachdem 1983 ein Teil des Tschad durch libysche Truppen besetzt wurde, griff Frankreich abermals auf der Seite der Regierung Hissà¨ne Habrà© ein. Auch in der jüngeren Geschichte intervenierte Frankreich wiederholt im Tschad. Im Frühjahr 2006 griff Frankreich zugunsten des Präsidenten ein. Damals marschierten Kämpfer der Front Uni pour le Changement (FUC) und des Rassemblement pour le Changement (RFC) in die Hauptstadt N´Djamena ein. In einer gemeinsamen Aktion schlugen die tschadische Armee und französische Luftstreitkräfte die Rebellen in die Flucht. Die jüngsten Ereignisse im unmittelbaren Vorfeld des EUFOR-Einsatzes reihen sich nahtlos in dieses Muster ein. Eine Allianz aus der Union des forces pour la dà©mocratie et le dà©veloppement (UFDD), dem RFC und der Union des Forces pour la Dà©mocratie et le Dà©velopement-Fondamentale (UFDD-F) stürmten am 2. Februar 2008 die Hauptstadt. Obwohl sich Frankreich angesichts des „humanitären Charakters“ seiner militärischen Präsenz Zurückhaltung auferlegte, intervenierte es abermals zugunsten des Regimes. Die Hauptstadt wurde überflogen und der Präsident in seinem Palast mit der Präsidentengarde unterstützt. Die französischen Eliteeinheiten COS, die sogenannten Spezialoperationskommandos, griffen direkt in die Kampfhandlungen ein. (2) Außerdem wollte Frankreich umgehend im Weltsicherheitsrat ein Mandat zur militärischen Intervention erwirken. Die Geschichte der Unabhängigkeit des Tschad zeigt eine Transformation der kolonialen Besetzung in eine neokoloniale Dominanz. Es gibt eine lang anhaltende französische Intervention im Tschad, die deutlich politischen Charakter trägt. Angesichts dieser neokolonialen Situation plötzlich von einer humanitären Mission der EUFOR zu sprechen, erscheint vollkommen abwegig.

Das politische System im Tschad
Das politische System des Tschad funktioniert nach anderen Mechanismen, als jene des Modells westlicher,
liberaler Demokratien. Eine wesentliche Differenz besteht darin, dass Gewalt als politisches Mittel durchaus
üblich ist. Der Staatsapparat ist außerdem nicht im selben Maße gefestigt, wie man es beispielsweise bei
westeuropäischen Staaten findet. Damit ist der machtpolitische Wechsel dynamischer und konfliktgeladener.
Widersprüche zwischen den Parteien oder den politischen Bewegungen werden oftmals militärisch ausgefochten, ohne dass dies einen radikalen Wechsel der Allianzen beziehungsweise eine Beteiligung an der politischen Macht im Weg stehen würde. Die Existenz von Rebellengruppen gehört
somit zu einem wesentlichen Kennzeichen des politischen Systems. Die zur Zeit wichtigste Rebellenorganisation ist die Union des forces pour la dà©mocratie et le dà©veloppement
(UFDD). Sie wird geführt von General Mahamat Nouri. Er selbst war Verteidigungsminister der Regierung
Dà©by von 2004 bis zum April 2006. Nouri gehört der Ethnie der Tubu an. Diese haben ihre zentrale
Region im Tschad in den Tibesti- Bergen. Die Tubu leben als teilweise nomadisierende Viehzüchter im Norden des Landes. Ein manchmal vorgebrachtes Argument, warum Nouri ausgeschert sein könnte, ist, dass die Tubu vom Zugang zu den Ressourcen und zur Macht abgeschnitten wären. 2006 gründete er die UFDD, in der er jedoch auch Organisationen ethnischer Araber und der Zaghawas, einer der herrschenden Ethnien, integrierte. (3) Die neben der UFDD zweitgrößte Rebellenorganisation FUC wird geführt von Mahamat Nour Abdelkerim. Die FUC war führend beteiligt am Putsch gegen Dà©by im Frühjahr 2006. Im Dezember 2006 konnte ein Abkommen zwischen dem Präsidenten und der FUC erzielt werden.
Nour wurde daraufhin als Verteidigungsminister in die Regierung integriert. Damit schien das Ende der
FUC besiegelt. Als im Dezember 2007 die Kämpfer der FUC jedoch ihre Waffen abgeben sollten, kam es zu
Schießereien mit den Regierungstruppen. Nour wurde sofort seines Amtes enthoben und er musste in die Botschaft Libyens fliehen. Seine Kämpfer wechselten zu anderen Organisationen.(4) Auch das Rassemblement pour le Changement (RFC) entstand durch Abspaltung einer Fraktion der herrschenden
Elite. 2003 setzte Dà©by Verfassungsänderungen durch, die ihm eine weitere Amtszeit als Präsident
garantieren sollten. Dabei wurde jedoch das bisher in der Verfassung verankerte System, die Macht unter
den Zaghawas, der Ethnie des Präsidenten, nach Kollegialprinzip aufzuteilen, zerbrochen. Daraufhin desertierte seine Prätorianergarde, die ebenfalls von den Zaghawas dominiert ist, um Dà©by vom Sudan aus zu stürzen. Federführend dabei waren die Zwillingsbrüder Timan und Tom Erdemi, die Neffen des Präsidenten sind. Beide galten bis dahin als graue Eminenzen des Regimes. Timan Erdemi war lange Zeit Leiter des Präsidialbüros und Tom Erdemi Ölminister, der lange Zeit in Texas lebte. Dem Konflikt zwischen Dà©by und den Brüdern Erdemi liegt somit ein Konflikt innerhalb der Zaghawas zugrunde. Die RFC strebt keinen Ausgleich zwischen den ethnischen Gruppen in der Machtbalance an, sondern es geht ihm darum, die Machtbasis dieser Ethnie im politischen System zu erneuern. Somit ist das Argument ethnischer Konflikte nicht immer treffend. Zwar gibt es einen allgemeinen Nord-Süd-Gegensatz, der ethnischen Charakter hat, doch gerade das Beispiel der RFC zeigt, dass Rivalitäten innerhalb einer Ethnie, zwischen verschiedenen
Stämmen viel entscheidender sein können. (5) Die drei wichtigsten Rebellenorganisationen hatten sich im Dezember 2007, nachdem der von Gaddafi vermittelte Waffenstillstand von Oktober gescheitert war, auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. Das gemeinsame Ziel war der Sturz des Präsidenten Idriss Dà©by. Es entstand ein Bündnis zwischen der UFDD, dem RFC und der UFDD-F. Die UFDDF wird geführt von Abdelwahid Makaye, der auch ehemalige Kämpfer der FUC in seinen Reihen organisiert. (6) Diese Allianz aus UFDD, RFC und UFDD-F versuchte der EUFOR zuvor zu kommen und marschierte, ausgehend vom Sudan, am 2. Februar 2008 auf die Hauptstadt N’Djamena. Die militärische Ebene bildet im Tschad also einen integralen Bestandteil des politischen Kampfes um die Macht. Zwar steht für die Opposition der Sturz Präsident Dà©bys auf der Tagesordnung, doch zeigt sich immer wieder, wie schnell die Front in dieser Konstellation gewechselt werden kann. Eine militärische Intervention, insbesondere im Kontext des französischen Neokolonialismus, kann nur schwer einen humanitären Charakter geltend machen. Die Mission der EUFOR stellt somit eine militärische Unterstützung des Regimes Dà©by dar und hat unmittelbar politischen Charakter.

Erdöl im Tschad
In den Analysen zum Tschad wird oftmals eingebracht, dass bei der Intervention Frankreichs das Erdöl der
treibende Motor sei. So vertritt auch Gerald Oberansmayr die These: „Die EU-Militärmission soll die mittlerweile durch die USA und China herausgeforderte Position Frankreichs in ihren ehemaligen afrikanischen Kolonien absichern. Im Hintergrund stehen dabei triftige ökonomische Gründe. Seit 2003 wird im Süden des Tschad von ExxonMobil und mit Unterstützung der Weltbank Erdöl gefördert.“ (7)
Die Frage des Erdöls spielt für die Intervention der EUFOR jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist für Frankreich die geopolitische Bedeutung. So kommt auch Paul-Simon Handy vom Institute for
Security Studies zu der Schlussfolgerung: „Im Gegensatz zu den französischen Interessen im übrigen Afrika,
die wirtschaftlich motiviert sind, hat Frankreich im Tschad nur geopolitische Interessen. Schon zur Zeit der
französischen Kolonisation war das Land Bindeglied zwischen Äquatorial- und Nordafrika, etwa bei den Straßenverbindungen.“ (8) Die größten Investoren der Ölförderungsanlagen im Süden des Tschad und auch der Pipeline, die das Öl an den Golf von Guinea transportiert, sind ExxonMobile, ChevronTexaco und die malaiische Petronas. Während die US-Monopole insgesamt 65 Prozent der Anteile inne haben, so
verfügt die Petronas über 35 Prozent der Eigentumsrechte. (9) Die französische Total Elf hat sich 1999 aus
dem Gebiet zurückgezogen. Zwar hat sie nun wieder Interesse angemeldet, doch dies betrifft die nordöstliche Grenzregion zu Libyen. Es besteht also kein unmittelbares Konkurrenzverhältnis in Bezug auf die Erdölförderung im Süden des Tschad. Viel entscheidender ist hingegen, dass ein Konsortium aus der kanadischen Encana, der britischen Cliveden und der chinesischen National Petroleum Corporation die Genehmigung zur Erforschung, Exploration und Förderung von Erdölbeständen im Tschad erhalten hat. (10)
Die Erdölförderung findet im Tschad unter teilweise atemberaubenden Bedingungen statt, welche die nationale Souveränität des Landes deutlich einschränken. Abgesehen davon, dass der Tschad nicht souverän über seine eigenen Ressourcen verfügt, sondern diese von ausländischen Unternehmen ausgebeutet werden, erhält das Land Lizenzgebühren von lediglich 12,5 Prozent der Einnahmen. (11)
Die Erträge aus dem Erdölgeschäft werden auf einem Treuhandkonto der Londoner Citibank verwaltet. Nur
die indirekten Erträge aus dem Erdölgeschäft, wie etwa Steuern, werden direkt von diesem Treuhandkonto auf das Konto der tschadischen Nationalbank überwiesen. (12) Eine Besonderheit stellt die Verteilung
der Erdöleinnahmen für den Tschad dar. Über eine gesetzliche Grundlage, dem „Gesetz 001“, wurde versucht Kontrolle über die Verteilung der Gelder zu erwirken. Zehn Prozent sollten demnach an einen
„Zukunftsfond“ für die Zeit nach dem Erdölboom gehen. 90 Prozent der Einnahmen sollten kontrolliert
investiert werden. (13) Dieses Gesetz wurde jedoch nicht aus eigener Initiative beschlossen, sondern es war
Teil der Vereinbarungen zwischen der Weltbank und dem Tschad. Erst nach dem Beschluss dieses Gesetzes bewilligte die Weltbank ihre Kredite für das Erdölprojekt. Kontrolliert wird die Handhabung des Gesetzes über das Collà¨ge de Contrà´le et de Surveillance des Ressources Pà©trolià¨res (CCSRP). Interessantes Detail: Dà©by hatte im Februar 2004 seinen Schwager Idriss Ahmed zum Präsidenten der Zentralbank und damit automatisch zum Vorsitzenden der CCSRP ernannt. (14) Das „Gesetz 001“ ist grundsätzlich widersprüchlich zu bewerten. Einerseits erscheint eine Kontrolle der Erdöleinnahmen sinnvoll, da die Bevölkerung fast nicht vom Erdölboom profitieren würde. Andererseits ist es äußerst bedenklich, wen die Weltbank durch ihre Kreditpolitik in die nationale Souveränität des Tschads eingreift. 2005 eskalierte der Konflikt um die Erdöleinnahmen kurzfristig. Die Nationalversammlung beschloss das „Gesetz 001“ abzuändern und einen Teil der Finanzmittel für die Bezahlung des Beamtenapparates aufzuwenden. Die Weltbank reagierte harsch: Die Auszahlung von Kredittranchen wurde gestoppt und Präsident Dà©by hatte
keinen Zugang mehr zu den Erdölgeldern, die in London am Treuhandkonto deponiert sind. In der Frage des Erdöls ergibt sich somit kaum ein Konflikt zwischen den USA und Frankreich. Das entscheidende Problem ist vielmehr, wie sich der Tschad gegenüber den Erdölkonsortien und gegenüber der Weltbank behaupten kann. Die Konkurrenzsituation zwischen den USA und Frankreich hat in diesem Bereich nur untergeordnete Bedeutung. Für den Einsatz der EUFOR kann dieses Argument also nicht geltend gemacht werden. Vielmehr sind die politischen Konstellationen, insbesondere auf regionaler Ebene, entscheidend. Vor allem das Verhältnis zum Sudan nimmt eine entscheidende Stellung in der Analyse ein. Regionale Konstellationen
In der Geschichte des unabhängigen Tschad hat nicht nur Frankreich immer wieder in die politische Situation eingegriffen, sondern auch die regionalen Mächte Libyen und Sudan. Immer wieder wurden – in wechselnden Allianzen – politische Kräfte innerhalb des Tschad unterstützt oder bekämpft. Umgekehrt unterstützt der Tschad bis heute bewaffnete Rebellenorganisationen im Sudan. Präsident Dà©by errang die Macht im Tschad vor allem mit der Unterstützung des Sudan. Gerade dies zeigt, wie schnell die Konstellationen und Allianzen wechseln können. (15) Erst in Folge wandte er sich gegen seine ursprünglichen Gönner und verschärfte den Konflikt mit seinem Nachbarn. Am 23. Dezember 2005 stellt Dà©by aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen in der Grenzregion zu Darfur einen „Zustand der Feindseligkeit“ fest. Dà©by warf dem Sudan vor, die Rebellen im Tschad militärisch zu unterstützen. Ein Vorwurf nicht ohne Ironie, da ja einst Dà©by selbst als Rebell mit der Unterstützung des Sudans an die Macht kam. Der Gegensatz zwischen dem Tschad und dem Sudan bleibt nicht auf die regionale Ebene beschränkt.
Gerade im Verhältnis zu Khartum ist die internationale Konstellation von entscheidender Bedeutung. Der Sudan wird von den USA als Schurkenstaat qualifiziert. Außerdem stellt er gewisser Maßen das Einfallstor für den chinesischen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent dar. Von den westlichen Staaten wird der Sudan isoliert. Damit rückt jene Macht als Bündnispartner ins Zentrum des Interesses, die als aufstrebende Semiperipherie auf der Suche nach ökonomischen und politischen Einflusssphären ist, nämlich China. Dies wiederum ruft die westlichen Mächte auf den Plan. Das Regime in Khartum und der chinesische Einfluss auf dem Kontinent sollen zurück gedrängt werden. Die wechselseitige Unterstützung der Rebellenorganisationen zwischen dem Sudan und dem Tschad hat unter anderem darin seine Ursache, dass die Grenze zwischen den Staaten erst mit der europäischen Kolonisation gezogen wurde. (16) Es gibt zwischen der Ostregion des Tschad und der Region Darfur enge ethnische, kulturelle aber auch ökonomische Bande. Der EUFOR-Einsatz ist in dieser regionalen Konstellation zu verstehen. Das sudanesische Regime soll damit unter Druck gesetzt und der chinesische Einfluss gedämpft werden. Damit fügt sich der europäische Einsatz unter französischer Federführung in eine amerikanische Globalstrategie am afrikanischen Kontinent ein. In dieser antisudanesischen Dimension verschwindet der oftmals angenommen französisch-amerikanischen Gegensatz, der fälschlicher Weise als treibende
Kraft dahinter vermutet wird. Es bleibt also festzuhalten, dass für die Entsendung der EUFOR weniger die Konkurrenz zwischen Frankreich und den USA, sondern viel eher in Zusammenhang mit der regionalen
Machtposition des Sudans und dem damit verbundenen chinesischen Einfluss zu sehen ist. Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie man diese Verhältnisse auf internationaler Ebene zu analysieren hat.

Internationale Konstellationen
Von entscheidender Bedeutung für die Analyse der Situation im Tschad ist die Auseinandersetzung mit der Struktur des internationalen politischen Systems. Denn die internationalen Konflikte und Widersprüche
beeinflussen die lokale Situation vor Ort. Doch gerade in der Analyse der internationalen Konstellation gibt es
große Differenzen. Der Kernpunkt der Debatte ist das Problem des französisch- amerikanischen Konkurrenzverhältnisses. Viele Autoren sind der Ansicht, dass der treibende Motor dieses Konfliktes
der weltpolitische und ökonomische Widerspruch zwischen Frankreich und den USA wäre. So interpretieren auch Corinna Milborn und Nicole Stern die französische Militäraktion im Tschad als Rückzugsgefecht gegen den Ausbau amerikanischer Positionen in Afrika. (17) Grundsätzlich rückt in allen Analysen – zurecht – die Dreiecksbeziehung zwischen den USA, Frankreich und China ins Zentrum der Betrachtungen. So vertritt etwa auch Gerald Oberansmayr die These: „Die EU-Militärmission soll die mittlerweile durch die USA und China herausgeforderte Position Frankreichs in ihren ehemaligen afrikanischen Kolonien absichern.“ (18) Doch an diesem Punkt beginnt der richtige Ansatz in eine falsche These abzugleiten. Die Dreiecksbeziehung USA, Frankreich und China wird als eine mehr oder weniger äquidistante Machtkonstellation aufgefasst, vor unserem Auge würde daher ein klassischer Krieg der imperialistischen Großmächte um Kolonien entstehen. Dies ist jedoch eine vollkommen abwegige Annahme. Die Thesen von der Konkurrenzsituation mehr oder weniger gleichgestellter Mächte ignoriert die fundamentale Struktur des internationalen politischen Systems. Daher müssen wir genau differenzieren zwischen der Konkurrenzsituation
zwischen den USA und China auf der einen Seite und den USA und Frankreich auf der anderen Seite. Diese
Differenzierung vorzunehmen ist von entscheidender Bedeutung und hat enormen Einfluss auf die Analyse der konkreten Situation im Tschad. In der Analyse der afrikanischen Situation nach dem Zerfall der Sowjetunion kommen Matthias Adolf und Jan Köstner zu folgender Schlussfolgerung: „So droht der Kontinent ein weiteres Mal zum Spielball neokolonialer Machtpolitik zu werden. Dabei entwickelt sich zunehmend ein Zweikampf zwischen USA und China, der auf sehr unterschiedlichen Strategien basiert.“ (19) Hier wird zurecht als treibender Motor der chinesisch-amerikanische Widerspruch festgemacht. Der französische Einfluss hat eine weitreichende Kontinuität, doch die aktuelle internationale Konstellation hat ihm als Element in diesem System eine neue Bedeutung verliehen. Frankreich steht den USA in Afrika nicht
als unversöhnlicher Widersacher gegenüber. In gewisser Weise existiert eine Situation der gleichzeitigen Kooperation und Konkurrenz zwischen den Mächten. Das Element der Kooperation überwiegt jedoch. Insbesondere darf das Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen den europäischen Staaten und dem amerikanischen Zentrum existiert, nicht ignoriert werden. Die sowjetische Geschichts- und Politikwissenschaft hat versucht die Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine Bearbeitung der klassischen Imperialismustheorie zu bewältigen. Dabei wurde versucht dem Element der Konkurrenz das Element der Kooperation hinzuzufügen. Dies ist jedoch in vielerlei Hinsicht ungenügend. Die jüngere Debatte um die Imperialismustheorie hat immer wieder herausgearbeitet, dass die Struktur der aktuellen Konkurrenzsituation nicht übereinstimmt mit jener, die Lenin mit seiner Imperialismustheorie im Auge
hatte. „Charakteristikum des „klassischen Imperialismus“ war die ungleiche Entwicklung und die daraus
abgeleitete zwischenimperialistische Konkurrenz, die gleichsam gesetzmäßig zum Weltkrieg führt. Der „neue Imperialismus“ zeichnet sich durch die unumschränkte – ökonomische, politische und vor allem militärische – Suprematie der USA aus, die sich sowohl auf die Gestaltung der Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges als auch auf die Beziehungen zu den subimperialistischen Staaten erstreckt.“ (20)
Der treibende Widerspruch am afrikanischen Kontinent ist der Widerspruch zwischen den USA und
China. Dieser hat zur Zeit den Sudan als wesentlichen Schauplatz. Die Isolation von Khartum ist sowohl Folge als auch Ursache für die Konkurrenz zu China. Man muss jedoch berücksichtigen, dass China zu jenen Ländern gehört, die von der Weltsystemtheorie als Semiperipherie bezeichnet wurden. Damit verlagert sich aber der entscheidende Konflikt auf Widersprüche zwischen dem dominanten Zentrum und Ländern der Semiperipherie und der Peripherie. Bezogen auf den Tschad bedeutet das nun, dass selbst die USA ein Interesse am französischen Einsatz haben. Die EUFOR bildet kein Element, das den Gegensatz Frankreichs zu den USA repräsentiert, sondern vielmehr ein Element der gemeinsamen Globalstrategie. Innerhalb dieser gemeinsamen Globalstrategie kann es aber durchaus zu Machtverschiebungen kommen.

Sebastian Baryli
(1) Henken, Lühr: Sudan und Tschad im Visier der Großmächte, in: IMIStudie, 2008, Nr. 1, Teil 2, S. 1f.
(2) La Croix, 08.02.2008.
(3) Mühlbauer, Peter: Umsturz im Tschad? In: Telepolis, http://www.heise.de. de/tp/r4/artikel/27/27203/1.html.
(4) Thomas Scheen: Kämpfe an allen Fronten, in FAZ, 06.12.2007.
(5) Handy, Paul-Simon: Chad: Wading through a domestic political crisis in a turbulent region, in: ISS Situation Report, 5. Dezember 2007, S. 5.
(6) Ling, Martin: Feuerpause in N’Djamena, in: Neues Deutschland, 06.02.2008.
(7) Oberansmayr, Gerald: Über den Tschad in den EU-Militärolymp? In: Guernica, 2007, Nr. 5, S. 3.
(8) Interview mit Paul-Simon Handy, in: Der Standard, 12./13.01.2008.
( 9 ) h t t p : / / g o .wo r l d b a n k . o r g /504AW22GX0
(10) Poirson, Anne-Claire: Öl im Tschad. Ein fragwürdiger Segen, in: Le Monde diplomatique, 2005, Nr. 7770 der Gesamtfolge, S. 19, Fn. 3.
(11) Zint, Martin: Konfliktstoff Öl. Teil 2: Das Tschad-Kamerun-Erdöl- und Pipeline-Projekt, http://www.ewfbonn.
de/dokumente/konfliktstoff_oel_1.pdf, S. 3.
(12) Kuge, Mitthias: Erdöl aus dem Tschad: Förderung unter internationaler Vormundschaft, in: Afrika-Bulletin,
2004, Nr. 116 der Gesamtfolge, S. http://www.absa.ch/AK/Bulletin/116.htm
(13) http://go.worldbank.org/O3OE1V4IB0
(14) Kuge, Mitthias: Erdöl aus dem Tschad: Förderung unter internationaler Vormundschaft, in: Afrika-Bulletin,
2004, Nr. 116 der Gesamtfolge, S. http://www.absa.ch/AK/Bulletin/116.htm
(15) Handy, Paul-Simon: Chad: Wading through a domestic political crisis in a turbulent region, in: ISS Situation Report, 5. Dezember 2007, S. 7f.
(16) Handy, Paul-Simon: Chad: Wading through a domestic political crisis in a turbulent region, in: ISS Situation Report, 5. Dezember 2007, S. 7f.
(17) Milborn; Corinna; Stern, Nicole: Im Schatten der Kolonialmacht, in: Format, 2008, Nr. 7, S. 23.
(18) Oberansmayr, Gerald: Über den Tschad in den EU-Militärolymp? In: Guernica, 2007, Nr. 5, S. 3.
(19) Adolf, Matthias; Köstner, Jan: China versus USA: Der neue Kampf um Afrika, in: Blätter für deutsche und
internationale Politik, 2007, Nr. 4, 486.
(20) Deppe, Frank; Heidbrink, Stephan; Salomon, David u.a.: Der neue Imperialismus,
Heilbronn 2004. (= distel direkt), S. 128.

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