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Ein Kratzen an der Kruste

6. Mai 2008

Eine Analyse der Linkspartei in Deutschland, aus Intifada Nr. 25

Die Linkspartei in Deutschland hat die Parteienlandschaft durcheinander gewürfelt. Sie hat die Verhältnisse zwar nicht zum Tanzen gebracht, aber zumindest alte Verkrustungen etwas gelöst. Nachdem sie im Bundestag

vertreten ist, hält sie nun auch Einzug in die Landesparlamente. Ein Land nach dem anderen muss sich mit der neuen Konstellation befassen. Die SPD unter ihrem Vorsitzenden Beck ist in Bedrängnis. Doch diese Bedrängnis spürt nicht nur die SPD, sondern auch große Teile der Linken. Wie auf diese Herausforderung reagieren?

Die Partei Die Linke ist nun auf all Ebenen gegründet, Kommunal- und Landesverbände sowie der Bundesverband sind konstituiert. Der Prozess hat bereits für einigen Gesprächsstoff gesorgt, die Austritte aus den übrigen Parteien häufen sich angesichts der anhaltenden sozialen Misere, weiterem Abbau demokratischer Rechte und dem nicht-erfolgten Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan sowie Beteiligung Deutschlands an weiteren Kriegseinsätzen. Zu messen ist Die Linke in Zukunft daran, was sie sagt und – vor allem – was sie konkret tut.

Ein vorläufiges Fazit
Ohne WASG und Lafontaine wäre der Erfolg der Linkspartei nicht möglich. Mit Erfolg ist zunächst gemeint:
1.) fast neun Prozent bei der Bundestagswahl 2005 2.) seit Monaten in bundesweiten Umfragen stabil bei 13 Prozent 3.) sowie im Mai 2007 der erstmalige Einzug in ein West-Parlament. Dieser Erfolg hat mehrere Ursachen: Besonders hat die WASG erfolgreich Gewerkschafts-Aktivisten im Westen mobilisiert, ein Spektrum, über das die PDS niemals verfügte. Auch darf der Faktor Lafontaine nicht kleingeredet werden: Niemand kann bestreiten, dass er einen Reibungspunkt par excellence darstellt, der entweder massive Ablehnung oder volle Anerkennung auf sich zieht. Ein weiterer Punkt, der in keinem Fall unterschätzt werden darf, ist, dass die WASG im Gegensatz zur PDS an keiner Landesregierungen beteiligt ist. Man betrachte nur die beiden Fälle, wo die PDS an der Landesregierung beteiligt war oder ist, nämlich Berlin und Mecklenburg. Dort laufen ihr die Wähler in Scharen davon: 1.) In Mecklenburg erzielte die PDS 1998 satte 24 Prozent. Im selben Jahr trat sie in die Landesregierung ein. Das Resultat bei der letzten Landtagswahl 2006: Nur noch 17 Prozent. Zudem Rausschmiss aus der Landesregierung. 2.) In Berlin ist die PDS immer noch in der Landesregierung. Aber im Gegensatz zu den 23 Prozent, die sie 2001 noch vor ihrem Regierungseintritt holen konnte, hat sie bei der letzten Landtagswahl 2006 nur noch 13 Prozent erzielt, ein zweistelliger Verlust. Selbst, wenn man hierbei die Stimmen der Berliner WASG dazuzählt, die 2006 konkurrierend antrat, stellt dies eine gewaltige Erosion dar. Ob Ost, ob West: Soziale Protestwähler schreien nicht nach Linkspartei-
Regierungen, sondern drücken zuallererst ihre Ablehnung des Neoliberalismus aus. Dies geschieht natürlich mit einem eher diffusen als antikapitalistischen Bewusstsein. Doch nach der globalen Wende von 89/91 lässt sich schwerlich höher ansetzen.

NPD
Eine besondere Erwähnung gebührt der Entwicklung der NPD: In ihrer Hochburg Sachsen fiel sie von ihrem
Erfolgsergebnis 9,2 Prozent bei der Landtagswahl 2004 auf 4,9 Prozent bei der Bundestagswahl 2005. Parteienforscher sprechen davon, dass die Stammwählerschaft der NPD in Sachsen eine eher ländliche ist und etwa 5 Prozent ausmacht, und dass die starken Hinzugewinne im Jahr 2004 auf eher städtische Protestwähler zurückzuführen sind, welche die NPD nur ein Jahr später wieder verloren hat – zu einem Zeitpunkt also, als die Lafontaine- Wahlkampagne ihren Höhepunkt erreichte. Dieses Potential an Wechselwählern kann nicht als chauvinistisch oder gar faschistisch definiert werden. Wir sprechen von einem Potential, das an erster Stelle sozialen Protest bzw. seine Angst vor sozialem Abstieg artikulieren
will. Dieses Potential kann sich am rechten Rand verirren – aber aus diesem Rand kann es auch wieder herausgeholt werden. Besser, jemand wie Lafontaine tut das, bevor es gar niemand tut. An dieser Stelle soll nicht konstruiert werden, jeder Linkspartei- Wähler sei ein gestandener Antirassist. Doch dieses Problem hat die Linkspartei nicht für sich gepachtet.

Liberalistische Elemente
Müßig, über die bisherigen Schweinereien der PDS zu reden, deshalb in Kurzfassung: Mitverantwortung für Abschiebungen in Berlin und vielen Ost-Kommunen, Zustimmung zur Teilprivatisierung der Rente im Bundesrat, Heuschrecken-Privatisierung von kommunalem Eigentum in Berlin, massive Sozialisierung unternehmerischer Schulden (Landowsky- Skandal), Ausstieg aus dem rheinischen Tarif im öffentlichen Sektor in Berlin, sowie die Aushöhlung des noch bestehenden antimilitaristischen Parteikonsens – letzteres ver-sucht die Parteirechte seit vielen Jahren, und arbeitet sich dabei peu à  peu erfolgreich vor. Am Rande seien noch das antidemokratische Vorgehen gegen die konsequent anti-neoliberale Berliner WASG genannt, eine Anti-DDR-Geschichtsklitterung, die man nur als billigste Prostitution bezeichnen kann, sowie die Bundestagsabgeordnete Petra Pau, die auch schon mal gemeinsam mit Antideutschen marschiert.

Worst Case
Es herrscht ein innerlinkes Spannungsfeld vor, zwischen stark opportunistischen Kräften, die geschlossen
in die Linkspartei eintreten, wie etwa der Linksruck in Deutschland, auf der einen Seite, und sektiererischen
Orthodoxen auf der anderen Seite, für die Lafontaine kurzum „ein kapitalistisches Schwein“ ist. Neben der
Bewerkstelligung einer klaren, politischen Eigenständigkeit innerhalb dieses Spannungsfeldes muss man
sich gleichzeitig auch das Worst-Case- Szenario in Sachen Linkspartei vergegenwärtigen: Im schlimmsten Fall haben wir schon 2009 eine Rot-Rot geführte Bundesregierung, etwa mit Wowereit als Kanzler, der sich für diese Option schon länger anbietet, und Lafontaine als Vizekanzler. Dann war es das! Noch nicht mal einen Knall würde es geben. Die meisten anderen Varianten des weiteren Weges der Linkspartei schaufeln
aber noch einige Jahre Zeit frei. Zeit, in der man mit der Linkspartei kooperieren kann, ja muss. Diese, unseres Erachtens legitime und durchaus notwendige Kooperation können wir allerdings in einem Punkt in keiner Weise gutheißen oder unterstützen: Mit dem Landesverband Berlin ist kein Friede möglich. Die Mehrheit jener Parteigliederung ist längst zur Reaktion übergelaufen.

Anti-neoliberale Grundzüge
Ein greifbarer anti-liberalistischer Erfolg der Linkspartei als Gesamterscheinung ist, dass bei der letzten Bundestagswahl Schwarz-Gelb verhindert wurde. Merkel-Westerwelle wären ganz anders durchmarschiert als der ratlose Haufen der Großen Koalition, das ist gewiss. Nicht, dass die aktuelle Bundesregierung keine Schweinereien beschließt. Aber man erinnere sich noch an den Wahlkampf: Kirchhoff- Steuer und Gesundheits-Kopfpauschale, gesamtgesellschaftlich noch asozialere Vorhaben als Hartz IV, wurden von der CDU ganz konkret angestrebt, von den Amerikanern der FDP sowieso. Auf einmal alles komplett verschwunden! Natürlich ist die Linkspartei alles andere als ein homogener Block, in
ihr existieren konkurrierende Zentren. Festzuhalten ist, dass die Bundestags-fraktion eher links vom Parteiapparat steht. So haben im vergangenen Jahr Kräfte, die im rechten Teil des Parteiapparates angesiedelt sind, der antikubanischen Resolution des EUParlaments ihren Segen gegeben, wie etwa Andrà© Brie und andere. Im August 2007 hat das Mitglied des Bundestages Lafontaine mit seiner Reise nach Kuba ein deutliches Signal dagegen gesetzt. Gar nicht hoch genug kann bewertet werden, dass Teile der Bundestagsfraktion um den Völkerrechtler Norman Paech im vergangenen Jahr versucht haben, die Hamas nach Berlin zu holen – ein außerordentliches Unterfangen gegen die proamerikanische BRD-Oligarchie.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Trotz der Linkspartei wird nicht an Hartz IV gerüttelt werden und die BRD steht kurz davor, in Afghanistan ihr kleines Vietnam zu erleben, was vielleicht am besten wäre. Natürlich
haben wir nichts anderes als eine neoliberale Kriegsregierung. Doch wer erwartet schon eine antiimperialistische BRD-Regierung? Antikapitalisten heute bewegen sich auf einem steinigen Weg hin zu einer möglichen Systemüberwindung, die schlussendlich nur in internationalen Kämpfen erfolgen kann. Etwaige Chancen mit der Linkspartei liegen logisch nicht in Ministerämtern, sondern konkret in der Abholung sozialen Protestes und in der Verstärkung anti-liberalistischer Propagandafelder: „Gegen die Amerikanisierung Deutschlands!“, „Raus aus Afghanistan!“ usw. Faktor Nordrhein-Westfalen
Sollte die Linkspartei Anfang 2010 in das NRW-Landesparlament einziehen (was wahrscheinlich ist), würde
das zu einer bundesweit wirksamen Koordinatenverschiebung führen. Im Gegensatz zu Bremen ist Nordrhein-Westfalen ein Flächenland. Zwar hat die Linkspartei bereits bei den Landtagswahlen 2008 in Hessen und Niedersachsen Chancen auf Erfolg, aber Nordrhein-Westfalen ist das bevölkerungsreichste Land überhaupt, mit den meisten Großstädten Deutschlands. Auf das Saarland wird hier nicht näher eingegangen, da es sich um einen Sonderfall handelt. Spätestens nach einem Erfolg der Linkspartei in
NRW muss die SPD ihren Totalboykott auf Bundesebene beenden, was aber auch der Anfang der endgültigen Integration der Linkspartei wäre.

Lafontaine verteidigen?
Zum Schluss: Das neoliberale Allparteiensystem steht gewiss nicht vor dem Einsturz, ist aber anständig ins
Wanken gekommen. Die SPD: Zu keinem anderen Zeitpunkt ihres 140- jährigen Bestehens unpopulärer als
heute. CDU: Hat ihren marktradikalen Flügel ausgeschaltet. Grüne: Verlieren stetig an Bedeutung. FDP:
Derart ratlos, dass sie die schwachsinnige Parole „Freiheit statt Sozialismus“ ausgibt. Aber in einem Punkt sind sich alle Genannten einig: Lafontaine wurde zur Persona non grata erklärt. Er sei ein Demagoge
und Wendehals, ein Egomane und unzuverlässiger Verführer. Es ist nicht die Aufgabe von Antikapitalisten, ins selbe Horn zu blasen und Mutmaßungen über die Motivation Lafontaines anzustellen. Dies kann Psychologen überlassen werden. Fest steht, dass sich die neoliberale Elite wie eine Hyäne auf ihn stürzt. Das gilt es, zu verstehen. In dieser Konfrontation keine Farbe zu bekennen, sondern in linksdogmatischer
Manier Augenklappen anzulegen, kann nur im Interesse der neoliberalen Oligarchie liegen. Lafontaine
verteidigen heißt nicht, karitative Hilfe zu leisten. Lafontaine hat kaum Hilfe nötig. Lafontaine verteidigen,
heißt, den eigenen anti-neoliberalen Kampf verteidigen. Zuletzt zur größten Beschuldigung: Lafontaine sei ein Rechtspopulist. An dieser Stelle sei Werner Pirker zitiert: „Es ist die altbekannte Methode, wie man sie aus der Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus kennt. Soll heute ein Linker aus dem demokratischen Verkehr gezogen werden, ist er als verkappter Rechter bloßzustellen. Wer ein wirklicher
Linker ist, bestimmt die liberale Meinungsvorherrschaft. Das entspricht im wesentlichen dem Selbstbildnis
einer Linken, die längst nicht mehr als Kritikerin der liberalen Wertegemeinschaft auftritt, sondern als deren unruhiges Gewissen und die Ausschlußanträge gegen tatsächliche und vermeintliche Rechte längst vorformuliert hat.“

Dimitri Tsalos
(Jänner 2008)

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